Im Zentrum der Ausstellung im K21 steht eine neue, für die Ausstellung entwickelte multimediale Installation, mit der Hito Steyerl (* 1966) die Potentiale von Digitalität, Simulation und Künstlicher Intelligenz im Hinblick auf künstlerische Kreativität, museale Präsentationsweisen, soziale Verwerfungen und pandemische Bedingungen kritisch auslotet. Die neue Arbeit wird in der Ausstellungshalle im Untergeschoss des K21 mit einer umfangreichen Auswahl früherer Arbeiten Steyerls gezeigt. Mit der Ausstellung „Hito Steyerl. I Will Survive“ im K21 ist erstmals ein großer Überblick über das Werk der Künstlerin, Filmemacherin und Autorin in einem Museum in Deutschland zu sehen.
Deutschland | Düsseldorf:
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. K21
26.9.2020 – 10.1.2021
#HitoSteyerl #K21
Zu sehen sind raumgreifende Installationen aus den vergangenen zehn Jahren: „In Free Fall“, 2010, „Guards“, 2012, „How Not To Be Seen. A Fucking Didactic Educational. MovFile“, 2013, „Is the museum a battlefield?“, 2013, „Duty Free Art“, 2015, „Hell Yeah We Fuck Die“, 2016, „The City of Broken Windows“, 2018, „This is the Future / Power Plants“, 2019, „Mision Accomplished: Belanciege“, 2019.
Daneben liegt ein Schwerpunkt auf den frühen Filmen, die kurz nach Steyerls Studium der Dokumentarfilmregie entstanden sind. „Deutschland und das Ich“ (1994), „Babenhausen“ (1997), „Die leere Mitte“ (1998) und „Normalität“ (1999) widmen sich dem wiedererstarkenden Rassismus und Nationalismus im Deutschland nach der Wiedervereinigung. Mit „November“ (2004) und „Lovely Andrea“ (2007) werden zwei für Steyerls Werk zentrale Filme gezeigt, in denen sich das Zirkulieren der Bilder, das Motiv des Todes (der Freundin Andrea Wolf) und die kritische Hinterfragung der Tragfähigkeit des dokumentarischen Modus im Film als Kern von Steyerls filmkünstlerischem Ansatz erweisen. Steyerls Werk stellt in Theorie und Praxis einen zentralen Beitrag zum „Documentary Turn“ in der bildenden Kunst um das Jahr 2000 dar.
Im Überblick der Ausstellung wird ersichtlich, wie Steyerl in den letzten dreißig Jahren die Mutation von Kamerabildern vom analogen Bild und seinen vielfältigen Montagen hin zum geteilten, flüssig werdenden digitalen Bild und den sich daraus ergebenden Implikationen für die Repräsentation von Kriegen, Klimawandel und Kapitalströmen verfolgt hat. Künstlerin, Filmemacherin und Autorin Hito Steyerl Steyerls Filme sind oft von der visuellen Nervosität des Internets imprägniert. Die im World Wide Web massenhaft verbreiteten, geteilten, manipulierten und kommentierten Bilder bilden einen reichhaltigen Fundus für ihre assoziativ verfahrenden Filmcollagen, in denen unterschiedliche Bildbearbeitungen, darunter die ausgiebige Verwendung von 3D-Animationen, zum Einsatz kommen. Ein Abstand zur traditionellen dokumentarischen Filmsprache tut sich auf, den Steyerl unter dem Begriff „documentary uncertainty [dokumentarische Unschärferelation]“ gefasst und in zahlreichen Essays und Vorträgen beschrieben und analysiert hat.
Die Absolventin der HFF München, promovierte Philosophin und Professorin für Medienkunst an der UdK Berlin greift in ihren Filmen und Texten ebenso auf historische Quellen zurück, arbeitet Walter Benjamins Geschichtsphilosophie und die „negative Dialektik“ der Frankfurter Schule als tragendes Fundament in das von ihr mitgestaltete Format des Video-Essays ein. Zu den zahlreichen, produktiv genutzten Quellen zählen, um nur die vielleicht wichtigsten zu nennen, Theodor W. Adornos Ausführungen zum Essay als skizzenhafte, subjektive Argumentationsform, Harun Farockis Essayfilm und schließlich Jean-Luc Godards revolutionäre Filmsprache. Zitate aus der Pop Kultur von Disco-Hits über Monthy Python’s Flying Circus bis hin zum Game Design kommen hinzu. Doch bei allem Witz und Hang zum Paradoxen steht hinter Steyerls pointierten und mit einer Länge von maximal 30 Minuten eher kurzen Filmen ein kohärentes Interesse an postkolonialer Kritik, ökologischer Theorie, feministischen Ansätzen, der Kritik an Big Data und der Überwachungsindustrie, womit Steyerl selbst inzwischen einen großen Einfluss auf die künstlerische Theorie und Praxis einer jüngeren Generation ausübt.
Ein kritisches Hinterfragen der eigenen Autorenschaft zeigt sich etwa in „November“ (2004), wenn eine Stimme aus dem Off (Steyerl) sagt: „Nicht ich erzähle die Geschichte, sondern sie erzählt mich“. Hier wird deutlich, dass es Steyerl um eine Geschichte des Widerstands geht, die nicht nur ihre eigene ist, sondern die einer ganzen Generation, wie Florian Ebner in der Laudatio auf die Künstlerin anlässlich der Verleihung des Käthe Kollwitzpreises in der Berliner Akademie der Künste im Februar 2019 herausgestellt hat.
Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen:
„Wir freuen uns sehr, mit der Ausstellung „Hito Steyerl. I Will Survive“ im K21 erstmals in Deutschland einen umfassenden Überblick über das Werk dieser wichtigen Künstlerin, Filmemacherin und Autorin zu präsentieren. Steyerl gehört aktuell zu den inter-national wichtigsten Positionen, wenn es um die Reflexion der gesellschaftlichen Rolle von Kunst und Museum geht, um das Experimentieren mit medialen Präsentationsformen und um die kritische Auseinandersetzung mit Daten und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz.“
Die Ausstellung ist nicht nur Steyerls erste umfangreiche Überblicksausstellung in Deutschland und ihre erste große Ausstellung in Frankreich überhaupt, sie vereint gleichzeitig eine deutsch-französische Perspektive auf das Werk. In einer Zeit, in der die Kunst immer mehr Gegenstand von Investment und Spekulation wird, bestimmt und vorangetrieben von privaten kommerziellen Interessen großer Galerien und mächtiger Oligarchen, erlangt der Begriff der öffentlichen Kunst eine neue Relevanz. An diesem Punkt treffen sich der Ansatz der Künstlerin mit dem geschärften Bewusstsein für den Zusammenhalt von Öffentlichkeit und Kunst, wie ihn die beiden staatlichen Museen Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und Centre Pompidou genuin vertreten. Nicht zuletzt ist der Antagonismus von privat und öffentlich Gegenstand von Steyerls neuer Arbeit, und vor diesem Hintergrund lässt sich die Zusammenarbeit der beiden Museen als Statement für die Kunst im Rahmen einer gesellschaftlich verantwortlichen Kulturpolitik lesen.
Kuratiert von Doris Krystof für K21 Düsseldorf.
Die Ausstellung ist eine Zusammenarbeit der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf und dem Centre Pompidou, Musée National d’Art Moderne, Paris.