Hito Steyerl
Wer ist Hito Steyerl?
Hito Steyerl (* 1.1.1966) ist deutsche Filmemacherin und Autorin der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Steyerls seit Mitte der 1990er Jahre entstandenes Werk stellt in Theorie und Praxis einen zentralen Beitrag zum „Documentary Turn“ in der bildenden Kunst um das Jahr 2000 dar. Aktuell zählt sie zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Welt.
Zu den bevorzugten Ausdrucksmedien der in München geborenen Künstlerin zählen essayistische Dokumentarfilme. In Texten setzt sich die promovierte Philosophin mit Fragen zum Postkoloialismus und feministischer Repräsentation kritisch auseinander. Gemeinsam mit Vera Tollmann und Boaz Levin gründete Hito Steyerl das Research Center for Proxy Politics, das sich zum Ziel gesetzt hat, über die Funktionsweise von medialen Netzwerken und ihren Akteuren – das sind Maschinen, Dinge und Menschen – nachzudenken und dieses Verhältnis zu erforschen. Hito Steyerls Filme werden sowohl auf Kunstbiennalen wie Filmfestivals gezeigt, womit sich die Künstlerin zwischen den beiden Gattungen Film und Bildender Kunst bewegt. Aktuell lehrt Hito Steyerl an der Universität der Künste Berlin in der Klasse für Medienkunst (New Media Art / Lensbased class).
„Zeitgenössische Kunst wird ermöglicht durch das neoliberale Kapital, plus Internet, Biennalen, Kunstmessen, parallelen Pop-up Geschichten und wachsendem Einkommensungleichheit.“1 (Hito Steyerl in einem Interview mit dem Guardian)
Ausbildung und Lehre
Zwischen 1987 und 1990 studierte Hito Steyerl Kinematographie und Dokumentarfilmregie an der Academy of Visual Arts in Tokio bei Imamura Shoheit und Hara Kazuo (ehemals Yokohama Broadcasting Technological School, die 1975 von SoheiImamura gegründet wurde). Bevor sie an die Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) nach München ging, um Dokumentarfilmregie zu studieren, arbeitete sie 1990/91 als Regieassistentin für Wim Wenders. Für den Film „Until die End oft he World“ reiste sie durch Australien, Japan, Frankreich, USA, Italien, Portugal und Deutschland. An der Wiener Akademie der Bildenden Künste schloss Steyerl ihre Ausbildung 2003 mit einer Promotion in Philosophie ab.
Ihre Erfahrungen als Künstlerin gibt Hito Steyerl gerne an Studierende weiter, weshalb sie am Centre for Cultural Studies am Goldsmith College in London unterrichtete. 2010 wurde als Professorin für Experimentalfilm und Video an die Universität der Künste Berlin berufen, wo sie die KIasse der Neuen Medien leitet. Dort gründete Steyerl zusammen mit Vera Tollmann und Boaz Levindas Research Center for Proxy Politics.
Werke
Hito Steyerls Videos und Texte sind scharfsinnige und provokative Analysen der gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Institutionen. Die deutsche Künstlerin beschäftigt sich mit globalen Finanz- und Warenflüssen, mit Arbeitsverhältnissen im Neoliberalismus und Verstrickungen zwischen Konzernen und öffentlicher Politik. Sie spürt visuellen Regimen nach und reflektiert die Macht der Bilder, als Medien unserer Wahrnehmung und als Träger und Strukturgeber von Informationen.
In Steyerls jüngeren Arbeiten wie „The Tower“ (2015) spielen digitale Technologien oft die zentrale Rolle. Dies gilt nicht nur für deren formale Realisierung, die in zunehmendem Masse auf digitaler Produktion beruht, sondern auch hinsichtlich der Themen der Filme. Digitale Informationsflüsse sind in ihren Videos aktive Agenten, nicht nur in physikalischen, sondern auch in gesellschaftlichen und sozialen Prozessen. Die Realität ist durch digitale Technologien erweitert worden und folgt ihr, so die Perspektive Steyerls. Mit einem sicheren Gefühl für Bildschnitt und Rhythmus schafft die Künstlerin in Arbeiten wie „How Not to Be Seen (A Fucking Didactic Educational.MOV File)“ (2013) mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit immersive, aber keineswegs bruchlose Montagen aus Computeranimationen, Screenshots, Found Footage aus den Massenmedien, und selbst gedrehten Szenen.
Einem großen Publikum wurde die Filmemacherin durch ihre Biennale-Teilnahmen der letzten Jahre bekannt:
- 2019 Biennale von Venedig, Hauptausstellung „May You Life in Interesting Times“ im Arsenal und in den Giardini: mehrere Arbeiten, darunter „This is the Future / Power Plants“
- 2017 Skulptur Projekte in Münster: „Hell Yeah We Fuck Die“
- 2015 Biennale von Venedig, deutscher Pavillon: „Factory of the Sun“
- 2007 documenta 12 in Kassel: „Lovely Andrea“ und „Red Alert“
- 2004 Manifesta 5 in San Sebastian: „November“
Das Kunstmagazin ArtReview stellte Hito Steyerl 2017 an die Spitze der „Power100“-Liste. Damit ist Steyerl die einflussreichste Person im Kunstbetrieb (→ Künstlerinnen und Künstler auf der 2017 POWER 100 von ArtReview).
Hito Steyerl lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
Filmografie
- 1994: Deutschland und das Ich
- 1996: Land des Lächelns
- 1997: Babenhausen
- 1998: Die leere Mitte
- 1999: Normalität 1-10
- 2004: November
- 2007: Lovely Andrea
- 2007: Journal No 1
- 2009: After the Crash
- 2010: In Free Fall
- 2012: Guards
- 2012: Abstract
- 2012: Adorno's Grey
- 2012: Guards
- 2013: How not to be seen: A Fucking Didactic Educational. MovFile
- 2013: Is the museum a battlefield?
- 2014: Liquidity Inc.
- 2015: Duty-Free Art
- 2015: Factory of the Sun
- 2015: The Tower
- 2016: Hell Yeah We Fuck Die
- 2018: The City of Broken Windows
- 2019: This is the Future / Power Plants
- 2019: Mision Accomplished: Belanciege
Hito Steyerl als Autorin
Neben ihrer filmkünstlerischen Arbeit ist Steyerl als Autorin tätig, macht Interviews und hält Vorträge. Eine Auswahl ihrer an verschiedenen Stellen publizierten Essays sind in vier Büchern zusammengefasst:
- Die Farbe der Wahrheit (TuriaKant, Wien 2008),
- The Wretched of the Screen (Sternberg Press, Berlin 2012),
- Beyond Representation – Jenseits der Repäsentation (n.b.k., Berlin 2016),
- Duty Free Art – Art in the Age of Planetary Civil Wars / Kunst im Zeitalter des globalen Bürgerkriegs (engl. London2017/ dt. Diaphanes, Zürich 2018).