Ballerina, Badende und Rennpferde gehören zu den Lieblingssujets von Edgar Degas (1834–1917). Vor allem in der Technik des Pastells gelangte der nur an Figurendarstellungen interessierte Impressionist zu erstaunlichen koloritstischen Ergebnissen. Er schichtete leuchtende, reine Farbtöne übereinander, experimentierte mit Essenz und fixierte zwischen einzelnen Arbeitsschritten das Erreichte. Sir William Burrell trug um 1900 die bedeutendste Degas-Sammlung Großbritanniens zusammen. Die National Gallery in London präsentiert die wichtigsten Werke des Impressionisten neben Ölgemälden und Pastellen aus eigenem Bestand.
Großbritannien / London: National Gallery
20.9.2017 – 7.5.2018
Edgar Degas stellte zwar gemeinsam mit den Impressionisten aus, empfand seine Kunst jedoch als „klassisch“, bewunderte die Kunst von Ingres und band sich freundschaftlich an Edouard Manet. Während der 1870er Jahre entdeckte der aus dem Pariser Großbürgertum stammende Maler das moderne Stadtleben, vor allem in Form der Welt der arbeitenden Frauen, allen voran Büglerinnen, Wäscherinnen und Tänzerinnen. Die Welt des Theaters mit seinen Logen, Kulissen, Ballerinen faszinierte den Künstler über die Hauptphase des Impressionismus hinaus. Bis heute ist Degas für seine farbintensiven Darstellungen von Tänzerinnen bei der Probe, beim Richten ihrer Trikots, beim Dehnen und Massieren ihrer Beine, beim Beobachten ihrer Füße etc. (→ Edgar Degas: Werke & Biografie). Um die gewünschten Farbeffekte zu erzielen, entwickelte Edgar Degas das Pastell in vielen Schichten und setzte diese in den schillernden Kostümen und Tutus der Ballerina um. Im Laufe der Jahre zog er die Arbeit mit der Pastellkreide der Ölmalerei vor.
Obwohl Edgar Degas als brillanter Unterhalter galt, war er ein sehr zurückgezogen lebender Mann. Seine Auseinandersetzung mit der Fotografie, die er auch selbst praktizierte, führte ihn zu neuen, außergewöhnlichen Blickpunkten in seinen friesartigen Kompositionen. Wunderbar in der Ausstellung das Gemälde „Die Probe“ (um 1874, Beitragsbild), das auf der rechten Seite mehrfache Überschneidungen und Fragmentierungen aufweist. Die Wendeltreppe ermöglicht dem Maler Beine von oben ins Bild zu führen, Körper auszublenden und die Ballerinen auf ihre Füße wahrlich zu reduzieren.
Die Gruppe der Badenden und sich kämmenden Frauen wird durch zwei Arbeiten dominiert: „Das Haar kämmen“ (um 1896) und „Nach dem Bad“ (um 1896). Beide Ölgemälde stammen aus dem Besitz der National Gallery, London. Es ist nur schwer vorzustellen, wie das Modell für „Nach dem Bad“ seine sichtlich schmerzhafte und unnatürliche Pose länger halten konnte. Mitnichten ging es Degas um einen erotischen Moment, wenn auch der Aspekt des Voyeurismus nicht ganz ausgeklammert werden darf. Könnte man den weiblichen Akt als „Formanalogie“ zu den ihn umkreisenden Objekten auffassen - und vice versa? Mit „Das Haar kämmen“ ging er bereits weit über den Impressionismus hinaus. Man könnte das Bild eine Sinfonie in Rot nennen. Das leuchtende rote Haar, das rote Kleid und die rote Einrichtung verschmelzen miteinander, wie es die Nabis-Künstler häufig mit ihren Interieurs taten. Im Gegensatz zu den höchst stillen und auch geheimnisvoll-unheimlichen Zimmern und ihrer Bewohnerinnen, wie sie die Nabis vorstellten, ist Degas aber ein Maler, der bei aller Formauflösung die menschliche Figur in ihrer Integrität weiter bestehen lässt.
Dass Degas auch Plastiker war, erfuhr das Publikum erst nach dem Tod des Künstlers 1917 - zu sehr hatte ihn die Kritik an seiner „Kleinen Tänzerin im Alter von 14 Jahren" (um 1878–1881, Washington), die er auf der Sechsten Impressionisten-Ausstellung präsentiert hatte, geschmerzt (→ Sechste Impressionisten-Ausstellung 1881). Das schwindende Augenlicht des Malers brachte ihn dazu, sich seiner Hände als Hilfsmittel zu versichern. Wie schon in den Jahrzehnten zuvor widmete Edgar Degas seine Aufmerksamkeit der Ballerina und der Bewegung. Die posthumen Abgüsse, von denen eine Ballerina in einer Arabeske in der Londoner Ausstellung zu sehen ist, überraschen mit ihren kruden Oberflächen. Auch im Abguss ist jeder einzelne Tonklumpen noch spürbar, denn Degas glättete die Oberfläche nicht, sondern ließ den Prozess der Entstehung deutlich sichtbar stehen.
Genau diese Motive – die Welt des Theaters, des Balletts, der badenden Frauen und der Pferderennen – faszinierten auch den Sammler Sir William Burrell, der in Glasgow eine der interessantesten Sammlungen in Großbritannien zusammentrug. Insgesamt 13 Pastelle, drei Zeichnungen und vier Ölgemälde werden in der National Gallery neben Werken aus der eigenen Sammlung stilistisch und motivisch zusammenpassend präsentiert. Die drei Räume im Parterre der National Gallery sind dunkel gestrichen und wirken so wie ein Schatzkästlein. Daneben befinden sich allerdings Café und Garderobe, aber auch die Sekundärgalerie und ein Raum mit phänomenalen englischen und französischen Ölskizzen des 19. Jahrhunderts!
Die Burrell Collection umfasst etwa 9.000 Objekte, die von Sir William Burrell (1861–1958) zusammengetragen wurden. Der Sammler zeigte ein außergewöhnliches Interesse an chinesischer Kunst, die noch nicht gänzlich erforscht ist. Holländische Malerei, Islamische Kunst, Persische, Kaukasische und Indische Tapisserien und Textilien, Kunsthandwerk und Exponate antiker Zivilisationen. Der Ruhm der Sammlung beruht auf den Werken der Spätgotik und Frührenaissance, den Tapisserien, Glasscheiben, Skulpturen, Waffen, Architektur und Möbel. Ein weiterer Schwerpunkt bildet die Sammlung französischer Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts: Vor allem die Qualität und Anzahl von Werken Edgar Degas‘ erstaunt. Der Schiffsmagnat Sir William hatte sie mit Hilfe des Glasgower Händlers Alexander Reid, einem Freund von Vincent van Gogh und Whistler zusammengetragen.
Sir William Burrell hatte bis 1918 sein sehr erfolgreiches Unternehmen in Glasgow geleitet. Schon als Jugendlicher hatte er sich für Kunst interessiert, um 1900 war er zu einem angesehenen Sammler avanciert. Nachdem er am Ende des Ersten Weltkriegs seine Firma verkauft hatte, widmete sich der Philanthrop ausschließlich dem Kunstsammeln. 1944 unterschrieben Sir William und Lady Burrell den Schenkungsvertrag ihrer Sammlung an die Stadt Glasgow. Im Oktober 1983 öffnete die Burrell Collection ihre Tore für die Öffentlichkeit. Derzeit wird das Museum restauriert, weshalb die National Gallery in London im Herbst 2017 die wertvolle Degas-Sammlung erstmals außerhalb von Glasgow zeigen kann.
Kuratiert von Julien Domercq, Vivmar Curatorial Fellow of Post-1800 Paintings an der National Gallery