Egon Schiele, Herbstbaum in bewegter Luft (klein)
Egon Schiele (1890–1918) ist bekannt für seine aufwühlenden Darstellungen weiblicher und männlicher Akte, seine psychologisierenden Selbstporträts. Die Landschaften des Wiener Expressionisten erfreuen sich vergleichsweise großer Beliebtheit, sind aber nie so berühmt geworden wie die analytisch-kritischen Körperbilder.
Österreich / Wien: Leopold Museum
Egon Schieles „Kleiner Baum im Spätherbst“ entstand 1911. Es ist mit Ölfarbe auf Holz gemalt, wobei ein genauer Blick verrät, dass Schiele die Komposition mit Bleistift vorbereitet hat, was er gerne tat. Der schmale Baumstamm verzweigt sich in kantigen Formen, was zum einen Schieles charakteristischem Strich entspricht und zum anderen eine Reminiszenz an japanische Kunst darstellt (→ Malerei und Kalligraphie in Japan). Der untere Bereich des Stammes ist weiß gekalkt, weshalb man vermuten kann, dass der kleine Baum eigentlich eine Weinrebe darstellt. Blaue Flecken „beleben“ den grau-braunen Stamm, dessen Oberflächenstruktur mit den Pinselstrichen nachempfunden ist. Genauso verfuhr Schiele auch mit dem Hügel, auf dem der kleine Baum einsam steht. Mit schnellen, offenbar spontan gesetzten Strichen führt der Maler das braun gewordene Gras aus. Erst im letzten Arbeitsschritt übermalte Egon Schiele den grau angelegten Himmel mit Weiß, sodass er zum einen die Form des Bäumchens, vor allem die Äste, noch ausdünnte und zum anderen helle Flecken entstehen ließ.
Das Gemälde ist eine Zimelie im reichen Schiele-Bestand des Leopold Museums. 42 Ölgemälde und 188 Aquarelle und Zeichnungen des Wiener Expressionisten bilden die größte Schiele-Sammlung der Welt. Gemeinsam mit „Versinkende Sonne“ (1913) gehört „Herbstbaum in bewegter Luft“ zu den poetischen Landschafts- bzw. Naturdarstellungen des Malers, der 1909 erstmals in Wien ausstellte und mit der von ihm initiierten Neukunstgruppe rasch als der begabteste, aber auch skandelumwittertste Maler der Generation des Expressionismus auffiel. Mit „Kleiner Baum im Spätherbst“ realisierte Egon Schiele einmal mehr seine Weltsicht, eine Vision von Verlassenheit und Einsamkeit. Gleichzeitig verfasste er auch Gedichte – im Stil von Georg Trakl:
„LANDSTRASSE.
DIE HOHEN BÄUME GINGEN ALLE DIE
STRASSE ENTLANG; IN IHNEN ZIRPTEN
ZITTRIGE VÖGEL. – MIT GROSSEN
SCHRITTEN DURCHLIEF ICH DIE NASSEN STRASSEN.“1
(Egon Schiele 1910)
Unter dem Titel „Egon Schiele. Lyriker“ wird im Leopold Museum ab Anfang Februar 2018 die Neuaufstellung des Bestandes an Werken von Egon Schiele präsentiert. Rund um bedeutende Werke wie „Der gelbe Akt“, „Die Eremiten“, „Selbstporträt mit Lampionsblumen“ mit dem Porträt von „Wally Neuzil“, „Mutter mit drei Kindern“ sowie einer reichen Auswahl an Städtebildern, in denen er Česky Krumlov (dt. Krumau) als „tote Stadt“ verewigte, werden auch Schieles Gedichte thematisiert.
Von 3.3. bis 4.11.2018 präsentiert das Leopold Museum „Egon Schiele. Die Jubiläumsschau“, in der Gemälde, Arbeiten auf Papier (→ Egon Schiele. Gezeichnete Bilder) und Archivalien die wichtigsten Themen des Malers beleuchten werden. Da die Zeichnungen während der Ausstellungsdauer drei Mal ausgetauscht werden, wird die Schau sich während der Laufzeit verändern.