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Egon Schiele. Gezeichnete Bilder Ausstellung zur franziskanischen Ethik im Werk Schieles in der Albertina

Egon Schiele, Aktselbstbildnis, Detail, 1910, Schwarze Kreide, Pinsel, Aquarell, Deckfarben, Deckweiß auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)

Egon Schiele, Aktselbstbildnis, Detail, 1910, Schwarze Kreide, Pinsel, Aquarell, Deckfarben, Deckweiß auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)

Egon Schiele (1890–1918), dem früh verstorbenen Expressionisten, widmet die Albertina kurz vor der 100. Wiederkehr seines Todestags eine umfassende Ausstellung zu dessen zeichnerischem Werk aus eigenem Bestand. Seine 13 Skizzenbücher nicht mitgerechnet, besitzt die Albertina eine der weltweit größten Sammlungen von Werken Schieles, die 160 Arbeiten auf Papier sowie Dokumente und Erinnerungen an sein Leben umfasst.

Zentrales Thema des zeichnerischen Werks von Schiele ist die existenzielle Einsamkeit des Menschen, weshalb er sie in den Zeichnungen vor dem blanken Grund positioniert. Die vielfältigen Inspirationsquellen des rätselhaft-allegorischen Werks Egon Schieles werden im Katalog (aber leider in der Ausstellung nur am Rande!) dargelegt. Zudem betont Johann Thomas Ambrózy den Charakter Schieles „als Verfechter hoher Ethik und leidenschaftlicher Spiritualität“1, dem Klaus Albrecht Schröder als Kurator vollinhaltlich folgt. So wird aus dem Erotiker Schiele ein Zeichner spiritueller Allegorien, ein Existentialist, dessen revolutionäre, teils erotisch aufgeladene Akte – mehr Körperbilder – zu einer Deklination des Vergänglichen mutieren.

Zeichnen an der Akademie

Von 1906 bis 1909 studierte Egon Schiele an der Wiener Akademie in der Klasse von Christian Griepenkerl. Während dieser Jahre fertigte er vor allem Studien nach den strengen Vorschriften des dortigen Lehrbetriebs an und entdeckte nach anfänglichen Antikenkopien den Realismus für seine ersten Porträts. Das früheste Selbstporträt der Albertina zeigt den Fünfzehnjährigen im Dreiviertelporträt mit forschem Blick und in bürgerlicher Aufmachung. Wie in unzähligen noch folgenden Darstellungen von Menschen blickt Schiele direkt aus dem Porträt heraus. Er inszeniert den Blick und nutzt die weiche Qualität der Kohle, um seine Zeichnung zu atmosphärisch erscheinen zu lassen. An der Akademie der bildenden Künste, wie auch die folgende Aussage von Christian Griepenkerl belegt, bildete die Zeichenkunst den Grundstock für die künstlerische Tätigkeit.

Binnen zweier Jahre zeigt sich der junge Schiele vom Realisten zum Anhänger des Jugendstils gewandelt. „Liegender Frauenakt“ (1908, Albertina, Inv. 29981) zeigt ihn als beginnenden Meister der weichen Linie. Er reduzierte die Darstellung auf den Umriss, das Modell wirkt bei aller Stilisierung lebensecht erfasst. Offensichtlich hat der inzwischen 18-jährige Gustav Klimt und den Secessionismus, oder Wiener Jugendstil, als seine Vorbilder entdeckt. Deren Status als Avantgarde von Wien führte zur Ablehnung der unleugbaren Fortschritte Schieles durch seinen Professor. Das rebellische Verhalten des angehenden Künstlers endete in der Revolte, als Schiele seine Studienkollegen, darunter Anton Peschka, Albert Paris Gütersloh, Anton Faistauer, Sebastian Isepp, Franz Wiegele, Hans Ehrlich, Rudolf Kalvach, Arthur Löwenstein, Erwin Dominik Osen und andere, überzeugen konnte, gemeinsam mit ihm die Neukunstgruppe zu begründen und das Studium abzubrechen.

„[…] Die Lehrgegenstände in der allgemeinen Malerschule sind: 1. Zeichnen und Malen nach der Antike – 2. Zeichnen und Malen nach der menschlichen Gestalt – 3. Zeichnen des Aktes am Abende – 4. Studium des Gewandes – 5. Kompositionsübungen [...]
Malen der menschlichen Gestalt: ›genügend‹ – Kompositionsübungen: ›genügend‹ – Fleiß: ›genügend‹ – Fortschritt: ›genügend‹. Sein Betragen war den akademischen Gesetzen ›vollkommen‹ entsprechend.“ (aus Egon Schieles Abschlusszeugnis, 3. Juli 1909)

Durchbruch zum Expressionismus

Wieviel Egon Schiele seinem Vorbild Gustav Klimt verdankt, lässt sich an einer Serie von Porträts aus dem Jahr 1909 nachweisen. Der Architekt Otto Wagner soll dem Nachwuchskünstler, der auf der „Internationalen Kunstschau“ 1909 teilnehmen durfte, geraten haben, eine Serie von Bildnissen bekannter Wiener Persönlichkeiten anzufertigen. Wenn auch nur zwei der Gemälde (Eduard Kosmack, 1910, Belvedere) ausgeführt wurden, zeigen die erhaltenen Zeichnungen quadratische Kompositionen mit Hang zu Ornamenten. Eine ähnliche Haltung zeigt Schiele auch in den vier unpublizierten Entwürfen zu Postkarten der Wiener Werkstätte. Flächige Gestaltung, hoher Grad an Stilisierung und Geometrisierung zeigen die deutliche Abhängigkeit Schieles vom Jugendstil. Binnen wenigen Monaten änderte Egon Schiele seinen Stil von der Flächenkunst zum psychologisierenden Expressionismus (quasi die Wiener Note), wenn er auch in einigen Blumen-Darstellungen das Ornamentale weiterhin betonte.

Mit Blättern wie „Selbstbildnis mit Stirnband“ (1909, Albertina) zeigt er sich zwar in einem Habit, der an Klimts so genannten Malerkittel erinnert, und einem blau-weiß karierten Stirnband, das eigentümlich herabgezogene Augenlid führt in Richtung einer expressiven Übersteigerung. Mittels treffsicherer Konturierung, verfremdeter Farbigkeit, gewagter Perspektiven, ausdrucksstarker Gestik nähert sich Egon Schiele seinem persönlichen Stil. Der Zeichner Schiele bleibt auch in zeitgleichen Gemälden dominant, da seine Werke von den starken Konturen leben. Die ab 1910 entstandenen Blätter weisen nun leuchtende Kolorierung in Aquarell auf, welche die unrealistische Wirkung der Körperdarstellungen noch verstärkt. Anstelle einer klassischen Modellierung setzt Schiele kontrastierende, vielfach in Rottönen leuchtende Flecken in Wasserfarbe nebeneinander.

Kindliche Akte, posierende Körper

Der Ruhm Egon Schieles basiert heute vor allem auf seinen revolutionären Körperbildern. Mitte 1910 wandte er sich erneut dem Akt zu. Vor allem Kinder inspirierten den Künstler, sich mit Körper, Erotik und Sexualität auseinanderzusetzen. Männliche Kinder zeigt Schiele nie erotisch, während weibliche Kinder teils höchst sexualisierte Posen und Haltungen aufweisen. In der aktuellen Ausstellung in der Albertina legt Schröder den Schwerpunkt auf existentielle Fragestellungen. Die Figuren agieren vor den Betrachterinnen und Betrachtern wie auf einer Bühne. Sie sind auf sich selbst gestellt, nur die Körper, ihre Kleidung sind für Schiele von Interesse, in der Albertina ganze fünf Mal werden die Sitzmöbel dargestellt. Interessanterweise bindet der Künstler seine Modelle nicht in Erzählungen ein, sondern lässt sich einsam und alleine auf den rohen Blättern stehen. Meist nutzt er auch weiße Gouache, um sie von ihrer Umgebung abzusondern. Diese „Aura“ bringt der Kurator mit der Theosophie Rudolf Steiners in Verbindung, gleichzeitig lässt sie sich auch als Begrenzung der oft fragmentierten oder verkrüppelten Körper deuten. Mit Hilfe der Signatur entschied Schiele, in welche Richtung die Blätter gedreht werden. Oft wechselte er so die Ausrichtung und verlieh seinen Zeichnungen eine schwebende Wirkung.

Ständiger Begleiter im Schiele’schen Werk ist der Künstler selbst. Ohne Unterlass, nämlich über 170 Mal, thematisierte er sich selbst, zeigte sich in zehn Jahren künstlerischer Tätigkeit mit ausgemergeltem Körper, hässlich grimassierend, mit krankhafter Hautfarbe. Dahinter steht ein Rollenspiel als Heiliger, Prophet, Prediger, Selbstseher, Eremit, Onanist oder gar in einer weiblichen Rolle.2 Als artiste maudit, so die neue Deutung, nutzte er dennoch christliche Ikonografie, um zu neuem Selbstausdruck zu gelangen. Für die bislang nicht deutbare V-Geste schlägt Ambrozy die Darstellung des Pantokrators aus der byzantinischen Chora-Kirche in Konstantinopel als Vorlage vor. Der heilbringende Weltherrscher gibt nicht nur das Vorbild in formaler Hinsicht, sondern als Heilsbringer auch inhaltlich. Die Utopie, das „irdische Paradies“ mittels Kunst zu erreichen, wurde im Jugendstil entwickelt, und Egon Schiele schloss sich offensichtlich dieser Ansicht an.

Zeichnungen aus dem Gefängnis

Die so genannte Neulengbach-Affäre 1912 traf Egon Schiele völlig unvorbereitet. Am 13. April wurde er wegen Entführung und Missbrauch der Dreizehnjährigen Tatjana Georgette von Mossig inhaftiert. Wenn auch von der ursprünglichen Anklage wenig übrig bleib, so wurde Schiele doch zu 24 Tagen Haft wegen Präsentierens einer unsittlichen Zeichnung in der Öffentlichkeit verurteilt. Schiele hatte im Schlafzimmer seiner Wohnung ein Blatt an die Wand gepinnt, das den Zorn des Richters auf sich zog. Während der Inhaftierung gestaltete Egon Schiele zwischen dem 19. und 27. April 1912 insgesamt dreizehn aquarellierte Zeichnungen. Schieles Lieblingsmodell und seine Lebensgefährtin Wally Neuzil brachte ihm Bleistift und Aquarellfarben in die Haft (→ Wally Neuzil – Ihr Leben mit Egon Schiele), Gouache konnte er erst nach seiner Entlassung einsetzen. Von den „Gefängniszeichnungen“ besitzt die Albertina zehn Blätter, auf denen seine Gefängniszelle in Neulengbach, der Gang mit Besen und Waschtrögen, die verschlossene Gefängnistür mit Blick auf Bäumen, Sessel, Taschentücher und schlussendlich sich selbst, die er mit Botschaften betitelte: „Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heisst keimendes Leben morden!“ (23.4.1912), „Gefangener!“ (24.4.2912), „Ich werde für die Kunst und meine Geliebte ausharren“ (25.4.1912), „Mein Wandelweg führt über Abgründe“ (1912). Ob die aquarellierte Zeichnung „Triestiner Fischerboot“ (1912, Albertina, Inv. 31028) ebenfalls im Gefängnis entstanden ist, wie Arthur Roessler 1922 im so genannten Tagebuch Schieles („Egon Schiele im Gefängnis“) behauptete, ist strittig. Es wäre möglich, dass sie auch während des Sommeraufenthalts 1912 am Meer gemeinsam mit Zeichnung „Dampfer und Segelboote im Hafen von Triest“ (1912, Albertina, Inv. 31121) entstanden ist, weshalb sie in der aktuellen Ausstellung auch erst im folgenden Raum präsentiert wird.

Egon Schiele, ein Anhänger franziskanischer Ethik?

Zentrale These von Johann Thomas Ambrózy ist, dass Egon Schiele viele Anregungen aus Rudolf G. Bindings „Die Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi“ (Leipzig 1911) bezog. Die Bedeutung des Franziskanerheiligen um 1900 ist höher, als allgemein bekannt, wie ein Blick auf das Werk von Rainer Maria Rilke zeigt:

„Auch ich stehe still und voll tiefen Vertrauens vor den Toren dieser Einsamkeit, weil ich für die höchste Aufgabe einer Verbindung zweier Menschen diese halte: dass einer dem andern seine Einsamkeit bewache.“3 (Rainer Maria Rilke in einem Brief an Paula Becker, 12.2.1902)

Selbst gewählte Armut, die Abkehr von der Gesellschaft und Hinwendung zu Natur und Tieren, Liebe als Botschaft faszinierten den angehenden Künstler so sehr, dass er 1912 Bilder von Mönchen realisierte: Ambrózy rekonstruiert aus den Werken „Bekehrung“ (Privatsammlung), „Liebkosung“ (auch: „Kardinal und Nonne“, Leopold Museum) und „Agonie“ (München, Neue Pinakothek - Bayerische Staatsgemäldesammlungen) ein Triptychon bzw. einen Franziskus- und Klara-Zyklus.4 Abgesehen von der Umdeutung der erotischen Zeichnungen zu formalästhetischen Produkten und Ausdruck existentieller Einsamkeit, findet sich in den Jahren 1913/14 eine Serie von Gouachen, deren pathetische Beschriftungen auf Franziskus (bislang bei Jane Kallir: Friedrich Nietzsches „Zarathustra“) verweisen: „Erlösung“ (1913), „Die Wahrheit wurde enthüllt“ (1913), „Zwei Männer“ (1913). „Egon Schieles Religion war schlicht die allumfassende Liebe“, ist sich Johann Ambrózy sicher. Das Vorbild Franz von Assisi bedeutete für Schiele die Erlösung vom Materialismus. Deutliches Zeichen dafür war das Zeigen des nackten Hinterteils.

Schiele im Ersten Weltkrieg

Anfang des Jahres 1915 entschied sich Egon Schiele Edith Harms, die Tochter einer bürgerlichen Nachbarsfamilie, zu heiraten. Nur vier Tage vor seiner Meldung schloss er die Ehe. Nach seiner Grundausbildung in Prag wurde der Künstler wieder nach Wien zurückgeschickt und durfte den Kriegsdienst als Schreiber in einem Lager für kriegsgefangene Offiziere ableisten. Die Produktion des Jahres 1916 ist entsprechend dürftig. Erst als Schiele zurück nach Wien versetzt wurde, und wieder in seinem Atelier arbeiteten konnte, konnte er sich wieder seiner Kunst widmen. Gemeinsam mit Albert Paris Gütersloh organisierte er die „Kriegsausstellung 1917“ im Prater.

Die Kluft zwischen Männern und Frauen scheint für Schiele unüberbrückbar und geht allmählich in die Allegorie einer Begegnung zwischen Leben und Tod über. Schiele fühlte sich zeitlebens der Gegenständlichkeit verpflichtet und schlug nie den Weg zur Abstraktion ein. Im März 1918 gelang ihm der wirtschaftliche Durchbruch, der Schiele nach dem Tod Gustav Klimts im Februar 1918 zum wichtigsten lebenden Künstler Wiens werden ließ. Am ersten Abend der Schau in der Wiener Secession verkaufte er fünf Gemälde und zahlreiche Zeichnungen. Sowohl als Porträtist wie auch als Zeichner erotischer Blätter feierte er bis zu seinem vorzeitigen Tod im Alter von 28 Jahren am 31. Oktober 1918 Erfolge. Der Erste Weltkrieg hinterließ in den Werken von 1915 nur indirekt Spuren: Zwar zeigt Schiele keine Kriegsversehrten oder Hungernden, doch können eine Ansammlung bunter Keramikkrüge zum Symbol für die Nationen in einer zerfallenden Monarchie werden.

„Wenn Sie aber Maler werden wollen, – so müssen Sie mit aller Energie unaufhörlich ernst arbeiten daß Sie nach einigen Jahren zu einer Fertigkeit und Können kommen damit Sie Ihr geistiges Leben, Ihre Weltanschauung und Ihre Eindrücke im Leben bildlich darstellen können.“ (Egon Schiele in einem Brief an Erich Lederer, 3. Oktober 1914)

Biografie von Egon Schiele (1890–1918)

Am 12. Juni 1890 wurde Egon Leo Adolf Ludwig Schiele als dritte Kinds des Oberoffizials der k. k. Staatsbahnen Adolf Eugen Schiele (1850–1904) und dessen Gattin Maria (Marie) (geb. Soukup, 1862–1935) in der niederösterreichischen Kleinstadt Tulln geboren. Die Familie bewohnte eine Dienstwohnung im Obergeschoss des Bahnhofs. Schiele hatte drei Schwestern: Elvira (1883–1893), Melanie (1886–1974) und Gertrude (1894–1981). Egon Schiele wuchs gemeinsam mit seinen beiden Schwestern in der kleinbürgerlichen Familie auf. Besonders zu seiner jüngeren Schwester, die er liebevoll „Gerti“ nannte und die später sein bevorzugtes Modell werden sollte, hatte er eine sehr innige Beziehung.
1896–1900 Schiele besuchte die Volksschulzeit in Tulln und begann zu zeichnen.
1901 Mit elf Jahren schickte ihn seine Familie auf das Realgymnasium in Krems, wo er ein Jahr lang bei Verwandten lebte.
1902 Wegen mangelnder Schulerfolge schickte ihn sein Vater im Herbst an das Landes-Real- und Obergymnasium in Klosterneuburg. Die Lehrer beschwerten sich darüber, dass Egon den Unterricht durch Zeichnen störte. Wegen seiner schlechten Schulleistungen musste er ein Jahr wiederholen. Der Gesundheitszustand Adolf Schieles wurde zunehmend schlechter, sodass er erst 52-jährig, bis zu seinem Tod dienstfrei gestellt wurde.
1904 Übersiedlung nach Klosterneuburg. Tod des Vaters an „progressiver Paralyse“ (31.12.). Sein wohlhabender Onkel und Taufpate, der Wiener Ingenieur Leopold Czihaczek (1842–1929), der mit Adolf Schieles Schwester Marie (1853–1937) verheiratet war, wurde sein Vormund. Freundschaft mit seinem Zeichenlehrer Ludwig Karl Strauch, der sich selbst als Landschafts- und Porträtmaler betätigte und unter Christian Griepenkerl an der Wiener Akademie der bildenden Künste studiert hatte. Strauch gab Schiele Privatstunden und gestattete ihm, in seinem Atelier zu arbeiten. Bekanntschaft mit den Malern Adolf Böhm und Max Kahrer aus Klosterneuburg. Kahrer kaufte dem jungen Schiele einige Bilder ab, spendierte ihm Malutensilien und führte ihn in verschiedene Maltechniken ein. Erstes datiertes Selbstporträt Schiele.
1905/06 Schiele verbrachte den Großteil seiner Zeit im Freien. Erste Landschaftsgemälde (Skizzen).
1906 Marie Schiele nahm ihren erfolglosen Sohn frühzeitig aus der Schule. Kahrer, Strauch sowie der Augustiner-Chorherr Dr. Wolfgang Pauker (Religionslehrer des Gymnasiums, Kunsthistoriker und Schatzmeister des Stiftes Klosterneuburg) unterstützten den talentierten Schiele auf seinem Weg zu einer künstlerischen Ausbildung. Schieles Mutter unterstützte die künstlerischen Ambitionen ihres Sohns. Schiele legte Zeichnungen an der Wiener Kunstgewerbeschule vor. Ihm der Besuch der Akademie der bildenden Künste empfohlen. Bestand die Aufnahmeprüfung im Oktober. Beginn des Studiums in die Allgemeine Malklasse von Christian Griepenkerl, einem Hauptvertreter der Wiener Ringstraßenmalerei, bei dem auch schon Richard Gerstl wenig erfolgreich studiert hatte.
1907–1908 Umzug nach Wien und intensiver Kontakt mit Leopold Czihaczek. Lernte Gustav Klimt (1862–1918) kennen. Klimt wurde zu einer geistigen Vaterfigur für den jungen Künstler. Mit seiner Schwester Gertrude mehrere Bahnfahrten nach Triest, wo Studien nach Hafenmotiven entstanden. Erstes eigenes Atelier in der Kurzbauergasse 6 (1020). Besuch der „Wiener Kunstschau“ im Spätfrühling. Mit zehn Arbeiten erste Teilnahme an einer öffentlichen Ausstellung im Kaisersaal des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg (Mai bis Juni). Heinrich Benesch, der später einer der wichtigsten Sammler und Wegbegleiter Schieles wurde, wurde auf den Egon Schiele aufmerksam.
1909 Teilnahme an der „Internationalen Kunstschau 1909“ mit vier Werken. Schiele lernte den Architekten Josef Hoffmann kennen, durch den er wenig später auch mit der Wiener Werkstätte in Verbindung trat. An der Akademie in allen Fächern ungünstig beurteilt. Gründung mit gleichgesinnten Studienkollegen die Neukunstgruppe, die erstmals in Wien im Salon des Kunsthändlers Gustav Pisko in der Lothringerstraße 14 ausstellte. Schiele lernte den Kunstschriftsteller und Kritiker der Arbeiter-Zeitung, Arthur Roessler, sowie Carl Reininghaus, Inhaber einer Farben-Fabrik und einer der bedeutendsten Sammler moderner Kunst in Österreich, kennen. Kontakt zum Wiener Internisten Dr. Oskar Reichel. Atelierbesuch Schieles bei dem Maler Max Oppenheimer (1885–1954), mit dem er sich anfreundete. Die beiden standen einander gegenseitig Modell. Angeregt durch Rainer Maria Rilke und Arthur Rimbeaud schrieb Schiele 1909/10 einige expressionistische Gedichte.
1910 Otto Wagner regte Egon Schiele an, eine Reihe lebensgroßer Porträts bekannter Wiener Persönlichkeiten zu malen. Das Projekt blieb jedoch unvollendet, lediglich sechs Werke wurden fertiggestellt, darunter ein Bildnis von Arthur Roessler und eines von Eduard Kosmack. Zweite Ausstellungsbeteiligung von Schiele im Chorherrenstift Klosterneuburg. Lernte den Gynäkologen Erwin von Graff kennen, in dessen Klinik er schwangere Frauen zeichnen durfte. Die Wiener Werkstätte veröffentlichte drei Bildkarten nach Entwürfen Schieles. Josef Hoffmann, Leiter der Institution, vermittelte ihm zudem die Beteiligung an der „Internationalen Jagdausstellung“ in Wien (Mai bis Oktober), wo Schiele einen lebensgroßen, sitzenden Frauenakt (verschollen) und den „Gelben Akt“ (Leopold Museum) ausstellte. Für Entwürfe für Treibarbeiten und ein Glasfenster im Palais Stoclet in Brüssel wurde er bezahlt (nicht ausgeführt). Gemeinsam mit Anton Peschka sowie dem Pantomimen Erwin Dominik Osen Reise nach Krumau (Mitte Mai). Plan einer Künstlerkolonie. Wütender Brief des Onkels Czihaczeks über ein „freches“ Schreiben des Neffen, den er nicht mehr finanziell unterstützen wollte und dessen Vormundschaft er niederlegte. Ab Juni 1910 finanziell völlig auf sich allein gestellt. Heinrich Benesch besuchte den Künstler in seinem Atelier und begann, seine Zeichnungen und Aquarelle zu sammeln.
1911 Albert Paris Gütersloh verfasste einen ersten Aufsatz über Schiele. Erste Einzelausstellung in der Galerie Miethke in Wien (April–Mai). Traf Wally Neuzil, die bis 1915 eine besondere Stellung in seinem Leben einnahm. Übersiedelung am 13. Mai nach Krumau (mit Wally?). Schiele malte v. a. kleinformatige Gemälde nach der Altstadt. Anfang August wurden beide aus der Stadt ausgewiesen und Übersiedelung nach Neulengbach. Kontakt zum Münchner Kunsthändler Hans Goltz (1873–1927), der Schiele vertrat und ihm mehrere Ausstellungen in Deutschland verschaffte. Im November Aufnahme in der Künstlervereinigung SEMA.
1912 Ausstellung mit der Neukunstgruppe im Künstlerhaus in Budapest. Über Goltz Kontakt mit Karl Ernst Osthaus (1874–1921), der im Museum Folkwang in Hagen eine repräsentative Ausstellung präsentierte. Im Frühjahr im Hagenbund vertreten, was ihm den Kontakt zu Franz Hauer sowie Magda Mautner-Markhof brachte. Die SEMA-Mappe erschien. „Neulengbach-Affäre“ (11. April Vorladung, 13. April–7. Mai). Im Sommer Reise nach Kärnten (mit Wally), Triest (alleine), im Herbst München (August), Lindau, Bregenz, Zürich. Teilnahme an der Sonderbundausstellung in Köln (Mai–September). Über Klimt Kontakt zu August Lederer, Weihnachten und Neujahr bei Lederers in Györ.
1913 Mitgliedschaft im Bund Österreichischer Künstler (Präsident Gustav Klimt) und Teilnahme an einer Ausstellung in Budapest. Viele Reisen, Sommer gemeinsam mit Wally bei Arthur Roessler in Altmünster am Traunsee. Mitarbeit an Franz Pfemferts Berliner Zeitschrift „Die Aktion“.
1914 Druck des Manifests der Neukunstgruppe in „Die Aktion“. Bekommt den 1913 ausgelobten Carl-Reininghaus-Preis nicht zugesprochen und ist in einer finanziell schwierigen Lage. Hans Goltz bot ihm eine Reise nach Paris an, die Schiele jedoch nie angetreten ist. Lernte Anfang des Jahres die Schwestern Harms kennen. Erlernte von Robert Philipp das Anfertigen von Holzschnitten und Radierungen. Ab Herbst Kunstunterricht an Hans Böhler (1884–1961), was Schieles finanzielle Lage verbesserte. Experimente mit fotografischen Selbstbildnissen. Hochzeit seiner Schwester Gertrude mit Anton Peschka im November.
1915 Erste erfolgreiche Einzelausstellung in der Galerie Arnot (Ende Dezember 1914–Januar 1915). Entschied sich Edith Harms zu heiraten, Trennung von Wally und im Mai dritte und positive Musterung. Am 17. Juni heiratete Egon Schiele, Hochzeitsreise nach Prag und Einrücken zur Grundausbildung dort. Rückkehr nach Neuhaus und Wien als Bewachungssoldat.
1916 „Die Aktion“ gibt ein Egon-Schiele-Heft heraus. Zeichnungen nach russischen und österreichischen Offizieren im Kriegsgefangenenlager in Mühling.
1917 Versetzung in die k.k. Konsumanstalt für die Gagisten der Armee im Felde nach Wien, zeichnete Magazine und Filialen. Organisierte die Kriegsausstellung 1917 im Prater gemeinsam mit Albert Paris von Gütersloh. Pläne für die Gründung einer „Kunsthalle“ nach Vorbild der Wiener Secession scheitern am Geldmangel. Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen in Wien, München, Amsterdam, Stockholm und Kopenhagen. Vermittelte Klimts „Beethoven-Fries“ an die Familie Lederer.
1918 Tod von Gustav Klimt (6. Februar). 49. Ausstellung der Secession mit Beteiligung von vielen Mitgliedern der Neukunstgruppe. Öffentlicher und finanzieller Durchbruch für Egon Schiele. Ende April Versetzung ins k.k. Heeresmuseum im Arsenal. Im Sommer bei Broncia Koller-Pinell und ihrem Mann in Oberwaltersdorf, südlich von Wien. Tod von Edith Schiele am 28. Oktober und von Egon Schiele am 31. Oktober 1918 an der Spanischen Grippe.

Egon Schiele: Zeichnungen (Bilder)

  • Egon Schiele, Kind mit Nimbus auf einer Blumenwiese, um 1909, Bleistift, Tusche laviert, auf Zeichenpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Schwarzhaariger Mädchenakt, 1910, Bleistift, Pinsel, Aquarell mit proteinhaltigen Bindemitteln, Deckweiß, auf Packpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Aktselbstbildnis, 1910, Schwarze Kreide, Pinsel, Aquarell, Deckfarben, Deckweiß auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Grimassierendes Aktselbstbildnis, 1910 (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Selbstbildnis mit herabgezogenem Augenlid, 1910, Kreide, Pinsel, Aquarell, Deckfarben auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Der Maler Max Oppenheimer, 1910, Schwarze Kreide, Tusche, Aquarell auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Felderlandschaft (Kreuzberg bei Krumau), 1910, Schwarze Kreide, Aquarell, Deckfarben auf braunem Packpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Selbstporträt mit Pfauenweste, 1911, Gouache, Tempera, Aquarell und blaue Kreide auf Papier, auf Karton aufgezogen (© Sammlung Ernst Ploil)
  • Egon Schiele, Zwei kauernde Mädchen, 1911, Bleistift, Aquarell und Deckweiß auf Japanpapier (© Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Junger Mädchenakt im ockerfarbigen Tuch, 1911, Bleistift, Aquarell auf Japanpapier, grundiert (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Sonnenblumen, 1911, Bleistift, Aquarell (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Triestiner Fischerboot, 1912, Bleistift, Aquarell, Deckfarben auf Strathmore Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Halbwüchsiges Bauernmädchen, 1912 (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Zwei Männer, 1913, Deckfarben, Bleistift auf Strathmore Japanpapier, grundiert, 48 x 31,5 cm (Albertina)
  • Egon Schiele, Selbstbildnis in oranger Jacke, 1913, Bleistift, Aquarell, Deckfarben, auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Anton Josef Trcka, Egon Schiele, 1914, Bromöldruck auf Untersatzkarton (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Selbstbildnis in gelber Weste, 1914, Bleistift und Deckfarben auf Japanpapier (© Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Sitzende Frau mit hochgeschobenem Kleid, 1914, Bleistift, Aquarell, Deckfarben mit proteinhaltigen Bindemitteln, auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Frauenakt mit grüner Haube, 1914, Bleistift, Aquarell, Deckfarben auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Sitzender weiblicher Akt mit aufgestützten Ellbogen, 1914, Bleistift, Deckfarben, auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Sitzender weiblicher Rückenakt mit rotem Rock, 1914, Bleistift, Deckfarben, Aquarell, auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Alte Häuser in Krumau, 1914, Bleistift und Deckfarben auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Sitzendes Paar, 1915, Bleistift, Pinsel und Aquarell (© Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Weibliches Liebespaar, 1915, Deckfarben, Bleistift (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Zwei Freundinnen, 1915 (Budapest, Szépmüvészeti Múzeum)
  • Egon Schiele, Aktselbstbildnis, 1916, Bleistift, Deckfarben (Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Adele Harms, die Schwägerin des Künstlers, 1917, Schwarze Kreide und Deckfarbe auf Japanpapier (© Albertina, Wien)
  • Egon Schiele, Auf dem Bauch liegender weiblicher Akt, 1917, Schwarze Kreide, Deckfarben auf Japanpapier (Albertina, Wien)
  • Wiener Werkstätte, Edith Schieles Abendschuhe, 1912, Wiener Werkstätte, Druckentwurf Osterglocken (1910/12) (Albertina, Wien)

Literatur

Egon Schiele (Ausst.-Kat. Albertina, Wien), Wien / München 2017.

Helmut Friedel, Helena Pereña (Hg.), Egon Schiele: „Das unrettbare Ich“. Werke aus der Albertina (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München), München 2011.

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Adrian Ghenies neuer Werkszyklus mit Schwerpunkt auf dem menschlichen Körper und der Existenz bietet Raum für Interpretationen, die über das Physische hinausgehen und in das Transzendente eintauchen.
  1. Johann Thomas Ambrózy, Zur neuen Sicht auf Egon Schiele. Wechselnder Stil, bleibendes Ziel, in: Egon Schiele (Ausst.-Kat. Albertina, Wien), Wien / München 2017, S. 17–69, hier S. 18.
  2. Helena Pereña, „Wie man wird was man ist“ – Schieles Selbstdarstellungen, in: Helmut Friedel, Helena Pereña (Hg.), Egon Schiele: „Das unrettbare Ich“. Werke aus der Albertina (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München), München 2011, S. 36–51, hier S. 36.
  3. Zitiert nach Martina King, Pilger und Prophet: heilige Autorschaft bei Rainer Maria Rilke, Göttingen 2009, S. 196.
  4. „In „Agonie“ sind nicht, wie bisweilen vermutet wurde, Schiele und Klimt dargestellt, sondern Franz von Assisi (1181/82–1226) und sein „Widersacher“ Elias von Cortona (um 1180–1246). In „Bekehrung“ ist gleichfalls Franz von Assisi dargestellt, wie er Klara von Assisi (1193-1253) und ihre jüngere Schwester Agnes von Assisi (1197/98–1253) in geistlichen Schutz nimmt. Und vielleicht am verblüffendsten: „Liebkosung“ („Kardinal und Nonne“) hat rein gar nichts mit Sexualität in Kirchenkreisen zu tun. Vielmehr zeigt Schiele in diesem Bild wie Klara von Assisi, die Äbtissin der „Armen Frauen von San Damiano“ gegenüber dem kirchenpolitischen Druck von Kardinal Ugolino (1167–1241), dem späteren Papst Gregor IX., standhaft die „Höchste Armut“ verteidigt und somit dem Ideal des Franz von Assisi (der auf dem Bild im Hintergrund kniend dargestellt ist!) treu bleibt. Somit bilden diese drei Gemälde, die alle dasselbe Format 70 x 80 cm aufweisen, einen 1912 von Schiele geschaffenen, bisher völlig unbekannten Franziskus- & Klara-Zyklus.“ Zitiert nach: Johann Thomas Ambrózy, Egon Schiele und Franz von Assisi, Die Entschlüsselung von „Bekehrung“, „Liebkosung“ und „Agonie“ als Franziskus- & Klara-Zyklus und die Bedeutung dieser Klärung für das Verständnis des allegorischen Werkes von Egon Schiele, in: Egon Schiele Jahrbuch II/III (2012/2013). http://www.egon-schiele-jahrbuch.at/inhalt_band2_mehr_ambrozy.html (letzter Aufruf 20.2.2017).
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.