Expressionismus
Was ist der Expressionismus?
Der Expressionismus (franz., engl. expression „Ausdruck“) gehört zu den ersten Kunstströmungen der Klassischen Moderne, die zu Beginn des 20. Jh. in Anlehnung an die Errungenschaften des Post-Impressionismus radikal mit tradierten Werten und Auffassungen brach und der Kunst neue Inhalte und Intentionen eröffnete. Bis heute zählt der Expressionismus neben Kubismus und Futurismus zu den wichtigsten Entwicklungen der europäischen Kunst vor dem Ersten Weltkrieg. Der Ausbruch des Kriegs 1914 setzte dem Kunstexperiment vorläufig ein Ende. Während des Kriegs fanden viele Maler und Bildhauer jene Anerkennung, um die sie die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg so heftig kämpfen mussten.
In Auseinandersetzung an die Errungenschaften des Impressionismus und des Jugendstils brachen Künstler wie Henri Matisse, Ernst Ludwig Kirchner, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Franz Marc, Gabriele Münter oder Egon Schiele radikal mit der etablierten Ästhetik der Akademie, der noch diskutierten Auffassung der Spätimpressionisten und dem herrschenden Naturalismus (→ Naturalismus 1875-1918). Wirklichkeitswiedergabe und Weltinterpretation, die im Impressionismus vordergründig auf der Wiedergabe des Gesehenen lag, sollten unter anderem durch „mystische Weltentrücktheit“ (Max Picard, 1916) oder Formzertrümmerung abgelöst werden. Das neue Lebensgefühl und Menschenbild, beide durch Technologie und Wissenschaften radikal verändert, wurden in neuartigen Bildern versinnbildlicht. Dem Sehen mit dem Auge wurde das innere Sehen, das Sehen des Geistes entgegengestellt. Expressionistische Künstlerinnen und Künstler benutzten häufig das Wort „Vision“ oder „Gesichte“ (Oskar Kokoschka), um ihre inneren Bilder zu beschreiben. Diese „Visionen“ würden naturfremde Bilder liefern, weshalb (notgedrungen) die darauf aufbauende Kunst höchst subjektive Farben und Formen aufweist. Der Expressionismus wird daher von führenden Forscherinnen und Forschern wie Magdalena M. Moeller „mehr als eine Bewegung [gesehen] und weniger als eine stilistischer Äußerung“ gesehen.1
„Der Neo-Impressionismus, oder vielmehr der Teil davon, den man Divisionismus nannte, war der erste Versuch, die Ausdrucksmittel des Impressionismus zu ordnen; es war eine rein physikalische Ordnung, oft wurden mechanische Mittelverwendet, die nur eine physische Erregung hervorrufen. – Der Fauvismus erschüttert die Tyrannei des Divisionismus. Es lässt sich in einem allzu ordentlichen Haushalt, einem Haushalt von Tanten aus der Provinz, nicht leben. Also bricht man in die Wildnis auf, um sich einfachere Mittel zu schaffen, die den Geist nicht ersticken. Dann stößt man auch auf Gauguin und van Gogh. Hier sind ursprüngliche Ideen: Aufbau und Farbflächen. Aufsuchen der stärksten Farbwirkung – der Stoff ist gleichgültig.“ (Henri Matisse)
Die Kunstproduktion des Expressionismus beruht auf der Beobachtung der eigenen Befindlichkeit, dem Hören auf Gefühle und dem Instinkt. Damit positionierten sich die Expressionisten im Widerspruch zu den Impressionisten, für die sinnliche Beobachtung der Umwelt Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Schöpfungen war (zumindest der Landschaftsmaler wie Claude Monet). Die Expressionisten wollten sich ihren Motiven unvoreingenommen nähern und so ein Bild der Wirklichkeit entstehen lassen, das Wahrhaftigkeit, also ein subjektives „Für-Wahr-Halten“, ausstrahlt. Ziel des Expressionismus in der Kunst war demnach, die Kunst aus ihrer Abhängigkeit von äußeren Erscheinungsformen zu befreien und ihr neue (geistige) Bereiche zu erschließen – auch in den Bereich der pantheistischen und metaphysischen Weltsicht hinein.
Diese subjektive Weltsicht der Expressionisten war eine Reaktion auf die spätbürgerlichen kapitalistischen Verhältnisse und die verlorengegangene Einheit von Mensch und Natur – eine Folge der rasanten industriellen Entwicklung, Beschleunigung, der technologischen und wissenschaftlichen Revolutionen sowie zunehmenden Verstädterung. Die ungelösten sozialen und politischen Konflikte, die schließlich in den Ersten Weltkrieg mündeten, veranlassten Künstler und Künstlerinnen zu einer oppositionellen Haltung, die der Krisenhaftigkeit der Situation durch Hinwendung zu absoluten Wesens- und Erlebniswerten, zu einer unverbrauchten Ursprünglichkeit und Reinheit jenseits zivilisatorischer Zwänge zu begegnen suchte. Daraus resultierte ihre Beschäftigung mit außereuropäischen, sogenannten „primitiven“ Kulturen in Afrika südlich der Sahara und Ozeanien, mittelalterlicher Kunst und Volkskunst, nicht zu vergessen die als ursprünglich empfundene Kunst von Kindern.
Das Sichtbarmachen des Wesentlichen, für das Auge Unsichtbare, das nicht durch Wiedergabe des äußeren Eindrucks erreicht werden konnte, sondern nur durch die Konzentration auf den inneren Ausdruck, das persönliche Empfinden und Erleben, führte zur Entwicklung einer den Naturalismus als unzureichendes Ausdrucksmittel ablehnenden, von einfachen, ausdrucksstarken Formen und intensiver Farbigkeit geprägten Darstellungsweise. Durch Konfrontation mit Ungewohntem, jeglicher künstlerischer Konvention Widerstrebendem oder Schockierendem sollte der Betrachter aus der allgemeinen menschlichen Entfremdung und Gleichgültigkeit gerissen und unmittelbar berührt werden. Intuition anstatt Komposition, Subjektivität anstatt Regelhaftigkeit ist einigen Künstlern wie beispielsweise Emil Nolde höchstes Gut.
„Ich will so gern, dass mein Werk aus dem Material hervorwache. Feste ästhetische Regeln gibt es nicht. Der Künstler schafft, seinem Instinkt folgend, das Werk. Er selbst steht überrascht davor, andere mit ihm.“ (Emil Nolde)
Innerhalb des Expressionismus wurden unterschiedliche inhaltliche und formale Auffassungen formuliert und von diversen Künstlervereinigungen vertreten, wobei sich Paris (Frankreich), München, Dresden, Berlin (Deutschland) und Wien (Österreich-Ungarn) als bedeutendste Zentren und Impulsgeber etablierten. In Frankreich gruppierten sich Maler um Henri Matisse, die ab 1905 „Fauves“, die „Wilden“, genannt wurden und bis 1907 gemeinsam ausstellten. Gleichzeitig gründeten Architekturstudenten in Dresden die Künstlergruppe Die Brücke (1905–1913) und luden den Einzelgänger Emil Nolde ein, sich ihnen anzuschließen. In München brachten die Russen Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky neue Aspekte wie Liebe zur Musik und die Wertschätzung der bayerischen wie russischen Volkskunst ein. Kandinsky schuf als ausgebildeter Jurist und geborener Synästhet ein theoretisches Werk, in dem er seinen Schritt in die Abstraktion auch intellektuell begründete. Franz Marc tat sich ebenfalls als Theoretiker hervor, verschaffte Robert Delaunay (farbiger Kubimus) Gehör und argumentierte, dass sich der Expressionismus durch seine Hinwendung zum Spirituellen deutlich vom formalästhetischen Kubismus unterscheiden würde. Der von den Künstlern gemeinsam erarbeitete Almanach „Der Blaue Reiter“ wurde titelgebend für die Avantgarde in Bayern.
Namensgebung des Expressionismus
Der Begriff Expressionismus wurde im April 1911 im Katalog der Frühjahrsausstellung der Berliner Secession eingeführt. Die Zeitgenossen betonten mit dem Begriff die gegensätzliche Haltung der neuesten Avantgarde zum Impressionismus und fassten so unterschiedliche Künstler der Schau wie Kees van Dongen, Othon Friesz, Henri Manguin und Pablo Picasso zusammen.
„Ferner haben wir noch eine Anzahl Werke jüngerer französischer Maler, der Expressionisten, untergebracht, die wir glauben, nicht dem Publikum vorenthalten zu dürfen, da die Secession es von jeher für ihre Pflicht hielt, zu zeigen, was außerhalb Deutschlands Interessantes geschaffen wird.“ (Lovis Corinth anlässlich der XXII. Secessions-Ausstellung, Berlin 1911)
Der Erfolg des Begriffs lag zum einen in dem angedeuteten Gegensatz zum Impressionismus und seiner Verwendung durch junge Künstler, die sich damit von der sich etablierenden Kunst der Vorgängergeneration absetzten wollte. 1912 war der Expressionismus bereits in aller Munde: 1914 erschien mit Paul Fechters Buch „Der Expressionismus“ die erste Publikation zur expressionistischen Kunst.
„Die […] Ausstellung […] will einen Überblick über den Stand der jüngsten Bewegung in der Malerei geben, die nach dem atmosphärischen Naturalismus und dem Impressionismus der Bewegung aufgetreten ist und nach einer Vereinfachung und Steigerung der Ausdrucksform, einer neuen Rhythmik und Farbigkeit, nach einer dekorativen oder monumentalen Gestaltung strebt, die man als Expressionismus bezeichnet hat.“ (Richard Reiche, Vorwort zum Katalog zur „Internationalen Kunstausstellung des Sonderbunds Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“, Köln 1912)
Der Expressionismus erfasste sämtliche Bereiche der Kunstproduktion, bildende Kunst ebenso wie Literatur, Musik, Theater, Film und Architektur. In der expressionistischen Dichtung ist von Rausch, Traum, Wahnsinn und Ekstase zu lesen. Bis zum Ersten Weltkrieg bestanden „Impressionismus und Expressionismus nebeneinander, als moderner und modernster Stil“2.
Stilmerkmale des Expressionismus
Da der Begriff Expressionismus eher eine Haltung als eine Methode beschreibt, werden höchst unterschiedliche Kunstwerke dieser Bewegung zugerechnet. Wenn sich auch Künstler und Künstlerinnen des Expressionismus individuell ausdrückten, so lassen sich doch einige stilistische Gemeinsamkeiten beschreiben.
Pinselstrich
Zu den auffallendsten Stilmerkmalen vieler expressionistischer Werke zählt die wild-undeutliche, rohe Malweise – vor allem im Vergleich zu Bildern des Naturalismus und des Symbolismus. Hinter dieser gewollten Skizzenhaftigkeit stand der Wunsch, Unmittelbarkeit im Ausdruck zu vermitteln. Ähnliche Argumente wurden auch mit dem Pinselduktus verbunden. Der Pinselstich war im Impressionismus befreit und im Pointillismus bzw. Divisionismus wieder gebändigt und reglementiert worden (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus). Subjektivität und Individualität ließen sich durch die Technik des Farbauftrags, sprich Strichführung, ausdrücken.
Expressionistische Farbe
Aus dem Impressionismus übernahmen die Expressionisten die Hochschätzung der Freilichtmalerei. Diese half ihnen, unmittelbare Farb- und Lichterlebnisse umzusetzen. Hierfür stand vor allem das Spätwerk von Vincent van Gogh Pate, das ab 1903 im deutschsprachigen Raum zunehmende Resonanz erfuhr. Ab 1905 waren die Briefe Van Goghs an seinen Bruder in Übersetzung zugänglich (→ Vincent van Gogh und Deutschland).
Dennoch sollte nicht vergessen werden, dass die Konzentration auf das Sichtbare und die konkrete Lebensumwelt vor allem in den Werken von Wassily Kandinsky und Franz Marc durch einen mystischen Aspekt gesteigert zur Erfindung der Abstraktion führte. Indem die Künstler der Farbe einen Eigenwert, eine psychologisch wirksame Kraft zusprachen, begannen sie die Mimesis (beschreibende, abbildende Qualität) abzulehnen. Hierbei spielte die Rezeption von Kubismus und Orphismus eine genauso große Rolle wie die Hinwendung zu russischen Ikonen und bayrischen Glasfenstern.
Um zu neuen Möglichkeiten der Farbverwendung zu gelangen, studierten die Expressionisten die aktuellsten Farbtheorien. Sie lehnten akademische Traditionen und Sehgewohnheiten deutlich ab, was vor allem durch den kontastreichen Einsatz der Farben, die in „schreienden“ unvermischten Farbflächen eingesetzt werden, zum Ausdruck kommt. An Modulation mit Licht und Farben hatten die Expressionisten genauso wenig Interesse wie an Details, was die Tendenz zur Abstraktion stärkte.
Die Farbverwendung der Expressionistinnen und Expressionisten beruht demnach auf ihren subjektiven Gefühlen, ihrer Spontaneität – auf Basis der Farbzerlegung und Farbverschiebung. Letztere geht einher mit der Formzertrümmerung.
Formzertrümmerung
Das vereinfachte, verknappte Formenvokabular des Expressionismus lässt sich in den 1910er Jahren bis zur Formzertrümmerung steigern.
„Unfassbare Ideen äußern sich in fassbaren Formen. Fassbar durch unsere Sinne als Stern, Donner, Blume, als Form.
Die Form ist unser Geheimnis, weil sie der Ausdruck von geheimnisvollen Kräften ist. Nur durch sie ahnen wir die geheimen Kräfte, den „unsichtbaren Gott“.
Die Sinne sind untere Brücke vom Unfassbaren zum Fassbaren.
Schauen der Pflanzen und Tiere ist: ihr Geheimnis fühlen.
Hören des Donners ist: sein Geheimnis fühlen. Die Sprache der Formen verstehen heißt: dem Geheimnis näher sein, leben.
Schaffen von Formen heißt: leben. Sind nicht Kinder Schaffende, die direkt aus dem Geheimnis ihrer Empfindungen schöpfen, mehr als der Nachahmer griechischer Form? Sind nicht die Wilden Künstler, die ihre eigene Form haben, stark wie die Form des Donners? Der Donner äußert sich, die Blume, jede Kraft äußert sich als Form. Auch der Mensch. Ein Etwas treibt auch ihn, Worte zu finden für Begriffe, Klares aus Unklarem, Bewusstes aus Unbewusstem. Das ist sein Leben, sein Schaffen.
Wie der Mensch, so wandeln sich auch seine Formen.“ (August Macke, 1912)
Holzschnitt
In der Druckgrafik des Expressionismus ist zu beobachten, dass vor allem die Künstler der Brücke die hohe Bewertung des Holzschnitts aus dem Jugendstil übernahmen. Mit Feuereifer gingen sie daran, Holzplatten zu schneiden und die Motive direkt aus dem Material herauszuschälen. Das Motto der Künstlergruppe – „Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“ – wurde als Handabzug eines Holzschnitts vervielfältigt. Kantige Formen und keine Modellierung, letzteres charakteristisch für den Holzschnitt, prägten den Stil der expressionistischen Druckgrafik über weite Strecken.
Bald begannen die Expressionisten in Dresden ohne Vorzeichnung direkt in die Platten zu arbeiten (→ Karl Schmidt-Rottluff Holzstöcke). Diese Beschäftigung mit dem Material ermöglichte beispielsweise Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff wenige Jahre später mit Hammer und Meißel Holzskulpturen zu schaffen, in denen sie sich mit der Ausdrucksweise der „Wilden“, d. h. der „Naturvölker“ Afrikas und Ozeaniens, auseinanderzusetzen.
„Primitivismus“
Zu den wichtigsten neuen Inspirationsquellen der Maler des Expressionismus gehörte die Kunst aus Subsahara-Afrika und Ozeanien (→ Picasso war ein Afrikaner!). Anfangs kopierten die Künstler, vor allem die Künstler der „Brücke“, die exotischen Werke. Danach übertrugen sie deren Stilmerkmale in die eigene Kunst. Die Auffassung, dass man sich durch Aufstellung afrikanischer und ozeanischer Objekte der eigenen Wohnungen und Ateliers in europäische „Wilde“ verwandeln könnte, verbannte Ludwig Meidner in das Reich der Legendenbildung, wenn er 1913 über das Malen in der Großstadt schrieb:
„Gestehen wir uns ein, dass wir keine Neger oder Christen des frühen Mittelalters sind! Dass wir Bewohner von Berlin sind, anno 1913, in Caféhäusern sitzen und diskutieren, viel lesen, sehr viel vom Verlauf der Kunstgeschichte wissen und: dass wir alle vom Impressionismus herkamen!“ (Ludwig Meidner, 1913)
Vorläufer des Expressionismus
Mit der „Sonderbund-Ausstellung“ in Köln 1912 stellten die Protagonisten des Expressionismus ihre „Väter“ mit großen Werkblöcken vor: Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Edvard Munch wurden damit in der Erzählabfolge kanonisiert und erhielten gleichzeitig eine historische Position als Vorläufer zugeschrieben. Weiters erfuhr die Kunst der Gotik, die der „Naturvölker“ und der exaltierte Manierismus des griechisch-spanischen Malers El Greco eine neuerliche Aufwertung.
„Wir weisen gern und mit Betonung auf den Fall Greco, weil die Glorifikation dieses großen Meisters im engsten Zusammenhang mit dem Aufblühen unserer neuen Kunstideen steht. Cézanne und Greco sind Geistesverwandte über die trennenden Jahrhunderte hinweg. Zu dem „Vater Cézanne“ holten Meier-Graefe und Tschudi im Triumphe den alten Mystiker Greco; beider Werke stehen heute am Eingang einer neuen Epoche der Malerei.“3 (Franz Marc, 1912)
Unter den deutschen Malern entwickelten die Künstler der „Brücke“ „zeitlich versetzt ähnliche Stilmerkmal wie die Fauves in Frankreich“4. Voraussetzung waren für beiden Künstlergruppen die „Väter der Moderne“, die seit den Impressionisten rund um Claude Monet eine anti-akademische Richtung vertraten.
Georges Seurat
Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus wurde von Paul Signac propagiert und von diesem an Henri Matisse im persönlichen Studium weitergegeben. Signac war es auch, der Matisse das kleine Fischerdorf Collioure am Fuß der Pyrenäen für Malstudien im Sommer 1905 empfahl. Der Aufenthalt von Matisse und André Derain im pittoresken Hafen kann als „Geburtsstunde“ des Fauvismus gelten.
Paul Cézanne
Paul Cézanne wurde ob seiner Tektonik und seines fleckenhaften Farbauftrags v. a. für die Kubisten wichtig. Der jedoch die gesamte Komposition, oder wie Henri Matisse es in seinen „Notizen“ ausdrückte, die Harmonie der Leinwände nie aus den Augen verlor und auch scheinbar Unfertiges als abgeschlossen bestimmte.
Odilon Redon
Odilon Redon ist ein Hauptvertreter des Symbolismus und wurde von Matisse gesammelt, sein mystisches Licht und seine neuartige Farbigkeit in seinen Pastellen halfen zu akzeptieren, dass Gefühle hauptsächlich über den Farbeinsatz ausgedrückt werden können. Redon verfasste ein Bekenntnis zur „suggestiven Kunst“. Im Juni 1910 veranstaltete die Neue Künstlervereinigung München, die Vororganisation des „Blauen Reiter“, eine Ausstellung in der Galerie Tannhauser. Im Katalog publizierten die Münchener Künstler einen Text Redons, den er mit folgenden Worten beendete:
„Die Jugend überdies, mit ihren beweglicheren Innenleben und in Frankreich mehr denn ehedem von den erhabenen Wogen der Musik ergriffen, erschließt (sic!) sich notwendigerweise auch den Dichtungen und Träumen der idealistischen Plastik dieser Kunst.“5
Vincent van Gogh
Vincent van Gogh und sein dynamischer Farbauftrag gemeinsam mit der subjektiven Farbverwendung wurden zu wichtigen Inspirationsquellen. Nach Van Goghs ersten großen Ausstellung in der Galerie Bernheim-Jeune 1901 wandten sich v. a. die Künstler der „Brücke“ wie auch Emil Nolde dem Holländer zu.
Paul Gauguin
Paul Gauguin wurde nach seinem frühen Tod 1903 in Gedächtnisausstellungen gefeiert und auch in Deutschland gezeigt. Er trug nicht nur mit seiner großflächigen, farbigen Gestaltung zur Diskussion bei, sondern auch durch seinen Primitivismus, mit dem er an die paradiesische Ursprünge des Menschseins erinnern wollte.
Henri Rousseau
Henri Rousseau wurde nicht nur von Pablo Picasso ob seiner naiven Ausdrucksweise geschätzt, sondern auch von den Künstlerinnen und Künstlern des „Blauen Reiter“. Als Zeichen ihrer Verehrung luden sie „den Zöllner“ 1911 neben Henri Matisse und Robert Delaunay zu ihrer ersten Ausstellung in der Münchener Galerie Thannhauser ein.
Aber auch Künstler wie der Norweger Edvard Munch und der Belgier James Ensor haben wichtige Rollen in der Geschichte des deutschen Expressionismus gespielt.
Neue Einfachheit
Der Bruch mit dem Impressionismus gelang in den Jahren 1905/06 zwei Deutschen in Paris: dem Bildhauer Bernhard Hoetger und der Malerin Paula Modersohn-Becker. In Auseinandersetzung mit den Werken von Henri Rousseau und Paul Gauguin aber auch der zeitgenössischen Skulptur von Aristide Maillol, ergänzt durch das Studium antiker Werke im Louvre und von Abbildungen (ägyptische Mumienporträts und Skulpturen, javanische Tempelfriese von Borobodur [um 800]), wandten sich Hoetger und Modersohn-Becker monumentalen Formen zu. Zeitgleich zu den französischen Fauvisten gelangten sie zu blockhaften Formen, eine starke Reduktion der Details und leuchtenden Farbflächen.
Obschon Modersohn-Becker Ende 1907 verstarb, förderte Hoetger ihr Andenken und wurde selbst 1909 an die Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe berufen. Ab 1914 lebte Hoetger in Worpswede, wo er in seinem eigenen Haus eine expressionistische Formensprache entwickelte. Mit Skulpturen und Denkmälern prägte Hoetger die Entwicklung der expressionistischen Bildhauerei in Deutschland.
„Die Brücke“
→ Die Brücke (Einführung)
„Die Brücke“ war eine deutsche Künstlergruppe des Expressionismus, die 1905 in Dresden gegründet wurde und sich 1913 auflöste. Vier Architekturstudenten – Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl – schlossen sich zu gemeinsamer autodidaktischer Kunstübung zusammen. Bis 1910 entwickelten sie einen neuen Malstil, den sie auch auf den Holzschnitt und die Holzskulptur übertrugen. Charakteristisch ist eine rohe Malweise, unvermischte Farben in intensiven Tönen und die Hinwendung zu Natur und Großstadt. Erst mit der Entstehung des Expressionismus, für den die Künstlergruppe „Brücke“ heute synonym steht, wurde mit allem Bisherigen gebrochen. Heute gelten die Malerei und Bildhauerei der „Brücke“-Künstler als der Durchbruch der deutschen Stilentwicklung zur Moderne.
„Der Blaue Reiter“
→ Der Blaue Reiter (Einführung)
„Der Blaue Reiter“ ist der Titel eines Almanachs, der 1912 von der „Redaktion Der Blaue Reiter“ herausgegeben wurde. Federführend waren Wassily Kandinsky und Franz Marc an dessen Entstehung beteiligt. Darüber hinaus organisierte die „Redaktion Der Blaue Reiter“ zwei epochale Ausstellungen in München, die auf Tournee geschickt werden konnten. Hier stellten sich die Künstlerinnen und Künstler im Kontext der französischen und russischen Avantgarde. Zu den wichtigsten Mitgliedern zählten Wassily Kandinsky und dessen Freundin Gabriele Münter, Franz Marc, Alfred Kubin, Paul Klee und Lyonel Feininger. Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin traten der „Redaktion Der Blaue Reiter“ nie offiziell bei, trennten sich jedoch von der „Neuen Künstlervereinigung München“ und stellten in den Ausstellungen des „Blauen Reiter“ aus.
„Der Sturm“
Zu den wichtigsten Förderern des Expressionismus in Berlin gehörte Herwarth Walden und seine Galerie „Der Sturm“. Er stellte sowohl die Künstler und Künstlerinnen der „Brücke“ als auch des „Blauen Reiters“ aber auch die russische und französische Avantgarde aus. Darüber hinaus förderte Walden eine Reihe von Künstlerinnen darunter Else Lasker-Schüler und die Niederänderin Jacoba van Heemskerck.
Sowohl in der Galerie „Der Sturm“ als auch später als Lehrer am Bauhaus wurde Lyonel Feininger (1871–1956) zu einem wichtigen und ab Ende der 1920er Jahre auch populären Vertreter des Expressionismus. Bekannt ist der amerikanisch-deutsche Maler für seine Bilder von Bauwerken und Segenschiffen, kristalline Strukturen in unverwechselbarer Monumentalität und Harmonie der Farben.
Expressionismus während der 1920er Jahre
Waren die 1910er Jahre gleichsam die Wiege des Expressionismus, so feierten die Pioniere der Stilrichtung in den 1920ern ihre größten Erfolge. Während des Ersten Weltkriegs stiegen Maler wie Paul Klee, Erich Heckel, Emil Nolde und Oskar Kokoschka zu den berühmtesten Malern ihrer Generation im deutschsprachigen Raum auf. Sie wurden auf renommierte Professorenposten berufen und prägten mit einem gemäßigten expressionistischen Stil die Kunstproduktion ihrer Zeit.
Zu den wichtigsten Malerinnen des Expressionismus zählt Maria Caspar-Filser, die 1925 als erste Frau eine Professur an der Kunstakademie in München zugesprochen bekam.
Als Einzelgänger in Paris wird der Maler Chaim Soutine angesehen, der ab 1923 mit seinen dynamisch gemalten, verzerrten Landschaften, seinen aus der Farbmasse modellierten Stillleben und expressiven Porträts zu den berühmtesten Künstlern seiner Generation zählte. Der aus dem heutigen Weißrussland stammende, jüdische Künstler war 1913 nach Paris gekommen und ein enger Freund Amedeo Modiglianis. Obwohl er mit Künstlern des Kubismus befreundet war, entwickelt er doch einen höchst eigenen Stil, mit dem er teils klassische Kompositionen und Motive - u.a. von Chardin, Rembrandt - auf neue Weise interpretierte.
Expressionismus in Österreich
Die erste Generation von Expressionisten in Österreich ist von den beiden Malern Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Max Oppenheimer dominiert. Der jüngere Schiele war ein frühreifes Talent, das bereits 1910 zu einem analytischen Expressionismus fand. Beeinflusst von Symbolismus und der Kunst Gustav Klimts, schuf er ambivalente Bilder, in denen Geschlechterverhältnis, Körperlichkeit und Sexualität verhandelt werden. Kokoschka feierte zur selben Zeit Skandalerfolge mit seinen "sezierenden" Porträts der gehobenen Gesellschaft und von Künstlerkollegen. Durch die Förderung von Herwarth Walden erfuhr Kokoschka schon früh Anerkennung in Berlin und stellte mit den Künstlern des "Blauen Reiter" aus. Diesem Beispiel folgte Max Oppenheimer, was zu großen Auseinandersetzungen zwischen Kokoschka und MOPP, wie sich Oppenheimer ab 1912 nannte, führte.
Der Erste Weltkrieg, der Zerfall der Donaumonarchie 1918, der frühe Tod Schieles und Kokoschkas Berufung nach Dresden bzw. seine anschließende Reisezeit bildeten markante Zäsuren für die Entwicklung der expressiven Formensprache in Österreich. In der Ersten Republik (auch: Zwischenkriegszeit) etablierten sich die Maler Anton Kolig und Herbert Boeckl als "Gegenspieler". Beide wandten sich dem farbintensiven Expressionismus mit gestischer Pinselführung zu. Vor allem Kolig bildete in der Künstlerkolonie in Nötsch (Kärnten) eine Reihe von Schülern aus, darunter Gerhart Frankl. In Salzburg etablierte sich der Schiele-Freund Anton Faistauer als führende Maler, der sich auch als Freskomaler (Pfarrkirche in Morzg, Foyer des Kleinen Festspielhauses in Salzburg). Im Wiener Hagenbund traten Fritz Schwarz-Waldegg, Josef Floch, Maximilian Reinitz, Alois Seibold und Felix Albrecht Harta mit einem kristallinen Expressionismus hervor, in dem auch Schieles Schwager, Anton Peschka, zu reüssieren suchte. Mit Helene Funke schaffte es eine in Paris um Umkreis von Henri Matisse ausgebildete Malerin, als Künstlerin Anerkennung zu finden. Die zweite wichtige Kunstschaffende in Wien dieser Zeit war Marie-Louise von Motesiczky, die von Max Beckmann Unterricht erhielt. Helene von Taussigs Werke führen den Neoimpressionismus und den Expressionismus zusammen.
Einige österreichische Maler, darunter Jean Egger, emigrierten schon in den 20er Jahren nach Paris, wo er im Zirkel von Chaim Soutine große Beachtung fand. Allen österreichischen Malern gemein war, dass sie sich stark am Werk von Paul Cézanne orientierten (Schwarz-Waldegg).
Expressionismus in Schweden
Isaac Grünewald (1889–1946) und Sigrid Hjertén (1885–1948) zählen zu den wichtigsten Vertreter:innen des Expressionismus in Schweden. Beide Künstler:innen besuchten um 1910 die Academie Matisse, wo sie Inspirationen von Henri Matisse aber auch Paul Cézanne aufnahmen. Übder Herwarth Walden lernten sie 1914 Gabriele Münter und die Künstler:innen des deutschen Expressionismus kennen. Vor allem Sigrid Hjertén gilt heute als herausragende Vertreterin der farbintensiven, emotionalisierten Darstellung der modernen Stadt, erweitert durch Stillleben und Selbstporträts.