Egon Schiele
Wer war Egon Schiele?
Egon Schiele (1890-1918) war ein österreichischer Maler des Expressionismus, der sich um 1910 vom Jugendstil löste und mit radikalen Körperbildern den Blick auf den Akt radikal zu hinterfragen wusste. Hatte der akademische, wohlproportionierte Akt seit der Renaissance als Basis der Kunst gegolten, den es naturalistisch umzusetzen galt, so wandte Schiele seinen Blick auf kranke und existentielle Körper. Mit sicherem Strich analysierte der junge Künstler in Hunderten von Blättern ausgesetzte Körperlichkeit und Vergänglichkeit. Während des Ersten Weltkriegs, den Schiele in Wien und Umgebung relativ sicher erlebte, wandelte sich sein Stil zu einem neuerlich akademischeren, traditionelleren als in den Anfangsjahren. Wenn Schiele auch vor den Kriegshandlungen verschont bliebt, so fiel er doch am 31. Oktober 1918 der Spanischen Grippe zum Opfer. Der Mythos Schiele speist sich aus einem nicht unerheblichen Teil aus dem frühen Tod des Zeichners und Malers im Alter von 28 Jahren.
Ausbildung
Egon Schiele studierte ab dem Wintersemester 1906/07 in der Klasse von Christian Griepenkerl, einem Ringstraßenkünstler. Sein erstes Atelier befand sich in der Kurzbauergasse 6 in der Wiener Leopoldstadt (2. Bezirk), im gleichen Bezirkt wohnte auch sein Onkel Leopold Czihaczek in einem großbürgerlichen Apartement.
Welch ausgeprägtes Selbstbewusstsein der noch jugendliche Egon Schiele ins sich trug, zeigt dessen Engagement an der Frühjahrsausstellung der Münchener Secession 1908 teilzunehmen. Er schickte sowohl drei Werke nach Bayern und einen huldvollen Bittbrief an Franz von Stuck, um seine Chancen zu erhöhen. Dennoch wurde der 18-jährige Kunststudent nicht mehr einer Einladung geehrt. Von der Absage ließ sich Schiele nicht entmutigen, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf eine erste Ausstellungsbeteiligung in Klosterneuburg. Das Augustiner Chorherrenstift organisierte unter dem Titel „Junge Kunst im Stift“ eine Schau mit Nachwuchskünstlern und der lokalen Kunstszene, der er sich vorstellte:
„Meine ersten Nothelfer […] waren die Klosterneuburger Maler Kahrer, Horst, Strauch und Professor Böhm.“1
Heinrich Benesch, der Schiele während der 1910er Jahre durch den Kauf von Zeichnungen unterstützte, erinnerte sich:
„Im Jahre 1908 begegnete ich in einer Ausstellung der Klosterneuburger Maler im Marmorsaale des dortigen Stiftes den Werken eines jungen Künstlers, die Aufmerksamkeit erregten. Es waren kleine, hauptsachlich landschaftliche Ölstudien, die flott und sicher gemalt waren (vielfach mit dem Pinselstiele kräftig und zielbewußt in die nasse Farbe hineingearbeitet) und — jedenfalls Eigenart verrieten.“ (Heinrich Benesch, Mein Weg mit Egon Schiele, 1943)
Egon Schiele orientierte sich bereits während seines Studiums an der Wiener Akademie der bildenden Künste an den Gemälden von Gustav Klimt. Dies führte früh zur Ablehung Schieles durch seinen Professor Christian Griepenkerl, der über ihn meinte:
„Sie - Sie - Sie - hat der Deubel [Teufel] in meine Schule gekackt!“
Nach nur drei Jahren Ausbildung - anstelle von vier - verließ Egon Schiele 1909 die Wiener Akademie und mietete sich ein Atelier in der Alserbachstraße. Bereits als aufstrebender Jungstar stellte er jedes Jahr aus. Anfangs gruppierte er gemeinsam mit Anton Faistauer eine Reihe von Studienkollegen um sich (darunter Anton Kolig, Sebastian Isepp) und gründete die Neukunstgruppe. Gleichzeitig wurden er und seine Mitstreiter von der Generation der Jugendstilkünstler, allen voran Gustav Klimt und Josef Hoffmann, gefördert, und Schiele zur Teilnahme an der Kunstschau 1908 und zur Jagdausstellung 1910 im Prater eingeladen.
Egon Schiele, der Expressionist
Bereits 1910 hatte Egon Schiele seinen persönlichen Stil gefunden, mit dem er auf gesellschaftliche Veränderungen reagierte. Zu Schieles wichtigsten Themen zählen Körper und Sexualität, Krumau, das (spielerisch veränderbare) Ego des Künstlers, die er als Akte, Städtebilder, Porträts und Selbstbildnisse umsetzte. In häufig brauntonigen Bildern setzte er seine Visionen von Eros und Thanatos um: herbstliche Landschaften, tote Städte, erotisch aufgeladene Mädchenakte und spirituelle, aber schwer zu deutende Kompositionen.
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs war Schiele mit dem Aufbau seiner internationalen Karriere beschäftigt. Kurz bevor er 1915 zum Kriegsdienst eingezogen wurde, heiratete Egon Schiele das bürgerliche Mädchen Edith und trennte sich von seinem langjährigen Modell Wally Neuzil. Während des Ersten Weltkriegs konnte Egon Schiele als Mitglied des k. k. Kriegspressequartiers (KPQ) erneut ein Atelier in Wien beziehen und weiterarbeiten. Als Gustav Klimt im Februar 1918 verstarb, wurde Egon Schiele als sein Nachfolger gepriesen. Ein halbes Jahr später, am 31. Oktober 1918, verstarb Egon Schiele im Alter von 28 Jahren an der Spanischen Grippe.
„Der Krieg ist aus — und ich muss geh’n. — Meine Gemälde sollen in allen Museen der Welt gezeigt werden!“ (angeblich Egon Schieles letzter Ausspruch)
Schieles Maltechnik
Die 2017 durchgeführten kunsttechnologischen Untersuchungen der Schiele-Gemälde des Belvedere zeigen die komplexe und reflektierte Maltechnik Schieles.2 Auf Basis der Zeichnung entwickelte Schiele seine Kompositionen teils direkt auf der Leinwand. Obwohl der Künstler den akademischen Lehrmethoden nichts Positives abgewinnen konnte, so übernahm er doch einige Regeln, die er dennoch zu einer höchst individuellen Maltechnik weiterentwickelte. Hier ein kurzer Überblick!
Egon Schiele verwendete keine vorgrundierten Leinwände, sondern bereitete sich den Malgrund selbst vor. Er arbeitete auf rauem und offenporigem Kreidegrund, den der Maler selbst herstellte. Schiele experimentierte mit dem Auftrag auf die Leinwand. Das heißt, dass er die Oberflächenstruktur der Grundierung auf das darzustellende Sujet anpasste. Er arbeitete mit der Grundierung als wesentliches Element der Bildgestaltung und des Ausdrucks.
Das Motiv übertrug Egon Schiele meist mit Kohle, Blei- oder Grafitstift. Selten arbeitete er mit Pinsel und flüssiger Farbe vor. In vielen Bildern ist diese Arbeitsweise deutlich zu sehen – nicht nur an jenen Partien, die den Blick auf die Untermalung freigeben (d.h. nicht bemalt sind), sondern auch an der Mischung der trockenen Malmittel mit der darüber aufgetragenen Farbe. Offensichtlich störte es den Künstler nicht, wenn der Bei- oder Grafitstift einen hellen Ton „schmutzig“ wirken ließ.
Im nächsten Arbeitsschritt trug Egon Schiele eine erste Malschicht in dünnflüssigem Farbauftrag auf. Diese Farben sind fließend, transparent, aber auch opak auf die Grundierung gemalt und erscheinen
Matt, da sie weniger Bindemittel enthalten („mager“). Die Komposition sank in die offenporige, raue Oberfläche der Grundierung ein und trocknete relativ schnell. Bereits in dieser Malphase entschied Egon Schiele, welche Teile des Bildes vollständig mit Farbe bedeckt und welche Teile die Grundierung offen zeigen sollen. Der Kreidegrund wird von ihm sowohl als Oberflächenstruktur wie als Grundton des Gemäldes eingesetzt.
Die zweite Schicht Farbe trug Egon Schiele vorwiegend mit dem Flachpinsel auf. Sein Malduktus ist schwungvoll. Über der dünnflüssigen ersten Schichte setzte er dickflüssigere Farben ein. Durch den höheren Anteil an Ölharz leuchten diese Farben intensiver und weisen einen charakteristischen Oberflächenglanz auf („fett“). Pastose Farben über verdünnte aufzutragen, entsprach der akademischen Malregel „fett auf mager“ zu gestalten. Diese gewährleistete eine gute Haftung der Malschichten. Interessanterweise mischte Egon Schiele die Farbtöne so gut wie nie. Dadurch wollte er die ungebrochene Leuchtkraft der Farbtöne gewährleisten.
Ein weiteres Charakteristikum von Egon Schieles Gemälden ist der Kontrast zwischen pastos, haptisch gestalteten Hintergrund und den transparenten, dünnen Farbschichten der ersten Malphase. Häufig umrahmte Schiele die Umrisse der Figuren zusätzlich mit weißer, dick aufgetragener Farbe. Diese Vorgangsweise lässt sich auch in Schiele aquarellierten Zeichnungen vor allem aus dem Jahr 1910 nachweisen. In der Malerei wie im grafischen Medium arbeitete er so die Figuren heraus, während der Hintergrund „ungestaltet“ blieb.
Wer waren die bedeutenden Schiele-Sammler?
Heinrich Benesch (1862–1947)
Förderer Egon Schieles, der bis 1913 hauptsächlich dessen günstigere Zeichnungen erwarb. Die Schiele-Sammlung von Heinrich Benesch ging als Kernbestand in die Sammlung der Albertina über.
Arthur Roessler (1877–1955)
Kunstkritiker, Kunstförderer und Freund Schieles. Er machte ihn mit Carl Reininghaus und Oskar Reichel bekannt. Roesslers Sammlung bildet den Grundstock für die Schiele-Sammlung des Wien Museum. 1955 vereinbarte er, seine Sammlung und sein Archiv gegen eine Leibrente von monatlich 1.500 Schilling an die Stadt zu verkaufen. Vier Ölbilder, 35 Aquarelle und Zeichnungen sowie mehrere Druckgrafiken von Schiele (von insgesamt 1.500 Werken) gingen an das Historische Museum der Stadt Wien (heute Wien Museum). Roesslers umfassende Bibliothek mit 130 Schiele-Briefen gelangte so in die Stadtbibliothek (heute Wienbibliothek im Rathaus).
Carl Reininghaus (1857–1929)
Großindustrieller (Mitinhaber der Bierbrauerei Reininghaus), Kunstsammler (ihm gehörte Gustav Klimts „Beethovenfries“, Edvard Munch, Ferdinand Hodler). Reininghaus‘ Bestand wurde nach dessen Tod 1929 weitgehend verkauft.
Oskar Reichel (1869–1943)
Arzt (Internist) und Kunstsammler (Oskar Reichel, Anton Romako, Oskar Kokoschka).
Gemeinsam erwarben Roessler, Reichel und Reininghaus mehr als die Hälfte der 1910 entstandenen Ölgemälde Schieles. Um 1913 begann sich Schieles Beziehung zu seiner ursprünglichen Sammlerriege zu zerschlagen. Reichel hörte mehr oder weniger auf, seine Werke zu kaufen, und selbst Reininghaus kühlte ihm gegenüber ab. Oskar Reichel hatte schon zu Schieles Lebzeiten begonnen, Werke zu verkaufen oder zu tauschen, und besaß 1930 nur noch ein Gemälde des Künstlers.
Franz Hauer (1867–1914)
Besitzer des legendären Griechenbeisl. Franz Hauer erwarb kurz nach der ersten Begegnung mit Schiele 1912 drei Gemälde von diesem. Bis zu seinem frühen Tod 1914 gehört der wohlhabende Gastwirt zu dessen verlässlichsten Unterstützern. Vier Jahre später hatten alle Gemälde bereits wieder neue Besitzer gefunden.
Erich Lederer (1896–1985)
Im Jahr 1913 porträtierte Egon Schiele Erich Lederer (1912/13, Kunstmuseum Basel) bzw. schuf das „Doppelbildnis (Zentralinspektor Heinrich Benesch und sein Sohn Otto)“ (1913, LENTOS Kunstmuseum Linz). Erich Ledere war ein wichtiger Sammler von Schieles Zeichnungen und Aquarellen.
Heinrich Böhler (1881–1940)
Böhler war ein in Wien lebender reicher Schweizer, der Schiele 1914 kennenlernte. Er war nicht nur ein intensiver Sammler seines Werks, sondern nahm auch Malstunden bei ihm und zahlte ihm während des Ersten Weltkriegs eine monatliche Apanage.
Max Wagner (1882–1954)
Der Landtagsabgeordneten und Gewerkschaftssekretär Max Wagner trug oft unter erheblichen finanziellen Opfern, jedes Fitzelchen beschriebenen Papiers zu Schiele zusammen: Zeitungsausschnitte, Briefe, Dokumente. Seine Sammlung bildet die Basis für das 1948 erstmals angedachte und 1954 gegründete Egon-Schiele-Archiv (ESA) der Albertina.
Otto Kallir (Otto Nirenstein, 1894–1978)
Nachdem ihn ein Freund auf Egon Schieles Werk aufmerksam gemacht hatte, eröffnete Otto Kallir (Nirenstein) 1923 seine Galerie mit einer Personale des kurz zuvor verstorbenen Ausnahmekünstlers. Der Galerist förderte Schieles Kunst in der Ersten Republik und nach seiner Emigration in den USA. Anlässlich der zehnten Wiederkehr des Todestages von Egon Schiele organisierte Kallir 1928 eine Einzelausstellung an zwei Schauplätzen — der Neuen Galerie und dem Hagenbund. In New York protegierte Kallir das Werk Egon Schieles auch in Kooperationen mit Museen. In Thomas M. Messer, einem tschechischen Emigranten, fand er einen Verbündeten. Der Leiter des Institute of Contemporary Art in Boston organisierte die erste Schiele-Retrospektive in einem amerikanischen Museum, die 1960/61 in insgesamt fünf US-Städten gezeigt wurde. Nachdem Messer zum Direktor des Guggenheim Museum berufen worden war, stellte er Egon Schiele gemeinsam mit Gustav Klimt aus.
Otto Benesch (1896–1964)
Sohn von Heinrich Benesch und Direktor der Albertina (1947–1961). 1951 schenkte er 23 Zeichnung Schieles in Heinrich Beneschs Namen der Albertina.
Rudolf Leopold (1925–2010)
Der Augenarzt Rudolf Leopold trug die weltweit größte Schiele-Sammlung zusammen und gründete in Kooperation mit dem österreichischen Staat das Leopold Museum (gegr. 1994, eröffnet 2001). Im Jahr 1950 kaufte er im Alter von 25 Jahren sein erstes Schiele-Bild von Artur Roessler.
Serge Sabarsky (1912–1996)
Als Kunsthändler und -sammler war Serge Sabarsky dem österreichischen und deutschen Expressionismus verpflichtet. Indem er Roland Lauder „das Sehen beibrachte“, prägte er die nächste Generation New Yorker Sammler entschieden mit.
Ronald Lauder (* 1944)
Erbe des von seinen Eltern gegründeten Kosmetikimperiums; Botschafter der USA in Österreich. Die Neue Galerie New York (eröffnet 2001) zeigt die Werke von Egon Schiele aus den Sammlungen Lauder und Sabarsky.
Alle Beiträge zu Egon Schiele
- Egon Schiele, zit. nach Arthur Roessler, Erinnerungen an Egon Schiele, 2. Aufl., Wien 1948, S. 26f.
- Stefanie Jahn, Agathe Boruszczak, Maltechnische Untersuchungen der Schiele-Gemälde im Belvedere. Methoden und Ergebnisse, in: Stella Rollig, Kerstin Jesse (Hg.), Egon Schiele. Wege einer Sammlung (Ausst.-Kat. Belvedere, Unteres Belvedere, Orangerie, 19.10.2018–17.2.2019) München 2018, S. 76–95.
- Egon Schiele, zit. nach Arthur Roessler, Erinnerungen an Egon Schiele, 2. Aufl., Wien 1948, S. 26f.
- Stefanie Jahn, Agathe Boruszczak, Maltechnische Untersuchungen der Schiele-Gemälde im Belvedere. Methoden und Ergebnisse, in: Stella Rollig, Kerstin Jesse (Hg.), Egon Schiele. Wege einer Sammlung (Ausst.-Kat. Belvedere, Unteres Belvedere, Orangerie, 19.10.2018–17.2.2019) München 2018, S. 76–95.