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Nadja Verena Marcin: „Wie ein Schwarm Bienen um den Wassertank“ Über das Abtauchen, Umweltschutz und das Wesen der Performancekunst

Nadja Verena Marcin, Ophelia; OPHELIA’S CEREMONY (Moltkerei Werkstatt e.V.), Köln, 2018, Foto: Juliane Herrmann; Courtesy of the artist Nadja Verena Marcin & 532 Gallery Thomas Jaeckel, New York & AKArt, San Francisco. © Nadja Verena Marcin

Nadja Verena Marcin, Ophelia; OPHELIA’S CEREMONY (Moltkerei Werkstatt e.V.), Köln, 2018, Foto: Juliane Herrmann; Courtesy of the artist Nadja Verena Marcin & 532 Gallery Thomas Jaeckel, New York & AKArt, San Francisco. © Nadja Verena Marcin

Performance-Künstlerin Nadja Verena Marcin (*1982 in Würzburg) ist auf zweijähriger Welttournee mit ihrer Performance und Videoskulptur „Ophelia“. Gerade im September noch mit einer Einzelausstellung in der Moltkerei e.V. in Köln zu sehen, zeigt sie „Ophelia“ aktuell in der Nube Gallery in Santa Cruz/Bolivien. Im direkten Anschluss folgen Stationen in Rom, Stuttgart, London und Berlin. ARTinWORDS hat Marcin vor ihrer Europapremiere in Köln getroffen und mit ihr über „Ophelia“, persönliche Erfahrungen, Erwartungen und das Wesen der Performancekunst gesprochen.

Das Gespräch mit Nadja Verena Marcin führte Nora Höglinger.

ARTinWORDS: In der Moltkerei Werkstatt in Köln hat die Europapremiere deiner Performance „Ophelia” anlässlich deiner Ausstellungseröffnung stattgefunden. Um was geht es dir bei „Ophelia“?

Nadja Verena Marcin: Ich nutze die Figur der Ophelia um die menschliche Subjektivität darzustellen, in der wir gefangen sind. Es geht dabei über eine feministische Haltung hinaus. Mir ist es wichtig, dass sich Männer davon auch angesprochen und involviert fühlen. Klar, bei Ophelia ist das Frauen-Thema sehr vordergründig, weil sie Referenzen zur Hysterie, zur Unterdrückung und dem Schweigen der Frau ganz bestimmend beinhaltet. Aber Ophelia spricht auch für die Natur und die Instinktwelt – die emotionale Welt und deren Unterdrückung.

ARTinWORDS: Wie sieht der Ablauf deiner Performance aus?

Nadja Verena Marcin: Im ersten Teil durchschreite ich den Raum, dann etabliere ich Präsenz, auf eine ganz stille Art und Weise. Ich gucke den Leuten in die Augen. Das ist mir wichtig, da ich Vertrauen zu den Menschen, die sich die Performance ansehen, herstellen möchte und weil ich nicht so ein Interesse an Spektakel-Performances habe, sondern eher an einem menschlichen Grundvertrauen. Das versuche ich erst mal zu vermitteln. Dann stellen sich Konzentration und Energie im Raum ein, weil eine Performance nie nur die Performerin alleine macht, sondern alle Anwesenden daran teilhaben. Wir sind alle wie Antennen, die dann anspringen und sich verbinden. In einem zweiten Teil fange ich an über „Ophelia“ zu erzählen, in einer Art „Lecture“, die so ein bisschen dadaistisch-fragmentarisch diese Themen von Klimawandel und den Wandel des Frauenbildes zusammenbringt. Im dritten Teil steige ich dann mit einer Sauerstoffflasche in einen großen Wassertank und tauche darin ab. Wenn die Menschen dann an den Tank herantreten, beginne ich ein Gedicht zu zitieren. Das Ganze dauert etwa 20 bis 25 Minuten.

ARTinWORDS: Was ist es denn für ein Gefühl in einem Raum voller Menschen einfach so abzutauchen? Ist das ein Gefühl der Isolierung von der Außenwelt?

Nadja Verena Marcin: Nein, das ist eigentlich total angenehm. Der Sound ist gedämpft. Und das Schöne ist, dass es dann eine Wandlung gibt von diesem mehr konfrontativen Im-Raum-Sein und Energie zu verbreiten zu so einer Halb-Abwesenheit würde ich fast sagen. In dem Moment gibt es so einen „reverse gaze“. Die Leute treten dann an mich heran, sie haben keine Angst mehr vor der Performance-Künstlerin. Das Publikum hat sich bei allen Performances bisher wie ein Schwarm Bienen um den Wassertank versammelt. Ich kann in diesem Moment im Tank dann sehr schön zurückblicken durch die Taucherbrille. Das ist ein ganz netter Moment.

ARTinWORDS: Das heißt du distanzierst dich durch das Abtauchen in den Wassertank nicht von deiner Umgebung, sondern hast – ganz im Gegenteil – das Gefühl deinem Publikum dadurch näher zu sein?

Nadja Verena Marcin: Ja, das könnte man so sagen.

ARTinWORDS: Unter Wasser beginnst du dann ein Gedicht von Daniil Kharms mit dem Titel „The Werld“ aus 1939 zu rezitieren. Inwiefern verändert sich dadurch die Situation unter Wasser?

Nadja Verena Marcin: Das Wasser wirkt als Klangkörper. Die Töne werden im Wasser sehr laut und gehen durch Mark und Bein. Zwei Hydrophone nehmen diesen Sound auf und übertragen ihn in den Raum mit zwei Subwoofern und zwei Speakern. Man hört die Worte nicht richtig. Aber ganz am Ende der Performance, wenn ich aus dem Tank wieder draußen bin, ziehe ich ein weißes Laken darüber und dann wird ein Video davon projiziert. Bei dem Video ist der Sound gedupt, sodass man das Gedicht nochmal richtig hören kann.

ARTinWORDS: Du bist mit der Performance und der Videoskulptur auf Welttournee. Wie kam es zu dem Konzept der Welttournee?

Nadja Verena Marcin: Ich hatte davor immer einmalige Performances gemacht. Dann wurde ich gebeten, die Performance „Nadja By Breton“ ein zweites Mal aufzuführen, da es beim ersten Mal so ein großer Erfolg war. Beim zweiten Mal hat es dann nicht mehr so toll funktioniert. Daraufhin habe ich mir gesagt, dass ich entweder eine Performance für eine einmalige Aufführung schaffe oder solche, die so angelegt sind, dass ich sie mehrfach performe, weil es dafür einen Grund gibt, dass sie an verschiedenen Orten gezeigt werden sollen. Mir wurden auch die kulturell bedingten Unterschiede in der Rezeption immer bewusster. Daher habe ich mir gesagt, dass ich speziell ein Werk schaffen will, das an jeden Ort reisen kann und ich es direkt so planen will. Die Reise von Ophelia, die bei dem Thema mitschwingt – zeitliche, örtliche Reise – fand ich spannend und auch zu sehen, was an den unterschiedlichen Orten passiert.

ARTinWORDS: Die Performance bzw. Videoskulptur entwickelt sich ja auch weiter. Die ursprüngliche Performance, die im Dezember 2017 in Miami zu sehen war, erweiterst du kontinuierlich – zum Beispiel sind die Monitore in Köln neu. Wie kommt es zu diesen Weiterentwicklungen?

Nadja Verena Marcin: Wenn man die gleiche Performance wieder aufführt, kann man so kleine, feine Sachen anders machen. Es gibt eine Grundstruktur, auf die man sich verlassen kann und dann gibt es ein paar Dinge mit denen man anfangen kann zu experimentieren. Dazu kommt: Ich arbeite generell kollaborativ. An der Tankskulptur hat zum Beispiel der Architekt Fernando Schrupp Rivero mitgearbeitet und der Kameramann Marque de Winter hat das Video mitgetaltet. Das Unter-Wasser-Video, das nach der Performance dann in der Videoskulptur zurückbleibt, hat ein bekannter amerikanischer Filmemacher gemacht. Ich begrüße es immer sehr, wenn andere Leute etwas zu dem Projekt beisteuern wollen. Die Ausstellung in der Moltkerei Werkstatt habe ich mit der Kuratorin Angela Theissen, zusammen entwickelt.

ARTinWORDS: Wie siehst du die Beziehung zwischen der Performance und der Videoskulptur?

Nadja Verena Marcin: Das sind zwei verschiedene Dinge für mich.

ARTinWORDS: Das „Ophelia“-Gemälde von John Everett Millais, auf das du referierst und das im Hintergrund zu sehen ist, ist 150 Jahre alt (→ John Everett Millais: Ophelia). Inwiefern spannst du einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart?

Nadja Verena Marcin: Ich habe oft diesen geschichtlichen Sprung in meinen Arbeiten. Wie haben wir das früher gemacht? Was machen wir jetzt? Wie werden wir es in der Zukunft machen? Das ist das faszinierende an Geschichte: der Reichtum an Wissen, aus dem man schöpfen kann. Dann sind so klassische Bilder auch wahnsinnig anziehend, dies ist mir auch bei „Ophelia“ von Millais passiert. Das Bild hat mich so aktuell angesprochen, dass ich richtig erschrocken bin.

ARTinWORDS: Wie kam es dann zu der Reinterpretation mit dem Wassertank?

Nadja Verena Marcin: Meine Idee war: Dadurch, dass wir nicht auf uns selbst und die Natur hören, in der wir leben und die wir zerstören, entsteht ein Schneeball-Effekt. Je mehr wir uns technologisieren, desto abhängiger werden wir von der Technologie und desto isolierter wird der Mensch, siehe Internet und Social Media. Für mich war das Bild von der Person in der Kapsel wichtig. Und diese Kapsel kann man auch auf den Kopf stellen, dann ist es wie ein Wolkenkratzer in New York. Und da es in New York viele Überschwemmungen gab, kam mir so das Bild, dass sich die Wolkenkratzer mit Wasser füllen und dann zu vertikalen Särgen werden. In diesem fragilen Moment, wo das Leben des Menschen von der Technik abhängt – von der Sauerstoffflasche und der Miniarchitektur in der sich der Körper dann befindet – das ergibt dann einen architektonischen Matroschka-Puppen-Effekt.

ARTinWORDS: Ist Umweltschutz ein wichtiges Anliegen für dich?

Nadja Verena Marcin: Ja, natürlich. Aber nicht nur der Umweltschutz, sondern diese instinktive Welt, die unterdrückt wird vom Kapitalismus. Denn wir können natürlich besser Sachen verkaufen, wenn die Leute nicht so auf sich selbst hören, sondern auf das, was auf Werbe- und Verkaufsschildern steht. Wenn wir auf uns selber hören würden, würden wir sehr viele Dinge gar nicht machen und gar nicht kaufen. Das ist mir eher wichtig. „Umweltschutz“ ist dafür ein Label.

ARTinWORDS: Wie sind die Reaktionen bisher auf die Performance? Was erwartest du dir in Deutschland?

Nadja Verena Marcin: Tatsächlich sehr unterschiedlich. Manchmal sind Leute sehr angetan. Ich wurde schon auf der Straße angesprochen, ganz euphorisch. Manchmal sind Leute aber auch sauer. Warum? Weil da tatsächlich Gefühle entstehen, die sie nicht kontrollieren können. Dann sagen sie: "Oh, aber Ihnen hätte ja etwas passieren können. Und dann hätte ich mir das angucken müssen." Für mich ist beides ein Zeichen dafür, dass durch die Performance psychologisch etwas in Bewegung gekommen ist.

Die Deutschen sind sehr kritisch und haben immer das Bedürfnis einem die Meinung sagen müssen, auch wenn man die Meinung gar nicht hören möchte. Ich rechne daher damit, dass die Menschen mit mir ein ernstes Gespräch führen möchten – dazu bin ich bereit. Ich freu mich sogar darauf.

ARTinWORDS: Was ist für dich die Essenz der Performance?

Nadja Verena Marcin: Dieses Potential, das man hat, dass man aus jeder Situation ausbrechen kann und jede Situation komplett neu gestalten kann. Das ist für mich das Faszinierende an Performancekunst. Man kann es sich immer wieder beweisen, dass es eine menschliche Kraft gibt, mit der man aus jeder Dystopie wieder etwas Neues, Positives kreieren könnte.

ARTinWORDS: Wie sieht dein Studio in Brooklyn-Greenpoint aus?

Nadja Verena Marcin: Ich will das immer total minimalistisch haben – am liebsten mit weißen Wänden. Und ich habe ein Lager, wo alle Arbeiten reinkommen. Ich will immer alles wegpacken, auch Equipment. Am liebsten soll alles beweglich sein, damit ich Sachen auf- und abbauen kann. Mein Studio kann man sich eher wie eine Bühne vorstellen, wo man abschalten kann und die Gedanken Freiraum haben.

ARTinWORDS: An was arbeitest du aktuell? Gibt es neue Projekte in Planung?

Nadja Verena Marcin: Ja, eigentlich wollte ich diesen Sommer einen Trailer drehen. Ich musste dann aber alles beiseite legen, weil ich vier Einzelausstellungen dieses Jahr habe und noch ein paar Gruppenausstellungen hinzugekommen sind. Aber ich arbeite gerade an einem Film, mein erster narrativer Langfilm, der den Titel „Pocahontas returns“ tragen wird. Es geht um die Faszination zwischen der „Alten“ und der „Neuen“ Welt und um Länder wie Bolivien und Peru, wo Schamanismus als Tourismusattraktion und Retreat beworben werden. Aktuell bin ich dabei die Finanzierung dafür aufzustellen.

ArtinWords: Vielen Dank für das spannende Gespräch und viel Erfolg auf der weiteren Tournee von „Ophelia“.

Zeitplan der Wanderausstellung OPHELIA

  • Dezember 2017: Special Project - Videoskulptur, CONTEXT Art Miami presented by Jaeckel Gallery, Miami, USA
  • Februar 2018: New Ear Festival - Live Performance, Fridman Gallery in New York, USA
  • März 2018: Einzelausstellung - Live Performance & Videoskulptur, Minnesota Street Project by AKArt, San Francisco, USA
  • September 2018: Einzelausstellung - Live Performance & Videoskulptur, Moltkerei e.V., DC Open Gallery Weekend, Köln, Deutschland
  • September-Oktober 2018: Creative Climate Awards - Videoprojektion, Human Impacts Institute, Tapei Economic and Cultural Office (TECO), New York, USA
  • September-November 2018: Einzelausstellung - 3 Channel Videoprojektion, Nube Gallery in Santa Cruz, Bolivien
  • Februar-Juni 2019: Einzelausstellung - Live Performance & Videoskulptur, Museum Schauwerk in Sindelfingen, Deutschland
  • April 2019: Staring at the Sun - Live Performance & Videoprojektion, Mile End Arts Pavillion, London, UK
  • September 2019: Einzelausstellung - Live Performance & Videoskulptur, Gallery Weekend Berlin, Deutschland

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Nora Höglinger
* 1987 in Rohrbach/OÖ, Studium der Kunstgeschichte und Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris. Seit 2009 im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig. Publikationen u.a. für die Sammlung Verbund Wien, BOZAR Brüssel, Hamburger Kunsthalle und Kunst im öffentlichen Raum Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Köln.