Christo und Jeanne-Claude entwickelten von 1958 bis 1964 in Paris ihre signifikante Handschrift. Die Ausstellung beleuchte die Geschichte der eingehüllten Brücke Pont-Neuf (1975–1985) und ist als Auftakt für das Projekt des eingehüllten Triumphbogens zu verstehen. Christo hat bereits 1962/63 erste Zeichnungen dazu geschaffen. Coronabedingt findet diese Aktion vom 18. September bis 3. Oktober 2021 statt.
Frankreich | Paris: Centre Pompidou, Galerie 2, Ebene 6
1.7. – 19.10.2020
Die sieben Jahre zwischen 1958 und 1964, die Christo in Paris lebte, waren ungemein bedeutend für seine Entwicklung als Künstler. Er überschritt die Gattungsgrenze der Malerei, als er anfing, Alltagsgegenstände zu verpacken und temporäre Kunstwerke im öffentlichen Raum zu schaffen. Christo begann auch, Kunstwerke in monumentaler Dimension konzipieren, indem er zahlreiche temporäre Projekte für den öffentlichen Raum zu planen.
Der erste Abschnitt der Ausstellung zeigt rund 80 Werke aus den Jahren 1958, als Christo und Jeanne-Claude einander zum ersten Mal trafen, und 1964, als sie nach New York zogen. Der zweite Abschnitt der Schau „Christo und Jeanne-Claude. Paris!“ dokumentiert die Arbeit Pont-Neuf und zeichnet den Weg von der Konzeption bis zur Realisierung von „The Pont-Neuf Wrapped, Paris“ (1975–1985) nach. Eine Sammlung von rund 300 Objekten, darunter Originalzeichnungen und Collagen, ein Modell (1981–1991), Fotografien von Wolfgang Volz, Dokumente, Ingenieurstudien und originale Komponenten des realisierten Projekts. Im Zentrum der Ausstellung läuft der Film „Christo in Paris“ (1990) von Albert und David Maysles (1926–2015/1931–1987), die zehn Jahre im Leben von Christo und Jeanne-Claude dokumentieren: In dieser Zeit widmeten sie sich dem Projekt „Pont-Neuf Wrapped“, gleichzeitig erzählt der Film die Biographie dieses außergewöhnlichen Künstlerpaares, das einige der spektakulärsten Werke des 20. und 21. Jahrhunderts produziert hat.
Christo (Christo Vladimirov Javacheff) und Jeanne-Claude (Jeanne-Claude Marie Denat) wurden beide am 13. Juni 1935 geboren. Christo kamen im bulgarischen Gabrovo und Jeanne-Claude im marokkanischen Casablanca zur Welt. 1956 floh Christo aus dem kommunistischen Bulgarien nach Prag, 1957 entkam er zuerst nach Wien und dann nach Genf. Er ließ sich schließlich im März 1958 in Paris nieder, wo er die 23-jährige Jeanne-Claude traf. Trotz seiner klassischen Ausbildung an der Nationalen Kunstakademie in Sofia gelangte Christo während seiner Pariser Jahre zu einer eigenen künstlerischen Sprache. Für ihn wurde das Arbeiten mit Textur, Oberfläche, Objekte, Größe und Aneignung des Raumes wichtig. In den frühen 1960er Jahren beschritt er mit seinen frühen Werken einen neuen Weg und wurde Mitglied der Künstlergruppe Nouveau Réalisme rund um den Kunstkritiker Pierre Restany. Jeanne-Claude begann mit Christo zusammenzuarbeiten und ihn mit ihrem Organisationstalent zu unterstützen. Bekannt wurde das Künstlerpaar durch ihre selbstfinanzierten (!), monumentalen, aber immer nur temporären Projekte, die gratis zu besuchen waren.
Als Christo in Paris ankam, verdiente er seinen Lebensunterhalt als Porträtist von Familien der High-Society. Die meisten seiner Bilder signierte mit seinem Nachnamen: „Javacheff“. Aber im kleinen Dienstbotenzimmer, in dem er lebte und arbeitete, begann er das zu erschaffen, was er sein „Inventar“ nannte – eine Sammlung kleiner Dosen, Flaschen, Kisten und später Fässer, in Stoff gewickelt, mit Lack versteift und mit einer Schnur zusammengebunden. Diese neuartigen Kunstwerke signierte er mit seinem Künstlernamen „Christo“. Zu dieser Art der Verhüllung inspirierte Christo die Oberfläche:
„Es ging nicht so sehr darum, ein Objekt machen, aber mehr um die Textur des Objekts selbst.“
Kontinuierlich experimentierte Christo mit unterschiedlichen Objekten und nannte sie beispielsweise „Surfaces d’Empaquetage [Verpackungsoberflächen]“. Die wenig bekannte und erstmals im Centre Pompidou ausgestellte Serie besteht aus gefaltetem und zerknittertem lackiertem Tuch oder Papier, das er gewaschen zu Reliefs und Cratères umgestaltete. Die äußerst beeindruckende physische Präsenz entsteht durch die Oberflächenbeschichtung aus Sand, Farbe und Leim vermischt mit Staub, die ein erdiges Aussehen erzeugt. Das wie ein Stück Mondoberfläche wirkende Flachrelief kann als Antwort Christos auf Jean Dubuffets sehr strukturierte Werke der 1950er Jahre gedeutet werden.
Die meisten von Christos legendären „Empaquetages [Paketen]“ entstanden zwischen 1958 und den frühen 1960er Jahren. Er wickelte einfach Alltagsgegenstände ein. Anfangs benutzte er dafür Stoff, zuerst lackiert und gewaschen, später unbeschichtet und einfach gefaltet und mit Seilen oder Schnur zusammengebunden. Nach und nach veränderte sich das Aussehen der „Pakete“, da Christo Polyethylen verwendete. Polyethylen, das genauso durchsichtig wie robust ist, erwies sich als der ideale Werkstoff für das Einwickeln auch von monumentalen Objekten und Luft.
Christos erste Kunstwerke im öffentlichen Raum waren vorübergehend aufgestellte Strukturen aus gestapelten oder gestapelten Fässern. Die meisten dieser Kunstwerke sammelte er in einem Atelier in Gentilly, am Stadtrand von Paris. Christo selbst erklärte seine Materialwahl so:
„Ich fand, dass die zylindrischen Ölfässer schon so aussahen wie Skulpturen selbst. Das verschüttete Öl, die ausgebleichte Farbe, Rost, Unebenheiten - ich fand sie sehr bezaubernd, sehr schön, weil sie „echt“ waren.“
Als Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 verbarrikadierten Christo und Jeanne-Claude in der Nacht vom 27. Juni 1962 eine der engsten Straßen in Paris, die Rue Visconti. Eine Wand aus 89 Fässern bildete eine provisorische Grenze: „Mur provisoire de tonneaux métalliques - Le Rideau de fer, Rue Visconti, Paris, 1961-1962 [Temporäre Mauer aus Ölfässern - Der Eiserne Vorhang, rue Visconti, Paris, 1961/62] war das zweite temporäre Projekt, das Christo und Jeanne-Claude gemeinsam bauten, bevor die Polizei sie zwang, die Skulptur wieder abzutragen.
1961 machten Christo und Jeanne-Claude auch ihren ersten Vorschlag, ein öffentliches Gebäude (Konzertsaal, Konferenzsaal, Gefängnis, Parlament...) zu verhüllen. Zu dieser Zeit lebte Christo in der Nähe des Arc de Triomphe und führte mehrere Studien diesem Projekt durch. Darunter befindet sich die Fotomontage “Édifice public empaqueté (Projet pour l’Arc de Triomphe, Paris) [Eingewickeltes öffentliches Gebäude (Projekt für The Arc de Triomphe, Paris)]“. Eigentlich hätte dieses Projekt im Frühjahr 2020 verwirklicht werden sollen. Coronabedingt wird es im Herbst 2021 umgesetzt.
Die Geschichte von Christo und Jeanne-Claudes großem Stadtprojekt für Paris wird im zweiten Teil der Ausstellung erzählt. Die „Pont-Neuf Wrapped Documentation Exhibition“ ist eine Sammlung von 337 Artikeln, darunter 36 Originalzeichnungen und Collagen, ein großes Modell, Original-Archivdokumente, technische Komponenten, Originalteile aus dem abgeschlossenen Projekt und etwa 200 Fotografien von Wolfgang Volz. Volz war über 40 Jahre lang der dokumentierende Fotograf der Arbeiten von Christo und Jeanne-Claude, begleitete das Künstlerpaar rund um den ganzen Globus.
Die Idee einer Dokumentation, die Christo und Jeanne-Claude für jedes Projekt machten, entstand, um die Erinnerung an ihre temporären Kunstwerke zu erhalten. Gleichzeitig vermitteln sie damit die Größe und Komplexität der Installationen. Indem man mit Christo und Jeanne-Claude ihre Geschichten vom ursprünglichen Konzept über den Genehmigungsprozess und schließlich zur Realisierung verfolgen kann, bekommt man einen kleinen Einblick in die organisatorische Leistung Jeanne-Claudes und der Hartnäckigkeit Christos.
Bereits 1975 entwickelten Christo und Jeanne-Claude die Idee, die Brücke Pont-Neuf mit goldenem Sandsteinpolyamid einzuwickeln. Damit deckten sie die Seiten, die berühmten 12 Bögen über der Seine, die Brüstungen, Ränder und Gehwege ab, sodass die Besucher auf dem Stoff gingen. Weiters waren auch die 44 Laternenpfähle, die Seiten der Insel an der Spitze der Île de la Cité und der Esplanade du Vert-Galant mit goldglänzendem Stoff verhüllt.
„Seit mehr als 400 Jahren war die Pont-Neuf Gegenstand von Hunderten von Kunstwerken. Als sie zwei Wochen lang verpackt wurde, wurde sie zu einem Kunstwerk selbst."
Nach Jacques Callot, William Turner, Pierre-Auguste Renoir, Albert Marquet, Camille Pissarro, Brassaï und Pablo Picasso, fügten Christo und Jeanne-Claude ein neues Kapitel an die Geschichte der Pariser Brücke. Das temporäre Kunstwerk war tief verbunden mit dem städtischen Gefüge und dem wirklichen Leben der Stadt. Es betonte die architektonische Struktur der Brücke und zeigte einen neuen Ansatz für seine Dimension, seine Beziehung zur Umgebung, ihre Funktion und die Art und Weise, wie man damit umgeht. Wie alle temporären Werke von Christos und Jeanne-Claude war „The Pont-Neuf Wrapped, Paris, 1975–1985“ nur für sehr kurze Zeit zu sehen (von 22. September bis 6. Oktober 1985). Das Projekt erforderte erhebliche technische und personelle Ressourcen, darunter etwa zehn Jahre Verhandlungen mit lokalen Politikern und Bewohnern.
Christo und Jeanne-Claudes temporäre Großprojekte wurden ausschließlich durch den Verkauf von Christos originalen Vorstudien, Zeichnungen und Collagen, maßstabsgetreuen Modellen und Werken aus den 1950er und 1960er Jahren finanziert. Das Künstlerpaar erhielt nie öffentliche oder private Mittel, um gänzlich unabhängig agieren zu können.
„Alle unsere temporären Projekte sind sehr nomadisch, im Übergang und immer in Bewegung. Sie sind einmal im Leben und bleiben nur in unseren Erinnerungen. Diese Qualität ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit. Es ist sehr menschlich: Nichts hält ewig, das ist die Schönheit von am Leben sein."