Farbenfrohe Patchwork-Arbeiten und dekorative Muster auf der einen, politisch-emanzipatorischer Anspruch auf der anderen Seite – die Pattern and Decoration-Bewegung vereint vermeintliche Widersprüche. Sie entwickelt sich Mitte der 1970er Jahre in den USA, getragen von so vielen Frauen wie keine andere Kunstbewegung zuvor. Die fast vergessenen Pionierinnen brechen radikal mit der vorangegangenen puristischen Minimal Art und der rationalistischen Konzeptkunst, indem sie Fantasie, Farbe, Formenvielfalt und das Affektive in die Kunst zurückholen.
Bislang sind die Werke der Pattern and Decoration-Bewegung in Europa kaum rezipiert worden. Das Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, das die größte öffentliche Sammlung dieser Kunstbewegung im europäischen Raum beherbergt, unternimmt mit diesem Ausstellungs- und Publikationsprojekt eine umfassende Aufarbeitung und Neubewertung des Themas.
Deutschland / Aachen: Ludwig Forum
21.9.2018 – 13.1.2019
Österreich / Wien: mumok –Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig
23.2. – 8.9.2019
Vertreterinnen und Vertreter wie Joyce Kozloff, Valerie Jaudon, Robert Kushner und Miriam Schapiro hinterfragen nicht nur tradierte Vorstellungen von Kunst, sondern thematisieren auch politische Fragen wie den Stellenwert von Frauen, der amerikanischen First Nations oder von ethnischen Minderheiten im Kunstbetrieb und in der Gesellschaft. Pattern and Decoration kann damit als Vorreiter einer neuen Kunst gelten, die sich von einem männlich und westlich dominierten Kunstbegriff befreien möchte. Diesen politisch-globalen Anspruch und ihre Kritik am Eurozentrismus artikuliert die Bewegung durch eine Ästhetik mitreißender Leichtigkeit und verführerischer Schönheit: mit Arbeiten, die Sinnlichkeit, Farbe und ornamentale Muster feiern und in denen gleichermaßen sozialkritische Inhalte und das Erlebnis unmittelbarer Lebensfreude transportiert werden.
Mit rund 80 Arbeiten wird erstmals in Europa wieder die ganze Vielfalt der Pattern and Decoration-Bewegung gezeigt: von orientalisch anmutenden Mosaiken über monumentale Textilcollagen, Malereien und Grafiken bis hin zu Rauminstallationen und Video-Performances. Hinzu kommen ausgewählte zeitgenössische Arbeiten etwa von Polly Apfelbaum, Christine Streuli oder Rashid Rana. Sie zeigen auf, wie sehr die formalen und inhaltlichen Errungenschaften von Pattern and Decoration bis heute nachwirken. Das Interesse der Bewegung an Bildelementen nicht-westlicher Kunstströmungen ist im Zuge der Diskussion um eine „globale Kunstgeschichte“ – regelmäßig in großen Kunstschauen wie der documenta verhandelt – aktueller denn je. Befreit vom berühmten Stigma „Ornament ist Verbrechen“ (Adolf Loos, 1908) hat Ornamentik, bei aller dekorativen Wirkung, immer auch weltanschauliche und symbolische Bedeutung und dient den Künstlerinnen und Künstlern bis heute zur Reflexion über die eigene Kultur sowie als Mittel der Kritik: an politischen Systemen, an weiblichen Rollenmustern, an gesellschaftlichen Konventionen und Erwartungen.
Die Künstlerin Joyce Kozloff (* 1942) ist eine der prominentesten und feministisch engagierten Mitglieder der Pattern and Decoration-Bewegung. Ihr großes, farbenprächtiges Bodenmosaik „Ceramic Tile Floor“(1978/79) verwischt die Grenze zwischen Kunst und Kunsthandwerk. Kozloff setzt üppige Felder aus sechseckigen, rauten- und sternförmigen Keramikkacheln zusammen, welche sie eigens mit Plätzchenförmchen ausgestochen, gebrannt und z.T. mit feinsten Mustern bemalt hat. Eine ornamentierte Siebdruck-Arbeit auf Seide, welche flankiert wird durch schmale lange Felder aus dicht besetzten Keramikkacheln, ist an der Wand installiert und erweitert so das Bodenmosaik um eine weitere räumliche Ebene. In ihren Grafiken analysiert Kozloff Möglichkeiten ornamentaler Gestaltung: Wiederholung, Mustervariation und Musterkomposition. Die Bandbreite der häufig von den Kulturen des Islams und Mexikos inspirierten Muster reicht von floralen Formen bis zu geometrischen Gitterstrukturen.
Einen zeitgenössischen Umgang mit Mustern und ornamentalen Strukturen präsentiert Christine Streuli, die mit den Ausdrucksformen der Malerei experimentiert, mit der Strahlkraft von Farben, Mustern und Zeichen. Bekannt wurde die Künstlerin mit ihren großformatigen, durchweg farbigen und ornamentalen Bildern. Mit Schablonen, Spraydosen und Sprühpistolen geht die Künstlerin Leinwände und Räume an und erweitert mit ihren Bildern virtuos die Grenzen der Malerei. Ihre Arbeiten lassen sich als Farbmanifeste lesen, die von unterschiedlichsten kulturellen Quellen inspiriert sind und welche die Künstlerin zu einem dichten Kosmos vereint. In zahlreichen Schichten überlagern sich abstrakte Muster mit schematischen, gegenständlichen Darstellungen.
Die Aachener Ausstellung zeigt unter anderem drei Großformate aus ihrer aktuellen Serie der „warpaintings“. Darin thematisiert Streuli ein weiteres, mit großer Aktualität aufgeladenes Muster: die militärische Camouflage. Sie überträgt Tarnmuster von Uniformstoffen verschiedener Nationen als Grundierung auf die Leinwand, greift aber anstelle von Erdtönen zu leuchtend bunten Farben und entzieht so dem Muster das Militärische. Mit abstrakt-expressiver Malerei zerstört sie die Untergründe, indem sie weitere Farbschichten auf die Leinwände sprüht, schüttet, spritzt oder druckt.
Kuratiert von Esther Boehle
Kuratorisch-wissenschaftliche Assistenz: Denise Petzold
Brad Davis, Frank Faulkner, Tina Girouard, Valerie Jaudon, Joyce Kozloff, Robert Kushner, Thomas Lanigan-Schmidt, Kim MacConnel, Miriam Schapiro, Kendall Shaw, Ned Smyth, Robert S. Zakanitch, Joe Zucker
Polly Apfelbaum (→ Polly Apfelbaum in Wien), Adriana Czernin (→ Adriana Czernin. Investigation of the Inside), Dan Hays, Christine Streuli, Rashid Rana, Lee Wagstaff, Heike Weber
Esther Boehle (Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen) und Manuela Ammer (mumok –Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien) (Hg.)
Mit Texten von Manuela Ammer, Esther Boehle, Michael Duncan, Amy Goldin, Valerie Jaudon, Joyce Kozloff, Holger Otten, Anne Swartz und Harald Szeemann.
Ca. 180 Seiten
ISBN: 978-3-96098-397-2 (D/E)
Verlag der Buchhandlung Walther König