Anton Kolig (1886–1950) verbindet in seiner Malerei die Moderne der Jahrhundertwende mit expressiven Tendenzen der Zwischenkriegszeit und abstrahierenden Auffassungen der Nachkriegszeit. Neben Herbert Boeckl, den Kolig nach dem Ersten Weltkrieg kennenlernte, zählt Kolig zu den wichtigsten Malern des Expressionismus Österreichs. Vor allem mit Porträts und großformatigen Jünglingsakten der 1920er Jahre gelang ihm der internationale Durchbruch, der 1928 durch eine Berufung an die Stuttgarter Akademie gekrönt wurde. Bis 1943 versuchte Kolig seine Vorstellung eines engen Meister-Schüler-Verhältnisses in Württemberg umzusetzen. Nach seiner Rückkehr nach Nötsch im Sommer 1943 distanzierte sich der nunmehr stärker realistisch malende Künstler zunehmend von der nationalsozialistischen Kunstdoktrin und entdeckte seine expressive Seite neu. Mit farbenprächtigen Spätwerken, in denen die Formen aufgelöst und menschliche Grundproblematiken angesprochen werden, führte der bei einem Bombenangriff schwer verletzte Kärntner Künstler in die expressiv-abstrahierende Nachkriegskunst über.
Österreich | Wien:
Leopold Museum, Grafisches Kabinett
22.9.2017 – 29.11.2018
Anton Kolig, der Sohn eines Zimmer- und Kirchenmalers aus dem nordmährischen Neutitschein, erhielt seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule (1904–1906) und der Akademie der bildenden Künste in Wien (1907–1909/11). Zu den wichtigsten Bekanntschaften des jungen Kolig zählten Franz Wiegele und Sebastian Isepp, die beide aus dem Dorf Nötsch im Kärntnerischen Gailtal stammten. Im Umgang mit den beiden jungen Männern zeigt sich bereits die schwärmerische Note, die auch in den folgenden Jahren Koligs Verhältnis zu seinen Männeraktmodellen kennzeichnete und aus der eine verdrängte homoerotische Neigung abgeleitet wird.
Kolig sammelte erste Ausstellungserfahrungen im Umfeld der von Egon Schiele gegründeten Neukunstgruppe. Seinen Durchbruch erzielte Anton Kolig mit der Ausstellungsbeteiligung in den Räumen des Künstlerbundes Hagen in Wien 1911. Hier war u.a. der Entwurf für das Deckenbild in der Patronatskirche von Kunewald bei Neutitschein (WVK 14) zu sehen, das vermutlich von Victor von Brauern in Auftrag gegeben worden war. Im Rahmen der Ausstellung traf Anton Kolig den Wiener Dichter und Ministerialbeamten Richard von Schaukal, der sich spontan entschloss, ein großformatiges Familienbildnis (WVK 30) bei Kolig in Auftrag zu geben. Im gleichen Jahr heiratete Anton Kolig Katharina, die Schwester von Franz Wiegele, und war damit Nötsch und der Familie Wiegele intensiv verbunden. Gemälde aus den Jahren vor dem Krieg zeigen, wie sehr sich Anton Kolig mit der Pariser Avantgarde beschäftigt hatte: der Pinselstrich von Paul Cézanne trifft in seinen Werken auf eine durchwegs naturalistische Farbigkeit. Leichte Deformationen und vor allem Bewegungsunschärfe, ergänzt durch Experimente mit dem Raum, führen in Richtung Moderne.
Ein von Gustav Klimt und Carl Moll 1912 ermöglichtes Stipendium in Frankreich wurde nach eineinhalb Jahren durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 jäh unterbrochen. Anton Kolig konnte mit seiner Familie über Italien in das schon vor Kriegsausbruch heimisch gewordene Nötsch im Kärntner Gailtal fliehen, musste jedoch alle Werke zurücklassen. Es ist daher kaum möglich, den Einfluss der französischen Kunst auf den sich formenden Maler nachzuvollziehen. Historische Aufnahmen der Werke lassen den Schluss zu, dass er die Formen zugunsten einer dichteren, farbigen Textur zunehmend auflöste. Den Ersten Weltkrieg überstand der Maler u.a. als Kriegsmaler des Kriegspressequartiers und Porträtist, wobei er sich in seinen Bildern allerdings einer naturalistischeren, formgebundeneren und in seinen Augen kunstferneren Ausdrucksweise bedienen musste.
Nach Ende des Kriegs zog sich Anton Kolig erneut nach Nötsch zurück, wo er eine Malschule begründete. Zu seinen Studenten zählten vor allem Söhne aus großbürgerlichen Familien, die sich zu einer künstlerischen Laufbahn berufen fühlten: Wolfgang von Schaukal, Gerhart Frankl und Theodor Herzmansky, Georg Pevetz, Rudolf Hradil. In den zehn Jahren in Nötsch entstanden Koligs berühmteste Männerakte und große Dekorationsaufträge u.a. für das von Clemens Hofmeister geplante Festspielhaus in Salzburg. 1928 als Professor nach Stuttgart berufen, widmete er sich der Lehre, wobei den Sommeraufenthalten in Nötsch weiterhin große Bedeutung zukam.
Das Leopold Museum besitzt mit „Am Morgen“ (1919), „Jünglingsakt (Grau)“ (1919), „Aufschwebender Genius (Skizze zum Deckengemälde der Feuerhalle der Stadt Wien)“ (1924), „Großer Spiegelakt“ (1926) und „Selbstbildnis mit blauer Jacke“ (1927) eine mehr als repräsentative Gruppe von Koligs Männerakten dieses Jahrzehnts. Der Vergleich mit Fotografien zeigt, dass der Künstler dieses Medium als Hilfsmittel einsetzte, um schwierig zu haltende Posen zu fixieren. Bewegung, oder besser ein Innehalten, von sehnsuchtsvollen oder melancholisch-nachdenklichen Jünglingen sind thematische Schwerpunkte. Der Atelierspiegel und sein Spiegelbild bringen raumöffnende Aspekte und Vielansichtigkeit in diese Darstellungen. Farbigkeit und Pinselschrift steigern einander zu einer flächendeckenden Struktur, die mit offenen Stellen im Kontrast steht.
Zu den Überraschungen in der Leopold-Ausstellung zählt nicht nur die reiche Auswahl an großformatigen, teils unvollendeten Werken Koligs, sondern vor allem dessen Farbigkeit. Der Expressionist arbeitete mit offenem, sehr spontanem Strich. Er positionierter seine Figuen zunehmend in kaum zu erfassenden räumlichen Strutkuren, die zudem eher psychologische Räume andeuten als den euklidschen Katenraum. Indem sich Anton Kolig von der rational konstuierten Raumillusion verabschiedete, setzte er zunehmend auf eine subektive Malweise, der auch individuell gewählte Farbtöne entsprachen. Beachtlich der Reichtum an Rot-, Rosé- und Pinktönen, die er beispieslweise für das Porträt der Opernsängerin „Marie Gutheil-Schoder als Potiphars Frau" (1923, Theatermuseum) verwendete.
Die weibliche Welt taucht in diesen Jahren einzig in den großformatigen Auftragsbildnissen und Koligs eigenen Familienporträts auf. Mit seiner Ehefrau Katharina hatte der Kärntner Maler fünf Kinder, vier Töchter und einen Sohn.
Die Berufung Anton Koligs an die Württembergische Akademie in Stuttgart verband ein regelmäßiges Einkommen, sozialen Aufstieg mit jenem stabilen Lehrbetrieb, den der Maler in Nötsch vergeblich aufbauen wollte. Die Arbeit der vorangegangenen Jahre wurde offensichtlich von der Kärntner Landesregierung verfolgt und Kolig erhielt den Auftrag, den Sitzungsraum des Klagenfurter Landhauses mit Fresken auszustatten. Kolig entwickelte dafür ein Konzept, das die Apotheose der Kunst in der sozialen Verfassung des Werkstattbetriebs in Verbindung mit der Verherrlichung des Bundeslandes Kärnten vorsah. In einer Reihe von willkürlich aneinanderstoßenden Bildern stellte er sich selbst umgeben von Studenten und Modellen dar.
Mit dem „Schwäbischen Adam“ (1933) wandte sich Anton Kolig in seiner Malerei von den Nötscher Bildern ab. Das Verhältnis des Malers und Akademieprofessors zu den nationalistischen Machthabern ist noch nicht restlos geklärt und changiert zwischen Verfolgung seines Werks (Zerstörung der Klagenfurter Fresken) und Anbiederung (Realismus und heroische Überhöhung). Wenn der Maler der Kunstdoktrin der neuen Machthaber zu folgen suchte, so musste er sich doch eingestehen, damit gescheitert zu sein. Erst 1940 dürfte sich die politische Realität in Koligs Weltbild eingeschlichen haben, zeigen Gemälde der folgenden Jahre doch eine zunehmend expressive Gestaltung, die sich nach Ende des Kriegs Bann brach. Das „Stillleben mit Maiskolben, Totenschädel und Orchideen“ (1942) kann als Symbol innerer Emigration und Vergänglichkeit gedeutet werden.
Anton Kolig ließ sich 1943 pensionieren und übersiedelte im Sommer nach Nötsch. Hier wurde er bei einem Bombenangriff am 17. Dezember 1944 schwer verletzt. Dennoch malte der invalide Künstler bis zu seinem Lebensende 1950 unermüdlich und nach dem Zweiten Weltkrieg in einem expressiven, farbig intensiven, nahezu aufgelösten Stil.
Die Abkehr von der nationalsozialistischen Kunst gelang Anton Kolig spätestens mit „Atombombe“ (1944), das den angstvollen Künstler in kontrastierenden Farben vor einer explodierenden Atombombe zeigt. Nur wenig später wurde der Maler Opfer eines Bombenabwurfs in Nötsch: Franz Wiegele fand dabei den Tod, Anton Kolig und seine Frau wurden schwer verletzt aus ihrem Haus geborgen. Kolig ging von diesem Zeitpunkt an Krücken und konnte nur noch sitzend malen. In den letzten Jahren malte Anton Kolig Bilder von leuchtender, kontrastvoller Farbigkeit, in denen er über das Leben nachdachte. „Die Sonnensucher“ (1947) steht prototypisch für die Hinwendung des Malers zu Themen menschlichen Verhaltens: Während die tanzende Gruppe im Vordergrund mit einer Laterne ausgerückt ist, um die Sonne zu suchen, findet sie ein Unbedarfter während er seine Notdurft verrichtet. Werden und Vergehen, in Form von Kreismotiven auch Tanz bzw. Kreislauf des Lebens sind neben religiösen Sujets die wichtigsten Inhalte von Anton Koligs Spätwerk.
Kuratiert von Franz Smola
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