Als erste in Österreich präsentiert die SAMMLUNG VERBUND eine Retrospektive der jung verstorbenen, amerikanischen Fotokünstlerin Francesca Woodman (Denver (Colorado, USA) 3. April 1958–19. Januar 1981 New York). Das Ausnahmetalent hatte bereits als Studentin an der Rhode Island School of Design (RISD) in Providence 1976 ihre erste Einzelausstellung und galt als aufstrebender Stern der New Yorker Kunstszene, als sie im Jänner 1981 freiwillig aus dem Leben trat. Das fotografische Werk entstand im Dialog ihres Körpers mit leerstehenden Räumen und literarischen Vorbildern wie Marcel Proust aber auch der griechischen Mythologie. Vieler ihrer Bilder inszenieren ihren Körper als ein sich auflösendes Objekt, als ob er Teil der verfallenden Ausstattung wäre. So stellte sich Woodman der Vergänglichkeit und machte diese im Medium Fotografie spürbar. Ihre höchst atmosphärisch aufgeladene Schwarz/Weiß-Aufnahmen durchweht ein Hauch von Nostalgie und Geheimnis.
Österreich / Wien: VERBUND-Zentrale, Vertikale Galerie
29.1. - 21.5.2014
Francesca Woodman begann bereits als Dreizehnjährige zu fotografieren und entwickelte ihre Aufnahmen selbst in der Dunkelkammer.1 Schon früh hatte sie ein eigenes Studio, arbeitete in verlassenen, unbewohnten Fabrikräumen mit hohen, großen Fenstern, da sie stets mit Tageslicht fotografierte. Ihr Werk umfasst zahlreiche kleine, schwarz-weiße, quadratische Fotografien, Videos, großformatige Blaudrucke (Cyanotypien), Zeichnungen und einige Künstlerbücher. Die SAMMLUNG VERBUND besitzt 80 Fotografien und damit weltweit über den größten Bestand an Arbeiten.2 20 Fotografien dieser Ausstellung sind erstmals zu sehen. Im Katalog werden sie in Originalgröße publiziert, um die spezifische Positionierung des Bildes innerhalb des Fotopapiers zu veranschaulichen.
Bei Francesca Woodmans Fotoarbeiten handelt es sich um präzise arrangierte Inszenierungen, in denen der Raum, die abblätternde Farbe, Einrichtungsgegenstände wie eine Kamineinfassung, Spiegel, Rahmen und auch präzise ausgewählte Requisiten ihre eigenen Sprachen sprechen. Der zumeist nackte Körper der Künstlerin ist mittendrin, untendrunter oder gar verschwommen und in Auflösung sich befindlich. Manchmal wirkt sie wie eine geisthafte Erscheinung, die wie die abgewohnte Umgebung nicht in unsere Zeit zu gehören scheint. Woodman inszeniert flüchtige Momente, die alles andere sind als fruchtbare Hinweise auf die Begebenheiten und kleinen Geschichten, aus denen die Bilder gefallen sind.
Daher handelt es sich um keine Selbstporträts, in denen das Ich der Künstlerin thematisiert würde, sondern um künstlerische Umsetzungen von Fragilität, Vergänglichkeit aber auch Verletzlichkeit mit Hilfe von „Posen der Selbstverdinglichung“ (Elisabeth Bronfen, S.16). Woodman geht jedoch über das reine Nachstellen vorgängiger Weiblichkeitsbilder hinaus.
Durch ihr Elternhaus war Francesca Woodman früh mit der Geschichte der Kunst vertraut gemacht worden. So verwundert es vielleicht wenig, dass sich die heranwachsende Künstlerin mit griechischer Mythologie, christlicher Ikonografie und berühmten Kompositionen beschäftigte. Manchmal reinszenierte sie die Vorbilder und deutete die Requisiten um, und manchmal erfand sie neue Bildlösungen für alte Mythen.
Deutlich öfter als, nennen wir es, einen erzählerischen Zugang zur Fotografie, findet sich im Werk von Francesca Woodman jedoch ein Arbeiten mit formalen Entsprechungen. Immer wieder nutzt sie ihren Körper, um Formen, sei es die Gestalt des Raumes, sei es ein mitgebrachtes Requisit, seien es die Natur, nachzuzeichnen. Sie windet sich wie ein Aal in der Schüssel, sie verwandelt ihre Hände in Baumstämme (eine Daphne-Variation?), sie folgt mit ihrem Körper den Wänden und der Ecke eines Raumes und setzt ihn in ein Verhältnis mit menschlichen Dimensionen. Eine Weiterentwicklung finden diesen Fotografien im Künstlerbuch „Some Disordered Interior Geometries“: Die Euklidsche Geometrie wird dadurch eine Prüfung durch den Körper unterzogen, auf Berechnungen von Dreiecken folgen Raumecken in Relation zum menschlichen Körper.
Das auffallendste Merkmal von Francesca Woodmans Arbeit, abgesehen davon dass sie sich selbst nackt inszenierte, ist die eigentümliche Anmutung, die Fotografien wären zeitlos. So als wären sie aus der Zeit gefallen. Woodmans Aufnahmen verraten das Interesse der Künstlerin am Symbolismus - v.a. Max Klinger - und der Viktorianischen Epoche. Den Surrealist_innen schuldet sie so manche (unlogische) Kombination von Requisiten und in Erstaunen versetzende Körper-Möbel-Fusion. Ob die Vorliebe für Ecken wirklich von Irving Penn beeinflusst wurde, lässt sich wohl nur spekulieren. Dass aber, wie Gabriele Schor, Leiterin der SAMMLUNG VERBUND, in ihrem Aufsatz hervorstreicht, eine intensive Beschäftigung mit historischen Vorbildern manchmal direkt und manchmal indirekt eine Rolle spielte, kann als gesichert gewertet werden. Wie bereits die Ausstellung von Cindy Shermans Frühwerk 2013 gezeigt hat, können Arbeiten von Studentinnen der 70er Jahren vollgültige Kunstwerke sein. Woodmans frühe Reife ist aus nahezu jeder Aufnahme spürbar. Dass sie sich als junge Heranwachsende bereits einer derart konsequenten Bildsprache bediente, ist hierbei nur ein Aspekt. Fragen von Geschlecht, von Raumkonstruktion und Raumwahrnehmung, von formalen Entsprechungen, von Mythen und ihren Bildern u.v.m. zeugen von einem herausragenden Talent.
Am 3. April 1958 wird Francesca Woodman in Denver, Colorado geboren. Sie ist die Tochter des Künstlerpaares Betty und George Woodman, das sich sehr für Italien interessiert. Daher erhält Francesca einen italienischen Vornamen.
1959–1960 Einjähriger Italienaufenthalt
1964–1965 Besuch der 1. Klasse der Volksschule in Boulder, Colorado, und Klavierunterricht.
1965–1966 Einjähriger Aufenthalt in Florenz, wo Francesca Woodman die 2. Klasse Volksschule besucht und Italienisch lernt.
1966–1972 Rückkehr nach Boulder. Schulbesuch und Klavierunterricht.
1968 Sommer in Fiesole (I). Woodmans Eltern kaufen ein altes Bauernhaus in Antella bei Florenz.
1969 Erster Sommeraufenthalt in Antella.
Herbst 1972–Sommer 1973 Besuch der Abbott Academy in Andover, Massachusetts, ein privates Mädcheninternat und eine der wenigen amerikanischen Highschools, die Kunstunterricht anbieten. Begeistert sich für die Romane der Colette. Entdeckt die Fotografie. Macht aus ihrem Zimmer ein Fotostudio, das Bett wird in einen Schrank verbannt. In dieser improvisierten Dunkelkammer macht sie die ersten Abzüge ihrer Fotografien.
Sommer 1973 Aufenthalt in Antella. Es entsteht die Fotografie „Self portait at thirteen“.
1973–1974 Die Abbott Academy schließt 1973. Ausgewählte Studentinnen, darunter Francesca Woodman, werden eingeladen, an die Phillips Academy in Andover, Massachusetts, zu wechseln. Sie erkennt, dass die Schule nicht ihren Interessen entspricht, und beschließt nach ihrem zweiten Internatsjahr, nicht mehr dorthin zurückzukehren.
Sommer 1974 Aufenthalt in Antella.
1974–1975 Schließt die Highschool in Boulder, Colorado, ab. Die Eltern verbringen das Jahr in Antella, und Francesca Woodman wohnt bei einer Kollegin von Betty Woodman. Aufgrund zusätzlicher Kurse und eines Sommerstudiums kann Francesca Woodman die Highschool ein Jahr früher beenden. Besuch einiger Fotografiekurse an der University of Colorado, Boulder, bei Kollegen ihrer Eltern.
Sommer 1975 Aufenthalt in Antella.
1975–1976 Woodman schreibt sich an der Rhode Island School of Design (RISD) in Providence, Rhode Island, ein. Sie besucht Lyrikklassen und wird von Aaron Siskind unterrichtet. Bald zieht sie für zwei Jahre in ein Atelier in Pilgrim Mills, einer ehemaligen, weitgehend untegnutzten Textilfabrik in Providence. Auf dem Bewertungsbogen ihres Fotografieprofessors Douglas Prince heißt es: „Dank Ihrem Hintergrund und künstlerischen Engagement sind Sie zu einer interessanten Studentin in Photo II geworden. Ihre Konzepte übertreffen das Niveau der Klasse bei weitem (…). Ich glaube, die größte Herausforderung für Sie wird darin bestehen, Disziplin und Freiheit miteinander zu verbinden, um das Bestmögliche aus Ihren Ideen herauszuholen und die Erwartungen an sich selbst aufrechtzuerhalten, ohne allzu selbstkritisch zu werden oder Angst davor zu haben, Fehler zu machen. Ihr Werk ist geistvoll, und sie sollten zulassen, dass es so weit wie möglich wächst.“
März 1976 Erste Einzelausstellung in der Addison Gallery of American Art, Andover, Massachusetts. Erste Gruppenausstellung „Juried Competition“ in der Woods-Gerry Gallery, RISD, Providence, Rhode Island.
April 1977 Gruppenausstellung „Womanspace“ in Boulder, Colorado.
Mai 1977–August 1978 Einjähriger Aufenthalt in Rom, wo sie am römischen Campus der RISD im Palazzo Cenci Kurse besucht. Freundschaft mit italienischen Künstlern. Woodman mietet eine Wohnung in der Via dei Coronari an der Piazza San Salvatore in Lauro in der Nähe der Piazza Navona. Frequentiert die Libreria Maldoror in der Via di Parione, die im selben Jahr von Giuseppe (Cristiano) Casetti und Paolo Missigoi gegründet worden war. Die Libreria Maldoror ist auf Bücher künstlerischer Avantgardebewegungen wie Futurismus und Surrealismus spezialisiert und stellt auch Kunst aus. 1977 funktioniert der Künstler Giuseppe Gallo die leere, heruntergekommene Pastificio Cerere (eine alte Pastafabrik) in der Via degli Ausoni in einen Kunstraum um. Es wohnt und arbeitet dort seit den 70er Jahren die Gruppe San Lorenzo, darunter Marco Tirelli (Biennale 2012), Nunzio, Pizzi Canella u.a. Francesca Woodman inszeniert dort die Serie „Angel“. In der Fassi-Bar auf der Piazza Fiume entsteht in Zusammenarbeit mit Sabina Mirri auch die „Glove Series“ (1977), die sich auf Max Klingers „Phantasien über einen gefundenen Handschuh, der Dame, die ihn verlor, gewidmet“ (1881) bezieht. In Rom schafft sie außerdem im Souterrain des vom RISD genutzen Palazzo Cenci die Serien „Eel“ und „Self deceit“.
März 1978 Erste europäische Einzelausstellung im Souterrain der Libreria Maldoror. Den Einladungskarten fügt sie neben der Adresse jeweils einen originalen Kontaktabzug bei. Am 30. März 1978 erscheint die erste, von Edith Schloss verfasste Rezension in der International Herald Tribune: „Diese junge amerikanische Fotografin, die auch Malerin ist, sagte, sie wolle mit der Fotografie das einfangen, was sich auf keine andere Weise einfangen lässt.“
Mai 1978 Teilnahme an der Gruppenausstellung „Groupshow“ in der RISD-Galerie im Palazzo Cenci.
Juni/Juli 1978 Francesca Woodman’s Arbeiten werden zusammen mit jenen von Bruno Ceccobelli, Gianni Dessi, Giuseppe Gallo und Angelo Segneri in der Gruppenausstellung „Cinque Giovani Artisti“ in der Galerie Ugo Ferranti gezeigt.
Herbst 1978 Francesca Woodman kehrt nach Providence, Rhode Island, zurück, um dort ihr letztes Semester an der RISD zu absolvieren.
16.–22. November 1978 Dritte Einzelausstellung unter dem Titel „Swan Song“ in der Woods-Gerry Gallery, RISD, Providence, Rhode Island.
Januar 1979 Umzug nach New York City in eine Wohnung an der Second Avenue, die zugleich ihr Atelier ist und in der zahlreiche Fotografien entstehen.
Sommer 1979 Gemeinsam mit Benjamin Moore in Stanwood, Washington.
Herbst 1979 Umzug in eine Wohnung in der 12th Street im East Village, die sie auch als Atelier benutzt. Die Künstlerin funktioniert das Badezimmer in eine Dunkelkammer um und entwickelt ihre Schwarzweißfotografien in einer Badewanne. Erste Farbfotografien, die in einem kommerziellen Fotolabor ausgearbeitet werden. Jobt als Sekretärin, als Fotoassistentin und als Modell für Maler. Stellt Portfolios zusammen, die sie an verschiedene Modefotografinnen und Modefotografen schickt, darunter die von ihr geschätzte Deborah Turbeville.
19. April–17. Mai 1980 Gruppenausstellung „Beyond Photography ’80“ im Alternative Museum, New York. Sie zeigt „Blue Print for a Temple“, eine großformatige fotografische Rekonstruktion der Fassade eines griechischen oder römischen Tempels. Dabei verwendet sie Bilder von sich selbst und ihren Freunden als Karyatiden neben Details von Badezimmern im klassischen Stil. Der Einsatz von Blaupausen, die normalerweise von Architekten verwendet werden, ist Ausdruck ihres Wunsches, im großen Maßstab zu arbeiten. Im selben Jahr nimmt sie in der Daniel Wolf Gallery in New York an zwei weiteren Gruppenausstellungen, „Pictiorialism“ und „Friends of the Gallery“, teil.
Juli 1980 Fellow (Artist in Residence) in der MacDowell Colony in Peterborough, New Hampshire. Woodman entwickelt dort eine Serie von Kontaktbögen, die Korrespondenzen zwischen ihrem Körper und Naturgegenständen schildern. Für „Tree Piece“ fotografiert sie die Beine des hölzernen Esstisches im New Yorker Loft ihrer Eltern und macht Abzüge als großformatige sepiafarbene Diazotypien. Diese installiert sie während ihres Aufenthalts in MacDowell im Wald von Peterborough und bringt auf diese Weise ein Stück Natur zurück zu seiner Quelle. Weiters entstehen Fotografien, die den griechischen Mythos um Daphne thematisieren.
Herbst 1980 Überlebt einen Suizidversuch und zieht zu ihren Eltern, die ebenfalls in Manhattan wohnen. Während ihrer Genesungsphase liest sie Marcel Proust.
Januar 1981 Ein Verlag in Philadelphia veröffentlicht Francesca Woodmans Künstlerbuch „Some Disordered Interior Geometries“. Sie klebt ihre Fotografien in ein altes Geometrie-Übungsheft und versieht sie mit Notizen. Das Künstlerbuch ist eines von sieben existierenden Heften.
19. Januar 1981 Francesca Woodman nimmt sich im Alter von 22 Jahren in New York das Leben.