Francisco de Goya ein „Prophet der Moderne“? Beginnend mit kirchlichen Aufträgen aus den Anfangsjahren in Saragossa, über die Erfolge an der königlichen Teppichmanufaktur und der Stellung als Hofmaler bis zu den malerisch-technologischen Experimenten in seinem Exil in Bordeaux.
Die Fülle an Exponaten im KHM ermöglicht Einblicke in die unterschiedlichsten Formlösungen. Portraits, Teppichentwürfe, genrehafte Darstellungen aber auch phantastische Szenerien von Hexentreffen und Irrenhäusern sowie Stillleben zeugen von der Vielfalt an Themen, denen Goya sich als Hofmaler und Privatmann stellte (→ Francisco de Goya: Biografie).
Deutschland | Berlin: Alte Nationalgalerie Berlin
13.7. – 3.10.2005
Österreich | Wien: Kunsthistorisches Museum
18.10.2005 – 8.1.2006
In den Entwürfen für die königlichen Tapisserien begegnen uns anfangs fröhliche Szenen unbekümmerten Landlebens und höfischen Vergnügens sowie Majos und Majas (Madrilenen in volkstümlicher Tracht) in rokokohaften Farbtönen. Die Gegenüberstellung von Gemaltem und Gewirktem lässt eine Fokussierung auf statische Wirkung und detailgenaue Wiedergabe von sozialen Unterschieden deutlich werden. Die „Schaukel“ zeigt auf den ersten Blick eine heitere Szene mit ausgelassen lachenden Frauen und Kindern. Ein Mädchen schaukelt, eine ältere Dame führt ein behelmtes Kind am Gängelband. Die gelbe Blume in seinen Händen, wie auch sein Alter - im Kontrast zu dem seiner Amme - verweisen jedoch auf die Vergänglichkeit der Jugend. Die Schaukel wird mit der Ungewissheit der Zukunft und vor allem Instabilität des Glücks in Verbindung gebracht. So zeigt jede der Tapisserien bei genauer Betrachtung tieferen, symbolischen Inhalt.
Goya arbeitete seit 1775 für die königliche Tapisserie-Manufaktur, er wurde 1780 in der Madrider Akademie aufgenommen (verbunden mit persönlichem Adel und Privilegien) und 1785 Professor. Dieser berufliche und soziale Aufstieg wurde ab diesem Jahr mit vermehrten Portraitaufträgen der alten und einflussreichen Adelsfamilien gekrönt (→ Francisco de Goya. Porträts).
„Ich habe nun mein Leben in beneidenswerter Weise eingerichtet. Ich antichambriere überhaupt nicht mehr. Wer etwas will, muss mich aufsuchen, ich mache mich rar, und wenn es nicht eine ranghohe Persönlichkeit ist oder ein Auftrag von einem Freund, arbeite ich für niemanden. Doch je mehr ich mich bitten lasse, umso weniger lassen sie mich in Ruhe, und ich weiß nicht, wie ich alles erledigen soll.“1 (Goya in einem Brief an Martín Zapater)
Das Bildnis der Gräfin María Josefa de la Soledad, Herzogin von Osuna (um 1785, Privatsammlung, Madrid), verewigt eine der vornehmsten und für ihre Zeit emanzipiertesten Damen Madrids. Sie gibt sich stolz und präsentiert sich in der aktuellsten französischen Garderobe. Goya zeigt sich in seiner lockeren Malweise von Velázquez' Königinnenportraits (→ Diego Velázquez. Portaits und Rokeby-Venus) aber auch Rembrandts dunkle Hintergründe (→ Rembrandt van Rijn) stark beeinflusst.
Zum Wegbereiter der Moderne wird der Hofmaler jedoch durch sein reiches und bedeutendes Werk an kleinformatigen Gemälden und Drucken, die, wie er es in einem Brief an den Freund Iriarte 1794 beschrieb, aus eigenem Antrieb entstanden sind.
„Um meine Fantasie, die an der Versenkung in meine Leiden krankt, zu beschäftigen, und um wenigstens teilweise die großen Ausgaben, die meine Krankheit mich kostet, zu ersetzen, habe ich mich dem Malen einer Gruppe von Kabinettbildern gewidmet, in denen es mir gelungen ist, Beobachtungen zu mache, zu denen in der Regel die Auftragswerke keine Gelegenheit bieten, da in ihnen Laune und Erfindung sich nicht verbreiten können.“2 (Goya in einem Brief an Iriarte, Sekretär der Academia San Fernando)
Goya bedauerte in diesem Brief, dass sich in den Auftragswerken „keine Launen und Erfindung verbreiten könnten“. „Launen und Erfindung“ als Grundlage für bildnerische Schöpfungen, ein sich frei Fühlen von traditionellen und akademischen Zwängen wie auch eine subjektive Themenwahl, werden als entscheidende Umbrüche in der sozialgeschichtlichen Entwicklung des Künstlers gewertet. Begründet wird die Hingabe zu düsteren Themen und dramatischen Begebenheiten im Œuvre Goyas mit der tiefgehenden Erfahrung einer Krankheit, die ihn im Herbst 1792 in Cádiz (Andalusien) befallen hatte und an der er monatelang litt, sogar zu sterben glaubte. Erst Mitte 1793 galt er wieder als geheilt, konnte nach Madrid zurückkehren – war aber für immer ertaubt. Der Verlust des Gehörsinns, so vermuten die Experten, führte in der Folge zu einer ausgeprägten Beobachtungsgabe, zu einem vehementeren und schonungsloseren Demaskieren der menschlichen Handlungsweisen. Es entstanden in den folgenden Jahren die Serien der „Caprichos“ (ca. 1796/1797, Erstveröffentlichung 1799), der „Desastres de la guerra“ (1810–1820) und seine berühmten Hexendarstellungen, u. a. in der Serie „Torheiten“ (1816–1824) oder auch die in dem Brief an Iriarte erwähnten Kabinettbilder. Dazu zählt eine Serie von kleinformatigen, dunklen Szenen, die die Herzöge von Osuna erworben haben (z. B. „Feuer in der Nacht“, 1793-1794, 50 x 32 cm, Öl auf Zinnplatte (Privatsammlung)).
Hexen und Zauberer, die ihr magisches Unwesen treiben, sind eines der zentralen Themen in Goyas Spätwerk. Albträume von Kinder fressenden Frauen, Hexenflügen, Teufelsanbetungen, Verwünschungen und Morden scheint der Maler in den privaten Bildern auszuleben. Bezichtigte er darin den Volksglauben des Irrtums, indem er Legenden karikierte? Stellte sich Goya damit auf die Seite der Aufklärer, die versuchten gegen den Aberglauben anzukämpfen? Eindeutig werden diese Fragen wohl nie beantworten werden, hat ein Zeitgenosse Goyas doch diese Kompositionen folgendermaßen beschrieben: „Die Bilder sind so anspruchsvoll und detailreich, dass selbst Menschen mit sehr scharfem Verstand ihre moralische Bedeutung beim ersten Betrachten nicht gänzlich erfassen können.“
So undeutbar das Werk Goyas in manchen Bereichen ist, so spannend präsentiert es sich auch heute noch dem Betrachter. Die Gemälde, Zeichnungen und Drucke lassen einen bis ins hohe Alter aktiven Künstler erkennen, der sich trotz oder gerade wegen seiner Behinderung besonders in der Beobachtung des Menschen profiliert. Abgründe des menschlichen Verhaltens wie auch freudige Momente, aber auch Bizarres und Unerklärliches werden gleich überzeugend geschildert. Die fehlende Eindeutigkeit in der inhaltlichen Bestimmung mancher Bilderfindungen erlaubt daher eine umso persönlichere Auseinandersetzung mit dem in seiner ganzen Fülle erstmals in Österreich präsentierten Werk. Mit Goya (und seinen Zeitgenossen Füssli und Blake) beginnt die Zerrissenheit des Künstlers gegenüber der Welt, die Konzentration auf Themen des Alltags und des Phantastischen sowie die Ablehnung der Heilsgewissheit der Religion. Begründet wird diese neue Sicht der Welt mit Erfahrungen von Desillusion, dem Gefühl von Unsicherheit. Vielleicht macht gerade diese grundlegende Haltung das Werk Goyas in den letzten 20 Jahren für Forschung und Publikum so interessant.