„Schwertlilien“ (1889, J. Paul Getty Museum, Los Angeles) ist eines von Vincent van Goghs berühmtesten und eines der beliebtesten Bilder aus der Sammlung des Getty. Das Gemälde wurde in den letzten Jahren mit Hilfe moderner Konservierungswissenschaft untersucht. Dies ermöglicht erstmals eine Analyse der verwendeten Farben. Restaurator:innen und Kunstwissenschaftler:innen nutzten UV-Licht (= Schwarzlicht), um Materialien und Arbeitsmethoden des niederländischen Künstlers aufzudecken. Die Ausstellung zeigt erstmals, wie das Licht- und Farbverständnis des Künstlers seine Malpraxis beeinflusste. Schon jetzt lässt sich sagen, dass die langjährige Präsentation des Gemäldes im Sonnenlicht einige der Farben der „Schwertlilien“ unwiderruflich verändert hat. Ein so berühmtes Gemälde erscheint unter UV-Licht daher plötzlich ganz neu.1
USA | Los Angeles: The Getty Centre
1.10.2024 – 19.1.2025
„Wie gut hat er die exquisite Natur der Blumen verstanden!“
Diese begeisterten Worte stammen vom ersten Besitzer des Gemäldes „Schwertlilien“ oder „Irise“, dem französischen Kunstkritiker Octave Mirbeau, einer der ersten Förderer Vincent van Goghs. Als das Gemälde der blühenden Schwertlilien im September 1889 auf dem Salon des Indépendants in Paris ausgestellt wurde, rief es bei den Zeitgenoss:innen große Bewunderung hervor. Bis heute erfreut sich das Werk großer Beliebtheit, scheint es doch stellvertretend für die schwierigen Lebensumstände zu stehen, in denen sich der kranke Maler befand (→ Vincent van Gogh: Biografie).
„Seine Schwertlilien zerfetzen ihre violetten Teile gewaltsam über ihre lattenartigen Blätter. M. Van Gogh ist ein unterhaltsamer Kolorist, selbst in Exzentrizitäten wie seiner Sternennacht [über der Rhone]: auf dem Himmel, mit einem flachen Pinsel kreuz und quer in grobem mit einem flachen Pinsel kreuz und quer aufgetragene weiße, rosafarbene, gelbe Kegel, Sterne, direkt aus der Tube; orangefarbene Dreiecke werden im Fluss fortgeschwemmt, und in der Nähe einiger vertäuter Boote eilen barocke, unheimliche Wesen vorbei.“2
Am 8. Mai 1889 entschied sich Vincent van Gogh nach Selbstverstümmelung, Krankenhausaufenthalt und fehlender Unterstützung aus der Bevölkerung von Arles für die freiwillige Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt von Saint-Rémy-de-Provence [Maison de Santé]. Er wollte sich dort erholen und suchte Hilfe gegen seine Geisteskrankheit. Doch wollte er sich nicht nur mit seiner Genesung beschäftigen, sondern auch seine Malerei vorantreiben. Im Schutz der Krankenhausmauern, allen voran im Anstaltsgarten, aber auch in der Umgebung von Saint-Rémy schuf van Gogh im Jahr vor seinem Tod fast 130 Gemälde.3
Schon am Tag nach seiner Ankunft begann Vincent van Gogh, die tiefvioletten Schwertlilien im Garten der Klinik zu malen.4 Monumentale Schwertlilien überwuchern die Bildränder. Die heute beschnittene Komposition von 74.3 × 94.3 cm Größe wurde wahrscheinlich von japanischen Holzschnitten beeinflusst. In weiten Bereichen des Bildes unterteilte van Gogh das Motiv mit lebhaften Farben. Der Maler war fasziniert von Farbe und Licht und versuchte, die leuchtenden Farben seiner neuen Umgebung einzufangen. Dabei nutzte er sein Wissen über Farbwirkung, um die Lebendigkeit der Blumen zu verstärken. Die naturwissenschaftliche Untersuchung legt nun ein neues Detail offen: Die Blüten waren nicht Blau, sondern Rotviolett!
Unter den - heute blauen - Blüten findet sich eine weiße Lilie, die häufig mit der Selbstwahrnehmung des Künstlers in Verbindung gebracht wird: So fühlte sich Vincent van Gogh als Einzelgänger und Außenseiter, was in der anderen Farbigkeit der Blüte wiedergespiegelt wird. Jede von van Goghs Schwertlilien ist einzigartig. Er studierte sorgfältig ihre Bewegungen und Formen, um eine Vielzahl von geschwungenen Silhouetten zu schaffen, die von gewellten, gewundenen und gekräuselten Linien begrenzt werden.
Es sind keine Zeichnungen zu diesem Gemälde bekannt; der Maler selbst betrachtete es als Studie. Jedoch erkannte van Goghs Bruder Theo schnell die Qualität des Blumenbildes und reichte es im September 1889 beim „Salon des Indépendants“ ein, von wo er Vincent schrieb:
„[Es] fällt dem Auge schon von weitem auf. Es ist eine schöne Studie voller Luft und Leben.“
In einem Brief an seinen Bruder Theo (9. Mai 1889) erwähnte van Gogh, dass er begonnen habe, „violette Iris“ zu malen. Van Gogh war optimistisch über die entspannende Wirkung des Malens im Garten des Krankenhauses und schrieb:
„Ich glaube, dass meine ganze Arbeitskraft recht bald zu mir zurückkehren wird.“
Während des ersten Monats seines einjährigen Aufenthalts im Krankenhaus von Saint-Paul-de-Mausole war van Gogh auf das Gelände beschränkt, wo seine einzige Verbindung zur Natur der umzäunte Garten und der Blick aus dem Fenster seines Zimmers waren; erst später durfte er sich in Begleitung eines Aufsehers auch außerhalb des Krankenhausgeländes bewegen. In einem frühen Beispiel der Kunsttherapie besuchte Vincent van Gogh häufig den Garten, um Trost beim Malen zu finden. Die Schwertlilien tragen direkte Spuren seiner Arbeit im Freien: Eingearbeitet in die Farbe sind Pollen von Kiefern, von denen es im Garten viele gibt.
Van Goghs Wissen zur Farbenlehre spielen eine entscheidende Rolle in seiner Kunst. Zentral für sein Verständnis waren die Arbeiten des französischen Chemikers Michel-Eugène Chevreul, dessen Gesetz des Simultankontrastes beschreibt, wie die Wahrnehmung einer bestimmten Farbe durch andere Farben in der Nähe beeinflusst wird. Chevreul postulierte, dass jede Farbe eine bestimmte Komplementärfarbe habe. So werden beispielsweise Rot, Gelb und Blau durch Grün, Violett und Orange ergänzt. Die Gegenüberstellung einer Primärfarbe mit ihrer komplementären Sekundärfarbe (d.h. Mischfarbe) – zum Beispiel Gelb mit Violett – intensiviert nach Chevreul beide Farben. Viele Künstler stießen auf Chevreuls Beobachtungen in Charles Blancs viel gelesener „Grammaire des arts du dessin“. In diesem Buch verwies Blanc auf die Verwendung von Komplementärfarben durch den Maler Eugène Delacroix (Franzose, 1798-1863), den van Gogh sehr bewunderte.
Vincent van Gogh malte oft mit leuchtenden Farben, von denen sich viele im Laufe der Zeit leider verändert haben. So auch die Schwertlilien. Seinem Bruder schrieb er deutlich, dass er an einem Bild mit „violetten Schwertlilien“ arbeitete. Heute sind die Blüten blau. Wissenschaftler:innen und Restaurator:innen des Getty Museums analysierten das Gemälde in den letzten Jahren mit wissenschaftlichen Instrumenten, die die Wellenlängen des gesamten elektromagnetischen Spektrums messen: sichtbares Licht, Ultraviolett- und Röntgenstrahlen. So konnte festgestellt werden, welche Pigmente van Gogh verwendete, wie er sie auftrug und wie sie sich möglicherweise veränderten. Das Ergebnis der Röntgenfluoreszenzanalyse5: Die meisten Schwertlilien in van Goghs Bild waren tatsächlich violett, eine Farbe, die van Gogh durch das Mischen von Kobaltblau mit einem inzwischen verblassten Rot namens Laque Géranium [Geraniumlack] erreichte.
Ein winziges Farbfragment von „Iris“ bot die Gelegenheit zu untersuchen, wie van Gogh eines der Blütenblätter gestaltet hat. Der Querschnitt zeigt mehrere Farbschichten. Die oberste Schicht ist an der Oberfläche blau - so wie wir es heute sehen - aber darunter liegt Violett, van Goghs ursprüngliche Farbmischung. Durch die Lichteinwirkung zu Beginn der Entstehung des Gemäldes verblasste der rote Anteil der ursprünglich violetten Farbe, was das Erscheinungsbild des Gemäldes dramatisch beeinflusst.
Geraniumlack, franz. Laque Géranium, ist ein leuchtend rosafarbenes, organisches Pigment, das im 19. Jahrhundert häufig von Künstler:innen verwendet wurde. Es basiert auf Eosin, einem synthetischen Farbstoff, der erstmals 1873 durch vollständige Bromierung von Fluorescein gewonnen wurde. Bereits im Jahr 2020 konnte ein internationales Forscher:innen-Team nachweisen, dass dieser Farbstoff unter Einwirkung von Licht und Sauerstoff verblasst.6 Insbesondere Vincent van Gogh schätzte diese Farbe und verwendete sie von seiner südfranzösischen Periode bis zum Ende seiner Karriere (1888–1890) ausgiebig. Davon zeugen nicht nur seine Gemälde, sondern auch mindestens acht Briefe, die er an seinen Bruder Theo in Arles, Saint-Rémy und Auvers-sur-Oise schrieb. Darin forderte er insgesamt 44 Tuben Laque Géranium von der Farbenfabrik Tasset et L’Hôte in Paris an. Dass die Farbe nicht farbecht war, musste Die Ausstellung im Getty Center, Los Angeles, ermöglicht einen Blick auf Vincent van Goghs „Schwertlilien“, der in dieser Form seit über 100 Jahren nicht mehr möglich war. Die Kuratoren haben eine gedruckte Rekonstruktion der „Iris“ neben das Original gestellt. Während das Original an der Wand hängt, lädt die Rekonstruktion auf einer Staffelei dazu ein, sich dem Schaffensprozess van Goghs anzunähern. Die nun frischere, kontrastreichere Variante mag überraschen, korrespondiert aber auch mit etwa zeitgleich entstandenen Bildern wie der „Sternennacht“ (→ Vincent van Gogh: Die Sternennacht). Eine wunderbare Gelegenheit, Vincent van Gogh ganz neu zu entdecken!