Artemisia Gentileschi (1593–1654 oder später) war eine italienische Malerin des Barock, die schon zu ihren Lebzeiten international berühmt war. Während einer viereinhalb Jahrzehnte dauernden Karriere lebte die Künstlerin in mindestens fünf verschiedenen Städten, wurde als erste Frau in die Accademia di Arte del Disegno in Florenz aufgenommen und arbeitete für einige der größten internationalen Kunstförderer ihrer Zeit.
Die heute als Artemisia Gentileschi bekannte Malerin wurde am 8. Juli 1593 in Rom als Artemisia Gentileschi Lomi geboren, obwohl ihre Geburtsurkunde im Archivio di Stato die Jahreszahl 1590 nennt. Artemisia war das älteste Kind des toskanischen Malers Orazio Gentileschi und der Prudenzia di Ottaviano Montoni. Bereits im Alter von zwölf Jahren wurde sie Halbwaise.
Artemisia Gentileschi wurde vermutlich ab 1608/09 in der Werkstatt ihres Vaters ausgebildet und zeigte bald viel mehr Begeisterung und Talent als ihre Brüder, die ebenfalls bei ihrem Vater in die Lehre gingen. Orazio Gentileschi war kurz nach 1600 sehr vom Stil Caravaggios beeinflusst, was er auch auf seine Tochter übertrug. Allerdings pflegte Artemisia einen noch naturalistischeren Stil als ihr Vater, der einen stärker idealisierten Stil pflegte. Da Frauen im frühen 17. Jahrhundert kaum in der Kunstwelt akzeptiert wurden, musste sich Artemisia Respekt und Anerkennung für ihre Arbeit hart erkämpfen.
Bereits im Alter von 17 Jahren schuf sie mit „Susanna und die Alten“ (Schönborn, Pommersfelden) ihr erstes Historiengemälde, das sie signierte und datierte. Die Darstellung des sexuellen Übergriffs durch die beiden Richter wurde selten so schonungslos dargestellt wie von Artemisia Gentileschi. Ihr Frühwerk wird von dieser Haltung so sehr geprägt, dass sie auch beispielsweise die Geschichte von Judith und Holofernes als dramatisches Gemetzel inszenierte.
1611 arbeitete Orazio Gentileschi mit Agostino Tassi (um 1580–1644) zusammen, um die Decke des Casino delle Muse im Palazzo Pallavicini-Rospigliosi in Rom zu freskieren. Er beauftragte seinen Kollegen, Artemisia privat zu unterrichten. Anfang Mai vergewaltigte er sie im Haus ihres Vaters; ein zweiter Mann, Cosimo Quorli, war ebenfalls beteiligt. Mit der falschen Versprechung sie zu heiraten, überredete Tassi die damals Siebzehnjährige, ein mehrere Monate dauerndes sexuelles Verhältnis mit ihm einzugehen. Ihr musste daran gelegen sein, dass er dieses Versprechen hielt, um ihre Würde wiederherzustellen und ihre Zukunft zu sichern.
Als Tassi neun Monate später von seinem Eheversprechen abrückte, verklagte Orazio Gentileschi seinen ehemaligen Kollegen auf Entjungferung seiner Tochter. Zudem klagte er ihn an, er hätte ein Gemälde der „Judith“ aus dem Haus gestohlen. Der Prozess erstreckte sich über sieben Monate. Artemisia wurde mehrmals vor Zeugen einvernommen und auch mit Rändelschrauben gefoltert. Agostino Tassi gestand, dass er bereits verheiratet war und geplant hatte, seine Ehefrau zu ermorden. Zudem wollte er mit seiner Schwägerin Ehebruch begehen und einige von Orazios Gemälden stehlen. Der Richter verurteilte Tassi zum Exil, allerdings wurde die Verbannung nie vollstreckt. Einen Tag nach dem Urteilsspruch arrangierte Orazio, dass seine Tochter Pierantonio Stiattesi heiratete, einen bescheidenen Künstler aus Florenz. Kurz darauf zog das Paar nach Florenz.
Artemisia erhielt Anfang 1613 einen Auftrag für ein Gemälde in der Casa Buonarroti. In den folgenden Jahren entwickelte sie sich zu einer erfolgreichen Hofmalerin und genoss die Schirmherrschaft des Hauses Medici und von Charles I. von England. Während ihres Aufenthalts in Florenz hatten Artemisia und Pierantonio Stiattesi gemeinsam fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter, von denen allerdings nur Prudenzia Stiattesi das Erwachsenenalter erreichte.
Die Florentiner Phase brachte Artemisia Gentileschi erste Anerkennung von Sammlern und Intellektuellen, darunter von dem Schriftsteller Michelangelo Buonarroti dem Jüngeren, den Neffen von Michelangelo Buonarroti, und Cristofano Allori. Am 19. Juli 1615 wurde Artemisia als erste Frau in die Accademia delle Arti del Disegno [Akademie der Zeichenkünste] aufgenommen. Ab August 1615 arbeitete sie an der „Allegorie der Neigung“ für die Decke der Casa Buonarotti (neben Agostino Ciampelli, Sigismondo Coccapani, Giovan Battista Guidoni und Zanobi Rosi) – ihrem einzigen dokumentierten Werk in der Florentiner Zeit! Für die Darstellung der nackten Allegorie legte sie ihr eigenes idealisiertes Porträt zugrunde. Zu ihren Auftraggebern zählten Cosimo II. de 'Medici, Großherzog der Toskana, und die Großherzogin Christina von Lothringen. Vermutlich lernte sie in dieser Zeit (oder schon zuvor in Rom) den Astronomen Galileo Galilei (1564–1642) kennen, dem sie noch 1635 einen Brief in sein Exil in Arcetri schrieb.
In Florenz fand Artemisia Gentileschi nicht nur eine wirtschaftliche Basis, sondern auch Bildung am Hofe der Medici. Sie musste sich der traditionsreichen Florentiner Kunst anschließen. In Christina von Lothringen fand sie eine mächtige Frau als Vorbild, die Frauen wie Männer förderte. Dennoch verlangte der Hof, dass sich Artemisia Gentileschi angemessen kleidete und verhielt, und dass sie an der literarischen und musikalischen Kultur teilnahm. Dadurch erhielt die Malerin eine verspätete Ausbildung; sie lernte auch lesen und schreiben, wenn auch nicht gut.
Über ihre Auftraggeber in Florenz weiß man relativ wenig; so sind auch viele Werke aus dieser Phase verloren. Es war wohl Christina von Lothringen, die Artemisia ihrem Sohn Cosimo II. de’Medici vorstellte. Zudem arbeitete sie auch für Maria Maddalena d’Austria und für Cosimos Schwester Caterina de’ Medici (1593–1629). Cosimo II. bestellte bei der inzwischen bekannten Malerin eine „Judith enthauptet Holofernes“, eine „Diana im Bade“ (ab 1619 in der Medici-Sammlung) und einen „Herkules“. Für die Vollendung des „Herkules“ ließ sich Artemisia Gentileschi kostbares Ultramarin liefern, das sie aber nicht bezahlte. Ob das Gemälde jemals abgeschlossen und geliefert wurde, ist nicht bekannt. Nachdem Artemisias Haushalt in Florenz gepfändet worden war, zog sie nach Rom.
Anfang März 1620 kam das Ehepaar Gentileschi-Stiattesi in Rom an; 1621 reiste ihr Vater Orazio nach Genua ab. Zu ihren römischen Freunden zählten der Humanist, Sammler und Kunstliebhaber Cassiano dal Pozzo sowie der französische Künstler Pierre Dumonstier II., der 1625 eine schwarz-rote Kreidezeichnung ihrer rechten Hand anfertigte. Für die Accademia dei Desiosi schuf sie ein Porträt mit der Aufschrift „Pincturare miraculum invidendum faciusius quam imitandum [Ein Wunder zu malen ist leichter zu beneiden als nachzuahmen]“.
Obwohl Artemisia Gentileschi bereits überregional bekannt war, konnte sie im Rom der 1620er Jahre nicht weiter reüssieren. Vor allem Aufträge für Altarbilder – großformatig und öffentlich zugänglich – hätten der Malerin die ihr gebührende Aufmerksamkeit gebracht. Doch scheint sie auf Porträts und biblische Heldinnen reduziert worden zu sein. Trotz ihrer starken Persönlichkeit und ihres Selbstbewusstseins blieben die sechs Jahre in ihrer Heimatstadt eine Phase der Neuorientierung.
Artemisias wichtigster Unterstützer in Rom war der spanische Botschafter Fernando Afán de Ribera, dritter Herzog von Alcalá (1583–1637). Er erwarb eine “Magdalena” (Kathedrale von Sevilla), einen „David” und einen „Christus segnet die Kinder“ (San Carlo Borromeo al Corso, Rom). Die Ernennung Afán de Riberas zum Vizekönig von Neapel 1629 eröffnete der Malerin in den folgenden Jahren weitere Verdienst- und Arbeitsmöglichkeiten.
Aus heutiger Perspektive ist aber die wichtigste Figur für Artemisia in Rom Cassiano dal Pozzo (1588–1657), Sekretär des Kardinals Francesco Barberini (1597–1679), Antiquar und Sammler. Pozzo war mit vielen Künstlerinnen und Künstlern befreundet, insbesondere mit Simon Vouet, Nicolas Poussin und Giovanna Garzoni (1600–1670). Vouets Porträt von Artemisia Gentileschi zeigt ihre besondere Beziehung zu Cassiano dal Pozzo auf symbolische Weise (um 1623 oder kurz danach, Fondazione Pisa). Die elegant gekleidete Künstlerin hält ihren Kreidehalter in der einen Hand, ihrer Palette und vielen Pinseln in der anderen und schaut aus dem Bild. Das Medaillon von Giovanni Cavino trägt die Inschrift „MAVSOLEION“ (um 1538–1564) und bezieht sich auf Königin Artemisia und das Mausoleum von Halikarnassos. Dadurch kann die Dargestellte als Artemisia identifiziert werden.1
Ende 1626 oder Anfang 1627 verließ Artemisia Gentileschi Rom, um nach Venedig zu übersiedeln. Sie hatte sich mit den französischen Malern Nicolas Régnier (1591–1667) und Simon Vouet (1590–1649) angefreundet, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit in Venedig wiedertraf. In den folgenden drei Jahren lebte Artemisia in Venedig, wo sie eine zentrale Rolle im künstlerischen und kulturellen Leben einnahm. Ein Flugblatt von 1627 enthält Verse, die drei ihrer Gemälde gewidmet sind. Zudem wurden die Briefe von Antonino Collurafi (1585–1655) publiziert, in denen er Artemisias Anwesenheit in Venedig dokumentierte und ihre Talente pries. Während ihres Aufenthalts in Venedig malte sie nachweislich für König Philip IV. von Spanien (1605–1665), der sie 1630 für ein Gemälde bezahlte.
Artemisia verließ Venedig wahrscheinlich 1630, um der Pest zu entkommen. Ihre genaue Ankunft in Neapel, wo der Herzog von Alcalá in der Zwischenzeit zum Vizekönig ernannt worden war, ist nicht bekannt. Allerdings ist sie im Sommer 1630 in der Stadt bereits gut eingeführt. Mit Ausnahme ihres Aufenthalts in London in den späten 1630ern, scheint Artemisia Gentileschi den Rest ihres Lebens in Neapel zugebracht zu haben.
Im August 1630 schrieb sie dem Antiquar und Sammler Cassiano dal Pozzo (1588–1657) in Rom, dass sie sein Gemälde sofort nach der Vollendung einiger Werke „für die Kaiserin“ (das wäre die Infantin María von Spanien (1606–1646), die Schwester von Philip IV.) beginnen würde. Artemisia signierte und datierte 1630 die „Verkündigung“, 1632 die „Clio, Muse der Geschichte“.
Der englische Reisende Bullen Reymes (1613–1672) besuchte 1634 Artemisia und ihre Tochter in Neapel. Er berichtete, dass Prudenzia malt und Spinett spielt.
Artemisia schrieb 1635 mehrere Briefe, in denen sie um Patronage ersuchte: beispielsweise an Francesco I d'Este (1610–1658) in Modena, an Ferdinand II. de 'Medici (1610–1670) in Florenz und über Cassiano dal Pozzo an Kardinal Antonio Barberini (1607–1671) in Rom. In einigen dieser Briefe gab sie an, dass ihr Bruder von Charles I. von England geschickt worden war, um sie nach London zu bringen.
Trotz der hohen Lebenshaltungskosten in Neapel und der politisch-sozialen Turbulenzen in der Stadt war Artemisia Gentileschi im künstlerischen Leben der Stadt verankert. Um 1636 arbeitete sie gemeinsam mit anderen neapolitanischen Künstlern an Gemäldezyklen. Diese Aufträge hatte sie mit ziemlicher Sicherheit durch den Vizekönig Manuel de Acevedo Zúñiga y Fonseca, Graf von Monterrey (1586–1653) und den Künstler Massimo Stanzione (1585–1656), den sie in Rom kennengelernt hatte, erhalten. Artemisia Gentileschi suchte weiterhin Arbeit in Florenz und schrieb Dal Pozzo über eine mögliche Reise nach Pisa, um eine Immobilie zu verkaufen und so die Mitgift ihrer Tochter zu sichern (April).
Im Oktober 1637 schrieb Artemisia Gentileschi an Dal Pozzo, dass sie Geld für die Hochzeit ihrer Tochter brauchte. Dabei erkundigte sie sich auch, ob ihr Ehemann noch lebte oder nicht. Im November schrieb sie erneut an ihn und erzählte von ihrem Wunsch, nach Rom zurückzukehren. Dieser Brief ist die letzte Notiz von Artemisia in Neapel in diesem Jahr. Sie reiste wahrscheinlich Anfang 1638 nach London.
Es wird angenommen, dass Artemisia irgendwann im Jahr 1638 in London ankam und ihrem Vater bei der Vollendung der Deckenbilder für das Queen's House in Greenwich (heute: Marlborough House) half. Ihr Vater Orazio Gentileschi verstarb am 7. Februar 1639 in London. Im Dezember kündigte Artemisia Francesco I. d’Este, Herzog von Modena, die Ankunft ihres Bruders an, um ihm eines ihrer Gemälde zu präsentiere.; Seine Antwort erreichte sie im folgenden März in London.
Artemisia Gentileschi kehrte 1640 nach Neapel zurück, wo sie 1652 ihr letztes Bild, „Susanna und die Alten“ datierte.
1649/50 führte Artemisia einen Briefverkehr mit Antonio Ruffo (1610/11–1678), einem sizilianischen Adligen und Sammler. Diese Dokumente beziehen sich auf Zahlungen von Ruffo für Artemisias Gemälde und auf seine Vermittlung an andere Auftraggeber. Am 13. März 1649 schrieb Artemisia in einem dieser Briefe, dass sie bankrott sei. 1649 signierte und datierte Gentileschi eine weitere Fassung der „Susanna und die Alten“. Im Januar 1651 informierte sie Ruffo, dass sie sich von einer in der Weihnachtszeit eingefangenen Krankheit erholte.
In Venedig veröffentlichen der Schriftsteller Gian Francesco Loredan (1607–1661) und der Dichter Pietro Michiele (1603–1651) 1653 „Il Cimiterio: Epitafi giocosi [Der Friedhof: spaßige Epitaphien]“, das zwei respektlose „posthume“ Epitaphien über Artemisia enthält. Lange haben Kunsthistoriker*innen deshalb gedacht, dass die Malerin zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war. Dokumente belegen, dass Artemisia Gentileschi in Neapel lebte und im August 1654 Steuern zahlte. Da dies die letzte Aufzeichnung über Artemisia ist, muss sie bald danach in ihren frühen Sechzigern gestorben sein.