Lucia Moholy ist eine der wichtigsten Fotografinnen der Moderne in Deutschland. Zu ihren Verdiensten gehört nicht nur, dass sie ihrem berühmten Ehemann László Moholy-Nagy in die Technik der Fotografie einführte, sondern dass sie das Bauhaus überhaupt erst sichtbar gemacht hat. Mit ihren Aufnahmen hinterließ Lucia Moholy ein prägendes Bild dieser Schule, allen voran vom Dessauer Bauhausgebäude und den Meisterhäusern.
Deutschland | Berlin: Bröhan-Museum
1.10.2022 – 22.1.2023
Ausstellung und Katalog des Bröhan-Museum in Berlin thematisieren zum einen den Stil von Lucia Moholy und zeigen den Dialog zwischen dem Vintageabzug und den vielfachen Reproduktion als zeitgenössische Postkarten und in Publikationen. Erst Mohoolys technisch brillante Aufnahmen vermittelten die „Bauhaus-Idee“ als soziale und vor allem ästhetische Bewegung überregional, bzw. international. Die Fotografin stellte sich mit ihrem Können und Wissen gleichsam in den Dienst der Bauhaus-Produzent:innen. Gleichzeitig prägte sie durch ihre scheinbar neutralen Inszenierungen das Neue Sehen der Zwischenkriegsmoderne im Allgemeinen und den Bauhaus-Stil im Besonderen (→ Neues Sehen). Trotz ihres Schaffens an der Speerspitze der Avantgarde blieb die Fotografin meist anonym, wurden in zeitgenössischen Publikationen ihre Fotografien häufig ohne Namensnennung veröffentlicht – nach der Schließung des Bauhaus unterdrückten sowohl Walter Gropius als auch Moholy-Nagy die Autorschaft gänzlich.
Lucia Moholy übersiedelte gemeinsam mit ihrem Mann nach Weimar, als dieser im April 1923 zum Professor berufen wurde. Gemeinsam arbeiteten sie an experimentellen Fotogrammen, schrieben kunsttheoretische Abhandlungen und erstellten zusammen mit Walter Gropius die berühmten „Bauhausbücher“ sowie den sog. „Katalog der Muster“. Das Bauhaus lieferte Lucia Moholy die Motive für ihr Werk – und ohne sie wäre die Schule weit weniger bekannt geworden. Da Gropius die Fotografin jedoch nicht anstellte und auch nicht bezahlte, konnte Lucia Moholy für die Verwertung außerhalb der Schule ein geringes Honorar verlangen. Die offiziell nie am Bauhaus Lehrende bzw. Arbeitende konnte in der Rezeption des Bauhaus leicht „übersehen“ werden, obwohl seit 1945 Gropius‘ Architektur in der DDR nicht zugänglich und daher einzig über ihre Aufnahmen vermittelt werden konnten.
Die in Prag ausgebildete Intellektuelle griff in Weimar und später in Dessau bereits auf eine langjährige Erfahrung als Redakteurin, Lektorin und Autorin zurück. Diese umfasste unter anderem eine Anstellung beim Rowohlt Verlag in Berlin ab 1920. Dadurch verfügte das Bauhaus über eine „Mitarbeiterin“, die die Erstellung sowie den geordneten Vertrieb der Bauhaus-Publikationen professionell übernehmen konnte. Von Anfang an wurde Lucia Moholy daher die Aufgabe zuteil, die Erzeugnisse der einzelnen Werkstätten in sachlich-dokumentarischen Produktfotografien festzuhalten (1924–1928).1 Dabei hatte die Fotografin Zugang auch zu Werkstücken, die nie in die erhoffte Massenproduktion gingen, darunter ein kleines Konvolut an Vorkursarbeiten.
Nicht unterschätzt werden darf der Anteil von Lucia Moholys Aufnahmen für das visuelle Gedächtnis des Bauhaus! So setzte sie die berühmte gläserne Fassade des Bauhaus, ein Entwurf von Gropius, 1926 in extrem schrägem Winkel ins Bild. Stil und Aussage gehen in dieser Aufnahme Hand in Hand, wenn Moholy in der künstlerisch-fotografischen Überhöhung der Architektur das ästhetische Ideal und die Ausrichtung der Designschule miteinander verband. Letztere hatte dessen Direktor 1923 mit dem Ziel „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ formuliert und deshalb den ungarischen Konstruktivisten László Moholy-Nagy als Professor berufen. Tobias Hoffmann plädiert daher in dem äußerst lesenswerten Ausstellungskatalog dafür, Lucia Moholys Aufnahmen nicht als sachlich und funktional zu lesen, sondern den konstruktivistischen Blick der Fotografin zu würdigen. Indem sie die Geradlinigkeit der Architektur betonte, treten Linien und Flächen in ihren Aufnahmen besonders deutlich hervor. Wie auch die Gemälde ihres Mannes, mit dem sie das Bauhausbuch „Malerei Fotografie Film“ erarbeitet hat – auch wenn bis dato nur László als Autor gilt –, sind die Fotografien Lucias von geometrischer Klarheit durchdrungen.
Das Bauhaus als Designschule und Labor der Moderne bot der aufstrebenden Fotografin Lucia Moholy ein wichtiges Umfeld für die Entwicklung ihrer Bildsprache. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem aus Ungarn stammenden Künstler László Moholy-Nagy2, arbeitete sie an einer konstruktiven, von Theo van Doesburgs Vorträgen inspirierten Kunst.
Daher ist die Auffassung zurückzuweisen, dass Moholys Aufnahmen rein sachlich und „neutral“ das Gesehen wiedergeben. Stattdessen inszenierte die Fotografin die Objekte, um ihnen „Sexappeal“ zu verleihen. Dafür setzte Moholy Strategien der bildenden Kunst ein, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Freunden weiterentwickelte.
Im Jahr 1928 verließen das Ehepaar gemeinsam mit Gropius das Bauhaus. Lucia nahm alle ihre Negative mit. Obschon die Künstlerin in der Folge als Lehrerin in der Schule von Johannes Itten tätig war und ihre Bauhaus-Aufnahmen publiziert wurden, drängten ihr nunmehriger Ex-Mann und danach auch Walter Gropius in den USA die Künstlerin aus der öffentlichen Wahrnehmung. Binnen weniger Jahre war Lucias intellektueller Anteil an Moholy-Nagys Werk aktiv „vergessen“ worden.
In den frühen 1930er Jahren geriet Lucia Moholy (nach der Scheidung staatenlos!) in zunehmende Bedrängung. Die in eine jüdische Familie geborene und mit dem KPD-Reichstagsabgeordneten Theodor Neubauer liierte Künstlerin musste nach der Verhaftung ihres Lebensgefährten aus Deutschland nach Großbritannien fliehen. Sie übergab ihre Negative ihrem Ex-Mann, der sie Walter Gropius nach Harvard schickte. Gropius wählte Bilder Moholys für seine PR-Strategie, um das von ihm gegründete Bauhaus bekannt zu machen – allerdings ohne ihren Namen zu nennen.
Das Bröhan-Museum lenkt mit der Ausstellung zu Lucia Moholy die Aufmerksamkeit auf eine zu Unrecht vergessene Protagonistin des Bauhaus. Die unbedingt sehenswerte Schau und der empfehlenswerte Katalog mit Beiträgen von Tobias Hoffmann, Robin Schuldenfrei und Fabian Reifferscheidt analysieren den persönlichen Stil der Fotografin und zeigen brillant auf, welche Publikationsformen ihre Bilder annehmen konnten!
Tobias Hoffmann, Thomas Derda, Fabian Reifferscheidt (Hg.)
mit Beiträgen von Tobias Hoffmann, Thomas Derda, Fabian Reifferscheidt, Robin Schuldenfrei
176 Seiten, 150 farbige und 30 s/w Abb.
26 cm x 22 cm, Softcover, Englisch, Deutsch
ISBN 978-3-86832-729-8
Wienand Verlag