Günter Brus bemalt sich weiß. Über den kahl geschorenen Kopf führt er den in schwarzer Farbe getränkten Pinsel, Augen und Mund sind geschlossen. Brus steht vor einer weißen Leinwand. Bild und Malakt, Motiv und Maler werden eins, während zugleich eine gespenstische Entfremdung und Zerteilung stattfindet. Diese Spaltung ist charakteristisch für eine Kunst, die in Vereinsamung und Qual ein gesellschaftliches Symptom erkennt. Die Arbeit wird zu einer Illustration der polarisierten Gegenwart.
„Selbstbemalung ist eine Weiterentwicklung der Malerei. Die Bildfläche hat ihre Funktion als alleiniger Ausdrucksträger verloren. [...] Durch die Einbeziehung meines Körpers als Ausdrucksträger entsteht als Ergebnis ein Geschehen, dessen Ablauf die Kamera festhält und der Zuschauer miterleben kann.“ (Günter Brus, 1965)
Österreich | Bregenz:
Kunsthaus Bregenz (KUB)
17.2 – 20.5.2024
Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, die mit Günter Brus und in enger Zusammenarbeit mit dem BRUSEUM am Universalmuseum Joanneum in Graz entstand, legt den Schwerpunkt auf den wilden und widerborstigen Brus. Ab Jänner 1960 verbrachte Günter Brus einige Monate gemeinsam mit dem Künstler Alfons Schilling auf Mallorca. Dort lernten sie über die US-amerikanische Malerin Joan Merritt die Malerei der „New York School“ kennen (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). Von den abstrakten Werken inspiriert, malte Brus Arbeiten auf Papier, deren kubische Formen zunächst architektonisch anmuteten, sich später zu nervösen Schraffuren verdichteten. Zurück in Wien begann er den Pinsel noch heftiger, fast wie eine Peitsche einzusetzen. Das Bild ist nicht mehr Ort der Gestaltung, sondern Raum rastloser Gesten und psychischer Abwehr. Malerei wird so als aggressiver Akt wahrnehmbar, als Akt der Enthemmung, als Ausdruck zuckender Zerrissenheit und eines Todestriebs, der in eine sichtbare Spur drängt.
Die explosiven Gemälde des Informel bereiteten den Weg für den nächsten, noch radikaleren Schritt: Günter Brus selbst wurde zum Bildträger. Zu den bekanntesten Arbeiten dieser Serie zählt die öffentliche Aktion „Wiener Spaziergang“ aus dem Jahr 1965. Der Künstler schlenderte, bekleidet mit einem Anzug, vollständig weiß bemalt durch die Wiener Innenstadt. Eine schwarze Linie überzog seinen Körper von Kopf bis Fuß, sie ist Riss, Narbe und Wunde zugleich. Brus wurde von einem Sicherheitsorgan angehalten und mit einer Strafe belegt.
In einer anderen Aktion mit seiner Tochter Diana steht er als gipserner Untoter in einer Raumecke. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Brus, die auch bei zahlreichen Performances der Wiener Aktionisten mitwirkte, wälzte er sich, bandagiert, in einem weiß getünchten Raum.
1970 kam es zu seiner letzten Aktion „Zerreißprobe“. Mit einer Rasierklinge fügte Brus sich Wunden zu, übergoss sie mit Urin und wand sich blutend am Boden. Einige dieser Aktionen wurden von Avantgarde-Filmer Kurt Kren (1929–1998) frei, ohne Schnittplan, mit der Handkamera aufgenommen. Die filmischen Bilder der Aktion, die harte Schwarz-Weiß-Kontraste aufweisen, ziehen hastig vorbei. Das Dargestellte erscheint in der Abstraktion beinahe vollständig entkörpert.
Einen weiteren Schwerpunkt legt die KUB Ausstellung auf die Bild-Dichtungen. Für das Kunsthaus Bregenz wählt Günter Brus jene Serien aus, die sich mit Literaten beschäftigen, die selbst künstlerisch tätig gewesen sind oder ausdrucksstarke Metaphern geschaffen haben. Zyklen zu Emil Cioran und Victor Hugo sind düster, die Arbeiten zu William Blake erzählerisch und vielteilig.
Während des Lockdowns in der Pandemie entstand die bislang jüngste Bildserie: bunte, märchenhafte Szenen als Aquarell und Mischtechnik auf Papier. Die Arbeiten zeigen Architekturen, Monster oder prekäre Ich-Zustände, Szenen der Einsamkeit, Angst und dunkler Verträumtheit.
Quelle: KUB