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Brigitte Kowanz: „Das Licht ist einerseits Grundlage der Sichtbarkeit und andererseits Symbol der Erkenntnis“

Brigitte Kowanz, Metaphora II, 2017, Neon und Spiegel, 60 x 150 x 19 cm, poto Tobias Pilz, copyright Bildrecht, Vienna 2017

Brigitte Kowanz, Metaphora II, 2017, Neon und Spiegel, 60 x 150 x 19 cm, poto Tobias Pilz, copyright Bildrecht, Vienna 2017

Re_Union: Aktuelle Arbeiten der österreichischen Licht-Künstlerin Brigitte Kowanz erinnern an Erfolge des Vereinten Europa. Dafür geht sie von der Beobachtung aus, dass das Datum einzelner Ereignisse in die Geschichte eingehen, dass die Erinnerung aus dem Prozess von Geschehnissen und Handlungen einen Moment herausgreift.

Aktuelle Arbeiten der österreichischen Licht-Künstlerin Brigitte Kowanz erinnern an Erfolge des Vereinten Europa. Dafür geht sie von der Beobachtung aus, dass das Datum einzelner Ereignisse in die Geschichte eingehen, dass die Erinnerung aus dem Prozess von Geschehnissen und Handlungen einen Moment herausgreift. Kowanz entwarf Licht-Objekte, in denen einmal mehr das Morse-Alphabet, Schrift und auch abstrakte Linien zum Einsatz kommen. Das konkrete, positive Ereignis wird durch wirre Linienknäuel verunklärt. Diese Setzung gleicht für Brigitte Kowanz einer Metapher und ermöglicht ein Nachdenken über Utopien und Dystopien. Die Wiedervereinigung Deutschlands, die Europäische Union, aber auch die Wiedervereinigung Kowanz‘ mit ihrer ersten Galeristin, all diese positiven Schritte setzt die Künstlerin den heraufbeschworenen Gewitterwolken als hellstrahlende, aufklärerische Statements gegenüber.

Das Gespräch mit Brigitte Kowanz in der Galerie Krinzinger führte Alexandra Matzner kurz vor der Eröffnung ihrer Ausstellung „RE_UNION“.

ARTinWORDS: Sie haben parallel zur Biennale in Venedig eine Ausstellung in der Galerie Krinzinger. Bevor wir uns mit Ihren neuen Arbeiten befassen, erlauben Sie mir kurz die Frage, wie so eine Biennale Nominierung das Leben einer österreichischen Künstlerin verändert?
Brigitte Kowanz: Naja, es war natürlich ein sehr aufregendes Jahr. Es ist mehr Aufmerksamkeit auf meiner Arbeit, mehr Medienecho. Die Nominierung verändert schon sehr viel – schon im Vorlauf, und ich bin gespannt, wie es weitergeht.

ARTinWORDS: Ist schon internationale Resonanz da, oder kommt die erst mit der Eröffnung?
Brigitte Kowanz: Zum Teil ist sie auch schon da.

ARTinWORDS: Wie stressig ist so eine Biennale Vorbereitung?
Brigitte Kowanz: Naja, die Vorbereitung der Arbeit war nicht so stressig. Ein Jahr ist ein guter Zeitraum, um in Ruhe daran zu arbeiten. Wirklich stressig war die Finanzierung des Pavillons. Christa Steinle hat diesbezüglich eine tolle Arbeit geleistet und konnte viele Sponsoren gewinnen.

ARTinWORDS: Inzwischen ist ja bekannt geworden, dass Sie für Ihre Arbeiten einen eigenen Pavillon bekommen (→ Brigitte Kowanz & Erwin Wurm | Biennale 2017). Wird dieser Zubau an den Hoffmann-Pavillon bestehen bleiben?
Brigitte Kowanz: Das wird man sehen! Er könnte bestehen bleiben, das hängt aber von den Verantwortlichen in Österreich ab.

ARTinWORDS: Die österreichische Kunstwelt hat sich gewundert, dass Sie gemeinsam mit Erwin Wurm nominiert wurden, weil diese Kombination ästhetisch sicherlich schwierig ist. Sie sind völlig heterogen.
Brigitte Kowanz: Das ist wirklich spannend, weil zwei Welten aufeinanderprallen. Ich denke aber, dass wir das gut gelöst haben.

Brigitte Kowanz: Re_Union

ARTinWORDs: Ihre neuesten Werke werden gerade in der Galerie rund um uns aufgebaut, danke für Ihre Zeit so kurz vor der Eröffnung. Was können Sie zu ihrer Personale erzählen?
Brigitte Kowanz: Der Titel der Ausstellung lautet „RE_UNION“. Er bezieht sich auf zwei Momente, zum einen die Wiederzusammenarbeit mit Ursula Krinzinger und zum anderen auf die aktuelle politische Lage. Ich habe mit Ursula Krinzinger meine Laufbahn als Künstlerin begonnen: 1980 habe ich meine erste Einzelausstellung bei ihr bekommen und bis 1993 mit ihr zusammengearbeitet. Nach einer langen Pause haben wir uns hier wiedergetroffen.

ARTinWORDS: Was macht so eine Re_Union zwischen zwei so wichtigen österreichischen Kunst-Frauen aus? Was ist das Besondere daran?
Brigitte Kowanz: Mich freut es sehr, dass wir wieder zusammenarbeiten. Sie ist natürlich eine tolle Galeristin, sehr kraftvoll, die Galerie-Räume sind wunderbar und sie ist international ständig auf Messen.

ARTinWORDS: Das Präsentsein auf Messen ist inzwischen doch fast das Wichtigste geworden, oder? Daneben noch die Kontakte zu den Kuratoren.
Brigitte Kowanz: Genau!

ARTinWORDS: Was wird am Mittwochabend hier zu sehen sein?
Brigitte Kowanz: Die neueste Werkserie mit dem Titel „Cables“ hängt an den Wänden. Ich lege Neonlinien, die an Kabel erinnern, die zufällig am Boden liegen.

ARTinWORDS: Wieviel Zufall ist dabei, wieviel planen Sie?
Brigitte Kowanz: Ich lege Sie (lacht).
ARTinWORDS: Es handelt sich also doch nicht um ein Marcel Duchamp-Zitat. Kein gefallener Meter, ich verstehe. Spontan erinnern mich die Konfigurationen an den Buchstaben B oder einfach an eine Brezel.
Brigitte Kowanz: Bei der Arbeit „The Fall oft he Wall“ aus der Serie „Re_Union“ geht es um die Berliner Mauer. Das Datum des Mauerfalls, der 9. November 1989, ist in roten Morsezeichen direkt am Spiegel angebracht. Die weiße Neonlinie greift diese Form auf und überdeckt sie. In den letzten Arbeiten habe ich mich einmal mehr mit der Idee des Datentransfers beschäftigt.

ARTinWORDS: Warum überdeckt die Linie das Datum?
Brigitte Kowanz: Für mich ist das eine Metapher: Ereignisse gehen in die Geschichte mit einem Datum ein. Ich habe für diese Serie Daten der jüngeren Geschichte herausgegriffen.

ARTinWORDS: Welche Daten sind für Sie wichtig, und wie haben Sie diese Auswahl getroffen?
Brigitte Kowanz: In diesem Raum beschäftige ich mit der EU, als sie 2012 den Friedensnobelpreis erhalten hat, die Charta von Paris vom 21. November 1990. Grundsätzlich ging es mir um das Vereinte Europa, was mir deshalb jetzt ein Anliegen ist, weil wir gerade in einer krisengebeutelten Zeit leben.

ARTinWORDS: Zusammenfassend ist der aktuelle Werkzyklus als eine Erinnerung an die Leistungen der EU zu lesen. Sie stärken damit die Utopie, während derzeit die Dystopie vielfach medial beschworen werden.

Morse und Kandinsky

ARTinWORDS: Sie werden höchstwahrscheinlich schon tausendmal danach gefragt worden sein, aber könnten Sie noch einmal erklären, warum Sie die Morseschrift so spannend finden?
Brigitte Kowanz: Die Morseschrift deswegen, weil sie ein sehr früher binärer Code ist, und auf der Informationsübertragung mit Lichtgeschwindigkeit aufbaut. Wenn man sich mit Licht beschäftigt, ist man schnell bei diesem Thema. Was Licht wirklich kann, ist ein- oder ausgeschaltet zu sein, zu Sein oder nicht zu Sein. Mit diesen zwei elementaren Bausteinen lässt sich jede Komplexität ausdrücken.

ARTinWORDS: Ich fand an diesen Morsezeichen-Werken immer die formale Qualität interessant: ein Punkt und ein Strich in rhythmischer Abfolge.
Brigitte Kowanz: Das kommt auch noch dazu.
ARTinWORDS: Als Kunsthistorikerin lässt mich das an Wassily Kandinskys epochemachender Schrift „Punkt und Linie zu Fläche“ denken.
Brigitte Kowanz: Auch Kandinsky ging es um die elementaren Bausteine, das Ein und Aus, ein ganz minimales Vokabular, aus dem eine Komplexität erzeugt werden kann. Samuel F.B. Morse, der Erfinder des Morsecode war Maler! Abgesehen vom inhaltlichen Gehalt, ist auch die Form wahnsinnig schön.

ARTinWORDS: Sie haben Ihre Wurzeln in der binären Sprache, aber hätte Sie es jemals gereizt, in die digitale Kunst zu gehen?
Brigitte Kowanz: Ja, da kommt meine Kunst her, aber Computer haben in meinem Werk eine absolut untergeordnete Rolle. Ich verwende sie natürlich für Entwürfe und Renderings, aber ich hatte nie das Verlangen, digitale Kunst oder Computerkunst zu machen.

Reality-Check

ARTinWORDS: Ein weiteres wichtiges Element ihrer Arbeiten ist der Spiegel. Er ist essentielles Material aber gleichzeitig auch formal und inhaltlich durch die Entfaltung des illusionistischen Raums auf einer kleinen Fläche bedeutsam.
Brigitte Kowanz: Der Spiegel ist schon ein magisches Instrument! Es ist ein Instrument, das Licht gut zeigen kann, indem es das Licht zu einem sehr hohen Prozentsatz reflektiert. Gleichzeitig trägt es ganz viele Bilder in sich, immer wieder andere.

ARTinWORDS: … eine Art performatives Bild…
Brigitte Kowanz: Ja, ein performatives Bild, mit dem man viel machen kann.

ARTinWORDS: Die Möglichkeiten des Spiegels sind gewaltig, weil man sich selbst auch ständig im Bild befindet.
Brigitte Kowanz: Das ist auch eine ganz wichtige Sache, dass man selber immer mit drinnen ist.

Vorbilder

ARTinWORDS: Wenn man Texte über Ihre Arbeit liest, wird ganz selten auf wichtige Vorläufer, oder Vater- und Mutterfiguren verwiesen. Wollen Sie das nicht, oder ist das bislang „so passiert“?
Brigitte Kowanz: Es gibt natürlich viele Künstler, die ich sehr schätze, das ist ganz klar.

ARTinWORDS: Wollen Sie mir von Ihrer Liste einige verraten?
Brigitte Kowanz: Natürlich sind Lichtkünstler wie Dan Flavin (→ Dan Flavin. Lights) und James Turrell „godfathers“, aber..

ARTinWORDS: Michelangelo Pistoletto und seine Spiegelarbeiten zum Beispiel?
Brigitte Kowanz: (lacht) zum Beispiel… Da gibt es wirklich ganz viele, genauso könnte ich Peter Kubelka mit seinen Schwarz-Weiß-Filmen nennen, der mich stark beeinflusst hat, oder Ossi (Oswald) Oberhuber, bei dem ich studiert habe, Peter Weibel. Joseph Beuys hat in den 70er Jahren eine riesige Bedeutung gehabt und unser aller Denken beeinflusst. Die Liste ist endlos und ändert sich immer wieder.

ARTinWORDS: Das ist auch gut so!

Mehr Licht!

ARTinWORDS: Auffallend ist auch, dass Sie konsequent und häufig mit der Nichtfarbe Weiß arbeiten, während die Primärfarben Rot und Blau, ergänzt durch Grün, eher selten zum Einsatz kommen. Warum diese Farbauswahl?
Brigitte Kowanz: Im Weiß sind ohnehin alle Farben enthalten. Rot, Grün und Blau ist die Aufspaltung des RGB.

ARTinWORDS: Auf der anderen Seite hat farbiges Licht eine ganz andere atmosphärische Wirkung. Ist das für Sie von geringerer Bedeutung?
Brigitte Kowanz: Absolut! Es ist immer wieder wichtig, kommt aber auf die Situation an. Ich mache schon blaue und rote Arbeiten, aber die Mehrheit ist weiß, weil es das sachlichste und hellste Licht ist. Außerdem sind alle Farben darin enthalten.

ARTinWORDS: Das weiße Licht spiegelt für Sie Kühle und Logik.
Brigitte Kowanz: Weiß steht für Helligkeit und Licht.

ARTinWORDS: Damit bewegen wir uns bei einer aufklärerischen Idee: Licht, das die Ideen und die Klarheit des Blicks auf die Welt symbolisiert.
Brigitte Kowanz: Das Licht ist einerseits Grundlage der Sichtbarkeit und andererseits Symbol der Erkenntnis.

ARTinWORDS: In einigen Ihrer aktuellen Wandarbeiten findet man Daten, die für Sie und den Friedensprozess Europas wichtig sind. Die darüberliegenden „Kabel“ verdecken die Sicht darauf ein bisschen. Was steht in den Kuben, die Sie daneben positionieren?
Brigitte Kowanz: „In Light of Light“, also „Angesichts des Lichtes“.

ARTinWORDS: Im anderen Kubus fragen Sie nach dem „Reality Check“?
Brigitte Kowanz: Damit spiele ich darauf an, dass wir uns ständig zwischen dem realen und digitalen Raum bewegen. Beide Welten sind miteinander verbunden, und bei vielem frage ich mich, wie das früher ohne digitale Unterstützung überhaupt gelingen konnte.

ARTinWORDS: Wichtig an den würfelförmigen Arbeiten sind die Spiegel, die die Schrift scheinbar in die Unendlichkeit erweitern. Verraten Sie mir den Trick hinter diesem Effekt?
Brigitte Kowanz: Das Licht befindet sich zwischen zwei Spiegeln. Es pendelt und bildet sich gleichzeitig immer wieder ab. So entsteht dieser Eindruck.

ARTinWORDS: Noch einmal zurück zur Biennale: Haben Sie sich während der Konzeptionsarbeit Ihrer Werke mit dem heurigen Thema – ARTE VIVA ARTE! – beschäftigt – oder ganz für sich Ihre Arbeit entwickelt?
Brigitte Kowanz: Nein, das Thema ist so offen, dass ich ganz bei mir bleiben könnte.

ARTinWORDS: Dürfen Sie schon etwas verraten?
Brigitte Kowanz: Das darf ich noch nicht, aber es schließt an das an, worüber wir heute gesprochen haben.

Biografie von Brigitte Kowanz (* 1957)

  • 1957

    Am 13. April 1957 wurde Brigitte Kowanz in Wien geboren.
  • 1975–1980

    Studium an der Universität für angewandte Kunst (heute: die Angewandte) in Wien.
  • 1984

    Entstehung der ersten Lichtobjekte aus Flaschen, Leuchtstofffarben und Fluoreszenzfarben.
  • 1989

    Serie „Lichtgeschwindigkeit“; erhielt den Otto-Mauer-Preis.
  • 1991

    Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst
  • 1995

    Beginn der Arbeit mit dem Morse-Alphabet
  • 1996

    Österreichischer Kunstpreis für Bildende Kunst
  • 1997

    Zur Professorin für Transmediale Kunst an der Angewandten berufen.
  • 2009

    Großer Österreichischer Staatspreis für Bildenden Kunst
  • 2017

    Brigitte Kowanz vertritt Österreich auf der Biennale von Venedig (gemeinsam mit Erwin Wurm)
  • Brigitte Kowanz lebt und arbeitet in Wien.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.