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Darmstadt | Hessisches Landesmuseum: Urknall der Kunst Höhlenmalerei und Moderne | 2023

Joachim Lutz, Ruchera (Höhle), Detail, Simbabwe, 1929, Aquarell auf Papier (© Frobenius-Institut Frankfurt am Main)

Joachim Lutz, Ruchera (Höhle), Detail, Simbabwe, 1929, Aquarell auf Papier (© Frobenius-Institut Frankfurt am Main)

Wo liegt der Ursprung der Kunst? Dieser Frage ging der deutsche Ethnologe Leo Frobenius zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach. Über zwei Dutzend Expeditionen führten ihn und seine Forschungsteams zu den Höhlenmalereien Europas, Afrikas und Asiens. Zu seinem Team gehörten auch Künstlerinnen und Künstler, die über 8.000 gemalte Nachschöpfungen dieser sensationellen Bilderwelten anfertigten. Diese Werke der Sammlung Frobenius entführen uns in eine Welt 20.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Für die Künstler der Moderne war die Entdeckung der Höhlenmalereien ein Schlüsselerlebnis. Viele ließen sich von diesen Uranfängen der Kunst inspirieren. Sie übernahmen abstrahierende Darstellungsformen und stilistische Mittel der Felsbilder und waren überzeugt, dem anthropologischen Kern der Kunst auf diese Weise näher zu kommen. Alfred H. Barr, Gründungsdirektor des Museum of Modern Art in New York, erkannte diese Verbindung zwischen Moderne und Vorzeit und stellte die Sammlung Frobenius im April 1937 erstmals zusammen mit Werken der zeitgenössischen Kunst aus. Nach dem Tod Frobenius’ 1938 gerieten die Felsbilder für viele Jahre fast in Vergessenheit. Erst 2016 wurden erstmals wieder einige Arbeiten in einer Ausstellung des Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigt. In einer außergewöhnlichen Schau im Centre Pompidou im Jahr 2019 fanden die Kopien der Felskunstwerke erneut Eingang und boten reiches Vergleichsmaterial für Malerei und Skulptur des 20. Jahrhunderts. Dieser Moment der Entdeckung der prähistorischen Kunst wird nun erstmals in Deutschland vorgestellt.

 

Wer war Leo Frobenius?

Initiator und Ermöglicher der intensiven Auseinandersetzung moderner Künster:innen mit der vorzeitlichen Kunst war der deutsche Ethnologe und Direktor des "Instituts für Kulturmorphologie" in Frankfurt am Main, Leo Frobenius. In mehr als 8000 Felsbildzeichnungen ließ Frobenius die Motive aus dem nördlichen und südlichen Afrika, der Sahara und auch von europäischen Felskunstgebieten wie Südfrankreich, Nordspanien, Skandinavien und Norditalien, später sogar in Westpapua kopieren. In den 1920er und 1930er Jahren zeigte Frobenius die Früchte seiner Expeditionen in zahlreichen international beachteten Ausstellungen in ganz Europa und den USA. Lange bevor der Begriff der Weltkunstgeschichte in den Diskurs eingeführt wurde, bewies Frobenius, dass Kunstproduktion, magische Rituale und Erinnerungskultur rund um den Globus zu beachtlichen Leistungen geführt haben.

Der 1873 in Berlin geborene Ethnologie war bereits als Jugendlicher vom „Afrika-Virus“ infiziert worden. Sein Großvater, Heinrich Bodinus, war Leiter des Berliner Zoos und hatte 1878 eine Völkerschau mit Nubier:innen ausgerichtet. Später verschlang Frobenius Reisebeschreibungen und volontierte in völkerkundlichen Museen. Obschon Autodidakt veröffentlichte Leo Frobenius ab den frühen 1890 er Jahren wissenschaftliche Artikel und Bücher über Afrika und die Entstehung der afrikanischen Kulturen, darunter „Die Kunst der Naturvölker“ (1895/1896) und „Die bildende Kunst der Afrikaner“ (1897). Offenbar war Frobenius nicht nur ein umtriebiger Geist, sondern auch bestens vernetzt, so dass er seine private Leidenschaft professionalisieren und über Jahrzehnte finanzieren konnte. Zwischen 1904 und 1935 unternahm er mit seinem Team insgesamt zwölf ausgedehnte, teilweise mehrjährige Afrika-Expeditionen, um die durch europäische Kolonialmächte bedrohten Volksgruppen Afrikas zu dokumentieren. Damit steht der deutsche Forscher mit einem Bein im Kolonialismus und mit dem anderen in einer wertschätzenden Haltung. Er selbst beschrieb seine Begeisterung für die prähistorische Kunst Afrikas in der Rückschau:

„Zu jener Zeit war der westeuropäische Intellekt mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die damalige Kultur die höchste war, die der Mensch je erreicht hatte [...] alles, was sich vor dem Beginn der Geschichte entwickelt hatte, konnte nur als primitiv, dilettantisch und unbedeutend im Vergleich zur Pracht des 19. Jahrhunderts angesehen werden. Nicht aber für den damals jugendlichen Leo Frobenius, der derjenige war, bei dem die ganze Angelegenheit einen Gedankengang in Gang gesetzt hatte,der ihn in eine ganz andere Richtung führte.“1

Zu Frobenius frühesten und wichtigsten Förderern gehörte der deutsche Kaiser Wilhelm II. Hatte der Ethnologe seine ersten fünf Forschungsreisen durch den Verkauf von Sammlungsstücken finanziert, so bezahlte Wilhelm II. die sechste Expedition, die Frobenius von 1913 bis 1914 in den Maghreb und an den Nordrand der Sahara führte. Diese Freiheit ermöglichte dem Forscher, sich der Dokumentation der ältesten kulturellen Hinterlassenschaften Afrikas zu widmen: den prähistorischen Malereien und Gravuren auf Felsoberflächen, die unter dem Begriff Felskunst zusammengefasst werden. Dafür nutzte Frobenius Malerei und Zeichnung, war er doch davon überzeugt, dass die Fotografie nicht in der Lage sei, eine „wesentliche“ Kopie anzufertigen.2 In 320 Gemälden und Zeichnungen dokumentierten drei Künstler das Gefundene und interpretieren die uralten Symbole und Erzählungen für ein westliches Publikum. Erstmals wurde die paläolithische Felskunst so umfassend und von professionellen Künstlern dokumentiert. Mit diesem Projekt begründete Leo Frobenius sein gigantisches Unternehmen.

1928 führte Leo Frobenius seine Mitreisenden auf seine bis dahin größte Expedition nach Südafrika. Zwei Jahre lang suchten und dokumentierten sie Felsbilder und Legenden. Die wissenschaftliche Genauigkeit der Aufzeichnungen ergibt sich aus einem höchst naturalistischen Zugang, der jegliche Romantisierung (meist erzielt durch Vereinzelung, Idealisierung, Vervollständigung) ablehnte. Die  getreuen Nachzeichnungen der Originalbilder am Fels schlossen alle durch Erosion und andere Zerstörungen hervorgerufenen Auswaschungen und Fehlstellen sowie des umgebenden und oftmals im Motiv durchscheinenden Felsuntergrundes ein. Die enormen Kosten von 166.426 Reichsmark brachte der Expeditionsleiter aus Sachspenden zusammen, zudem verkaufte er auch einige Kopien an Museen. Neben dem Maler Joachim Lutz engagierte Frobenius erstmals auch drei Malerinnen: Elisabeth Mannsfeld, Maria Weyersberg und Agnes Schulz. Gemeinsam schufen sie Felszeichnungen von einer Größe bis zu 22 Quadratmetern, jenes aus Ha Baroana, Lesotho). Während die Künstler:innen mit dem Kopieren beschäftigt waren, zeichnete Frobenius Traditionen und Legenden auf; so versuchte er die rätselhaften Felsbilder zu deuten. Nach der Rückkehr 1930 schickte er die Bilder auf „Tournee“ in zahlreiche europäische Metropolen präsentiert, von Paris, Berlin, Oslo, Amsterdam, Zürich bis Wien (Hagenbund), Budapest und Rom.

Der Erfolg gab Leo Frobenius offenbar recht und ermöglichte ihm, in den Jahren 1933 und 1934/1935 noch ausgedehntere Sahara-Expeditionen durchzuführen. Begleitet von den Wissenschaftlerinnen und Malerinnen Elisabeth Krebs, Katharina Marr, Elisabeth Pauli und Maria Weyersberg, zeigt sich der Ethnologe als Förderer von Frauen. Aus seinen wichtigsten Mitarbeiterinnen, Schulz, Weyersberg und Pauli, erwuchsen tatkräftige Expeditionsleiterinnen, die eigene Reisen durchführten: In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre studierten sie Felsbilder in Frankreich (1934), Skandinavien (1934/1935), Spanien (1936) und Italien (1935, 1936, 1937), Westpapua (1937/1938) und im nordwestaustralischen Outback (1938/1939). 

 

Urknall der Kunst 2023 in Darmstadt

Die Ausstellung „Urknall der Kunst“ entsteht in Kooperation mit dem Frobenius-Institut der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und geht dieser künstlerischen Auseinandersetzung nach. Sie stellt die Felszeichnungen in den Dialog mit Werken von Joan Miró, Paul Klee, Pablo Picasso, Hans ArpWilli Baumeister und André Masson und schlägt den Bogen zur Kunst von Joseph Beuys, der sich selbst als „wiedergeborener Höhlenzeichner“ bezeichnete. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit verspricht neue Impulse für ein Thema, das in der Kunstgeschichte immer noch viel zu wenig bekannt ist.

„Was nützt einem die schöpferische Phantasie und großer schwungvoller Stil, das viele Können und die technische Vollendung. Naiv und ungeschult müsste man sein, um an den Objekten erst zu lernen, mit ganz anderen als den üblichen Ausdrucksmitteln zu arbeiten.“3 (Malerin Elisabeth Krebs im Tagebuch ihrer Sahara-Reise)

Weitere Leihgeber sind u.a. das Centre Pompidou in Paris, das Zentrum Paul Klee in Bern, die Staatsgalerie Stuttgart, die Nationalgalerie in Berlin sowie verschiede Privatsammlungen.

Kuratiert von Martin Faass und Jessica Schmidt.

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  1. Zitiert nach Richard Kuba, Leo Frobenius: die Vorzeit als Bild, in: Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit, hg. v. Martin Faass und Jessica Schmidt (Ausst.-Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 24.3.–25.6.2023), S. 10–19, S. 11-12; Leo Frobenius, The Story of Rock Picture Research, in: Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa. From Material in the Archives of the Research Institute for the Morphology of Civilization, hg. v. Leo Frobenius und Douglas C. Fox (Ausst.-Kat. New York, Museum of Modern Art, 28.4.–30.5.1937), New York 1937, S. 14 f.
  2. Leo Fobenius, Ekade Ektab. Die Felsbilder Fezzans, Leipzig 1937, S. 21.
  3. Zitiert nach Richard Kuba, Leo Frobenius: die Vorzeit als Bild, in: Urknall der Kunst. Moderne trifft Vorzeit, hg. v. Martin Faass und Jessica Schmidt (Ausst.-Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, 24.3.–25.6.2023), S. 10–19, S. 16; Elisabeth Krebs, unpubliziertes Tagebuch ihrer Reise in die libysche Wüste 1934 – 1935, Eintrag vom 15.–17.5.1935, Privatarchiv Stefan Rhotert.