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Dieter Buchhart: „Keith Harings universelle Bildsprache funktioniert wie heute Emojis“ Erfinder des strahlenden Babys beweist Haltung in gesellschaftspolitischen Fragen

Dieter Buchhart, Foto: © Mathias Kessler

Dieter Buchhart, Foto: © Mathias Kessler

Die von Keith Haring Anfang der 1980er Jahre als universelle Bildsprache entwickelten Symbole – vom „Radiant Baby (Baby im Strahlenkranz)“ über den bellenden oder tanzenden Hund, vom UFO bis zur Glühbirne – fügt der New Yorker Künstler zu einer Erzählung über das Leben und den Tod zusammen. Der jung an AIDS verstorbene Künstler ist bis heute für seine einprägsamen Figuren und Strichfiguren berühmt. Dass sich dahinter ein konzeptueller Denker verbirgt, erzählt Dieter Buchhart, Kurator der Ausstellung „Keith Haring. The Alphabet“ in der Albertina (→ Keith Haring: Werke und Leben). Erst Harings Alphabet, so Buchhart, ermöglichte ihm, seine gesellschaftspolitischen Anliegen mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen.

Das Gespräch für ARTinWORDS führte Alexandra Matzner.

Von der Abstraktion zum Alphabet

ARTinWORDS: Dieter, du kuratierst die Ausstellung in der Albertina „Keith Haring. The Alphabet“. Welche Rolle spielen Bilder, Texte und vielleicht auch Buchstaben im Werk von Keith Haring?

Dieter Buchhart: Keith Haring hat eine höchst persönliche und weithin bekannte Bild-Wort-Sprache entwickelt. Es geht mir darum zu zeigen, dass er dafür eine Ordnung geprägt hat, eine Ordnung der Abfolge seiner Bild-Wörter. Das reicht von der Zeugung über die Geburt bis zum Tod.

ARTinWORDS: Keith Haring begann in den späten 1970er Jahren während seines Studiums allerdings mit abstrakten Zeichnungen. Seine Vorbilder fand er in Jean Dubuffet und Mark Tobey.

Dieter Buchhart: Pierre Alechinsky übte auch einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung von Keith Haring aus!

ARTinWORDS: Darüber hinaus scheint mir wichtig zu sein, dass er das Konzept eines entgrenzten Bildfeldes in Malperformances umsetzt. Er malt sich in eine Ecke und füllt riesige Bildflächen mit grafischen Elementen. Ist dieses Frühwerk auch in der Ausstellung präsent?

Dieter Buchhart: Ja, wir zeigen riesige Zeichnungen in der Albertina, eine Tusche-Zeichnung in Schwarz, Grün, Rot und Gelb stammt aus dem Jahr 1978 und eine weitere mit tanzenden Hunden aus dem Jahr 1981. Letztere ist eine solche Performance-Zeichnung. Während der Performance führte er die Linien in schwarzer Sumi-Tusche aus, danach hat er sie koloriert.

ARTinWORDS: In deinem Katalogbeitrag spricht du auch an, dass Keith Haring sehr spontan gearbeitet haben muss und sehr schnell. Hatte er ein Konzept vorbereitet, oder ging er frei improvisierend vor?

Dieter Buchhart: Das weiß man nicht so genau. Ich glaube, dass Keith Haring, vergleichbar mit Pablo Picasso, überall einen Kontext erzeugen konnte. Überliefert ist, dass er seine Bilder in einem Zug schuf ohne vorbereitende Studien selbst bei metergroßen monumentalen Werken. Er war ein genialer Zeichner!

 

 

Keith Haring in der Subway

ARTinWORDS: Spontaneität und Kreativität werden für mich in Keith Harings berühmten Subway Drawings deutlich, die er in der ersten Hälfte der 1980er Jahre in der New Yorker U-Bahn hinterlassen hat. In diesen Kreidezeichnungen reagierte er unter anderem auch auf das Umfeld der Zeichnungen, wie aus den Fotografien deutlich wird.

Dieter Buchhart: Zum Teil ja, zum Teil aber auch nicht. Auf jeden Fall kann man diese Zeichnungen als Entwicklungslabor seiner Zeichensprache auffassen. Zwischen 1980 und 1985 entwickelte er alle seine Symbole und erprobte sie im öffentlichen Raum. Er hatte immer nur kurz Zeit, diese Zeichnungen auszuführen, da er Gefahr lief, verhaftet zu werden. Er wurde auch einige Male festgenommen. Daher musste sich Haring eine rasante Geschwindigkeit zulegen, die vermutlich das Arbeiten mit einem Skizzenbuch von vornherein ausschloss.

ARTinWORDS: Keith Haring sieht in seiner Kunst eine universelle Sprache. Das Konzept ist auch gut aufgegangen, da er in den 1980er Jahren fast weltweit mit seiner Kunst eingeladen wurde.

Dieter Buchhart: Man kann Keith Haring ohne zu übertreiben einen Kunststar nennen. Er hat Beachtung wie ein Pop-Star erhalten. Als er in der ersten Hälfte der 1980er Jahre sein Projekt in der New Yorker-Subway verfolgte, muss er zwischen 8.000 bis 10.000 Zeichnungen gemacht haben. Mir haben viele New Yorker erzählt, dass das Teil ihres Lebens war. Im öffentlichen Raum zu arbeiten, war für Keith Haring zentral!

ARTinWORDS: Das Arbeiten auf den Straßen von New York erinnert mich an einen weiteren Künstler, mit dessen Werk du dich intensiv beschäftigst, nämlich Jean-Michel Basquiat. Derzeit läuft die von dir co-kuratierte Ausstellung „Basquiat. Boom for Real“ in der Frankfurter Schirn (→ Basquiat in der Schirn: Boom for Real). Als SAMO© hat er ebenfalls im öffentlichen Raum gesprayt und das besonders gerne in der Umgebung von Galerien. Er verwendete den öffentlichen Raum nicht nur als Experimentierfeld, sondern auch als Sprungbrett. Wie würdest du den Umgang der beiden Künstler mit der Öffentlichkeit beurteilen?

Dieter Buchhart: Basquiat konzipierte den öffentlichen Raum stärker als Sprungbrett als Haring. Keith Haring hat auch, als er schon berühmt war, konsequent in der Subway weiterproduziert. Basquiat hat die Kollaboration mit Al Diaz als SAMO© von 1978/79 zu dem Zeitpunkt aufgegeben, kurz nachdem die beiden enttarnt worden waren. Basquiat wurde mit seinen poetisch-konzeptuellen Sprüchen nie als Graffiti-Künstler gesehen, sondern von der Szene als „white conceptual artist“ verstanden. Hier gibt es wieder Parallelen, da auch Harings Zeichnungen als konzeptuelles Projekt aufgenommen werden können.

 

 

Storyboard des Lebens

ARTinWORDS: Wichtig für Keith Haring ist auch, sein Bildfeld mit Hilfe eines innerbildlichen Rahmens zu definieren. Diese selbst gezogene Grenze übertritt er kaum. Wie ordnest du dieses Vorgehen ein?

Dieter Buchhart: Das hängt wohl mit der Idee des Storyboards und entfernt mit Comicstrips zusammen. Anhand einer Zeichnung aus dem Jahr 1980 kann man das sehr gut nachvollziehen: Haring zeichnete auf einem über mehrere Meter langen Papierbogen fünf Bilder nacheinander. Zum Teil hat er solche Papierrollen auch wieder auseinandergeschnitten, zum Teil sind sie in der Abfolge erhalten geblieben. Keith Haring schuf durch diese Reihung einen Kontext zwischen den Szenen. In der Folge nahm er sie aber auch heraus und verarbeitete sie als Einzelszenen in seinen Gemälden. Für mich stellen diese Einzelbilder einen Bestandteil von Harings Alphabet dar!

ARTinWORDS: Im Vergleich zu einem Comic-Strip sind die Werke von Keith Haring aber nicht so einfach zu lesen. Mir fällt es manchmal schwer die Reihenfolge der Bilder zu eruieren, weil sie in unterschiedlich großen Bildfeldern aufeinanderfolgen, neben- und übereinander gezeichnet sind. Die Leserichtung lässt Haring also bewusst offen. Was bedeutet das?

Dieter Buchhart: Absolut! Das ist der große Unterschied zum Comic-Strip. Mir geht es bei diesem Vergleich vor allem um die Genese dieser zusammenhängenden Szenen, die aber selten so aufeinander bezogen werden wie in einem Comic-Strip. Dennoch eröffnen sie neue Assoziationsräume durch die unmittelbare Nähe zueinander. Ich nenne daher diese Bilder gerne Keith Harings „Storyboards“, weil im Film die aufeinanderfolgenden Szenen nicht unbedingt zusammenhängende Erzählstränge verfolgen müssen.

 

 

Sprache, Symbol, Bild: Haring der Semiotiker

ARTinWORDS: Als Keith Haring noch Kunst studierte, hat er sich intensiv mit Sprachwissenschaft und insbesondere Semiotik auseinandergesetzt. Du hast einige sehr schöne Überlegungen von Haring im Katalog versammelt.

Dieter Buchhart: Bill Beckley, der im Übrigen auch ein spannender Künstler ist, hat an der School of Visual Arts in New York Semiotik unterrichtet. Keith Haring hat sich sehr in dieses Thema eingearbeitet, wie man aus seinen erhaltenen Notizbüchern nachvollziehen kann.

ARTinWORDS: Dieser Schritt vom abstrakten Ornament hin zum Symbol ist schon im Frühwerk begleitet von seiner offensichtlichen Auseinandersetzung mit seiner sexuellen Orientierung. Der Phallus taucht sehr häufig in diesen Allover-Drawings auf. Haring übersetzt das „White writing“ von Mark Tobey in eine Zeichensprache. Wenig später ergänzt er frühe Symbole wie Phallus oder Wolkenkratzer um Bilder zur Zeugung, Geburt …

Dieter Buchhart: Mir ist wichtig zu zeigen, dass Keith Haring den gesamten Lebenszyklus beschreibt. Es hat Zeit seines Lebens Symbole erfunden und seine Zeichensprache kontinuierlich erweitert. Zu den berühmtesten gehören: das Baby, der Mensch, der Hund, das goldene Kalb, das Herz, die Schlange, das Schwein, der Atomreaktor, die Pyramide, das Radio, das UFO, der Geschlechtsverkehr und vieles mehr.

 

„[Kunst] sollte etwas sein, das die Seele befreit, die Fantasie anregt und die Menschen ermuntert, weiterzugehen. Sie feiert die Menschheit, anstatt sie zu manipulieren.“

 

 

Politische Kunst für Alle

ARTinWORDS: Keith Haring reagierte auf seine Umwelt sehr sensibel und übernahm politische Verantwortung. Man findet vom Atomreaktor, über muskelbepackte Aggressoren und Waffen, bis hin zu Geldscheinen brisante Themen der 1980er Jahre.

Dieter Buchhart: Ja, er beschäftigte sich sehr mit Krieg, Kapitalismus und Religion. In den 80ern waren beispielsweise Fernsehprediger in den USA im Fernsehen ein starkes Phänomen und haben vielen Menschen – aus der Perspektive von Keith Haring – falsche Hoffnungen gemacht.

ARTinWORDS: Fernsehen spielt im Werk von Keith Haring auch eine sehr große Rolle. Er platziert TV-Geräte und deren Bilder anstelle von Köpfen auf menschliche Körper, wie man anhand der ausgestellten Werke sehen kann.

Dieter Buchhart: Die zunehmende Technologisierung hat er sehr kritisch gesehen. Andererseits hat Keith Haring wie Andy Warhol den ersten iMac kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen und diesen ausprobiert. Gleichzeitig warnt er aber vor dem Verlust der Humanität durch den Silicon Valley Chip.

ARTinWORDS: Deinem Katalogbeitrag stellst du ein schönes Zitat von Keith Haring voran: „[Kunst] sollte etwas sein, das die Seele befreit, die Fantasie anregt und die Menschen ermuntert, weiterzugehen. Sie feiert die Menschheit, anstatt sie zu manipulieren.“ Ist diese Haltung für einen jungen Künstler im New York der 1980er Jahre State of the Art oder macht das die eigenständige Position von Keith Haring aus?

Dieter Buchhart: Nach meiner langjährigen Auseinandersetzung mit der jungen Kunstszene der 1980er Jahre in New York muss ich sagen, dass es nicht so viele politische Künstlerinnen und Künstler gibt – vor allem im Vergleich zu den 60er und 70er Jahren. Natürlich sind Barbara Kruger und Jenny Holzer zu nennen. Dazu kommen noch Haring und Basquiat. Haring hat aber ganz klar öffentlich Stellung bezogen. Zum Beispiel gegen die Apartheit, gegen Hiroshima, gegen das Aufrüsten des atomaren Arsenals, gegen die Macht der Kirche. Basquiat hat in diesen Fragen ebenfalls Haltung bewiesen, diese aber in seinen Werken verarbeitet.

ARTinWORDS: Was möchtest du mit der Ausstellung „Keith Haring. The Alphabet“ den Besucherinnen und Besuchern vermitteln?

Dieter Buchhart: Keith Haring als brillanten Künstler kennenzulernen, einen der großen und ernstzunehmenden Zeichner des 20. Jahrhunderts. Wir haben die Ausstellung sehr locker gehängt, sodass jedes Werk genügend Platz hat, um zu wirken. Es geht mir darum zu zeigen, dass Keith Haring mit seinem Alphabet, seinen Bildworten eine ganz eigene Bildsprache entwickelt hat. Diese funktioniert gleichsam als universelle Sprache, so wie heute Emojis eingesetzt werden. Für mich ist Haring ein Vorläufer dieser Art zu kommunizieren. Der Smiley wurde in den 60ern erfunden und ab den 70ern vermarktet. Das zu einer Bildsprache weiterentwickelt zu habe, ist die Leistung von Keith Haring.

Das Gespräch wurde am 9. März 2018 in Wien geführt.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.