Ernst Barlach (1870–1938) war ein deutscher Bildhauer, Plastiker, Schriftsteller und Zeichner des Expressionismus. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Der Rächer“ und mehrere Ehrenmäler im Andenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Darüber hinaus schuf er ein reiches druckgrafisches, zeichnerisches und literarisches Werk. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Ernst Barlach politisch verfolgt und seine Kunst als „entartet“ diffamiert und aus deutschen Museen und Gedächtnisstätten (Kirchen) entfernt.
Ernst Barlach wurde am 2. Jänner 1870 als ältester Sohn des Arztes Dr. Georg Barlach und dessen Frau Johanna Luise in Wedel (Holstein) geboren. Er verbrachte gemeinsam mit seinen Eltern und den drei jüngeren Brüdern seine Kindheit und Jugend in Schönberg und Ratzeburg.
Nach dem Besuch der Realschule in Schönberg wurde Ernst Barlach ab 1888 an der Allgemeinen Gewerbeschule in Hamburg (Kunstgewerbeschule) ausgebildet. Zwischen 1891 und 1895 studierte er an der Unter- und Mittelklasse der Königlichen Akademie der bildenden Künste in Dresden. 1892 wurde Barlach in die Meisterklasse von Robert Diez aufgenommen. Seine Ausbildung schloss er 1895 mit der Plastik „Krautpflückerin“ ab.
In der Folge reiste Ernst Barlach zwei Mal nach Paris, wo er bis 1896 die Académie Julian besuchte. Allerdings wird auch berichtet, dass er sich in Frankreich mit literarischen Texten beschäftigte. Ab 1897 war er als freischaffender Künstler in Hamburg und Altona tätig.
1898 beteiligte sich Ernst Barlach mit der Skulptur „Krautpflückerin“, die er unter dem Titel „Arbeit“ erstmals an der Großen Berliner Kunstausstellung. Zeichnungen Barlachs erschienen in der Zeitschrift „Jugend“ und später im „Simplicissimus“. Barlach arbeitete in einer Werkstattgemeinschaft mit dem Bildhauer und Freund Karl Gabers. Gemeinsam arbeiteten sie am Giebelfeld des Altonaers Rathauses. Frühe literarische Versuche Barlachs reflektieren die Pariser Zeit und reichen bis in die Hamburger, Berliner und Wedeler Jahre zurück. Bis 1901 arbeitete Barlach abwechselnd in Hamburg und Berlin, wo er Reinhard Piper und Karl Scheffler kennenlernte.
Zwischen 1901 und 1904 zog Barlach in seine Geburtsstadt Wedel, wo er erste Versuche im dramatischen Schreiben unternahm. In diesem Jahr schuf er vor allem Kleinkeramik für die Töpferwerkstatt Mutz in Altona. In dieser krisenbehafteten Zeit übernahm Barlach 1904/05 ein Lehramt an der Fachhochschule für Keramik in Höhr-Grenzhausen (Westerwald). Erste Ausstellung seiner Kleinkeramik im Kunstsalon Richard Mutz in Berlin ermutige ihn, 1905 nach Berlin zu übersiedeln. Dort begann er sich gegen den kommerzialisierten Kunstbetrieb der Wilhelminischen Zeit aufzulehnen. Er lehnte Überfluss und Ornamentluxus ab, stattdessen strebte er nach etwas „in Ruhe und Majestät Himmelsstürmerische“.
So lehnte er vor allem die malerischen Kolossalskulpturen von Max Klinger ab. In diesen Werken schien ihm, Seelisches als vulgäre Maskerade zu materialisieren. Barlach verabscheute Scheinheiligkeit. Stattdessen suchte er „Wahrhaftigkeit“ im Prozess des Gestaltens selbst, im endlichen Prozess unendlicher Versuche, Experimente, Tragödien. Barlach lehnte sowohl die symbolistische wie die impressionistische Skulptur ab, griff auf naturalistische Mittel und Motive zurück, auf ungeschönte Gegenständlichkeit.
Ernst Barlach reiste 1906 aus einer schweren Identitäts- und Lebenskrise heraus nach Russland, um seinen Bruder Hans zu besuchen, der in Charkow lebte. Er fuhr mit seinem Bruder Nikolaus zwei Monate lang über Warschau nach Kiew, Charkow, Pokatilowka, Konstantinowka, Karamatorowka, Belgorod und Bachmut. Barlach skizzierte viel und schrieb das „Russische Tagebuch“, in dem er seine Erfahrung des sich auflösenden Zarenreichs festhielt. 1912 publizierte Barlach den Text und 13 Lithografien unter dem Titel „Eine Steppenfahrt“. Die Erlebnisse dieser Russlandreise bewirkten bei Barlach einen fundamentalen künstlerischen Neubeginn.
Der künstlerische Durchbruch gelang Barlach 1907 mit den von Mutz gebrannten Terrakotten „Blinder russischer Bettler“ und „Russische Bettlerin mit Schale“, die er auf der 13. Ausstellung der Berliner Secession präsentierte. Barlach sah – auch durch die Mitgliedschaft in der Berliner Secession – die künstlerischen Auswirkungen der Russlandreise positiv bestätigt. Er begann daher die in Russland gefüllten Skizzenbücher in Plastiken und Prosaskizzen zu verarbeiten.
Auf der Winterausstellung der Berliner Secession 1908 war Barlach mit sieben Plastiken und 20 Zeichnungen vertreten. Zudem schuf er in diesem Jahr seine ersten Holzskulpturen – „Liegender Bauer“, „Steppenhirt“, „Sitzendes Weib“, „Schäfer im Sturm“, „Wanderer im Wind“ – und erste Bronzeplastiken. Barlach schloss einen Vertrag mit dem Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer, der ihm ein fixes Jahresgehalt einbrachte. „Wanderer im Wind“ wurde als erstes Werk Barlachs durch die Kunsthalle Bremen erworben.
1909 erhielt Ernst Barlach den Villa-Romana-Preis zugesprochen und hielt sich zehn Monate in Florenz auf. Dort schloss er Freundschaft mit dem Dichter und Kosmopoliten Theodor Däubler. De Anerkennung seiner Kollegen war Ernst Barlach sicher, als er zum Jury-Mitglied der Berliner Secession berufen wurde. Innerhalb der 21. Ausstellung der Berliner Secession (1910) wurde die Sonderschau „Ernst Barlach“ mit acht Plastiken und 20 Zeichnungen organisiert. Mit zehn Plastiken war Barlach aus der 10. Ausstellung des „Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ in Düsseldorf vertreten; weiters stellte er in der „Internationalen Kunstschau 1909“ in Wien aus. Karl Ernst Osthaus versuchte Barlach zur Übersiedlung nach Hagen zu bewegen.
Zu den Eigenheiten von Ernst Barlach zählt, dass der erfolgreiche Bildhauer sich zurückzog, um künstlerisch tätig sein zu können. Er übersiedelte 1910 nach Güstrow, wo er mit seiner Mutter und seinem Sohn Nikolaus lebte. Dort schuf er einige seiner bekanntesten Werke wie „Ruhender Wanderer“, „Der Berserker“, „Schreitende Frau“. Für „Toter Tag“ entstanden erste Lithografien und Zeichnungen zum Kohlhaas. Auffallend am reifen Werk Barlachs ist, dass er sich dem Leben und Aktivitäten der bäuerlichen Bevölkerung zuwandte. Seine Skulpturen und Plastiken erzählen von den Freuden, Nöten und Ängsten der norddeutschen Existenzen. Dabei vermeidet Barlach Idealisierung, ohne jedoch auf grotesk-fantastische Stoffe zu verzichten. Sein Ziel war, das Innerste und das Äußerste gleichzeitig zu durchdringen.
Ernst Barlach bezog 1911 einen ausgebauten Pferdestall in Güstrow als Atelier. Dort entstanden die Werke „Der Einsame“, „Drei singende Frauen“, „Bettlerin“, „Der Schwertzieher“. Im folgenden Jahr veröffentlichte er sein erstes Drama „Der tote Tag“ mit 27 Lithografien bei Paul Cassirer (1912); dessen Ehefrau Tilla Durieux er in einer Büste verewigte. Barlach beteiligte sich an der 2. Sonderbund-Ausstellung in Köln.
1914 wurde Ernst Barlach in den Vorstand der Freien Secession gewählt. Auf deren ersten Ausstellung wurden seine Werke „Die Verlassenen“ und „Wanderndes Paar“ ausgestellt. Barlach begann die Arbeit am „Güstrower Tagebuch“. Er freundete sich mit Friedrich Schult an.
Erst Barlach meldete sich 1915 freiwillig zum Kriegsdienst und wurde nach einer zweimonatigen Ausbildung Landsturmsoldat in Sonderburg. Auf Petition von Max Liebermann, Max Slevogt und August Gaul wurde Ernst Barlach aus dem Kriegsdienst entlassen.
Die erste Einzelausstellung Ernst Barlachs im Salon Paul Cassirer fand 1917 statt; Theodor Däubler hielt einen Vortrag über das Werk seines Freundes. Friedrich Kayßler las aus dem „Toten Tag“.
Ernst Barlach wurde 1919 zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Künste gewählt. Er lehnte Lehrämter und Ehrendoktorwürde ab.
Mit der Holztafel „Die Schmerzensmutter“ in der Kieler Nikolaikirche wurde 1922 Barlachs erstes Ehrenmal eingeweiht. Der Bildhauer schuf 1926 erste Entwürfe zum Güstrower Ehrenmal, das im folgenden Jahr als Barlachs erste Großplastik im Güstrower Dom der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die ersten Entwürfe für das Hamburger Ehrenmal können in das Jahr 1928 datiert werden. 1929 erfolgte die Aufstellung des Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs im Magdeburger Mals. Beginn einer Verleumdungskampagne reaktionärer Kreise gegen Barlach. Die Entwürfe für ein Mal in Malchin werden von Barlach zurückgezogen. 1931 erfolgte (noch) die Einweihung des „Hamburger Ehrenmals“ (Mutter mit Kind).
Während der 1920er Jahre veröffentlichte Ernst Barlach literarische Werke und Dramen: Die Uraufführung der Dramen „Der arme Vetter“ in Hamburg und „Der tote Tag“ in Leipzig (1919); Buchausgabe des Dramas „Die echten Sedemunds“ und Uraufführung in Hamburg (1920). Das Drama „Der Findling“ erschien 1922 mit 20 Holzschnitten, genauso die grafische Folge „Die Ausgestoßenen“. 1923 folgten die Holzschnitt-Illustrationen zur „Walpurgisnacht“ aus dem Faust-Drama von Goethe; 1924 die Buchausgabe der „Sündflut“ und Uraufführung in Stuttgart. Ein Jahr später arbeitete er bereits am Drama „Baal“ (später: „Der blaue Boll“, 1925/26). Barlach schrieb 1927 erste Notizen zum „Grafen von Ratzeburg“ und arbeitete am „Selbsterzählten Leben“, letztere veröffentlichte er 1928 (im gleichen Jahr schuf er auch erstmals grafische Selbstbildnisse). Buchausgabe für das Drama „Die gute Zeit“ und Uraufführung in Gera erfolgten noch 1929.
Wie sehr Ernst Barlach während der 1920er Jahre geschätzt wurde, beweisen die Ehrungen und Ausstellungserfolge, die ihm beschieden waren. 1924 erhielt Ernst Barlach den Kleist-Preis. Er beteiligte sich an der „I. Allgemeinen Deutschen Kunstausstellung“ in Moskau, Saratow und Leningrad. Barlach wurde 1925 zum Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste in München ernannt. 1926 hatte Ernst Barlach Ausstellungserfolge in Berlin bei Cassirer und in Dresden. Nach dem Freitod von Paul Cassirer band sich Barlach enger an Bernhard Böhmer, den er ein Jahr zuvor kennengelernt hatte. Nachdem 1927 die Ehe von Bernhard Böhmer geschieden worden war, lebten Ernst Barlach und die geschiedene Marga Böhmer bis zu seinem Lebensende zusammen.
Zum 60. Geburtstag von Ernst Barlach fand 1930 eine große Ehrenausstellung in der Preußischen Akademie der Künste, Berlin statt, in Essen, Kiel und Lübeck. Allerdings musste er bereits negatives Echo der Bevölkerung auf die provisorische Aufstellung des „Bettlers auf Krücken“ in Lübeck erleben. Ein Vertrag mit Alfred Flechtheim über den Bronzeguss mehrerer älterer Gipsmodelle und Ausstellung von 20 Bronzeplastiken in der Galerie Flechtheim in Berlin und Düsseldorf.
1932 zog Ernst Barlach die „Pietà“, einen Entwurf für das Ehrenmal in Stralsund, aufgrund wachsender Anfeindungen durch völkische und nationalistische Kreise zurück. Sonderschau „Ernst Barlach“ auf der Herbstausstellung der Preußischen Akademie der Künste, wo er u.a. drei Fassadenfiguren für Lübeck ausstellte. Aus Protest gegen den Zwangsausschluss von Käthe Kollwitz und Heinrich Mann aus der Preußischen Akademie der Künste hielt Ernst Barlach sieben Tage vor Hitlers Machtantritt eine Rundfunkrede: „Künstler zur Zeit“ (1933).
Der international erfolgreiche Künstler – Barlach stellte 1933 in der Kunsthalle Bern aus und wurde in den Orden „Pour le Mérite“ aufgenommen – begann zunehmend unter Hetzkampagnen gegen ihn und sein Werk zu leiden. So erfolgte der Beschluss des Magdeburger Domgemeinderates über die Entfernung des „Magdeburger Mals“, das im folgenden Jahr in Berlin magaziniert wurde.
1934 wurde Barlachs Entwurf eines Grabmals für den Freund Theodor Däubler von der Reichsschrifttumskammer abgelehnt. H. F. Reemtsma beauftragte Barlach, den „Fries der Lauschenden“ (1935) zu beenden. In Altona wurde 1935 die Absetzung der „echten Sedemunds“ von den Nazis erzwungen. Im folgenden Jahr wurden Arbeiten von Barlach, Kollwitz und Lehmbruck aus der Jubiläumsausstellung der Preußischen Akademie der Künste entfernt. Die Gestapo beschlagnahmte den Band mit Barlach-Zeichnungen.
1937 wird in der Barlach-Literatur „Das schlimme Jahr“ genannt: Sowohl das Güstrower Ehrenmal als auch der „Geistkämpfer“ in Kiel wurden aus der Öffentlichkeit entfernt. Mehr als 400 Barlach-Werke wurden aus deutschen Museen ausgeschieden. „Das Wiedersehen“ und der Band Zeichnung waren auf er Ausstellung „Entartete Kunst“ in München ausgestellt. Ernst Barlach wurde gezwungen, die Preußische Akademie der Künste zu verlassen. Im Jahr 1938 beschloss der Hamburger Senat die Entfernung des „Hamburger Ehrenmals“. Barlach arbeitete bis zuletzt an den Entwürfen für ein Taufbecken in Hamm/Westfalen. Die ambivalente Beziehung zu Bernhard Böhmer, der sich mit den neuen Machthabern arrangiert hatte, bewahrte Ernst Barlach vor persönlichen Folgen der Diffamierung.
Am 24. Oktober 1938 starb Ernst Barlach im Alter von 68 Jahren an einem Herzinfarkt. Käthe Kollwitz zitierte in ihrem Nachruf auf den verfemten Künstler aus dessem „Selbsterzählten Leben“ und fügte hinzu: „Seine Arbeit ist ‚außen wie innen‘ […] Nirgends fällt etwas auseinander […] Was er aus sich herausstellte […], war in sich eins.“1
Die Buchholz-Gallery in New York richtete ihm eine Gedächtnisausstellung aus. Die Londoner Protestausstellung gegen die Ausstellung „Entartete Kunst“, „20th Century German Art“, zeigte neune Werke von Ernst Barlach.
Ernst Barlach hat nie geheiratet.