Friedensreich Hundertwasser, Kanji-Text
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Friedensreich Hundertwasser, Kanji-Text Tokio 1961

Friedensreich Hundertwasser, 311 Das Ei des alten präkolumbianischen Japan, 1957, Privatsammlung, Ausstellungsansicht „Hundertwasser, Japan und die Avantgarde“, Belvedere, Orangerie, 6.3.-30.6.2013, Foto: Alexandra Matzner.

Friedensreich Hundertwasser, 311 Das Ei des alten präkolumbianischen Japan, 1957, Privatsammlung, Ausstellungsansicht „Hundertwasser, Japan und die Avantgarde“, Belvedere, Orangerie, 6.3.-30.6.2013, Foto: Alexandra Matzner.

Friedensreich Hundertwasser (1928-2000) verfasste während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Tokio 1961 den sogenannten "Kanji-Text".1 Darin äußerte er sich in Bezug auf die künstlerische Freiheit, die Vielfalt des Ausdrucks und forderte Kreativität für Alle.

Kanji-Text

  1. Es ist verbreitet sich eine merkwürdige Erschöpftheit der individuellen Schaffenskraft, das bunte Allerlei von Ausdrücken, wie Normierung und Sozialisierung, Kopieren und Lineal, Ameisenschlange und wilder Boden, und nun ist die Welt neuerdings die fürchterliche Welt der Analphabeten geworden.
  2. Zur Rechenschaft sollte die kriminelle Erziehungsmethode gezogen werden, die, durch das Erziehungswesen bedingt, an Hochschulen, Fachschulen, höheren Schulen und anderen Schulen praktiziert wird.
  3. Durch das „Hand in Hand Gehen“ mit dem geplanten Kolorit können nur die eigentlichen Kenntnisse systematisch und unnatürlich erlernt werden, und aus einem schaffenden Willen wird höchstens ein Fachtrottel beziehungsweise ein Nachahmer.
  4. Dieser sinnlose kriminell gehandhabte Prozess ist nichts anderes als ein programmierter Mordanschlag auf das Leben selbst.
  5. Natürlich sind solche Menschen als Produkte dieser Erziehungsmethoden nicht befähigt, die Verantwortung für sich und uns zu tragen.
  6. Folglich wurzelt der sogenannte Fortschritt, von dem man allgemein formelhaft spricht, in einem fundamentalen Irrtum.
  7. Das betrogene Leben!
  8. Das betrogene Glück!
  9. Dem Befehl gehorchendes Schmunzeln ist Lachen des Todes und der Unfruchtbarkeit.
  10. Nicht nur von der unheimlich ihren Fortgang nehmenden kommunistischen Welt, sondern auch von der westlichen Welt, sondern auch von der westlichen Welt ist dieses schöne Land bedroht.
  11. Lasst euch nicht beschränken!
  12. Folgt niemandem nach!
  13. Geht in euch selbst!
  14. Merkt euch, dass das Radio, die Zeitung, der Film, die Werbung und das Fernsehen, alls diese Dinge Mittel dazu sind, Menschen unter das Joch zu spannen.
  15. Glaubt nicht an die Dinge, die so klar sind wie mit dem Lineal gezogen.
  16. Haltet gerade Linien nicht an das Herz!
  17. Seid individuell!
  18. Seid frei!
  19. Seid schöpferisch!
  20. Und vor allem, seid reich an Farben!
  21. Dann werdet ihr von nichts bedroht.
  22. Weil man durch diese Eigenschaften weder zu besiegen noch totzuschlagen sein wird.
  23. Ich werde nach meinem schöpferischen Gewissen das Beste hervorbringen, mich autonom betätigen und mich nie lähmen lassen.
  24. Ich werde mich stets verbessern.
  25. Ich werde kein feiges Leben führen.
  26. Sämtliche Zähne fest zusammenbeißend male ich mit Feldhühnereiern und japanischer Erde.

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  1. Zitiert nach: Hundertwasser, Japan und die Avantgarde (Ausst.-Kat. Belvedere), S. 208.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.