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Madrid | Museo Nacional Thyssen-Bornemisza: Magritte Die Magritte Maschine automatisiert den Denk- und Schaffensprozess

René Magritte, La Clef des champs, Detail, 1936, Öl/Lw, 80 x 60 cm (Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, Inv. no. 657 (1976.3)

René Magritte, La Clef des champs, Detail, 1936, Öl/Lw, 80 x 60 cm (Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, Inv. no. 657 (1976.3)

Mit „La Manufacture de poésie“ (1950) offerierte der surrealistische Maler René Magritte (1898–1967) einen imaginären Produktkatalog von Maschinen zur Automatisierung von Denk- und Schaffensprozessen, darunter eine „universelle Maschine zum Malen“. Ausgehend von dieser Erfindung zeigt die Ausstellung mit 65 Gemälden, Fotografien und Filmen, wie die „Magritte-Maschine“ - und damit seine Form des Surrealismus - funktioniert (→ René Magritte: Biografie).

Magritte im Thyssen-Bornemisza

Die „Magritte-Maschine“ analysiert die Funktionsweise von Magrittes Werk in sechs Kapiteln. Der Maler bediente sich häufig eines klassischen Mittels der Metamalerei – der Darstellung der Darstellung: In seinem Werk werden das Bild im Bild, das Fenster, der Spiegel, die Figur von hinten zu Täuschungen. Diese metapiktorialen Mittel bilden in der Ausstellung des Museo Nacional Thyssen-Bornemisza den roten Faden zwischen verschiedenen Kapiteln.

Der erste Abschnitt trägt den Titel „Die Macht des Magiers“ und umfasst verschiedene Selbstporträts, welche die Figur des Künstlers und die ihm zugeschriebenen Superkräfte untersuchen. Darauf folgt „Bild und Wort“, bezugnehmend auf die Einführung der Schrift in die Malerei und auf die Konflikte zwischen textuellen und figurativen Zeichen. „Figur und Hintergrund“ ist der dritte Abschnitt gewidmet und untersucht die paradoxen Möglichkeiten, die durch die Inversion von Figur und Hintergrund, Silhouette und Leere erzeugt werden. Das Gemälde im Gemälde, Magrittes häufigstes metapiktoriales Motiv, analysiert „Bild und Fenster“, während sich „Gesicht und Maske“ auf die Verdrängung des Gesichts im menschlichen Körper, eines der am häufigsten verwendeten Mittel Magrittes, konzentriert. Die beiden letzten Abschnitte befassen sich mit gegensätzlichen Prozessen der Metamorphose, nämlich „Mimikry“ und „Größenwahn“. Der erste Abschnitt führt Magrittes Faszination für Tarnung ein, die er auf Objekte und Körper übertrug, sodass sie sich in ihrer Umgebung verbergen und teilweise im Raum auflösen. Das letzte Kapitel präsentiert die Methode des Maßstabswechsels als anti-mimetische Bewegung, für die Magritte Objekt aus ihrer normalen Umgebung löste und sie fernab jedes Kontextes projizierte.

Seit mehr als 30 Jahren wurde dem belgischen Künstler und führenden Surrealisten René Magritte keine Retrospektive mehr in Spanien gewidmet. In Madrid wird nun das sich wiederholende und kombinatorisches Element im Werk dieses Malers herausgearbeitet, arbeitete er sich doch in obsessiver Weise immer wieder mit unzähligen Variationen an den gefundenen Bildthemen ab. René Magrittes scheinbar grenzenlose Fantasie führte zu einigen kühnen Kompositionen und provokanten Bildern, die die Betrachter:innen mit einer veränderten Wahrnehmung konfrontieren. Durch ihre überraschenden Zusammenstellungen hinterfragen sie vorgefasste Ansichten über die Realität und regen zum Nachdenken an.

Magrittes „Malmaschine“ und die Frage der Wiederholung

„Meine Bilder sind sichtbare Gedanken.“

René Magritte und einige seiner surrealistischen Freunde in Belgien erstellten 1950 einen Katalog von Produkten einer vermeintlichen Genossenschaft: „La Manufacture de Poésie“. Artikel zur Automatisierung des Denkens und Schaffens gehörten genauso dazu wie eine „universelle Maschine zum Herstellen von Gemälden“. Diese beschrieben die Künstler und Intellektuellen als „sehr einfach zu bedienen, für jedermann zugänglich“ und würde sich eignen, „eine fast unbegrenzte Anzahl von denkbaren Gemälden zu komponieren“.

Die „Malmaschine“ hatte Vorläufer in der Avantgarde-Literatur, darunter Texte von Alfred Jarry und Raymond Roussel, im Surrealismus. deren Erfindungen betonten der physische Prozess der Malerei, wenn auch durch gegensätzliche Konzepte. Die „Malmaschine“ Jarrys rotierte und sprühte dabei Farbstrahlen in alle Richtungen, während Rousseal von einer Maschine träumte, die einem Drucker ähnelt, der fotorealistische Bilder produzieren könnte.

Das von den belgischen Surrealisten beschriebene Gerät ist anders und sollte Bilder erzeugen, die sich ihrer selbst bewusst sind. Die „Magritte-Maschine“ ist demzufolge eine metapiktoriale Maschine, eine Maschine, um denkende Gemälde zu produzieren, und solche, die über die Malerei selbst nachdenken können. Dieses Konzept folgte René Magrittes Überzeugung, der seine Malerei als Denkkunst definierte:

„Seit meiner ersten Ausstellung im Jahr 1926 […] habe ich tausend Bilder gemalt, aber ich habe nicht mehr als hundert der Bilder, über die wir sprechen, konzipiert. Diese tausend Bilder sind das Ergebnis der Tatsache, dass ich oft Varianten meiner Bilder gemalt habe: Es ist meine Art, das Geheimnis besser zu definieren, es besser zu besitzen.“

Trotz seiner bekannten Ablehnung des Automatismus als zentralem Verfahren des Surrealismus schien René Magritte der Entpersonalisierung und Objektivität dieser eigenhändigen Wiederholungen seiner wichtigsten Kompositionen einen intellektuellen Wert zu verleihen. Die „Magritte-Maschine“ ist nicht kohärent und geschlossenes kein System. Vielmehr handelte es sich um ein interaktives Verfahren, das eine Entdeckung beinhaltete. Es ist auch rekursiv, eine Wiederholung durch Verschachtelung – jedoch mit jeweils anderen Ergebnissen.

Die Kunst Magrittes ist eine Reflexion über die Malerei selbst, eine Reflexion, die als grundlegendes Werkzeug das Paradoxon nutzt. Was sich in einem Gemälde durch Kontraste oder Widersprüche offenbart, ist nicht nur das Objekt, sondern auch seine Darstellung, und damit das Gemälde als etwas Gemaltes. Wenn Malerei auf die Wiedergabe von Wirklichkeit beschränkt ist, verschwindet die Malerei, resp. die Handschrift Magrittes, und taucht erst wieder auf, wenn der Maler alles durcheinanderbringt: Die Malerei an sich wird nur durch das Paradoxe, das Unerwartete, das Unglaubliche und das Seltsame sichtbar.

Die Macht des Magiers

Drei der vier bekannten Selbstporträts René Magrittes, in denen er das Potenzial des Künstlers als Magier auslotete und gleichzeitig eine ironische Haltung gegenüber Mythen um den genialen Schöpfer suggerierte, sind in Madrid vereint. Magritte war nicht daran interessiert, sein Aussehen zu beschreiben oder sein Leben durch diese Werke zu erzählen. Seine Selbstporträts sind ein Vorwand, um die Figur des Künstlers und den Schaffensprozess im Gemälde vorzustellen. Eine Gruppe fotografischer Selbstporträts vervollständigt diesen ersten Teil der Ausstellung.

In „Versuch des Unmöglichen“ (1928) sieht man Magritte, wie er eine nackte Frau malt; aufgrund der Wandvertäfelung ist das Zimmer als Magrittes Esszimmer in Le Perreux erkennbar. Der Maler ist real, aber sie – Georgette – ist nur das Produkt seiner Phantasie, zwischen Existenz und Nichts schwebend. Dies ist eine Version des Mythos von Pygmalion und Galatea, des künstlerischen Schaffens, das mit dem Begehren und der Kraft der Vorstellungskraft identifiziert wird. Die scheinbar akademische Malerei führt die Betrachter:innen in die Falle, wenn sie dem vermeintlichen Illusionismus Glauben schenken. Eine Ent-Täuschung folgt auf dem Fuß und macht das Gemälde als etwas Künstliches, als etwas von einem Künstler Erschaffenes doppelt deutlich.
„Die Lampe des Philosophen“ (1936) präsentiert die Begegnung zweier Fetische des Künstlers, die beide sexuelle Symbolik haben: Nase und Pfeife. In „Der Zauberer“ (1951) sieht man, wie der Maler seine Superkräfte nutzt, um zu essen und zu trinken. Vier Arme schneiden die Speise, schenken Wein in das Glas nach und führen das Essen zum Mund. Die Magie von Magrittes Kompositionen entsteht aus dem Konflikt zwischen der naturalistischen Darstellungsweise, durch die eine Ähnlichkeit des Dargestellten mit der Realität entsteht, und den phantasievollen, künstlichen Szenerie.

Bild und Wort

Worte waren ein bereits gewohntes Mittel in Werken des Kubismus, Futurismus, Dadaismus und Surrealismus. René Magritte führte sie während seiner Zeit in Paris zwischen September 1927 und Juli 1930 in seine Arbeit ein, als er in engem Kontakt mit der Pariser Surrealistengruppe stand. In diesen Jahren schuf er seine Tableaux-Mots [Wort-Bilder], Gemälde, in denen er Schriftzüge mit figurativen Bildern oder halbabstrakten Formen verband. Die zwischen 1928 und 1929 entstandenen Wort-Bilder verbinden Rahmen und Silhouetten mit (fast immer) einer Schulbuchhandschrift.

Die frühen Wort-Bilder – darunter „Der Schlüssel der Träume“ (1927) – fallen Bild und Wort selten zusammen. Die dadurch verunsicherten Betrachter:innen sollen zum Nachdenken angeregt werden. Wichtig bei diesen Arbeiten sind nicht die bezeichneten Objekte, sondern der Schein des Widerspruchs zwischen dem, was das Bild zeigt und dem, was der Text bezeichnet. Das Bild wirkt wie ein „schiefgegangenes Grundschullesebuch“1 (David Sylvester). Dadurch entsteht eine Trennung zwischen dem Objekt und seiner Repräsentation.
Ende 1927/Anfang 1928 begann Magritte Objekte aus seinen Bildern zu entfernen und stattdessen dunkle Flächen mit entsprechender Beschriftung einzuführen. Worte ersetzen das Abbild des Objektes und werden zu alleinigen, vor allem aber phantasieanregenden Protagonisten. Die Objekte sind dabei fast immer in einer geschwungenen Form (vergleichbar einem Comic-Brötchen) dargestellt. Interessanterweise löste sich Magritte um 1930 von der Methode, Schrift in seine Bilder einzubauen. Sie taucht ab 1931 vor allem in Repliken oder Varianten dieser Gemälde auf und nur noch selten in neuen Kompositionen.

Figur und Hintergrund

Magritte arbeitete nicht besonders häufig mit Collagen und Papiers collés, obwohl ihr Einfluss auf seine Malerei deutlich sichtbar ist. Ein Großteil von Magrittes Bildern lässt eine unterteilte, geschichtete Welt von Ebenen entstehen, die teils verborgen sind und andere teils weiter hinten im Bildraum enthüllt werden.

Zwischen 1926 und 1931 verstärkte sich der Einfluss der Collage. René Magrittes Gemälde zeigten Formen mit durchbrochenen Flächen und mit Silhouetten, die ausgeschnittenes Papier nachahmen und wie theatralische Bühnenelemente aufrecht stehen. Im Jahr 1927 begann der Künstler, das Kinderspiel des Scherenschnitts zu beschwören, um Ketten aus sich wiederholenden, geometrischen und symmetrischen Motiven zu erschaffen. Das Ergebnis ist eine Art Gitter, mit dem er auf charakteristische Weise Bildelemente gleichzeitig enthüllte und verbarg.

Eine weitere häufig verwendete „Magritte-Mathode“ ist die Umkehrung von Figur und Hintergrund. Dadurch verwandelte er feste Körper in Hohlräume oder Löcher, durch die eine Landschaft oder ein Bereich, gefüllt mit Himmel, Wasser oder Vegetation, sichtbar wird. Der Umriss gehört zum Objekt und bewahrt die geisterhafte Präsenz desselben.

Bild und Fenster

„Vor einem Fenster von der Innenseite eines Zimmers aus habe ich ein Gemälde platziert, das genau den Teil der Landschaft darstellt, der von diesem Gemälde verdeckt wird. So verbarg der im Bild dargestellte Baum den dahinter stehenden Baum außerhalb des Raumes. Für den Betrachter war der Baum im Gemälde im Raum und gleichzeitig durch den mentalen Prozess draußen, in der realen Landschaft. So sehen wir die Welt; wir sehen es außerhalb von uns, aber dennoch haben wir nur eine Vorstellung davon in uns.“ (René Magritte)

Das Bild im Bild ist ein ikonisches Element im Werk René Magrittes. Als Erbe der Tradition des Trompe-l’oeil-Spiels setzte er es als List ein, was zum Verschwinden des Gemäldes führte. Die klassische Metapher, die das Gemälde mit einem Fenster vergleicht, hat der Künstler wörtlich aufgegriffen und weitestgehend ausgeweitet: Wenn das Gemälde ein Fenster ist, wäre das perfekte Gemälde völlig transparent, also unsichtbar. Die Vollkommenheit des Gemäldes besteht darin, dass es verschwindet, und Magritte erreichte diesen Punkt nahezu, um an diesem Punkt aufzuhören. Der belgische Maler suchte ein allmähliches Verschwinden, das die Betrachtenden immer daran zweifeln lässt, ob sie wirklich das sehen, was sie zu sehen glauben.

Die Ausstellung im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza versammelt spannende Werke wie „Die Spaziergänge des Euklid“ (1955). Magritte reihte Rahmen ineinander: der Vorhang, das Fenster, die Leinwand. Das Bild im Bild führt die Häuserzeile überzeugend fort, stellt einen Turm mit spitzer Haube im Bildvordergrund einem Straßenzug mit gleicher Form zur Seite. Die leichte Schrägstellung der Staffelei, auf dem sich das Gemälde vor dem Fenster befindet, gibt den Blick auf den linken unbemalten Bildrand frei, wodurch der gemalte Bildausschnitt überhaupt als solcher erkennbar wird. Die scheinbar realistische Malerei fügt sich so gut in das gemalte Interieur mit Ausblick ein, dass nur der perfekte formale „Parallelprozess“ von Turmhaube und Straßenzug für Irritation sorgt. Sieht das verdeckte Stadtbild wirklich so aus, oder handelt es sich um eine kunstvolle Erfindung des Malers?

In „Der Schlüssel zur Freiheit“ (1936, Museo Thyssen-Bornemisza) verschwindet das Bild vor dem Fenster und verwandelt sich in bemalte Glassplitter. Inspiriert dazu wurde Magritte von einem Cartoon, in dem ein Lastwagen durch ein Erdgeschossfenster eines großen Landhauses gebrochen war.2 Der Blick durch das Fenster widerholt sich in der „Bemalung“ der Bruchstücke des Fensters.

Gesicht und Maske

Seit ihrem ersten Erscheinen 1926/27 taucht die Rückenfigur immer wieder in Magrittes Werk auf und begleitet eine Vielzahl von Bilderrätseln. Mit ihrem verborgenen Gesicht gibt sie stilles Zeugnis zu den Geheimnissen u.a. von Landschaften. Sie verdeutlicht den Akt des Schauens und der Kontemplation.

Im Werk Magrittes zeigt sich eine wiederkehrende Symmetrie einer von hinten gesehenen und einer frontal gesehenen Figur mit verdecktem Gesicht. Damit arbeitete der Künstler mit zwei völlig unterschiedlichen Arten, das Gesicht zu verbergen. Häufig nutzte er ein weißes Tuch, das den Kopf oder in einigen Fällen den ganzen Körper bedeckt. Der bedeckte Kopf wird mit Magrittes früher Faszination für Fantômas in Verbindung gebracht, dem Helden einer Reihe populärer Romane. Weiters spielte auch eine Kindheitserinnerung an den Selbstmord seiner Mutter eine gewichtige Rolle. Als ihre Leiche gefunden wurde, war ihr Kopf von ihrem Nachthemd bedeckt.

Die Särge der Serie „Perspective“ werden in Madrid als Varianten auf dem bedeckten Kopf gedeutet. Magritte wählte in diesen Arbeiten verschiedene Ikonen des bürgerlichen Porträts, um sie mit seinem schwarzen Humor zu kommentieren: Er tauschte die Dargestellten durch Särge, deren Form die Posen aufnimmt. Der Titel der Serie spiegelt die hellseherischen Fähigkeiten des Malers wider, der die Dargestellten in ihrem zukünftigen Zustand sehen konnte. Es sind parodistische Bilder über die Vergänglichkeit, die sich gleichzeitig darüber lustig machen. Magritte lässt über den Tod und die Unsterblichkeit der großen Ikonen der Malerei lachen.

Mimikry

„Ich habe eine neue Möglichkeit gefunden, die Dinge haben können: die, allmählich etwas anderes zu werden, ein Objekt, das mit einem anderen Objekt als sich selbst verschmilzt. […] Auf diese Weise erhalte ich Bilder, in denen ‚das Auge‘ ganz anders denken muss als üblich.“

„Entdeckung“ (1927) zeigt René Magrittes erste Anwendung der Methode der Metamorphose, die später insbesondere während des Zweiten Weltkrieges zu seinem am häufigsten verwendeten Ansatz wurde. In diesem Gemälde scheint die Metamorphose (noch) vom Körper hervorzugehen, während sie in anderen Werken vom Äußeren, vom umgebenden Raum ausgeht. Ein in der Luft aufgelöster Körper ist Gegenstand von „Die Zukunft der Statuen“ (1932), einem Abguss von Napoleons Totenmaske, „getarnt“ mit blauem Himmel und weißen Cumulus-Wolken. Diese Arbeiten nahmen eine wichtige Serie vorweg, die 1934 mit „Die schwarzer Magie“ begann: Der der nackte Körper einer Frau behält seinen Umriss, aber wechselt seine Farbe in Höhe der Taille. Der Körper erscheint chamäleonartig und verwandelt sich auf halbem Weg von fleischfarbene Haut in blaue Luft.

Magrittes Mimikry ist auch als Konsequenz seines Interesses an der Umkehrung von Figur und Grund, wie in „Die Rückkehr“ (1940) zu sehen. Zu den berühmtesten Werken des Belgiers gehört zweifellos „Carte blanche“ (1965), das eine Reiterin hoch zu Ross im Wald zeigt. Die elegante Erscheinung von Pferd und Reiterin wird durch Baumstämme – aber auch Zwischenräume – in Facetten geteilt. Wenige Jahre vor seinem Tod fand der Künstler eine überzeugende Lösung für das Problem von Fläche und Raum aber auch von Sichtbarem und Unsichtbarem:

„Wenn jemand auf einem Pferd durch einen Wald reitet, sieht man sie zuerst und dann nicht, aber man weiß, dass sie da sind. [...] unser Denkvermögen sowohl das Sichtbare als auch das Unsichtbare erfasst.“

Megalomanie

„In meinen Bildern habe ich Objekte gezeigt, die sich dort befinden, wo wir sie nie finden würden. […] Angesichts meines Wunsches, Alltagsgegenstände laut aufschreien zu lassen, müssen sie in eine neue Ordnung gebracht werden und einen verstörenden Sinn bekommen.“

Der Gegenpol zur Mimikry ist der Größenwahn, der dazu neigt, einen Körper oder Gegenstand aus seinem Kontext zu befreien. Bei René Magritte ist er in Form eines Maßstabswandels nachweisbar. Dadurch holte er ein Objekt oder einen Körper aus seinem gewohnten Kontext heraus und positionierte sie an anderer Stelle. Während beim Mimikry der Körper vom Raum gleichsam verschlungen wird, ist es beim Größenwahn der Körper, der den umgebenden Kontext verzehrt, zeigt sich Kurator Guillermo Solana überzeugt.

Das vergrößerte Objekt in Magrittes Werken kann aus der Natur stammen – ein Apfel, ein Stein, eine Rose – oder eine runde Form haben, die im Kontrast zu dem künstlichen, kubischen Raum steht, in dem es eingeschlossen ist. Beispiele in Magrittes Werk sind weiters Schellen, die zu einer riesigen Größe aufgeblasen werden und wie Ballons, Planeten oder Raumschiffe aufsteigen; die Männer mit Melonen, die sich in der Luft unterhalten; oder der Fels, der in verschiedenen späten Gemälden zum Hauptmotiv wird.
Lewis Carroll, den Magritte sehr bewunderte und der von André Breton als Vorläufer des Surrealismus anerkannt wurde, beherrschte diesen Größensprung besonders gut. Magritte nutzte Carrolls „Alice im Wunderland“ offensichtlich als Inspirationsquelle für seine Serie „La Folie des grandeurs [Megalomanie]“ (1967). Ihr Hauptmotiv ist ein weiblicher Torso, der in drei hohle Teile unterteilt ist. Wie russische Matrioschka-Puppen oder wie ein Teleskop sind diese Elemente ineinander gepasst.

„Wenn der Betrachter denkt, dass der Stein fallen muss, hat er ein größeres Gefühl dafür, was ein Stein ist, als wenn er auf dem Boden wäre. Die Identität von Stein wird viel sichtbarer. Außerdem würde man das Gemälde gar nicht bemerken, wenn der Stein auf dem Boden wäre.“

Kuratiert von Guillermo Solana, dem künstlerischen Leiter des Museums.
Die Ausstellung versammelt mehr als 90 Gemälde, die von Institutionen, Galerien und Privatsammlungen aus der ganzen Welt geliehen wurden – dank der Unterstützung der Magritte-Stiftung und ihres Präsidenten Charly Herscovici. Eine Auswahl an Fotografien und Amateurfilmen von Magritte selbst ergänzen die Gemälde. Sie wurde von Xavier Canonne, Direktor des Musée de la Photographie de Charleroi mit freundlicher Genehmigung von Ludion Publishers zusammengestellt.
Nach seiner Präsentation in Madrid wird die „Magritte-Maschine“ vom 24. Februar bis 5. Juni 2022 im Caixaforum in Barcelona zu sehen sein.
Quelle: Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, 2020

Magritte in Madrid: Bilder

  • René Magritte, La Clef des champs, 1936, Öl/Lw, 80 x 60 cm (Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, Inv. no. 657 (1976.3)

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  3. David Sylvester, Magritte, Brüssel 2009, S. 168.
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