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Madrid | Museo Thyssen-Bornemisza: Picasso und Chanel Kunst und Mode zwischen Kubismus und Neo-Antike | 2022

Pablo Picasso, Mann mit einer Klarinette, Detail, 1911/12, Öl/Lw, 106 x 69 cm (Museo nactional Thyssen-Bornemisza, Madrid © Sucesión Pablo Picasso, VEGAP, Madrid)

Pablo Picasso, Mann mit einer Klarinette, Detail, 1911/12, Öl/Lw, 106 x 69 cm (Museo nactional Thyssen-Bornemisza, Madrid © Sucesión Pablo Picasso, VEGAP, Madrid)

Rund 50 Kreationen von Coco Chanel (1883–1971), 65 Werke von Pablo Picasso (1881–1973) sowie Gemälde von Georges Braque und Juan Gris zeichnen die gegenseitige Wertschätzung der Modedesignerin und dem Maler. Picasso erarbeitete mit dem Kubismus eine visuelle Sprache, der Gabrielle „Coco“ Chanel ab 1910 mit ihren Entwürfen auf vielfältige Weise folgte. Kuratorin Paula Luengo verweist auf Jean Cocteau, der sogar bewundernd behauptet hat, dass Chanel „für die Mode das war, was Picasso für die Malerei war“.1 Das Museo Thyssen-Bornemisza bringt im Herbst 2022 Kunst und Mode in vier Kapiteln zusammen, die einer chronologischen Ordnung folgt und ungefähr das Jahrzehnt zwischen 1915 und 1925 umfasst.

Erster Kontakt

Wie der erste Kontakt zwischen der aufstrebenden Modedesignerin und der Pariser Avantgarde genau zustande kam, liegt im Dunkeln. Coco Chanel selbst beschrieb, wie sie um 1916 die Mäzenin und Pianistin Misia Godebska kennenlernte, die sie in die Künstlerkreise um Pablo Picasso einführte. Die beiden Frauen hätten einander, so Coco, im Salon der Schauspielerin Cécile Sorel getroffen. Einige ihrer Biografen hingegen verorten dieses Treffen bei einer Soirée, die Sorel am 28. Mai 1917 veranstaltete, um die Uraufführung des Balletts „Parade“ zu feiern, für das Picasso Kostüme und Bühnenbilder geschaffen hatte. Seine Freunde Eric Satie (Musik), Cocteau (Libretto), die Tänzer:innen des Balletts Russes mit einer Choreografie von Léonide Massine und er schufen ein außergewöhnliches, den Kubismus feierndes Stück, in das sich bereits – in Form des Bühnenvorhangs von Picasso – der Realismus Bahn brach. Chanel tauchte tief in das Paris der Künstler und Intellektuellen ein, bis hin zu ihrer Erklärung, dass „es sind Künstler [waren], die mir gezeigt haben, wie man anspruchsvoll ist“.

Wie auch immer: Coco, Misia und Cocteau verband seit dieser Zeit eine lebenslange Freundschaft. Sowohl Picasso als auch Chanel befanden sich am Sprung zu einer Weltkarriere, deren Wurzeln bei Picasso 1908 mit der Entwicklung des Kubismus sowie Chanel mit der Gründung von Chanel Modes in Paris (1910) liegen. Beide sollten in den 1920er Jahren zu den berühmtesten Vertreter:innen ihrer Zunft avancieren.

Die Persönlichkeiten Picassos und Chanels waren einander ähnlich: beide galten als entschlossen, eigensinnig, kontrollierend und herrschsüchtig. Für Chanel war ihre Beziehung zumindest eine feste Freundschaft, die sie als gegenseitig betrachtete. Die Modeschöpferin streute der Kunst Picassos über Jahrzehnte Rosen:

„Ich mochte den Mann. In Wirklichkeit war es seine Malerei, die mir gefiel, obwohl ich nichts davon verstand. Ich war überzeugt und bin es gerne. Picasso ist für mich wie eine Logarithmentafel. […] Ich war später an den Revolutionen beteiligt, die regelmäßig die Rue La Boétie erschütterten. Ich war Zeuge des Erfolgs seiner Entwürfe und des öffentlichen Beifalls von ‚Der Dreispitz‘ und ‚Pulcinella‘. Ich kletterte oft zu seiner Alchemistenhöhle hinauf.”2 (Coco Chanel über Picasso an Paul Morand, 1946)

Vor allem in den späten 1910er und frühen 1920er Jahren, als Picasso aktiv mit den Ballets Russes zusammenarbeitete, nahmen beide regen Anteil am Leben und Werk des anderen. Chanel besuchte häufig die Gesellschaft des Malers und seiner Frau Olga. Sie gingen gemeinsam ins Theater, um Uraufführungen von Cocteaus Stücken beizuwohnen, trafen einander im Nachtclub „Le Bœuf sur le Toit“ oder Chanel lud Picasso und Olga zum Abendessen ein. Im Gegenzug schenkte Picasso Chanel ein signiertes Exemplar des Buches mit 32 Reproduktionen seiner Entwürfe für die Kostüme und Bühnenbilder von Manuel de Fallas Ballett „Le Tricorne [Der Dreispitz]“ (1919) aus dem Jahr 1920. Pablo Picasso und Coco Chanel arbeiteten zweimal direkt zusammen – an „Antigone“ (1922) und an Serge Diaghilews „Le Train Bleu [Der blaue Zug]“ (1924) für seine Ballets Russes. Beide Male war auch Jean Cocteau involviert.

„Ich sah die Modiglianis und Juan Grises kommen und gehen, und Picasso blieb.“3 (Coco Chanel)

Chanel-Stil und der Kubismus

Eigenschaften von Chanels Mode stehen im Einklang mit der avantgardistischsten Kunst. Der Einfluss des Kubismus auf Chanels Kreationen ist seit ihren frühesten, innovativen Designs spürbar: ihre Verwendung einer geometrischen Formensprache, zurückhaltender Farbeinsatz (vgl. analytischer Kubismus, 1908–1911) und die kubistische Ästhetik der Collage (ab 1912), die sich in Chanels Kleidern mit geraden, kantigen Linien ausdrückt. Coco Chanel vermied übermäßiges Ornament4, neigte zu architektonischen Linien und bevorzugte zwei- statt dreidimensionale Silhouetten. Ihre Entwürfe waren „einfach“, „rein“ und „präzise“, wie es die zeitgenössische Kritik zusammenfasste.5

Klare Formen

Picassos Formensprache aus geraden, eckigen Linien spiegelt sich in Chanels frühen, innovativen Designs wider, die bei den liberalsten und modernsten Frauen um 1910 sofort Erfolge feierten. Sie etablierte eine zur Vertikalität tendierende Silhouette. Chanels Kleider offenbaren den Spürsinn ihrer Schöpferin, die sich mit den Kompositionen des Analytischen Kubismus offenbar früher produktiv auseinandersetzte, als die meisten Sammler:innen überhaupt deren Existenz wertschätzen konnten.6

„Die Reduktion des Ornaments und die allmähliche Eliminierung von Taille und Brust führten zu einer synthetischen Interpretation des Körpers, Vorder- und Rückseite konnten als zweidimensionale Flächen behandelt werden, die sie durch Überlagerung neuer Flächen bearbeitete.“7 (Juan Gutiérrez)

Reduzierte Farbigkeit

Vieles von Chanels Modernität – von ihrer Vorliebe für Schwarz, Weiß und Beige (neben weiteren, diskret eingesetzten Buntfarben), und ihre Verwendung von billigen Stoffen mit strengen Texturen – lässt sich mit monochromen, aber strukturierten Kompositionen des Kubismus in Beziehung setzen. Der Einsatz von Schwarz und Weiß verliehen allen Kreationen Chanels Struktur; 1926 veröffentlichte die „Vogue“ als Höhepunkt dieser Entwicklung ihre „petite robe noire“, ihr „Kleines Schwarzes“. Chanel vertrat die Meinung, dass die Nicht-Farben „eine absolute Schönheit“ und „perfekte Harmonie“ verkörperten.8 Chanel nutzte die Abstraktion im Design, seine Elemente sind auf ein subtiles Zusammenspiel von Texturen reduziert – erweitert durch lange Perlenketten, Armbänder oder gemusterte Schals. Beige war hingegen eine Naturfarbe, die nicht gefärbt werden musste. Chanel ergänzte sie durch subtile Farbkreationen. Diese schlichten Grundtöne entsprachen der praktischen und nüchternen Stimmung jener Jahre.

Collagen, Strukturen und Oberflächen

Picassos kubistische Collagen führten ab 1912 eine Auswahl an Materialien und Objekten in die Kunst ein, die der Spanier im Allgemeinen auf Flohmärkten fand und gerne sammelte. Darunter befinden sich einige mit groben, rauen oder strengen Texturen, wie Sackleinen. Der Künstler verarbeitete Zeitungen und Tapeten mit unterschiedlichen Designs und Mustern von Pflanzenmotiven. Andere unerwartete, „arme“ Materialien waren kommerzielle Ripolin-Emaille-Farben, die er mit Ölfarbe oder Sand mischte. In den 1920ern experimentierte Picasso in seinen Reliefbildern, wie die Collage „Gitarre“ (1926) zeigt, mit unterschiedlichsten Stoffen und Materialitäten, darunter ein schmutziges Hemd bis zu Lumpen, Holz, Seilen, Nägeln und Zeitungspapier.

Im Einklang mit diesen neuen künstlerischen Techniken wählte Chanel einfache, niedrige Stoffe wie Baumwoll- und Wolljersey – die zur Herstellung von Matrosenpullovern, Herrenunterwäsche und Sportbekleidung verwendet wurden – teilweise als Folge der Textilknappheit während des Krieges und der daraus resultierenden Preiserhöhung. Ein Vorrat an Strickstoffen, den sie 1916 von Jean Rodier erworben hatte, markierte den Beginn ihrer Zusammenarbeit mit dieser Marke. Im folgenden Jahr nannte die Designerin ihre Firma „The House of Jersey“, und Rodier brachte Chanella heraus, einen Trikotstoff, den er speziell für Chanel entworfen hatte. Coco Chanels Name wurde zum Synonym für gewebte Jersey-Stoffe, nicht nur wegen des intensiven Einsatzes, sondern auch wegen ihres meisterhaften Umgangs damit. Als eine der ersten setzte Coco Chanel Kaninchen-, Biber- und Eichhörnchenfelle ein, die viel weniger luxuriös waren als die Pelze. Dennoch waren ihre Entwürfe sehr teuer –, was ihren Rivalen Paul Poiret dazu anstachelte, dies als „luxuriöse Armut“ zu bezeichnen.9

Olga Picasso

Das zweite Kapitel der Ausstellung konzentriert sich auf Picassos zahlreiche Porträts seiner ersten Frau, der russischen Ballerina Olga Khokhlova, die zu Chanels treue Kundinnen gehörte (→ Picassos erste Frau: Olga Picasso). Cocteau überlieferte, dass auch ihr Brautkleid von Chanel entworfen worden war:

„Ich musste eine goldene Krone über Olgas Kopf halten; es ließ uns alle so aussehen, als würden wir in Boris Godunov auftreten. Die Zeremonie war wunderschön, eine richtige Hochzeit mit geheimnisvollen Ritualen und Gesängen. Mittagessen danach im Meurice, Misia in Himmelblau, Olga in weißem Satin, Trikot und Tüll – ganz Biarritz.“10

Ein einziges überliefertes Foto, das Olga wahrscheinlich in ihrem Hochzeitskleid zeigt, stammt aus dem August oder September 1918. Niemand geringerem als Igor Strawinsky ist zudem die Information zu verdanken, dass Picassos Frau viele Chanel-Roben besaß – was durchaus auch als Zeichen des zunehmenden Wohlstandes des Künstlers gedeutet werden kann.

Der Künstler hingegen nutzte Coco Chanels schicken Stil ist in vielen klassischen Porträts der 1920er Jahre. Meist stand ihm dafür Olga Modell. Das bekannteste Porträt aus dieser Zeit zeigt Olga in einem Sessel, auf dem die Dargestellte ein elegantes Kleid aus schwarzer Seidengaze mit Blumenmuster trägt (Musée national Picasso–Paris). Dem linearen, an Ingres‘ angelehnten Linienführung dieser Zeit entsprach die scheinbar einfache und geradlinige Schnittführung der Couturier. Die Bildnisse nachdenklicher oder lesender Frauen harmonieren gekonnt mit den ausgestellten Kleidern, pelzverbrämten Jacken und Mänteln Chanels. Die elegant-bequemen Kleidungsstücke umschmeicheln Picassos Frauen, wie sie die Damen von Welt als sportlich-mondän auswiesen. Wer hätte gedacht, dass Picasso sich mit der Mode seiner Zeit so intensiv auseinandersetzte hat?

Antigone – Antike im neuen Gewand

„Antigone“, Jean Cocteaus moderne Adaption des Sophokles-Stücks, wurde am 20. Dezember 1922 im Théâtre de l’Atelier in Montmartre mit Bühnenbildern und Masken von Picasso sowie Kostümen von Chanel uraufgeführt. Die Besetzung der Uraufführung konnte sich sehen lassen: Charles Dullin (König Kreon), Genica Athanasiou (Antigone), Antonin Artaud (Tiresias) mit Musik von Arthur Honegger (für Harfe und Oboe).11 Das Theaterstück wurde ein Riesenerfolg,12 und „Antigone“ etwa hundertmal aufgeführt.

„Ich habe Mademoiselle Chanel um Kostüme gebeten, weil sie die größte Schneiderin unserer Zeit ist und ich mir die Töchter von Ödipus nicht als schlecht gekleidet vorstelle.“13 (Jean Cocteau, 1923)

Der Autor wählte dieses klassische Stück mit der Idee, es „unter dem Einfluss dessen zu modernisieren, was seither als „Mythos des Mittelmeers“ bezeichnet wird – jenes Gefühl der Nähe zur Antike, das Henri Matisse, Pierre Bonnard, Picasso und Francis Picabia gleichermaßen veranlasste, sich mit klassischen Themen auseinanderzusetzen, während sie Zeit an der Riviera verbrachten.14 Ausgangspunkt ist jedoch der Konflikt zwischen der Autorität und den Gesetzen des Staates, die von König Kreon durchgesetzt werden, und den ungeschriebenen Gesetzen der familiären Bindungen und Verpflichtungen, die von seiner Nichte Antigone verteidigt werden.

Picassos antike Quellen

Die mit „Antigone“ anbrechende Phase in Picassos Œuvre wird häufig mit Ingres in Verbindung gebracht (ab 1922). Dennoch sollte nicht vergessen werden, und Paula Luengo weist darauf hin, dass er sich intensiv mit der Kunst des Klassischen Altertums auseinandersetzte. Während seiner häufigen Besuche im Louvre studierte der Maler die klassische Keramik in der Campana-Sammlung. Im Frühjahr 1917 tauchte er in Italien in die hellenistische Kultur ein und entdeckte die römischen Fresken von Pompeji und das Museo Archeologico in Neapel. Als sich der Spanier von Mai bis Juli 1919 in London aufhielt, erkundete er das British Museum, wo seine Aufmerksamkeit besonders auf die Galerien für klassische Kunst und römische Flachreliefs gelenkt wurde. Dieses Museum beherbergt die lukanische oder nestoritische Vase aus den Jahren 390–80 v. Chr. mit der einzigen

Picasso und Chanel auf Spuren der Antike

Pablo Picasso malte für „Antigone“ ein Bühnenbild mit ultramarinblauem Himmel und dorischen Säulen, das größer als die Bühne war und von allen Seiten aufgehängt und auf dem Boden drapiert wurde. Der überraschende, aber wirkungsvolle Hintergrund strahlte in Violett, Blau und Ocker. Daran waren die Masken der Mitglieder des Chores angebracht. Diese Gesichter von Frauen, älteren Menschen und Kindern und waren ebenfalls von Picasso ausgeführt. Zudem ließ er sich für die Schilde der Soldaten von Motiven antiker griechischer Vasen inspirieren. Mit 19 Vorzeichnungen in einem Skizzenbuch (Musée Picasso in Paris),15 einer Gruppe von Studien für das Bühnenbild von „Antigone“ und einem Pastell bereitete er sein Werk vor. Dieses Projekt fiel mit der Phase der „Rückkehr zur Ordnung“ zusammen, in der Picasso eine wichtige Werkgruppe malte, die monumentale Frauen in weißen Tuniken halb- oder ganz nackt darstellte, für die häufig Olga Modell stand.

Chanel ließ sich als Kostümdesignerin ebenfalls vom antiken Griechenland inspirieren, und entwarf Kostüme aus dicker schottischer Wolle in Braun-, Wollweiß- und leicht kastanienbraunen Farbtönen, die zum Dekor und anderen Requisiten passten und ganz im Einklang mit der von Picasso gewählten reduzierten Farbpalette standen.16 Creon und Haemon trugen Togen in neutralen Farben und Ledersandalen sowie auf ihren Köpfen metallene Stirnband-ähnliche Kronen, die als der erste von Chanel hergestellte Modeschmuck gelten.
Es wird erzählt, dass Gabrielle während einer der letzten Proben wütend wurde, weil ihr Beitrag nicht angemessen gewürdigt wurde. Als sie einen kleinen Fehler in Antigones handgestricktem Mantel entdeckte, griff sie nach einem Wollfaden und zog ihn vollständig heraus. Die Heldin musste einen von Chanels eigenen Mänteln tragen, da keine Zeit war, ihn neu zu stricken. Die Modedesignerin sollte sich irren: Das wichtigste Kritikerlob ging an sie. Ihre Entwürfe wurden von der Fachpresse gehypt und umfangreich gecovert. Chanels Zusammenarbeit mit Cocteau und Picasso steigerte ihren sozialen und künstlerischen Status sowie ihr berufliches Profil, unterschied sie von zeitgenössischen Rival:innen und positionierte sie, um größere und sichtbarere künstlerische Projekte anzunehmen.

Leider ist keines der Originalkostüme von 1922 erhalten. Sie wurden für die Aufführungen der später von Honegger geschriebenen und im Dezember 1927 am Théâtre de la Monnaie in Brüssel mit Werken von Picasso uraufgeführten Oper „Antigone“ verwendet, wo zwischen Januar und März 1928 weitere acht Aufführungen stattfanden. Zeichnungen von Pierre-Georges Jeanniot zeigen die Hauptdarstellerin in ihrem Kostüm, Fotografien in Modejournalen und im Programmheft lassen die Antike wieder auferstehen. Dem – wie auch dem Picasso-Pastell „Drei Frauen an einem Brunnen“ (1921, Privatsammlung) und weiteren Frauen-Darstellungen in weißen Kleidern – stellt die Kuratorin helle Sommerkleider von Chanel aus den 1920er Jahren gegenüber, in denen die Allusion einer Toga aufgenommen und weiterentwickelt wird.

Le Train Bleu

„Le Train Bleu [Der blaue Zug]“ ist der Titel des 1924 von Diaghilew geschaffenen Balletts mit einem Drehbuch von Cocteau. Premiere war am 20. Juni im Théâtre des Champs-Elysées in Paris. Das Stück begeisterte das Publikum mit seiner Mischung aus Tanz, Pantomime, Akrobatik, Musik und Satire.

Der Einakter war inspiriert von den Olympischen Spielen, Jazz und Stummfilmen; Darius Milhaud schuf die Musik. Das Bühnenbild wurden dem kubistischen Bildhauer Henri Laurens anvertraut, einem Anhänger von Braque und Picasso. Etwa ein Monat vor der Premiere sah Diaghilew in Picassos Atelier die kleine Gouache „Zwei Frauen, die am Strand entlanglaufen [Deux femmes courant sur la plage]“ (The Minneapolis Institute of Art) vom Sommer 1922 in Dinard (Bretagne). Die Darstellung zweier mächtiger Frauen mit nackten Brüsten, die mit über ihren Köpfen schwingenden Händen den Strand entlang rennen, wurde in den Bühnenvorhang verwandelt. Weiters nahm Picasso auch den Auftrag an, das Programmheft zu illustrieren. Er schuf ein Coverbild sowie Studien von sich vorbereitenden Tänzer:innen für die Seiten.

Die Handlung drehte sich um vier Freunde – zwei sportliche, frivole Paare in der neuesten Mode – und ihre Flirts an der Côte d’Azur. Coco Chanel ließ sich für die Kostüme von ihrer anspruchsvollen Sportbekleidungskollektion inspirieren. Lydia Sokolova als Perlouse trug einen rosa gestrickten Badeanzug und eine enge Badekappe, ein ähnliches Trikot wurde für den athletischen Dolin in der Rolle von Beau Gosse entworfen. Für Léon Woizikovsky als Golfer wählte Chanel Tweed-Plus-Fours, ein weißes Hemd und Krawatte und einen gestreiften Pullover mit passenden Socken, während Bronislava Nijinska als Tennisspielerin in ein weißes Tenniskleid gekleidet war. Die beiden einzigen noch erhaltenen Originale, die von Perlouse und einem Gigolo getragenen Badeanzüge, gehören zu den Sammlungen des Victoria and Albert Museum in London und durfte nicht nach Madrid ausgeborgt werden. Stattdessen zeigt die Ausstellung einige Reproduktionen von Chanels Entwürfen für die Aufführung des Balletts in der Pariser Oper 1992. Der Kuratorin ist es jedoch gelungen, Picassos „Die Badenden“ vom Sommer 1918 in Biarritz, die der Künstler zeitlebens in seiner Sammlung bewahrte, aus dem Musée Picasso in Paris zu erhalten.

„Sie hat wie durch ein Wunder in der Modewelt nach Regeln gearbeitet, die nur für Maler, Musiker und Dichter von Wert zu sein scheinen. Auf eine einzigartige Weise setzt sie das Unsichtbare durch. Mitten im sozialen Aufruhr, die Noblesse eines Schweigens.“17 (Cocteau über Chanel, 1954)

Picasso – Chanel: Ausstellungskatalog

Museo Nacional Thyssen-Bornemisza (Hg.)
Mit Beiträgen von Lynn Garafola, Marika Genty, Juan Gutiérrez, Paula Luengo, Dominique Marny, Maria Spitz and Birgit Haase
208 Seiten

Picasso – Chanel: Bilder

  • Pablo Picasso, Mann mit einer Klarinette, 1911/12, Öl/Lw, 106 x 69 cm (Museo nactional Thyssen-Bornemisza, Madrid)

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  1. Zit. n. Madsen 1990a, S. 108. Paula Luengo relativiert diesen emphatischen Ausspruch korrekterweise sogleich mit dem Hinweis auf Jean Leymarie, der analysierte, dass beide in ihren jeweiligen Welten die Führung übernommen und jene Autorität erlangt hatten, die erforderlich war, um einen Mythos um sich herum zu schaffen, der bis heute anhält. Siehe: Luengo, Picasso and Chanel, in: Ausst.-Kat. Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, 2022), Madrid 2022, S. 20–35, hier S. 21.
  2. Paul Morand, The Allure of Chanel, London 2013, S. 110–111.
  3. Zit. n. Morand 1996, S. 114.
  4. Ein Vergleich mit Adolf Loos‘ und Ludwig Mies van der Rohes Überzeugungen um 1910 wären eine lohnende Forschungsfrage.
  5. Siehe vor allem den Beitrag von Juan Gutiérrez im Katalog: Juan Gutiérrez, The Canon of Modern Life: Chanel From the Perspective of Picasso, in: Picasso – Chanel 2022, S. 44–49 hier S. 46; weiters: Harold Koda and Bolton 2005, Martin 1998.
  6. Siehe vor allem den Beitrag von Juan Gutiérrez im Katalog: Juan Gutiérrez, The Canon of Modern Life: Chanel From the Perspective of Picasso, in: Picasso – Chanel 2022, S. 44–49 hier S. 46; weiters: Harold Koda and Bolton 2005, Martin 1998.
  7. Juan Gutiérrez, The Canon of Modern Life: Chanel From the Perspective of Picasso, in: Picasso – Chanel 2022, S. 44–49 hier S. 47.
  8. Siehe Morand 2013, S. 180.
  9. Zit. n. Maurice Sachs, Au temps du Bœuf sur le Toit, Paris 1971, ohne Paginierung.
  10. John Richardson, A Life of Picasso, Bd. 3: The Triumphant Years, 1917–1932, New York/London 2007, S. 86.
  11. Siehe: Jean Cocteau, À propos d’Antigone, in: Gazette des Sept Arts 3, 10.2.1923, S. 10.
  12. Paula Luengo zählt in ihrem Katalogbeitrag die wichtigsten Kritiken auf, Siehe: Picasso – Chanel 2022, Fußnote 52, S. 33.
  13. Jean Cocteau, À propos d’Antigone, in: Gazette des Sept Arts 3, 10.2.1923, S. 10.
  14. Weiterführende Informationen finden Sie bei Mary E. Davis, Classic Chic: Music, Fashion, and Modernism, Berkeley/Los Angeles/London 2006, S. 194.
  15. Siehe: Richardson 2007, S. 220.
  16. Für weiterführende Informationen siehe Edmonde Charles-Roux, L’Irrégulière ou Mon itinéraire Chanel, Paris 1974, S. 396.
  17. Jean Cocteau, Le retour de Mademoiselle Chanel, in: Le Nouveau Femina 1, März 1954, S. 18.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.