Serge Poliakoff
Wer war Serge Poliakoff?
Serge Poliakoff (Moskau 27.12.1899–12.10.1969 Paris) war ein russisch-französischer Maler der Abstraktion (→ Abstrakte Kunst). Er gilt als wichtiger Vertreter der Nouvelle École de Paris (auch: Schule von Paris).
Kindheit
Serge Poliakoff, russisch Серж Поляко́в wurde am 27. Dezember 1899 (jul.) bzw. am 8. Januar 1900 (greg.) in Moskau geboren. Sein Vater Georg Poliakoff besaß in Kirgisien im Hinterland Russlands nahe der chinesischen Grenze eine große Pferdezucht. Er scheint nicht in Kirgisien gelebt zu haben, sondern in der Stadt Tula nahe Moskau, wo er auch seiner späteren Ehefrau Agrippina Stroukoff begegnete. Als er sich in Moskau niederließ, wurde er Mitglied der kaiserlichen Pferdezucht und mit der Rekrutierung von Pferden für die kaiserliche Armee beauftragt. Auch Serge Poliakoff war von Pferden fasziniert.
Poliakoffs Familie führte in Moskau ein angenehmes Leben in Wohlstand und dürfte stark zusammengehalten haben. Somit unterlag seine Ausbildung auch den verschiedenen Einflüssen seiner Geschwister. Die Kinder- und Jugendjahre des beförderten die Ausbildung der verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit. Da seine Mutter sehr musikalisch war, wurden die entsprechenden Talente Serge Poliakoffs durch eine ansprechende Musikausbildung gefördert. Mit zwölf Jahren spielte der junge Serge bereits perfekt Gitarre.
Die Liebe zur Malerei oder zumindest das Bedürfnis, sich plastisch auszudrücken, zeigte sich relativ früh. Mit etwa zwölf Jahren verzierte Serge, ein großer Bewunderer Napoléons, sein Zimmer mit Wandmalereien von den großen Taten seines Helden. So besuchte er auch ab 1914 Malkurse in Moskau. Jedoch sollte die Revolution im Jahre 1917 dieses erfüllte Leben voller Privilegien zutiefst erschüttern und die Studien sowie diesen ersten Lebensabschnitt Serge Poliakoffs beenden.
Emigration nach Paris
Im Jahr 1920 wurde die Lage in Moskau kritisch. Georg Poliakoff beschloss, seine beiden jüngsten Kinder, Serge und seine Schwester Sophie, mit ihrer Mutter aufs Land zu schicken, wo sie bei einer ehemaligen Dienerin untergebracht werden sollten. Doch Serge Poliakoff hatte insgeheim beschlossen, Russland zu verlassen, und seine Flucht – nicht nur vor den Bolschewiki – sorgfältig geplant. Er nutzte das Umsteigen auf einem Bahnhof und unterrichtete seine Schwester von seinen Absichten; er bat sie, seiner Mutter – die er nie wiedersehen sollte – nichts zu sagen, um nicht an seinem Vorhaben gehindert zu werden, und verschwand. Er versuchte, in der Nacht die Weiße Armee zu erreichen, und kam schließlich nach einer dramatischen Zugfahrt, auf der er sich unter einem Kohlenwagen versteckte, in Kiew an.
Es folgten weitere günstige Wendungen, durch die er sich bis zu seinem Onkel Dimitri Poliakoff durchschlagen konnte. Zusammen überquerten sie den Kaukasus, wohnten einige Zeit in Tiflis und konnten sich mit ihren musikalischen Talenten den Lebensunterhalt verdienen. Im Tross von Revolutionstruppen erreichten beide Batoum am Schwarzen Meer, wo sie zusammen mit einer Tante, der Sängerin Nastia Poliakoff, und einer Cousine von Serge ein britisches Kriegsschiff bestiegen, das sie nach Istanbul brachte. Für die folgenden Jahre bildeten sie ein musikalisches Quartett, das durch Ost- und Mitteleuropa tourte – mit Stationen unter anderem in Sofia, Belgrad, Venedig, Köln und Berlin. In Paris löste sich die Formation auf; Nastia Poliakoff ging auf Tournee in die USA, und Serge Poliakoff verdiente seinen Lebensunterhalt als Gitarrist in Nachtclubs. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zwischen 1923 und 1951 als Musiker, u. a. als Gitarrist in russischen Kabaretts.
Ausbildung
Im Jahr 1927 begann er, sich intensiv mit Mathematik und Metaphysik zu beschäftigen. Auf die vage Möglichkeit hin, in den USA eine Reparaturwerkstatt für Autos eröffnen zu können, fing Poliakoff eine Lehre zum Mechaniker an.
Ende des Jahrzehnts begann er mit seinem intensiven Studium der Malerei. Von 1929 an war er an der Pariser Académie Frochot und der Académie de la Grande Chaumière eingeschrieben. 1931 war er erstmals in einer Gemeinschaftsausstellung vertreten, zwei Jahre später mit einem Stillleben im Salon de la société des artistes français. Ende 1935 ging Poliakoff mit seiner zukünftigen Frau Marcelle Perreur-Lloyd nach London, wo er verschiedene Kunstschulen besuchte. Im Cirque d’Hiver traf der Maler-Musiker den Schauspieler Yul Brynner, mit dem er sich anfreundete. Zwei Jahre später, 1937, kehrte das Paar nach Paris zurück.
Werke
Zunächst variierte Poliakoff die akademischen Traditionen und bevorzugte gegenständliche Motive wie Akte, Häuser, Bäume. Nach 1935 fand er sukzessive zur ungegenständlichen Abstraktion. Neben starkfarbigen russischen Volksszenen entstanden ab 1938 erste abstrakte Kompositionen. Entscheidend beeinflusst wurde er dabei von Wassily Kandinsky, den er bei seiner Rückkehr nach Paris traf. Durch Sonia Delaunay-Terk und Robert Delaunay lernte er die emotionale Qualität der Farbe schätzen, das Künstlerpaar weckte sein Interesse für Simultankontraste. Auch der Bildhauer Otto Freundlich übte mit seinen gebogenen Farbform-Kompositionen maßgeblichen Einfluss auf Poliakoffs Bildsprache aus.
Während des Kriegs blieb Poliakoff mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in Paris. Seine erste Einzelausstellung hatte Serge Poliakoff 1945 in Paris. Im Jahr 1947 wurde er von Jean Deyrolle in Gordes in der Region Vaucluse in Frankreich unter Kollegen wie Gérard Schneider, Émile Gilioli, Victor Vasarely und Jean Dewasne ausgebildet. Zu Beginn der 1950er Jahre wohnte er noch im Hotel „Old Dovecote“ in der Nähe von Saint-Germain-des-Prés, wo auch Louis Nallard und Maria Manton lebten.
Danach stellte sich künstlerischer Erfolg ein, sodass er ab Beginn der 1950er Jahre nicht mehr darauf angewiesen ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie als Gitarrist zu verdienen.1
Poliakoff entwickelte eine sehr individuelle Form abstrakter Malerei, die bunte Farbflächen nebeneinanderstellt. In den 1940er Jahren blieb er im graubraunen Farbbereich. Anfangs eher blasstonig, werden Poliakoffs Kompositionen ab Mitte der 1950er Jahre farbintensiver. Helle Töne stehen dabei dunklen Farbwerten unvermittelt gegenüber. Hinzu kommt Poliakoffs Überzeugung, dass jede Form zwei Farben hat, eine innere und eine äußere. Aus diesem Grund legt er Farben übereinander. Farbe ist für Poliakoff gleichbedeutend mit Form, sein grundlegendes Thema ist die Verschränkung von Farbformen zu dynamischen und zugleich „musikalischen“ Bildkompositionen. Wie das Werk Paul Klees und Wassily Kandinskys fußt auch Poliakoffs Schaffen in weiten Teilen auf der Musik. Von ihm häufig als „composition abstraite“ bezeichnet, entfaltet Poliakoff „in der Fläche seiner Bilder […] harmonisch aufeinander abgestimmte Farbtöne zu optischen Klangteppichen. Die entstehenden Strukturen sind komplex und verblüffend einfach zugleich“.2
Im September 1955 bezog Serge Poliakoff eine Wohnung im Herzen von St.-Germain-des-Prés in der 51, Rue de Seine. Nach vielen Jahren fand der Maler dort eine Bleibe. Er verwandelte das Schlafzimmer des Gästehauses „la Joyeuse“ in ein Atelier, wo er am Morgen an seinen Gouachen arbeitete. In der Zwischenzeit war sein Ruhm auch in den USA gestiegen, wo seine Werke in Ausstellungen des Solomon R. Guggenheim Museum und dem Museum of Modern Art in Rio de Janeiro bzw. der dritten Biennale von São Paulo gezeigt wurden. Am 26. März trafen sich alle russischstämmigen Maler der Ecole de Paris in der Russisch-Orthodoxen Kathedrale von Paris, um an einer Gedächtnisfeier für Nicolas de Staël teilzunehmen.
In seinem Spätwerk reduzierte er die kräftige Polychromie auf erdfarbene Nuancen und zeigte eine Neigung zur monochromen Gestaltung.
Serge Poliakoff war Teilnehmer der „documenta II“ (1959) und der „documenta III“ (1964) in Kassel. Nach der Einbürgerung in Frankreich 1962 erhielt der Künstler einen eigenen Saal auf der „Biennale von Venedig“.
Tod
Serge Poliakoff starb am 12. Oktober 1969 in Paris.
Beiträge zu Serge Poliakoff
- Gérard Durozoi, Serge Poliakoff. Monographie 1900–1954, Paris 2004.
- Nils Ohlsen, Serge Poliakoff. Architekt einer bildnerischen Poesie, in: Serge Poliakoff. Retrospektive, hg. von Christiane Lange (Ausst.-Kat. Kunsthalle Emden; Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München), München 2007, S. 29–33, hier S. 32.