Die Wiener Moderne um 1900 war im Möbeldesign ein wahres Laboratorium für Gestaltung, dessen kreative Impulse bis heute ausstrahlen. Die Künstlerarchitekten Wiens gehörten zu den Wegbereitern der modernen Formgebung. Das Hofmobiliendepot Möbel Museum Wien stellt die führenden Architekten der Wiener Moderne – Otto Wagner (1941–1918), Josef Hoffmann (1870–1956) und Adolf Loos (1870–1933) – als Innenarchitekten und Möbeldesigner vor und beleuchtet ihre unterschiedlichen Positionen zum Wohnen und Einrichten ( → Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen).
Eines vorweg: Das Wiener Design der Jahrhundertwende ist kein „Stil“, wie Kuratorin Eva B. Ottillinger betont, sondern ein spannender Dialog mit den Materialien und deren Verarbeitung, dem Nützlichkeitsgedanken, der Kritik an der Großstadt, den Repräsentations- bzw. Ruhebedürfnissen der Nutzinnen und Nutzer.
Österreich | Wien: Hofmobiliendepot – Möbelmuseum Wien
21.3. – 7.10.2018
Otto Wagner, der „Bauunternehmer“, richtete sich Musterwohnungen für sich selbst ein und nutzte diese zur Vermarktung der Mietshäuser. Er war kein Produktdesigner nach heutigem Verständnis, sondern er entwarf Möbel für seine eigenen Gebäude, die er entweder als Gesamtkunstwerke wie die Postsparkasse konzipierte oder als Mietshäuser zum Weiterverkauf errichtete. Abfotografiert, dokumentiert und in Magazinen verbreitet, bilden Kunst- und Einrichtungszeitschriften – wie „Das Interieur“ und „Innen-Dekoration“ – die wichtigsten Quellen für die selten in toto erhaltenen Ensembles. Konzise Farbbeschreibungen geben auch einen Eindruck zur Koloristik und Oberflächenbeschaffenheit, was schwarz-weiß Fotografien nicht vermitteln konnten. Und Fotografien sind auch in der Schau im Hofmobiliendepot – Möbelmuseum Wien wichtige Informationsträge, holen sie doch die Gebäude in die Ausstellung bzw. geben in Form von historischen Aufnahmen einen Eindruck gesamter Inneneinrichtungen der Jahrhundertwende.
Die ältesten Möbel der Schau stammen aus Otto Wagners Speisezimmer in seiner Wohnung Köstlergasse aus dem Victoria & Albert Museum in London – geradlinige Formen in Nussbaumholz mit Permutteinlagen. Ein dunkelbraun gebeizter, ehemals grüner, Kleiderschrank ergab mit dem Entwurf für die textile Wandgestaltung – einem Kirschbaummotiv – den Eindruck „in einem Garten zu schlafen“1. Sich die Natur ins Haus zu holen, versprach Erholung und paradiesische Zurückgezogenheit.
Für das Damenzimmer seiner Ehefrau in der Wohnung Döblergasse 4 wählte Otto Wagner 1912 hellen, feinstrukturierten Vogelahorn und einmal mehr Textilien der Forma Backhausen. Einmal mehr erinnert die Formgebung aber auch die Stoffmuster an Kunsthandwerk des Biedermeier. Helle Hölzer für Räume der weiblichen Sphäre und dunkles Mahagoni beispielsweise für den Herrensalon zu verwenden, lässt sich auch im Werk von Adolf Loos noch nachweisen.
„Der Künstler sollte nicht mehr bloß ein Bild malen, sondern ein ganzes Zimmer schaffen, ja eine ganze Wohnung: zu seinem Bilde seine Tapete, zu seiner Tapete seine Möbel. Hier lernten die Leute fühlen, dass ein Zimmer kein Museum ist, sondern etwas Seelisches äußern soll; jedes Ding in einem Zimmer muss wie ein Instrument in einem Orchester sein, der Architekt ist der Dirigent, das Ganze soll eine Symphonie geben.“ (Hermann Bahr, Die Secession, in: Die Zeit, Nr. 186, 23.4.1898, S. 59)
Bugholzmöbel für das Redaktionsbüro der Wochenschrift „Die Zeit“, 1902 realisiert von der Firma J. & J. Kohn, sowie weitere für die Postsparkasse von der Firma Gebrüder Thonet bestechen durch ihre einfache Formgebung und funktionalen Details (vgl. Thonet Stuhl Nr. 14). Die metallenen Schuhe an den Möbelbeinen sollten beispielsweise Abnutzung verhindern und werden neben den Beschlägen und Schrauben auch als ästhetische „Hingucker“ eingesetzt. Das Aluminium, ein gänzlich neuer und daher „moderner“ Werkstoff, hebt sich effektvoll vom schwarz gebeizten und politierten Bugholz ab.
Josef Hoffmann ist in der Ausstellung mit Einrichtungsgegenständen aus den Wohnungen Herrmann Wittgenstein (1906), Ernst Stöhr (um 1898, MAK), Gustav Pollak (um 1901) und Bertha Zuckerkandl (1916) aber auch mit Sesseln aus dem Geschäftslokal des Verlags der k. k. Hof- und Staatsdruckerei (1907) sowie Bugholzmöbel für die Firma J. & J. Kohn (1901–1907) vertreten. Zwischen dem „Brettlstil“ (Ludwig Hevesi) aus dem Jahr 1898 und der hochartifiziellen, dekorativ gestalteten, schwarz politierten Speisezimmer-Einrichtung aus dem Jahr 1916 liegen keine zwanzig Jahre – und doch wirken sie wie von zwei verschiedenen Entwerfern erdacht. Wenn auch die Schlafzimmermöbel für Ernst Stöhr dereinst grün gebeizt waren und die Maserung der Bretter nicht so roh mitsprachen, so wirken vor allem die Flächen. Das Jugendstil-Dekor wird appliziert, als Füllung eingefügt oder in Form von geschweiften Umrissen oder Aufbauten den Objekten beigegeben.
Nach 1900 fand Josef Hoffmann zum rechten Winkel und zu geraden Formen, wie an der Speisezimmereinrichtung der Wohnung Gustav Pollak schnell deutlich wird: das Spiel mit dem Quadrat ergänzt die Präsentation der Funier (Einlegearbeit in Mahagoni!), gerade Linien prägen das Gesamtensemble. In den Möbeln aus dem Geschäftslokal des Verlags der k. k. Hof- und Staatdruckerei führte er 1907 dieses Konzept in aller Strenge weiter. Ein wenig verspielter wirkt im Vergleich die Speisezimmereinrichtung für Berta Zuckerkandl, die Hoffmann mitten im Zweiten Weltkrieg 1916 entwarf. Die Journalistin, Kunstkritikerin, Verteidigerin der Moderne und Salonière bezog 1916 im vierten Stock des Palais Lieben-Auspitz (über dem Café Landmann und gegenüber des Burgtheaters) eine kleine Wohnung. Die schweren, schwarzen und hochglänzend politierten Möbel wurden mit der von Artur Berger entworfenen Tapete „Mekka“ (1911–1913, MAK) kombiniert. Goldbronzene Ranken mit tulpenartigen Blüten, grünen Blättern und kleinen blauen Beeren verstärkt die spielerische Note und setzt gleichzeitig einen Kontrast zu den schweren Formen der Möbel. Der Aufsatz der Anrichte war ursprünglich mit der Tapete ausgekleidet, wodurch Eva Ottillinger die korrekte Farbstellung ermitteln konnte. Man mag sich dabei entfernt an Gustav Klimts und Hoffmanns Zusammenarbeit im Palais Stoclet erinnert fühlen. In Brüssel verbanden Hoffmann und Klimt auf Luxusniveau den „Lebensbaum“, also das Paradies und die Liebe, in einem goldschimmernden „Malmosaik“ mit schwarzglänzenden und das Gold reflektierenden Möbeln.
Überbordende Kreativität und weniger eng gesetzte Grenzen, was die Ästhetik anlangt, begegnet einem im Erdgeschoss des Möbelmuseums, im Kapitel zu Adolf Loos‘ Möbelgestaltung. Noch bevor man auf das erstmals institutionell ausgestellte, komplett erhaltene Herrenzimmer aus der Wohnung Georg Roy (um 1901/04) stößt, belegt eine Reihe von Sitzmöbeln den offenen Zugang Loos‘ zur Formfindung. Offensichtlich dachte der Architekt die Sessel und Knieschwinger, die Tische, Korbarmlehnstühle und ägyptische Hocker hauptsächlich von ihrer Bequemlichkeit her – auch wenn der tiefe Schwerpunkt der Sessel zu Problemen beim Aufstehen führen dürften!
Das Herrenzimmer aus der Wohnung Georg Roy zeigt auch, wie heterogen die Sitzmöbel in einer Loos’schen Inneneinrichtung sein konnten: Eine Chesterfield-Sitzbank und ein Fauteuil, ein Fanback-Stuhl und ein Ägyptischer Hocker sind im gesamten Raum dicht verteilt. Loos Maxime war, als Architekt und Innendesigner wäre er nur für die Einbaumöbel bzw. Wandverkleidung verantwortlich. Nichtsdestotrotz konnte er 1907 seine Anhänger während einer „Wohnungswanderung“ durch eine Reihe von Liegenschaften führen, die er in den acht Jahren seines Wirkens eingerichtet hatte. Die Briten, so war sich Loos sicher, hätten eine besondere Begabung, bequeme Sitzmöbel zu entwerfen, weshalb er sich (schamlos) an englischen Entwürfen bediente. Denn Loos erwarb nicht etwa originale Stücke, die seine Einrichtungen ergänzten, sondern ließ sie von seinen Handwerkern nach eigenen Entwürfen in der Art etwa von Thomas Chippendale kopieren.
Die Ausstellung stellt auf gelungene Art das Trio der Wiener Moderne vor und einander gegenüber. Es werden persönliche Überzeugungen zur Moderne, Nützlichkeit und Materialgerechtigkeit genauso offengelegt wie die Reaktion der Kunstkritiker auf die neuen Möbel und Einrichtungstrends der ersten Jahre nach 1900. „Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne. Künstler, Auftraggeber, Produzenten“ wirft – auf Textebene – aber auch einen Blick auf die Bewohnerinnen und Bewohner wie die Handwerksfirmen, welche für die Auftragsvergabe und die Realisation maßgeblich waren. Die Auftraggeberinnen und Auftraggeber kamen aus dem, häufig gutsituierten, akkulturierten jüdischen Milieu, häufig waren sie Besitzer von mittelständischen, wirtschaftlich prosperierenden Fabriken. Mit Berta Zuckerkandl engagierte eine der zentralen Persönlichkeiten der bürgerlichen Wiener Gesellschaft Josef Hoffmann. Sie trat nach dem Tod ihres Mannes auch als eine der wenigen Auftraggeberinnen auf.
In der begleitenden Publikation fragt Eva B. Ottillinger nach „Was sind moderne Möbel?“, Elena Shapira analysiert die kulturellen Netzwerke der Wiener Moderne vom literarischen Zirkel Jung Wien über den Salon von Eugenie Schwarzwald. Ursula Graf und Stefan Üner führen in die Firmengeschichten der Produzenten ein, und Maria Welzig stellt deren Geschäftshäuser vor.
Kuratiert von Eva B. Ottillinger
Eva B. Ottillinger (Hg.)
189 Seiten, 119 farb. Abb. und 25 s/w-Abb.
ISBN 978-3-205-20786-3
Böhlau