Pierre Bonnard (1867–1947) in Wien stellt einen Maler der „anderen Moderne“ vor: dessen Bilder farbenfroh leuchten, dessen Kompositionen eigenwillig angeschnitten sind, dessen Farbauftrag zwischen minimalistisch reduziert und pointillistisch pastos changiert, dessen Motivwelt das traute Heim, die Ehefrau und die Landschaft der Umgebung umfasst. Berühmt wurde Pierre Bonnard als Mitbegründer der Künstlergruppe „Nabis“, hebräisch für die „Erleuchteten“ bzw. „Propheten“. Gemeinsam mit Paul Sérusier, Edouard Vuillard, Ker-Xavier Roussel, Ibels, Ranson, Maurice Denis und René Piot bildete der studierte Jurist Pierre Bonnard ab Oktober 1888 eine Speerspitze der Avantgarde. Jüngst wies das Musée d’Orsay auf die kunstgewerblichen Werke der „Nabis“ hin, die sich von Plakatentwürfen über Möbel und Paravents erstreckte (→ Musée du Luxembourg: Nabis und die dekorativen Künste). Pierre Bonnard trat mit dem Plakatentwurf für „France-Champagne“ (1891) hervor, was in der Wiener Ausstellung allerdings nicht thematisiert wird. Pierre Bonnards malerisches Werk hellte sich ab 1900 merklich auf, den Themen Interieur und Landschaft blieb er weiterhin verbunden. Der Postimpressionist malt aus der Erinnerung, was ihn mehr mit Paul Gauguin als mit Claude Monet verbindet.
Großbritannien | London: Tate Modern, Eyal Ofer Galleries
23.1. – 6.5.2019
Dänemark | Kopenhagen: Ny Carlsberg Glyptothek Kopenhagen
2019
Österreich | Wien: Kunstforum Wien
10.10.2019 – 12.1.2020
„Mann und Frau“ (1900, Musée d’Orsay, Paris) zeigt in der Ausstellung eindrücklich, wie Bonnard Stimmungen zu vermitteln verstand. Ein Paravent trennt das titelgebende, nackte Paar in einem Schlafzimmer. Sie blicken einander nicht an. Intimität will in der Komposition nicht aufkommen. Während der weibliche Körper im Licht erstrahlt, steht der Mann im Bildvordergrund im Dunklen. Zwei Kätzchen auf dem Bett vor der Frau sind erst auf dem zweiten Blick zu erkennen. Sind sie als ein Zeichen der Promiskuität zu deuten? In den folgenden Jahren wird Bonnards Blick auf den nackten weiblichen Körper neutraler. Er zeigt – im Anschluss an Edgar Degas – seine Freundin und spätere Ehefrau Maria Boursin (1869–1942), die sich selbst Marthe de Méligny nannte. Marthe sitzt auf der Terrasse, Marthe liegt im Bad, Marthe trocknet sich ab, Marthe steht vor dem Spiegel. Bonnards Werk kreist förmlich um seine Lebensfrau.
Spiegel und Fenster zählen zu den wichtigen Elementen von Bonnards Bildwelt. Das Spiegelbild erweitert den Blick in den Raum, das Fenster öffnet die Wand in den Raum dahinter. Beide schaffen ein begrenztes Bild im Bild, das hilft, einen Perspektivsprung einzuführen. Nähe und Ferne, Gesehenes und außerhalb des Gesichtsfelds Passierendes können so eingebunden werden. Mit Beobachtungen wie diesen öffnet sich Pierre Bonnard dem Diskurs seiner Zeit. Schon Maurice Denis hatte anlässlich der gemeinsamen Nabis-Zeit die Flächigkeit und Farbigkeit fernab der dargestellten Motive betont. Farbe auf flacher Leinwand definiert die Malerei, nicht die Bedeutung des Motivs. Bonnard dekliniert Flächigkeit auf verschiedene Arten in seinen Werken durch: ungewöhnliche Perspektive, nach oben geklappte Fußbodenfliesen, extrem angeschnittene Personen. Verschiedene Malweisen in ein Bild zu vereinen, scheint eine weitere Technik des Malers gewesen zu sein. Pastoses findet sich neben kaum bedeckter Leinwand, dünne Farbschleier neben postimpressionistischer Malerei. Die dekorative Flächengliederung der Jugendstil-Erfahrungen ist omnipräsent.
Zu den bemerkenswertesten Eindrücken der Werke Bonnards zählt aber zweifellos ihre Farbigkeit. Das Bank Austria Kunstforum trägt dem Rechnung, indem es sparsam an einigen Wänden ein frühlingshaftes Hellgrün einsetzt. Der Kolorist Pierre Bonnards arbeitet mit leuchtenden Farben. Hat einiges von Henri Matisse und den Fauvisten gelernt, war ein guter Freund von Pierre-Auguste Renoir. Die im besten Wortsinn dekorativen Bilder Bonnards bringen den Süden Frankreichs, sein leuchtendes Licht nach Wien.
Der geheimnisvolle Künstler – kurz nach seinem Tod um die Mitte des 20. Jahrhunderts noch als Vertreter einer oberflächlichen Harmonie und „harmloser“ Chronist eines großbürgerlichen Alltags klassifiziert – hat die Gegenständlichkeit abseits der Entwicklung aller Ismen zu Beginn des Jahrhunderts nie in Frage gestellt. Stattdessen hatte er seinen eigenen, letztlich der französischen Klassik verbundenen Stil der „anderen Moderne“ gepflegt. Bonnard inszenierte sich selbst immer wieder als Außenseiter, der sich von Künstlergruppen fernhielt und so auch vom Publikum gesehen wurde.
Heute wird Bonnard neu und im Kontext seiner Zeit verstanden: Freundschaften mit Vuillard oder Henri Matisse, die künstlerische Auseinandersetzung mit seinen Zeitgenossen und nicht zuletzt seine bis dato kaum reflektierten Reaktionen auf das politische Zeitgeschehen rücken Bonnard in einen aktuellen Zusammenhang und zeigen ihn als zeitgemäßen Künstler des 20. Jahrhunderts.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Tate, London und der Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen. Unterstützt durch den Bonnard Exhibition Supporters Circle und Tate Members
Kuratiert von Evelyn Benesch mit Matthew Gale (Tate)