Paul Gauguin
Wer war Paul Gauguin?
Paul Gauguin (Paris 7.6.1848-8.5.1903 Atuona) war ein französischer Maler, Druckgrafiker und Kunstgewerbler des Impressionismus sowie Pionier des Symbolismus. Gauguin riskierte für seinen Wunsch, Maler zu werden Familie, Gesundheit und das finanziell abgesicherte Leben eines Börsenhändlers. Er reiste auf Motivsuche in die Südsee und wurde mit seinen idyllischen, exotischen Darstellungen vorbildhaft für die Expressionisten.
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Kindheit & Ausbildung
Paul Gauguin wurde am 7. Juni 1848 in Paris gebroen. Schon in seinen frühen Jahren ist Gauguins außergewöhnlicher Wunsch angelegt, in die Fremde zu ziehen und das Ursprüngliche zu finden: Seine Eltern wanderten nach der Machtergreifung Kaiser Napoleons III. nach Peru aus, von wo er erst 1855 wieder zurückkehrte.
Nach einer Ausbildung zum Matrosen in der Handelsmarine ließ er sich im Bankhaus Bertin anstellen (1871). Während er erfolgreich an der Börse spekulierte, begann Paul Gauguin in seiner Freizeit zu malen und zu zeichnen. Hochzeit, Geburt seiner fünf Kinder, Bekanntschaft mit Camille Pissarro und ein Erweckungserlebnis in der Impressionisten-Ausstellung folgten Mitte der 1870er Jahre rasch aufeinander.
„Das Wunder seines Aufstiegs liegt darin begründet, dass er uns zu einem Zeitpunkt, als uns jegliche Orientierung fehlte, ein oder zwei grundsätzliche Wahrheiten vermittelte. Ohne selbst je die Schönheit klassischen Sinn gesucht zu haben, hat er uns zu ihr hingeführt. Er dagegen wollte in erster Linie den Charakter, den tiefer liegenden Sinn ausdrücken, selbst in der Hässlichkeit.“[/note]Zitiert nach S. 24.1 (Maurice Denis in „L’Occident“ 1903 über Paul Gauguin in seinen Einfluss auf die folgende Generation)
Gauguins impressionistische Phase (1873–1886)
Camille Pissarro, der auch ein herausragender Lehrer war, machte Paul Gauguin mit dem Kreis der Impressionist:innen bekannt und lud ihn ein, an der Vierten Impressionisten-Ausstellung 1879 teilzunehmen. Bis zur letzten, der Achten Impressionisten-Ausstellung 1886, hielt Gauguin der Avantgarde die Treue. Ab 1873 hatte er sich als Amateurmaler bestätigt und war zunehmend von dieser Tätigkeit fasziniert. In den 1870er Jahren arbeitete Gauguin noch als Bankangestellter und spekulierte erfolgreich an der Börse, so dass er ein finanziell sorgenfreies Leben führte und Werke seiner Vorbilder erwerben konnte. Vor allem Pissarro vermittelte die Methoden der impressionistischen Malerei an Paul Gauguin. Im Jahr 1883 wagte dieser den Schritt vom Amateur zum professionellen Künstler, ohne auf ein tragendes finanzielles Netz vertrauen oder auf Verkaufserfolge hoffen zu können. Mit der anwachsenden Kühnheit seiner Malerei schwand die familiäre wie die gesellschaftliche Akzeptanz, und der soziale Abstieg des Künstlers begann.
Die Trennung von Frau und Kindern 1885, die ein beschauliches Leben in Kopenhagen dem Risiko einer Malerkarriere vorzogen, markiert einen Bruch in der Biografie Gauguins. Schon im Jahr davor hatte er ein neues koloristisches Konzept und die Vereinfachung der Natureindrücke vorangetrieben sowie einen formbetonenden Pinselstrich erprobt. Noch beschäftigte er sich mit Landschaftsmalerei, in denen Menschen hauptsächlich als kleine Staffagefigur auftraten, um die Größe und Schönheit der Natur zu huldigen. Dennoch empfand Gauguin die Verselbständigung des Farbauftrags quasi um seiner selbst willen als hohl und verachtete daher die Shootingstars der letzten Impressionisten-Ausstellung, die Pointillisten und Divisionisten (→ Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus). Am besten lässt sich das aus einer Aussage über Claude Monets Gemälde der 1880er Jahre ableiten, die er zugunsten von Cézannes Entwicklung zurückwies. Im Juli 1884 meinte er gegenüber Camille Pissarro:
„Ich habe die Monets aus Italien gesehen: Sie sind von der Ausführung her erstaunlich, und teilweise ist das ihr Fehler; ich muss gestehen, dass sie mir total missfallen, vor allem als Weg. Abgesehen davon habe ich bei Tanguy vier stark bearbeitete Cézanne aus Pontoise gesehen, das sind Meisterwerkt und sie stellen hauptsächlich reine Kunst dar, die anzuschauen man nicht müde wird.“2
Für Gauguin standen offenbar Überlegungen über den Akt des Malens, d. h. über die Malerei selbst auf einer Metaebene zu reflektieren, und die zunehmende Auflösung des Gegenstands nicht zur Diskussion - so zu finden in den Landschaften von Claude Monet. Stattdessen brach sich eine Sehnsucht nach einfachen und kompakten Formen, was er in den Werken von Paul Cézanne, wie auch einer Erzählung und einer nochmaligen Steigerung des subjektiven Eindrucks Bahn.
Synthesen
Paul Gauguin wandte sich Anfang der 1880er Jahre von der impressionistischen Doktrin ab, in der Natur zu arbeiten. Stattdessen malte er im Atelier nach seinen Erinnerungen. Sein Umzug nach Kopenhagen Ende 1884 führte zum Bruch mit den einstigen Mentoren. Werke aus seiner Sammlung – vor allem Paul Cézannes Stillleben – wurden wichtige Bezugspunkte. Dazu kam ab 1885 noch sein Wunsch, visionäre Erlebnisse in Bilder umzusetzen. Als ersten Schritt malte er mit „empfunden“ und nicht beobachteten Farbtönen und hielt seine Kunsttheorie mit den zentralen Begriffen Erinnerung und Vorstellungskraft im Text „Notes synthétiques“ (1885) fest.3
Gauguins Weg zum Synthetismus verband postimpressionistische Pinseltechnik und Farbensatz mit Themen aus der bäuerlichen Welt in der Bretagne und aus Martinique (1887 → Paul Gauguin & Charles Laval in Martinique). Insgesamt fünf Mal hielt er sich in der kargen und hügeligen Provinz Frankreichs auf und ließ sich von Land und Leuten inspirieren. Gleichzeitig wurde die Schule von Pont-Aven zu einem wichtigen Impulsgeber für den sich formierenden Revolutionär, während Paris für ihn zum Ort für Kontaktpflege und Kunstmarkt wurde.
Wie Cézanne nutzte er zusätzlich auch Stillleben, um Raum und Farbwirkungen zu erforschen. Parallel dazu begann er seinen Gemälden poetische, symbolische oder allegorische Titel zu verleihen, um ihnen etwas Geheimnisvolles zu verleihen. Während der Weltausstellung 1889 stellte die Gruppe rund um Gauguin im Café des Arts von Monsieur Volpini aus (Mai bis Juni), die ihn als eigenwilligen, wenn nicht eigenartigen so doch zumindest sehr individuellen Künstler in der Kritik erscheinen ließ. Für den Maler wurde die Weltausstellung mit ihren Präsentationen jüngst unterworfener Kolonien wie Tahiti zu Wende- und Ausgangspunkt in seinem Leben und Werk.
Hohepriester des Symbolismus in Pont-Aven
Im Sommer 1886 malte Gauguin in Pont-Aven, wo er impressionistische Bilder der Landbevölkerung schuf. Innerhalb kurzer Zeit stilisierte Paul Gauguin die Figuren immer mehr und arrangierte die Figuren zu „gemalten Collagen“. Er gab sukzessive die Linearperspektive zugunsten einer nichtillusionistischen Raumkonstruktion auf. In diesem Herbst begann Gauguin im Pariser Keramikatelier von Ernest Chaplet mit Ton zu arbeiten. Seine Objekte sollten eine „primitive“ Formgebung aufweisen, die Motive (wie der Faun, Leda und der Schwan) sind zwar antikischen Ursprungs, waren aber als Symbole für das Unberührte (primitive Kulturen) bzw. Erotik gedacht. Gauguin fügte seine plastischen Werke immer wieder in Gemälde ein, wie in dem „Stillleben mit dem Profil Charles Lavals“ (Ende 1886).
Nachdem Paul Gauguin im November 1887 nach Paris zurückgekehrt war, traf er erstmals die Brüder van Gogh. Vor allem für Theo van Gogh interessierte sich der aufstrebende Maler, da dieser in der bedeutenden Kunsthandlung von Goupil et Cie als Kunsthändler tätig war. Vincent van Gogh (1853–1890) bewunderte den weitgereisten Maler und wurde später ein guter Freund von Paul Gauguin. Im November 1887 hatte Vincent van Gogh eine Gruppenausstellung in Paris organisierte, wo Paul Gauguin Vincent van Goghs „Zwei Sonnenblumen“ (Sommer 1887) sah und gegen seine Studie „Am Ufer des Sees auf Martinique“ (Sommer 1887) eintauschte.
Während des zweiten Aufenthalts von Paul Gauguin in der Bretagne veränderte er seine Malweise endgültig vom Impressionismus zum flächigen Postimpressionismus. Anstelle der „schraffierten“ Pinselstriche setzte er Farbflächen mit kräftigen Tönen nebeneinander, in denen sich – wie auch in den Kompositionen – die Begeisterung für den japanischen Farbholzschnitt wiederspiegelt. Gemälde wie „Tanzende bretonische Mädchen“ (Juni 1888) und „Junge Ringer – Bretagne“ (Juli 1888) zeigen, wie Vincent van Goghs Hinwendung zu japanischen Kompositionsschemata sich auf seinen Freund übertragen haben.
In einem Brief von Paul Gauguin an Vincent van Gogh ist diese Inspiration dokumentiert: Am 24./25. Juli 1888 schickte Paul Gauguin seinem Freund eine Skizze des soeben vollendeten Gemäldes „Junge Ringer – Bretagne“ nach Arles. Er verglich seine Komposition expressis verbis mit einem japanischen Farbholzschnitt und verwies seinen Malerkollegen auf den changierenden Übergang von Gelb-Grün im Gras. Van Gogh hatte ihn bereits mit seiner Idee einer Künstlerkolonie in Arles konfrontiert. In diesem Brief stand er ihr positiv gegenüber, da er Lust hatte, allerlei „verrückte Ideen“ in der Provence auszuarbeiten. Geldmangel verhinderte jedoch eine baldige Abreise, weshalb Gauguin weiterhin in der Bretagne blieb, um in der Umgebung von Pont-Aven nach „ursprünglichen“ Motiven der Volkskultur zu suchen.
Das wichtigste Werk dieser Phase ist Paul Gauguins „Vision bei der Predigt“ (Mitte August – Mitte September 1888), in dem er die visionäre Schau des Jakobskampfes durch die Bretoninnen vor einem nahezu einfarbigen roten Hintergrund zeigt. Auch dieses Bild skizzierte Gauguin in einem Brief an Vincent van Gogh, der er zwischen dem 25. und dem 27. September 1888 schrieb. Er war sich der revolutionären Umsetzung des Themas wohl bewusst und erzählte, dass die Kirche von Pont-Aven es nicht haben wollte.
Ende September 1888 porträtierte sich auch Paul Gauguin selbst als Jean Valjean, den Protagonisten aus Victor Hugos „Les Miserables“ und drückte damit sein Selbstbild als gesellschaftlich geächteten, aber von Liebe und Kraft erfüllten artiste maudit aus. Höchstwahrscheinlich war es der finanzielle Anreiz, den Theo van Gogh dem Gauguin anbot, der diesen schlussendlich dazu überredete, nach Arles zu reisen. Im Tausch für dieses Selbstporträt schickte Vincent van Gogh ein Selbstporträt als „Japaner“ mit kahl geschorenem Kopf („Selbstporträt, Gauguin gewidmet (Bonze)“, um 16. September 1888).
Paul Gauguin in Vincent van Gogh - das Atelier des Südens
Vincent van Gogh lud seinen Malerkollegen Paul Gauguin ein, zu ihm nach Arles in sein „Atelier des Südens“ zu kommen (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Das „Atelier des Südens“ dauerte vom 23. Oktober bis zum 23. Dezember 1888 – und endete mit Vincent van Goghs Nervenkrise und Paul Gauguins wortloser Abreise. Diese nur neun Wochen dauernde Zusammenarbeit wirkte sich auf beide Maler aus – künstlerisch wie emotional. Neben kameradschaftlicher Unterstützung war die Phase in Südfrankreich von Rivalität, Bewunderung und Eifersucht, Hoffnung und Enttäuschung geprägt. Vor allem Vincent van Goghs Hoffnung, eine Künstlerkolonie in Arles zu gründen, musste sich aufgrund unterschiedlicher Auffassungen als undurchführbar erweisen. Neun Wochen gemeinsames Arbeiten brachte die beiden Maler zwar menschlich nicht näher, dennoch beeinflussten sie einander künstlerisch. Das Experiment „Atelier des Südens“ endete mit Vincent van Goghs Nervenzusammenbruch und der panischen Flucht Paul Gauguins vor der Selbstverletzung Vincents.
Gauguin in der Bretagne
Die Bewohner der Bretagne galten in Frankreich als besonders unabhängig, da sie ihre eigene Sprache und Kultur vor dem französischen Einfluss zu schützen versuchten. In den tiefbetrübten Figuren in der Bretagne versuchte das „Wilde“ einzubringen, das er in ihnen und sich selbst sah. Volkstümliches Leben, Traditionen und tiefverwurzelte Religiosität sind in Form von Kirche, Kapellen und einfach skulpierten Kalvarienbergen aus Granit in der Region aber auch durch die Trachten den weiblichen Körpern gleichsam eingeschrieben. Im Jahr 1889 beschäftigte sich Gauguin intensiv mit dieser religiös überformten Landschaft.
Erste Gemälde mit großen, leuchtenden Farbflächen entstanden, wie „Vision nach der Predigt (Jakobs Kampf mit dem Engel)“ (1888), „Der gelbe Christus“ (1889, Buffalo), „Der grüne Christus“ (1889, Brüssel), „Christus im Garten Gethsemane“ (1889, West Palm Beach). Trotz der roten Haare ist das Selbstbildnis des Künstlers in der Christusfigur deutlich zu erkennen. Gauguin verglich sich mit dem im Olivenhain (vom Schicksal) geprüften Gottessohn und machte ihn zu einem Menschen. Dass er aber auch Verweise auf die jüngere französische Kunstgeschichte machte, zeigt das Bild „Bonjour, Monsieur Gauguin II“ (1889, Prag), in dem er auf eines der Hauptwerke des Realismus, nämlich Gustave Courbets „Bonjour, M. Courbet“ reagierte.
Der ehemalige Bankier und Vertreter des Kapitalismus wandelte sich zum meditierenden Mystiker, der überzeugt war, dass das Ziel seiner Malerei wäre, „alles Glauben, passives Leiden, religiösen primitiven Stil und die große Natur mit ihrem Schrei“ auszudrücken. Dass sich dieser Gauguin gut mit Vincent van Gogh verstand, der vor seiner Pariser Zeit wenn auch erfolglos als Prediger im Borinage wirkte und der in Südfrankreich vermeinte, Japan und die „Wilden Ostasiens“ aufzufinden, ist historische Tatsache und leicht zu verstehen (→ Vincent van Gogh im Borinage. Die Geburt eines Künstlers). Wenn auch das Experiment, eine Künstlerkolonie in Arles zu etablieren, scheiterte, so weckte es doch den Wunsch des ehemaligen Seemanns Gauguin, die Südsee aufzusuchen. An der sich ankündigenden Revolution in der Druckgrafik (Künstlerdrucke) und der Verschmelzung der Kunstgattungen im Gesamtkunstwerk der Jahrhundertwende beteiligte sich Gauguin auch als Modelleur von Keramiken und Schnitzer primitivistischer Objekte. Die Arbeit mit Steinzeug wurde von japanischen Teeschalen inspiriert, wie auch die neue Bewertung der originalen Druckgrafik zusätzlich zu den kommerziellen Vorteilen. Die Umsetzung des „Krugs in Form eines Selbstbildnisses“ (1889) bzw. eines abgetrennten Kopfes mit geschlossenen Augen ist in seiner Symbolik drastisch und könnte auf die Guillotinierung des berüchtigten Mörders Prado Anfang 1889 in Paris verweisen.
Gauguin in der Südsee
Fernab der Zivilisation wollte Gauguin seine Kunst „im primitiven und wilden Zustand pflegen“. Aufenthalte auf Martinique (1887) und in Tahiti (1891–1893) bereiteten das „Exil“ des Malers ab 1894 vor. Von 1895 bis 1901 lebte er erneut in Tahiti und von 1901 bis 1903 auf den Marquesas-Inseln. Insgesamt verbrachte Gauguin zehn Jahre auf pazifischen Inseln. Die Zivilisation war für Gauguin mit einer rigiden Sexualmoral verbunden, der er genauso zu entfliehen hoffte, wie er die Schönheit der Tropen schätzte und die Exotik der Eingeborenen suchte. Ihre reiche Götterwelt, die Mythen der Insulaner:innen, zog ihn bald in ihren Bann und löste christliche Symbole ab. Die heilige Scheu vor göttlichen Wesen, auf die das Wort Tabu (mit polynesischem Ursprung) hinweist, und die „Religion“ der sinnlichen Liebe wurden zu wichtigen Inspirationen seines reifen Werks. Der bislang nur selten verwendete Akt wurde in der südlichen Hemisphäre zu einem der wichtigsten Themen, begleitet von Stillleben und Landschaften. Wie mannigfaltige Evas im Paradies oder Aphroditen im Elysium4 wirken die meist unbewegten Frauen. Die Bildtitel verweisen auf Zwischenmenschliches, das die ausdruckslosen Gesichter selten widerspiegeln. Einzig die Augen bleiben lebendig und schaffen immer wieder Bezüge zwischen den Dargestellten.
Gauguin in Tahiti
1888 hielt sich Paul Gauguin hauptsächlich in der Bretagne auf, im Herbst zog er für neun Wochen zu Vincent van Gogh nach Arles. Seinen Wunsch, in die Südsee (Tahiti) zu reisen, erfüllte sich der Maler erstmals 1891. Allerdings fand er dort weder das erhoffte Paradies noch Erfolg. Im Jahr 1893 konnte er eine kostenlose Rückreise bei französischen Staat erwirken. Doch auch der folgende Aufenthalt in Paris und der Bretagne wurde von Misserfolgen und fehlenden Verkäufen begleitet. Enttäuscht von der Pariser Gesellschaft, verließ Paul Gauguin 1895 erneut Europa in Richtung Tahiti.
Vom Pariser Publikum verachtet, entschied sich Gauguin 1895 endgültig in sein Tropenparadies zurückzukehren, wenn es auch seinen Vorstellungen nicht mehr entsprach. Die in den letzten acht Jahren entstandenen Werke zeigen eine bereits untergegangene Welt, oder besser die Fantasien des Künstlers von dieser. „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ (1897/98, Boston), das „bedeutendste Gemälde in Gauguins Spätwerk“5, „Faa iheihe (Tahitische Pastorale)“ (1898, London) und „Rupe Rupe (Obsternte)“ (1899, Moskau) stellen Fragen nach dem Sinn des Lebens und führen dasselbe in Pastoralen über. Während in „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ das Figurenpersonal rund um den „Baum der Erkenntnis“ angeordnet ist, profanisierte Gauguin das Thema im Folgejahr in „Rupe Rupe“ zu einer Obsternte. Natur und Menschen erscheinen im „Urzustand“ – zumindest so, wie es sich Paul Gauguin erträumte. Diese vielfigurigen Friese in Blaugrün bzw. Gelbgold verbinden Leben und Tod in symbolhaften Gestalten, alte Gottheiten der indigenen Bevölkerung mit tropischer Vegetation. Künstlerisch fällt vor allem die ornamentale, auf Dekoration im besten Wortsinn abzielende Wirkung der Raumkonstruktion auf. In schwingenden Farbflächen, die mit leuchtenden, wenn auch zart aufeinander abgestimmten Farbtönen gefüllt wurden, experimentierte Gauguin mit der völligen Befreiung der Farbe vom Gegenstand zugunsten einer emotionalen Wirkung. Die Dunkelheit von „Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ ist demnach als Umsetzung der Unbeantwortbarkeit der philosophischen Fragen zu deuten, während ein strahlendes Goldgelb die Idylle begleitet. Die Gemälde wurden gerollt nach Paris geschickt, wo sie 1898 in der Galerie von Vollard ausgestellt wurden. Die Kritiker zeigten sich vom Mut Gauguins, was Motivwahl, Farbverwendung und dekorative Wirkung anlangte, begeistert. Seine symbolistische Themenwahl und deren Umsetzung allerdings stieß auf wenig Gegenliebe, wurde er doch zu seinen Ungunsten mit dem gerade verstorbenen Pierre Puvis de Chavannes verglichen.
Mit „Wilde Märchen“ (1902, Essen) gelang Paul Gauguin noch einmal an die produktive Phase auf Tahiti anzuschließen. Sein Umzug auf die Marquesas-Inseln 1901 war vom Wunsch begleitet, der „Zivilisation“ endlich zu entgehen. Ermöglicht hatte ihm diese erneute Flucht ein neuer Vertrag mit Vollard, der ihm ein monatliches Einkommen bescherte. Dennoch arbeitete Gauguin in den letzten beiden Lebensjahren weniger, teils seiner nachlassenden Sehkraft, teils seiner Syphilis-Erkrankung geschuldet. Auffallend ist daher gegen Ende der Ausstellung, wie „klassisch“ das Spätwerk von Gauguin wurde: vor allem die Frauenporträts, die „Reiter am Strand“ (1902, Privatsammlung) – eine späte Reminiszenz an Edgar Degas‘ frühe Bilder von Pferderennen vor dem Start und sein eigenes, letztes Selbstbildnis mit Brille. So stellt sich das Werk von Paul Gauguin, wie Martin Schwander in einem Katalogbeitrag treffend formuliert, als ein von Gegensätzen geprägtes dar. Es schwankt zwischen „Baudelaire’scher Romantik und eine agnostischen und antitheologischen Denken“6. Mystik und selbstreflexives Denken als Maler verbindet Paul Gauguin zu geheimnisvollen Kompositionen, deren Erzählungen der Künstler teils selbst erklärte und teils erfolgreich in der Schwebe hielt.
Erst 1900 ermöglichte ihm ein Vertrag mit dem Kunsthändler Ambroise Vollard, von seiner Kunst zu leben. Davor arbeitete er als Zeichner für das Grundbuchamt von Papeete, gründete eine satirische Monatsschrift und schrieb für eine Zeitung. Auf der Suche nach neuer Inspiration und einem günstigeren Leben übersiedelte Gauguin im September 1901 auf die Marquesas-Insel Hiva Oa, rund 1500 Kilometer östlich von Tahiti.
Selbstbild und Rezeption
„Es ist doch wahr: Ich bin ein Wilder“, schrieb Gauguin in seinem letzten Brief von den Marquesas-Inseln an seinen Freund Charles Maurice. Für ihn verhielten sich die Wilden „natürlicher“ als die „verdorbenen“ Zivilisierten, gleichzeitig benutzte er das Stigma für sich selbst, indem er auf das „indianische Blut“ in seinen Adern hinwies und daraus seine Sonderstellung ableitete. Gauguin prognostizierte schon im April 1896 selbstbewusst, dass sein Freiheitsdrang, seine Kühnheit der kommenden Generation an Malern neue Möglichkeiten eröffnen würde. Interessanterweise sollte sich dieses Selbsturteil 1906 bewahrheiten, als eine Gauguin-Retrospektive die „Fauves“, die von der Kritik getauften „Wilden“ (→ Matisse und die Künstler des Fauvismus), in ihrer Arbeit bestärkte.
Erfolg blieb ihm in der französischen Kunstszene jedoch verwehrt, erst posthum wurden seine Bedeutung und vor allem sein Einfluss auf die jüngere Generation (z. B. Maurice Denis und die Nabis) erkannt. Obwohl Gauguin in seiner Selbststilisierung gerne auf sein Außenseitertum verwies, formulierte er dennoch den Führungsanspruch innerhalb des Symbolismus bzw. Synthetismus. Französische Künstler reagierten auf seine Kunst wie Selbstdarstellung gespalten: Claude Monet, Pissarro, Paul Cézanne und Paul Signac distanzierten sich von ihm, während Edgar Degas, Aristide Maillol und Maurice Denis ihn vorbehaltlos und ob seiner Radikalität bewunderten.
Tod
Gauguin trug sich aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands bereits 1902 mit dem Gedanken, nach Frankreich zurückzukehren.
Im März 1903 wurde Paul Gauguin wegen Verleumdung der Regierung zu einer Geld- und Haftstrafe verurteilt. Noch vor Antritt der Strafe starb er am 8. Mai einsam in seiner Hütte in Atuona und wurde am nächsten Tag auf dem katholischen Friedhof von Hiva Oa beerdig.
Beiträge zu Paul Gauguin
- Zitiert nach Wien 2000, S. 16.
- Hierfür folgte er dem Konzept von Charles Baudelaire und dem Gesamtkunstwerk von Richard Wagner.
- Gauguin zitierte in den Haltungen seiner Frauenakte immer wieder Gemälde von Lucas Cranach dem Älteren, darunter „Venus mit Amor als Honigdieb“ (um 1537, Nürnberg).
- Belinda Thomson, Gauguin, München 1997, S. 194.
- Martin Schwander, Paul Gauguin, der große untröstliche Magier, in: Raphaël Bouvier, Martin Schwander (Hrsg.), Paul Gauguin (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler 8.2.-28.6.2015), Ostfildern 2015, S. 11–27, hier S. 24.