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Ausstellungen im Centre Pompidou 2018 Witebsker Avantgarde und Kubismus, Retrospektiven zu Sheila Hicks, David Goldblatt, Franz West

Franz West, Gruppe mit Kabinettensemble 8 Skulpturen, 2001 (© Franz West - Centre Pompidou Dist. RMN-GP © Ph. Migeat 1)

Franz West, Gruppe mit Kabinettensemble 8 Skulpturen, 2001 (© Franz West - Centre Pompidou Dist. RMN-GP © Ph. Migeat 1)

Die beiden historischen Ausstellungen mit der größten internationalen Strahlkraft sind zweifelsfrei „Chagall, Lissitzky, Malewitsch. Die russische Avantgarde in Witebsk (1918–1922)“ (ab 28.3.) sowie „Der Kubismus“ (ab 17.10.). Stellt das Frühjahrsprojekt die Genese des Konstruktivismus an der von Marc Chagall gegründeten Kunstschule vor, so ist die große Herbstschau der Genese des Kubismus in Paris gewidmet. Mit „U.A.M. Ein modernes Abenteuer 1929–1958. Mallet-Stevens, Léger, Delaunay, Gray, Perriand, Prouvé, Le Corbusier, Cassandre ...” geht das Centre Pompidou auf Spurensuche nach der „am breitesten aufgestellten Künstlervereinigung des 20. Jahrhunderts“ (ab 30.5.): Die U.A.M. vereinte nicht nur Architekten, Maler und Bildhauer, aber auch Möbelmacher, Fotografen, Stoffdesigners, Juweliere, Buchbinder, Werbegrafiker und Grafikdesigner.

Drei groß angelegte Retrospektiven ergänzen das Jahresprogramm des Centre Pompidou 2018: Die amerikanisch-französische Textilkünstlerin Sheila Hicks (ab 7.2.), der südafrikanische Dokumentationsfotograf David Goldblatt (ab 21.2.) und der bereits verstorbene österreichische Objektkünstler Franz West (ab 12.9.) werden in Überblicksausstellungen geehrt.

Die Gruppenausstellung „Coder le monde“ (ab 13.6.) stellt eine Einführung in den kreativen Umgang mit Codes aus dem Zeitraum von 40 Jahren vor. Takls und Foren ergänzen den historischen Überblick mit Live Coding und Performances.

Ausstellungen im Centre Pompidou 2018

Sheila Hicks – Galerie 2, Stock 1 (7.2.–30.4.2018)

Sheila Hicks im Centre Pompidou: Lebenslinien

Sheila Hicks (* 1934, Hastings, Nebraska, lebt seit 1964 in Paris) ist eine Pionierin der textilen Kunst. Ihre Arbeiten in Wolle, Leinen und Baumwolle stellen ästhetische Fragen, die allzu oft übersehen wurden.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist Sheila Hicks in der internationalen Kunstszene bekannt. In den frühen 1960er Jahren lebte sie in Mexiko (1959–1963), wo sie sich mit dem Architekten Luis Barragán und dem Künstler Mathias Goeritz eng befreundete. Die beiden ermutigten Hicks, ihren neu beschrittenen Weg der textilen Kunst weiter beizubehalten. Bevor sie nach Paris übersiedelte, arbeitete sie mit Webern in Indien und Marokko.

Im Centre Pompidou formen Arbeiten aus verschiedenen Perioden eine farbenfrohe, monumentale Installation. Die Werke werden nicht chronologisch angeordnet, um dem Publikum die Möglichkeit zu geben, ihren eigenen Wegen zu folgen. Sheila Hicks feiert Farbe, Material und Form. Im Gegensatz zu den großformatigen Werken stehen einige Duzend „Minimes“, sehr kleinformatige Gewebe, durch die man einen Einblick in die Recherchen der Künstlerin erhält. Fotografien und Video-Dokumentationen zeigen, wie Hicks arbeitet, ihre Reisen und Kontakte.

Der Schwerpunkt der Ausstellung im Centre Pompidou liegt auf der einzigartigen Verbindung von nicht westlichen Traditionen und modernistischen Formen durch Sheila Hicks. Als sie zwischen 1954 und 1959 an der Yale University School of Art and Architecture in Connecticut Malerei studierte, gehörte Josef Albers zu ihren Lehrern. Dieser hatte sie mit den Prinzipien des Bauhaus in Verbindung gebracht. Dazu verarbeitete sie in ihrem textilen Werk, das zwischen zeitgenössischer und angewandter Kunst liegt, auch Konzepte der Anti-Form.

Kuratiert von Michel Gauthier.

David Goldblatt – Galerie 4, Stock 1 (21.2.–7.5.2018)

Das Centre Pompidou organisiert die erste Retrospektive über David Goldblatt (* 1930) in Frankreich. Goldblatt ist eine Schlüsselfigur in der südafrikanischen Fotografie und ein führender Vertreter der politisch engagierten Dokumentationsfotografie.

David Goldblatts Arbeit fasziniert, legt Zeugnis ab, verpflichtet. Vom Anfang seiner Karriere in den 1960ern ist David Goldblatt ein scharfer Beobachter. Schon frühe Serien wie „In den Minen” oder „Afrikaner“ gehören heute schon zu den Meilensteinen in der Geschichte der Dokumentationsfotografie. In ihnen analysierte er die Komplexität der sozialen Beziehungen im Apartheid-System von den frühen 1960er Jahren bis 1990. Über 40 Jahre behielt er sich diese spannungsvolle Beziehung zwischen seinen Porträtierten, dem Land, der Politik und der Repräsentation.

Im Centre Pompidou ist ein Überblick über das gesamte Schaffen von Goldblatt zu sehen. Die Abzüge kommen aus dem Archiv des Fotografen selbst, französischen Sammlungen und der Goodman Gallery, Johannesburg. Neben berühmten Serien sind auch weniger bekannte Bilder, die David Goldblatt in den Docks von Cape Town aufgenommen hat. Die Serie „In den Minen” wird in ihrer Gesamtheit gezeigt. Da der Fotograf für ihre Publikation in Buchform zwei verschiedene Formate gewählt hat, zeigt das Centre Pompidou auch beide Fassungen. Dazu werden noch einige Bilder aus der „Particulars“-Serie aus dem Besitz des Museums wie auch aktuellere Werke wie die „Intersections“-Serie.

Chagall, Lissitzky, Malewitsch. Die russische Avantgarde in Witebsk (1918–1922) – Galerie 2, Stock 6 (28.3.–16.7.2018)

Die sogenannte Schule von Witebsk steht für die russische und sowjetische Avantgarde. Zwischen 1918 und 1922 entstand die Schule rund um die Künstler Marc ChagallEl Lissitzky und Kasimir Malewitsch. Die Ausstellung zeigt die außerordentliche Blüte künstlerischer Aktivitäten in dieser kleinen Stadt. In etwa 200 Kunstwerken von Marc Chagall, El Lissitzky und Kasimir Malewitsch präsentiert das Centre Pompidou diesen Schlüsselmoment in der russischen Kunstgeschichte.

1919 eröffnete Chagall die Schule, der auch den Posten eines Kommissars für bildende Kunst in dieser Region bekleidete. Er lud unter anderem die Künstler El Lissitzky und Kasmir Malewitsch nach Witebsky ein. Diese beiden sollten binnen weniger Jahre zu den führenden Vertretern der russischen bzw. sowjetischen Avantgarde aufsteigen. In der Schule von Witebsk gründete Malewitsch die erste Künstlervereinigung namens UNOWIS oder „Betätiger der Neuen Kunst“ (1920–1922).

Kuratiert von Angela Lampe.

U.A.M. Ein modernes Abenteuer 1929–1958. Mallet-Stevens, Léger, Delaunay, Gray, Perriand, Prouvé, Le Corbusier, Cassandre ... Galerie 1, Stock 6 (30.5.–27.8.2018)

Die Union des Artistes Modernes (Französische Vereinigung Moderner Künstler) war eine der am breitesten aufgestellten Künstlervereinigungen des 20. Jahrhunderts. Das Centre Pompidou zeigt erstmals eine Retrospektive zu dieser bedeutenden Gruppierung der Moderne, die mithalf, Paris zu einer Welthauptstadt der Avantgarde zu machen. Die U.A.M. vereinte nicht nur Architekten, Maler und Bildhauer, aber auch Möbelmacher, Fotografen, Stoffdesigners, Juweliere, Buchbinder, Werbegrafiker und Grafikdesigner.

Die 1929 gegründete Künstlervereinigung stand allen Künstlern und Designern aus der gesamten Welt offen. Als sie 1958 aufgelöst wurde, hatte sie mehr als 170 Mitglieder, die Gäste nicht eingerechnet. Die französische Moderne verdankt ihre Reputation heute einigen wenigen Künstlerinnen und Künstlern: Fernand Léger, Sonia Delaunay, Henri Laurens, Eileen Gray, Charlotte Perriand, Pierre Chareau, Robert Mallet-Stevens, Jean Prouvé, Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Weitere Beteiligte waren auch René Herbst, Louis Sognot und Charlotte Alix, Hélène Henry, Elise und Djo-Bourgeois, Gustave Miklos, Cassandre, Paul Colin, Jean Carlu, Raymond Templier, Henri Puiforcat… – alle diese Künstler waren Mitglieder der U.A.M. Die französische Moderne mit ihren beständigen Recherchen zu Formen, Materialien, Technologien und Farben kann in dieser Ausstellung in einem Überblick nachvollzogen werden. Einige der Werke datieren vor der Gründung der U.A.M., darunter Arbeiten aus dem Salon d’Automne, der 1903 von Frantz Jourdain gegründet worden war.

Kuratiert von Frédéric Migayrou und Olivier Cinqualbre.

Coder le monde (Coding The World) – Galerie 3
Mutations / Créations; Ryoji Ikeda; Vertigo – 4, Stock 1 (13.6.–27.8.2018)

Die Gruppenausstellung „Coder le monde“ stellt eine Einführung in den kreativen Umgang mit Codes aus dem Zeitraum von 40 Jahren vor. Die Schlüsselmomente der digitalen Kultur, die heute als selbstverständlicher Teil des Alltags gilt, werden anhand von Zeitleisten, Installationen und Screenings vermittelt. Künstler, Musiker, Schriftsteller, Architekten und Designer aus verschiedenen Bereichen waren Pioniere eines alternativen Zugangs zum Digitalen. Die Ausstellung bietet auch einen Raum zum Live Coding, dass eine Plattform für Präsentationen bietet.

Die Ausstellung ist in sechs Sektionen unterteilt: the Algorists (eine internationale Kunstbewegung, 1955 bis 1975), zeitgenössische Musik, digitale Literatur, digital Formgebung in Architektur und Design, Körper und Code sowie Technologien für die Visualisation von Codes und Datenlandschaften.

Das zukunftsweisende Programm „Mutations / Créations” stärkt den Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Technologie. Dieses Jahr ist das Thema der beiden Ausstellungen und des Forums der Code und digitales Schaffen: Der japanische Künstler Ryoji Ikeda ist bekannt für seine Sound- und Videoarbeiten. „Vertigo“ ist ein Forum für Kunst und Innovation, das von der Ircam organisiert wird.

Kuratiert von Frédéric Migayrou, Marie-Ange Brayer, Frank Madlener.

Franz West – Galerie 2, Stock 6 (12.9.–10.12.2018)

Franz West im Centre Pompidou und der Tate Modern
Das Centre Pompidou und die Tate Modern zeigen einen Überblick über das Werk des österreichischen Künstlers Franz West (1947–2012). Seit den 1970er Jahren gehörte West zu den Schlüsselfiguren einer Künstlerschaft und beeinflusst auch heute noch junge Künstler.

Franz West gehörte zur Generation, die durch den Wiener Aktionismus und die Performance Kunst der 1960er und 1970er Jahre. Er interessierte sich für Philosophie und Psychoanalyse, versuchte Kunst im täglichen Leben zu verankern und den Status des Kunstwerks zu hinterfragen. West ist besonders berühmt für die Interaktivität seiner Werke, in denen er sich besonders mit dem Körper und dessen Ausdehnung im Raum beschäftigte. Zwischen 1977 und 1982 fertigte Franz West einige „Passstücke“ für sich selbst. Die Objekte aus Gips sollten durch das Publikum gehandhabt werden. In den 1980ern machte er Skulpturen aus Papiermaché, manchmal in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, darunter Heimo Zobernig und Albert Oehlen. Während seines ganzen Lebens arbeitete er mit Musikern, Theaterdirektoren, Choreografen und Fotografen. Indem er die Beziehung zwischen Kunst und Publikum fertigte er Skulpturen, die auch als Sessel fungieren. Für seine Chaise longue ist er bekannt. In den letzten Jahren vor seinem Ableben schuf er große, farbige Skulpturen, die im öffentlichen Raum aufgestellt wurden. So finden sich Werke von Franz West im New Yorker Central Park, der Place Vendôme in Paris und der Stubenbrücke in Wien.

Der charismatische Künstler gewann 2011 den Goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig. Zudem stellte er auf der documenta IX und X aus. Franz West ist – wie andere führende zeitgenössische Künstler wie Mike Kelley oder Gerhard Richter – eine Schlüsselfigur für eine jüngere Generation von Künstlern, vor allem jene, die wieder zur Skulptur zurückgekehrt sind. Im Centre Pompidou wird eine Serie von Werken aus dem MoMA, dem Museum Ludwig in Köln und dem mumok in Wien. Neben den bekannten Papier mâché Skulpturen der 1980er Jahre sind auch Zeichnungen und Arbeiten auf Papier zu sehen, die weniger bekannt sind. Dazu große Installationen der 1990er und Skulpturen im öffentlichen Raum der 2000er Jahre. Die ironische Sensibilität des Künstlers und sein origineller Zugang zu Materialien, Farben und Formen

Kuratiert von Christine Macel und Mark Godfrey.

Der Kubismus – Galerie 1, Stock 6 (17.10.2018–25.2.2019)

Mit mehr als 300 Werken von den bedeutendsten Kubisten, darunter Pablo Picasso, Georges Braque, André Derain, Henri Laurens, Robert Delaunay, Fernand Léger, Francis Picabia und Marcel Duchamp, wird die Ausstellung den Austausch zwischen den Künstlern und ihren Diskussionspartnern. Das Centre Pompidou zeigt Konzepte, Werkzeuge und Prozeduren, mit denen die Bewegung ihre Ziele verfolgte. Die Werke des Kubismus offenbaren gleichzeitig den experimentellen und kollektiven Charakter der künstlerischen Recherche.

Exemplarische Werke sollen die soziale und historische Dimension des Kubismus erklären helfen. Dokumente führend die Verbindung zwischen Kubismus und Literatur, Poesie, Musik und verschiedene Denkfelder. Nicht nur sensibles Reagieren auf die moderne Lebenswelt, sondern auch wissenschaftliche Erkenntnisse und technischer Neuerungen prägten die Bewegung.

Kuratiert von Brigitte Leal, Ariane Coulondre und Christian Briend. Die Ausstellung wird 2019 im Kunstmuseum Basel zu sehen sein (31.3.–5.8.2019).

Ausstellungen im Centre Pompidou 2018: Bilder

  • Pierre Chareau, Schreibtisch für Robert Mallet-Stevens, 1927 (© DR © Centre Pompidou, service de la documentation photographique, Distr. RMN-GP)
  • Franz West, Gruppe mit Kabinettensemble 8 Skulpturen, 2001 (© Franz West - Centre Pompidou Dist. RMN-GP © Ph. Migeat 1)
  • David Goldblatt, Petit propriétaire avec sa femme et leur fils aîné, à l’heure du déjeuner, Wheatlets, environs de Retfontein, province de Gauteng, September 1962, Silbergelatineabzug, 33 x 48,5 cm (Courtesy David Goldblatt et Goodman Gallery Johannesburg et Cape Town) © David Goldblatt
  • Georges Braque, Großer Akt im Winter, 1907–Juni 1908, Öl/Lw, 140 x 100 cm (Collection Centre Pompidou, Paris © Centre Pompidou Dist. Rmn-GP)
  • El Lissitzky, Proun 1 D, 1919 (Kustmuseum Basel)
  • Kasimir Malewitsch, Suprematismus, 1919 (Tretjakow Galerie, Moskau)
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.