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Bern | Zentrum Paul Klee: Gabriele Münter Mitbegründerin des „Blauen Reiter“ | 2022

Gabriele Münter, Die blaue Bluse (Frau Oscar Olson), 1917 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Gabriele Münter, Die blaue Bluse (Frau Oscar Olson), 1917 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München, © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Erste umfassende Retrospektive in der Schweiz zu Gabriele Münter, Mitbegründerin des „Blauen Reiter“ und bedeutende Künstlerin des deutschen Expressionismus. Neben Gemälden, Drucken und Zeichnungen ist im Zentrum Paul Klee auch ein Teil ihres umfassenden fotografischen Werks zu sehen sein.

Verkannte Pionierin

Als Mitbegründerin der legendären Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ zählt Gabriele Münter zu den bedeutendsten Künstlerinnen des deutschen Expressionismus und gilt als Wegbereiterin der modernen Kunst. In einer von Männern dominierten Berufswelt hat sie über sechs Jahrzehnte ein äußert vielseitiges Werk geschaffen und eine eigenständige kraftvolle Bildsprache entwickelt.

Wie viele ihrer Zeitgenossinnen blieb Gabriele Münter in der Kunstgeschichte lange Zeit unbeachtet. Selbst im fortschrittlichen Kreis um den „Blauen Reiter“, für den Münter wichtige Anregungen beisteuerte und maßgebliche redaktionelle Arbeit leistete, wurden Künstlerinnen von theoretischen Gesprächen ausgeschlossen, da ihnen nicht die gleichen intellektuellen und schöpferischen Fähigkeiten zugetraut wurden wie ihren männlichen Mitstreitern. In der einschlägigen Literatur ist daher immer von Wassily Kandinsky und Franz Marc als Hauptakteure des „Blauen Reiter“ die Rede. Münters Anteil an der Redaktion des Almanachs „Der Blaue Reiter“ wird mehrheitlich ausgeblendet und die Qualität ihres Werkes vorwiegend auf die gemeinsamen Jahre mit Kandinsky reduziert.

Gabriele Münter in Bern 2022

Die umfassende Retrospektive im Zentrum Paul Klee will diese Sichtweise korrigieren und zeigt Gabriele Münter nicht nur als wichtige Protagonistin der Avantgarde, sondern als enorm vielseitige, eigenwillige und experimentier-freudige Künstlerin. Der thematische Aufbau veranschaulicht eindrücklich Münters künstlerische Entwicklung, die Motive, die sie zeitlebens interessierten und die Art und Weise, wie sie sie in verschiedenen Phasen ihres Schaffens umsetzte. Die Exponate reichen von frühen Fotografien und spätimpressionistischen Ölskizzen über die leuchtenden expressionistischen Gemälde bis zu Linolschnitten und Zeichnungen.

Münters Fotografien

Rund 1200 fotografische Objekte dokumentieren Münters frühe Reisen, darunter diejenige der erst 21-Jährigen nach Amerika (1898–1900), ihre Reise nach Tunesien gemeinsam mit Wassily Kandinsky von 1904/1905 sowie ihre Aufenthalte in Frankreich ab 1906. Bereits in diesen Bildkompositionen zeigen sich Kernthemen, die Münter während ihres gesamten künstlerischen Schaffens begleiten werden. Es handelt sich dabei um zeitlose und naheliegende Motive wie Menschen, Architektur und Landschaft, aber auch aktuelle Themen wie Technik und Maschinen.

Auf ihrer Amerika-Reise dokumentierte Münter unter anderem ihre Verwandten, deren Wohnhäuser und Arbeitsplätze sowie Schiffe, Dampfzüge und eine Achterbahn. In zahlreichen Landschaftsaufnahmen werden ihr Interesse am Spiel mit Distanz und Perspektive und ihr Wille zur bewussten Anordnung von Objekten im Bildraum deutlich.

Auf der Reise nach Tunesien hielt sie in Fotografien, Zeichnungen und Ölskizzen neben touristischen Motiven die geometrischen Strukturen der Gebäude, Fenster, Torbögen und Ornamente fest. Bereits hier erkennt man die für Münters Werk charakteristische Bildstruktur: eine Bildgliederung durch einfache Linien und Flächen.

Malerin am Puls der Zeit

Münters Stil wandelte sich von anfänglich impressionistisch geprägten gespachtelten Ölskizzen zu expressionistischen Ausdrucksweisen, die sie vor allem ab 1909 in Murnau und im Zusammenhang mit dem Blauen Reiter vertiefte. Ab 1935 beschäftigte sich Münter in einer Serie von Gemälden erneut mit der Umgebung von Murnau, wobei sich ihr Blick zunehmend von der Natur auf die moderne Technik verschob. Ihre Bildsprache verlor ihren expressionistischen Charakter und die Farbgebung und Darstellung wurden naturalistischer (siehe auch: München | Lenbachhaus: Wassily Kandinsky – Gabriele Münter).

Eine besondere Werkgruppe bilden die 1906/07 in Paris entstandenen druckgrafischen Arbeiten, die mit klaren reduzierten Linien und frischen Farben eine überraschend moderne Bildsprache offenbaren und heute an Werke der Pop Art erinnern. In späteren Porträts, vor allem in den Zeichnungen der 1920er-Jahre, häufen sich Darstellungen von schreibenden, lesenden, sinnierenden und rauchenden Frauen alles Tätigkeiten, die damals ausschließlich Männern zugeschrieben wurden. Gabriele Münter bewegte sich also nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich immer am Puls der Zeit und darüber hinaus.

Quelle: Zentrum Paul Klee, Bern

Gabriele Münter: ausgestellte Werke

  • Gabriele Münter, Kandinsky, 1906, Farblinolschnitt auf Japanpapier 24,4 x 17,7 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957)
  • Gabriele Münter, Aurélie, 1906, Farblinolschnitt auf Japanpapier 18,7 x 17 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957)
  • Gabriele Münter, Olga von Hartmann, um 1910, Öl auf Leinwand 60,3 x 45 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Die blaue Bluse (Frau Oscar Olson), 1917, Öl auf Leinwand 40,3 x 54,9 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Dame im Sessel, schreibend (Stenografie. Schweizerin im Pyjama), 1929, Öl auf Leinwand 61,5 x 46,2 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Der blaue Bagger (Baustelle an der Olympiastraße nach Garmisch), 1935/1937, Öl auf Leinwand, 60,5 x 92,5 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung)
  • Gabriele Münter, Stillleben vor dem gelben Haus, 1953, Öl auf Leinwand, 46,5 x 54,5 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Stillleben Pfingsten, 1934, Öl auf Pappe, 38,1 x 46,2 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Zuhörerinnen, um 1925/1930, Öl auf Leinwand, 69,2 x 54 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Stillleben in der Trambahn (Nach dem Einkauf), um 1909, Öl auf Pappe, 50,2 x 34,3 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Dorfstraße im Winter, 1911, Öl auf Leinwand, 53 x 70 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957)
  • Gabriele Münter, Zuhören (Bildnis Jawlensky), 1909, Öl auf Pappe, 49,8 x 66,4 cm (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957)
  • Gabriele Münter, Drei Frauen im Sonntagsstaat, Marshall, Texas, 1899/1900, Fotografie, 8,8 x 8,9 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Donohoo’s Warehouse, Plainview, Texas, 1899, Fotografie, 9,4 x 12,1 cm (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München © 2021, ProLitteris, Zürich)

Beiträge zu Künstlerinnen

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Paris | Jeu de Paume: Tina Modotti Fotografin & Revolutionärin | 2024

Vintage-Abzüge & zeitgenössische Abzüge der 1970er Jahre, incl. Zeitschriften mit Modotti-Veröffentlichungen zeigen, wie die Fotografin das Bewusstsein ihrer Zeitgenoss:innen schärfen wollte.
28. Mai 2023
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