0

München | Lenbachhaus: Wassily Kandinsky – Gabriele Münter Frühe Reisen des Künstlerpaars zwischen 1904 und 1908

Wassily Kandinsky, Kallmünz – Gabriele Münter beim Malen I, Detail, Sommer 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)

Wassily Kandinsky, Kallmünz – Gabriele Münter beim Malen I, Detail, Sommer 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)

Wassily Kandinsky und Gabriele Münter – wir kennen sie als zentrale Figuren der Künstlerformation „Der Blaue Reiter“ und damit des deutschen Expressionismus. Bereits vor dieser Zeit verband die beiden eine enge künstlerische Beziehung. Die Ausstellung widmet sich erstmals ihren gemeinsamen Wegen in den Jahren von 1902 bis 1908. Auf zahlreichen Reisen schuf das Paar kleine Malereien und Fotografien: Unter freiem Himmel und mit leichtem Gepäck. Etwa in Kallmünz, Rotterdam, Tunis, Rapallo und Paris entstanden Ölskizzen und Fotografien direkt vor den Motiven.

Kandinsky und Münter in Kochel

Nachdem Münter sich 1901 in der Münchner Phalanx-Schule zum Kunststudium angemeldet hatte, nahm sie auf Einladung des dort lehrenden Kandinsky am Sommeraufenthalt seiner Klasse 1902 in Kochel teil. Unterwegs mit Kamera, Paletten, kleinen Malpappen, zusammengefalteter Staffelei und verschließbaren Farbtuben, fuhren sie mit dem Fahrrad durch die Landschaften des Voralpenlandes. Nach den ersten gemeinsamen Wochen in Kochel verbrachten sie auch den zweiten Malsommer der Klasse Kandinskys 1903 in Kallmünz, nun als Paar. Hier entwickelten sie ein erkennbar aufeinander bezogenes künstlerisches Arbeiten, das sie auch in den nächsten Jahren während ihrer gemeinsamen Reisen fortführen sollten. Sie näherten sich demselben Motiv, nutzen dabei verschiedene Techniken, verwendeten unterwegs entstandene Fotografien als Vorlage für Zeichnungen, Holzschnitte und Gemälde und diskutierten über individuelle künstlerische Weiterentwicklungen.

Die Anfänge dieses partnerschaftlichen Vorgehens zeigt zum Beispiel Münters Ölskizze Kandinsky beim Landschaftsmalen, die sie im Sommer 1903 in Kallmünz anfertigte. Ihr Kompagnon sitzt auf dem Burgberg in Kallmünz und malt. Zeitgleich fotografiert sie dasselbe Motiv. Die Skizzenbücher Kandinskys wiederum zeigen, welche Impressionen der Kallmünzer Landschaft sich ihm in diesem Augenblick boten.

Saint-Cloud & Sèvres, Rapallo & Holland (1904–1908)

Ab 1904 begab sich das Paar, unterbrochen von kurzen Aufenthalten in München (Kandinsky) oder dem Rheinland (Münter), bis 1908 auf Reisen. 1905 hielten sich Münter und Kandinsky von Januar bis März in Tunesien auf, von 1. Juni bis 15. August in Dresden. Im folgenden Jahr stellte Kandinskyim April in der Berliner Secession aus, erneut hielten sich Kandinsky und Münter im April 1908 in Berlin auf. Mobilität bestimmte ihr Privatleben sowie ihre künstlerische Arbeit.

Sie widmeten sich Landschaften und Architekturen der zumeist von Kandinsky ausgesuchten Zielorte. In ihrer Arbeitsweise zeigt sich der Einfluss des Impressionismus: Der Pinsel wurde kaum genutzt und die Farbe nahezu ungemischt mit dem Palettmesser aufgetragen. Die Formate sind klein und intim, der Einsatz der Farbe stand im Mittelpunkt ihres Interesses. Seltsam unberührt von der sozialen Realität der Welt orientierten sich ihre Arbeiten an der Erscheinung der Oberflächen.

Nach vier Jahren endete diese Suche, nach einem ganzen Jahr in Paris 1906/1907 kehrten sie nach Deutschland zurück, verbrachten den Winter in Berlin, das Frühjahr in Südtirol, bevor sie im Frühsommer 1908 den Entschluss fassten, das unstete und sozial reduzierte Wanderleben zu beenden und sich wieder dauerhaft in München niederzulassen. Mit diesem Augenblick endet die Ausstellung, welche die besondere künstlerische Nähe Kandinskys und Münters in den frühen gemeinsamen Jahren von 1902 bis 1908 herausstellt.

Als sie Mitte August 1908 erstmals gemeinsam mit Alexej von jawlensky in Murnau malten (bis 30.9.), wandten sich beide der Vereinfachung der Formen zu, womit der Weg in den Expressionismus beschritten werden konnte. Diese Zusammenarbeit führte am 22. Januar 1909 zur Gründung der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.), deren erster Vorsitzender Kandinsky wurde.

Reisefotografien

Neben den Ölskizzen entstanden viele Fotografien, die insbesondere Münter anfertigte, die ihre Kodak-Rollfilmkamera stets bei sich trug. Hier zeigt sich der Gestaltungswille einer Malerin, deren Fotografien heute für uns nicht mehr nur einen dokumentarischen und privaten Wert besitzen. Es sind Fotos, deren künstlerischer Blick uns in Erstaunen versetzt. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der fotografischen und gemalten Bilder zeigen uns die Fragestellungen eines modernen Künstlerpaares. Ihre Suche nach einer zeitgenössischen Ästhetik in der Malerei ist antiakademisch und impressionistisch – ob in Kallmünz oder Karthago.

Kuratiert von Matthias Mühling und Sarah Louisa Henn.
Eine Kooperation des Lenbachhauses mit der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung

Kandinsky und Münter auf Reisen: Bilder

  • Gabriele Münter, Kallmünz, 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Allee im Park von Saint-Cloud, 1906 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Landschaft bei Rapallo, 1906 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Blick aus dem Fenster in Sèvres, 1906 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Kandinsky beim Landschaftsmalen, 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Baumblüte in Lana, 1908 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Segelboot auf dem Meer, um 1902 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Kallmünz – Gabriele Münter beim Malen I, Sommer 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Kallmünz – Gabriele Münter beim Malen II, Sommer 1903 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Holland – Strandkörbe, Mai-Juni 1904 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Landschaft mit gelbem Feld, 1905 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Wassily Kandinsky, Rapallo – Bucht, Anfang 1906 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München)
  • Gabriele Münter, Kandinsky beim Landschaftszeichnen auf dem Burghügel über Kallmünz, Sommer 1903 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Wassily Kandinsky, Münter mit Fahrrad auf einem Feldweg bei Krachenhausen, nahe Kallmünz, Sommer 1903 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Wassily Kandinsky, Münter an der Staffelei im Freien malend, Kochel, 18. Juli 1902 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
  • Gabriele Münter, Vilsgasse in Kallmünz, Sommer 1903 (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)

Weitere Beiträge zum Impressionismus

9. April 2024
Paul Cézanne, Drei Badende, 1874-1875 (Musée d'Oesay, Paris)

Mailand | Palazzo Reale: Cézanne / Renoir Hauptwerke aus dem Musée de l’Orangerie und Musée d’Orsay | 2024

Im Palazzo Reale in Mailand dokumentieren 52 Meisterwerke das Leben zweier Maler, die zur Geburt einer der unglaublichsten Bewegungen der Kunstgeschichte beigetragen haben, dem französischen Impressionismus.
25. März 2024
Claude Monet, Impression, Sonnenaufgang, Detail (2), 1872 (Musée Marmottan Monet, Paris)

Paris | Musée d’Orsay: Paris 1874. Erfindung des Impressionismus Erste Impressionisten-Ausstellung | 2024

„Paris 1874“ geht auf die Umstände ein, die 31 Künstler:innen – von denen heute weltweit nur noch sieben bekannt sind – dazu veranlassten, ihre Kräfte zu bündeln und ihre Werke gemeinsam auszustellen.
18. März 2024
Claude Monet, Tulpenfelder bei Den Haag, 1886, Öl auf Leinwand, 66 cm x 81,5 cm (Van Gogh Museum, Amsterdam)

Amsterdam | Van Gogh Museum: Vive l’impressionnisme! Französischer Impressionismus in den Niederlanden | 2024/25

Wann und wie gelangten diese Werke des französischen Impressionismus in die Niederlande? Und waren die Niederländer:innen überhaupt bereit, eine moderne Kunstbewegung aus Paris zu übernehmen? Welche Bilder ihren Weg in die Niederlande fanden, und welchen Weg sie kamen, klärt die Ausstellung in Amsterdam erstmals.

Weitere Beiträge zum Expressionismus

11. Februar 2024
Walter Gramatté, Die große Angst, Detail, Radierung, 1918

Washington | National Gallery of Art: Deutscher Expressionismus und sein Erbe Das ängstliche Auge | 2024

Die Ausstellung bietet Einblicke in die Arbeit der innovativen Künstler:innen des frühen 20. Jahrhunderts und ihre anhaltende Wirkung ein Jahrhundert später. Mit Werken von Heckel, Kirchner, Nolde, Dix, Kollwitz, Schiele, Schmidt-Rottluff und Grammatté; ergänzt um Leonard Baskin, Nicole Eisenman, Orit Hofshi, Rashid Johnson, Matthias Mansen.
29. Januar 2024
Otto Mueller, Selbstbildnis mit Pentagramm, Detail, um 1924 (© Von der Heydt-Museum, Wuppertal, Foto: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal)

Münster | LWL-Museum: Otto Mueller Auf der Suche nach dem vermeintlich „Ursprünglichen“ | 2024/25

Das LWL-Museum besitzt vier Gemälde Otto Muellers sowie eine Reihe von Grafiken, darunter eine handkolorierte Lithografie. Diese Werke sind Ausgangspunkt der Ausstellung, die einen kritischen Blick auf das Werk des Expressionisten wirft.
24. Dezember 2023
Franz Marc, Blaues Pferd II, Detail, 1911 (Kunstmuseum Bern, Stiftung Othmar Huber (c) Kunstmuseum Bern)

Wien | Albertina: Sammlung Othmar Huber Blauer Reiter in Wien | 2024

Im Herbst 2024 eröffnet die Albertina eine Überblick zur Sammlung Othmar Huber. 47 Werke der Stiftung Othmar Huber gastieren als Dauerleihgabe im Wiener Museum– bis mindestens 2030.