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dOCUMENTA (13): Künstler und Schamanismus Das war die dOCUMENTA (13) in 12 Kapiteln - Teil 11

Apichatpong Weerasethakul, The Importance of Telepathy, Detail, 2012, dOCUMENTA (13) 2012, Foto: Alexandra Matzner.

Apichatpong Weerasethakul, The Importance of Telepathy, Detail, 2012, dOCUMENTA (13) 2012, Foto: Alexandra Matzner.

Bereits zur Eröffnung der dOCUMENTA (13) brachte CCB Tiere ins Spiel, forderte das Wahlrecht für Erdbeeren und plante auch einen Spielplatz für Hunde in die Ausstellung ein. Dass das Tier, die Beschwörung von Geistern und Natur im Allgemeinen einen hohen Stellenwert für die Auswahl hatte, konnte bereits in Teil 10 unter dem Stichwort „Ökologie“ gezeigt werden. Drei Künstler_innen – Fiona Hall, Apichatpong Weerasethakul und Issa Samb – gehen darüber noch hinaus und inszenieren eigentümliche Orte einer urtümlich kultischen Verbindung vom Menschen und seiner Umwelt.

Fiona Hall (* 1953) schafft Tier-Mutanten, die an Totems erinnern und Kommentare auf Geldwirtschaft und Ökologie darstellen. Ihre Installation in der Karlsaue erinnert an ein altes, naturwissenschaftliches Museum, in dem ausgestopfte Tiere in Reih und Glied Auskunft über die vielfältigsten Arten der Welt geben sollen. Gleichzeitig lässt sich auch eine Verbindung zu einer Jagdhütte voller Trophäen ziehen, die an den Wänden die Erfolge der letzten Safaris versammelt. Die schaurig-schöne Ansammlung von exotischen Wesen verschmilzt mit Kleidungsstücken, die in ihren Formen an das menschliche Skelett erinnern und mit Camouflage-Mustern bedruckt sind. Sind die Tiere als Unheil abwehrende, Glück beschwörende Mächte angebracht worden? Oder tragen sie menschliche „Überreste“? Alle sind vom Aussterben bedroht, werden von der Künstlerin in Tarnkleidung gesteckt und sitzen auf Geldscheinen. Die Vögel haben sogar ihre Nester aus US-Geldscheinen gezimmert. Hoffentlich überstehen sie die nächsten Jahre.

Die geisterhafte, monströse Figur auf einer Lichtung in der Karlsaue wurde vom thailändischen Künstler Apichatpong Weerasethakul (* 1970) in Gemeinschaftsarbeit mit Chai Siri geschaffen. Rund um die weiße Gestalt mit ihrem fratzenhaften Gesicht erklingen unsichtbare Glöckchen. Der Filmemacher Weerasethakul schafft aus dem „Amphitheater […] ein Kino für die Bäume“. Weiter meint er: „Es ist mein Baum, ein uralter Geist, der sich weigert aus meiner Erinnerung zu verschwinden. Er schlägt aus und nimmt an diesem Umweltkino teil. Seine Manifestation keilt sich in ein fremdes Land und terrorisiert die Erzählung. Der Geist fordert seine bevorstehende Auslöschung aus einer Kindheitserinnerung heraus. Oder vielleicht erwächst er aus einem Land, das regelmäßig seine Opfer politischer Gewalt ignoriert.“1 Die Verbindung von Krieg, politischer und moralischer Verantwortung mit Kunst ist vor allem in der Aussage Weerasethakuls spürbar. In der Karlsaue selbst wirkte die Skulptur wie ein überdimensioniertes und eher eigentümliches Objekt.

Der aus Dakar stammende Künstler Issa Samb (* 1945) lehnt – mit Ausnahme des Radios – konsequent jede Art der mechanischen Kommunikation und Technologie ab. Seit den 70er Jahren wendet sich Samb gegen eine Typisierung und Funktionalisierung der Kunst im Senegal. Die Installation rund um einen Baum, „Out of balance“, wirkt wie eine heilige Stätte: Flaschenkürbisse hängen von den Ästen, Tücher sind um die Stämme gewickelt, ein Altar stemmt eine Unmenge von Büchern. Ob der Künstler damit das Ungleichgewicht zwischen Intellektualität und Mystizismus meint?

Weitere Themen auf der documenta 13

Teil 1: dOCUMENTA (13): Raumfragen
Teil 2: dOCUMENTA (13): Themenfelder
Teil 3: dOCUMENTA (13): Kunst und ihre politische Verantwortung
Teil 4: dOCUMENTA (13): Kunst und der Umgang mit Geschichte
Teil 5: dOCUMENTA (13): Kassel und Afghanistan
Teil 6: dOCUMENTA (13): Kassel und Australien
Teil 7: dOCUMENTA (13): Historische Wurzeln aktueller Kunst
Teil 8: dOCUMENTA (13) Kunst und Naturwissenschaft
Teil 9: dOCUMENTA (13): Aktuelle Malerei – oder gegen jede Art von Medienspezifität
Teil 10: dOCUMENTA (13): Kunst und Ökologie
Teil 12: dOCUMENTA (13): „Realität“ und ihre mediale Vermittlung

  1. Apichatpong Weerasethakul zitiert nach Das Begleitbuch, Ostfieldern 2012, S. 316.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.