Gemeinsam mit dem dänischen „Louisiana – Museum of Modern Art“ entwickelte der DuMont Buchverlag jüngst einen Ausstellungskatalog, der mehr sein will als eine Aufzählung von Werken der Klassischen Moderne. Aus der Sammlung von Werner und Gabriele Merzbacher und dem Bestand des Louisiana wurden etwa 150 Werke von 72 Künstlern zu einem „Feuerwerk der Farben“ zusammengestellt, heißt es doch in der Auktionsszene: Ein typisches „Merzbacher-Bild“ steche durch seine starke Farbigkeit und Dynamik hervor.
Dänemark / Humlebaek: Lousiana
5.2. - 13.6.2010
Aristoteles (384–322 v.u.Z.) lehnte die Theorie, dass Ausflüsse (Sehstrahlen) am Sehen beteiligt wären, kategorisch ab. Er ging bereits von der Annahme aus, dass Objekte Licht zurückwerfen würden, das ins Auge eindringt. Zudem war wohl Aristoteles der erste Theoretiker, der sich in "Über die Farben [De coloribus]" ernsthaft über Farbmischungen Gedanken gemacht hat. Mit Hilfe eines Experiments wies er nach, dass grünes Licht aus der Addition von gelbem und blauem Licht entsteht (= Subtraktive Mischung). Daraus entwickelte der griechische Philosoph das Konzept einer auf dem sieben Farben basierenden Grundlinie, die bis ins 17. Jahrhundert Gültigkeit hatte.
Leonardo da Vinci (1452–1519) unterschied bereits zwischen einfachen und natürlichen Farben. Leider widerspricht sich Leonardo in seinen theoretischen Ausführungen, beschreibt aber die einfachen Farben einmal als Primärfarben (Weiß, Gelb, Grün, Blau, Rot, Schwarz); die natürlichen nannte er Brombeerfarbe (Violettblau?) und Löwenfarbe (Orange?). Neben dieser Unterscheidung in primäre und sekundäre Farben beschrieb Leonardo noch den Simultankontrast (→ Leonardo da Vinci).
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) darf als einer der Begründer der Farbenlehre angesprochen werden. Der Dichter und leidenschaftliche Naturforscher beschäftigte sich in Weimar mit den Lehren Newtons. Im Gegensatz zu diesem interessierte er sich nur für die reinen Buntfarben (die mit Weiß oder Schwarz oder miteinander abgemischten Farben erklärte er für beschmutzt). Im Jahr 1810 legte Goethe „Zur Farbenlehre. Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander und ihrer vollständigen Affinität“ vor - im gleichen Jahr publizierte Philipp Otto Runge seine „Farbenkugel“. Darin erklärte er die Entstehung von Farben aus der Polarität von Licht und Finsternis. Goethe zeigt sich in diesem Buch mehr als Denker denn experimenteller Physiker, so dass nur noch die Teile heute von Interesse sind, in denen er sich mit der Reaktion des Auges und mit der psychologischen Wirkung der Farben auf den Betrachter und die Betriachterin befasste. So beschrieb Goethe als erster die warme Hälfte des Farbenkreises, der er eine kalte Seite gegenüberstellte. Damit legte er einen Grundstein der Farbenpsychologie.
Philipp Otto Runge (1777–1810) entwarf zwischen 1806 und 1810 seine „Farben-Kugel oder Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zu einander, und ihrer vollständigen Affinität...“. In einem Brief an Goethe entwickelte er bereits 1806 folgende Idee:
„Drey Farben, Gelb, Roth und Blau, giebt es bekanntlich nur. Wenn wir diese in ihrer ganzen Kraft annehmen, und stellen sie uns als einen Cirkel begränzt vor, so bilden sich aus diesen drey Übergänge, Orange, Violett und Grün [...] und diese sind in ihrer mittleren Stellung am brillantesten und die reinen Mischungen der Farben.“ (Philipp Otto Runge an Johann Wolfgang von Goethe, 1806)
In der Mitte des Kreises heben sich die drei Grundfarben im Grau auf. Ein Jahr später erweiterte Runge dieses Konzept durch Schwarz und Weiß und platzierte die Farben bzw. Nichtfarben auf einer Kugel. Die Pole dieser Farbenkugel sind seit 1809 Schwarz und Weiß. Die drei reinen Farben, gemeinsam mit Schwarz und Weiß ergeben sie die so genannten Elementarfarben, positionerte Philipp Otto Runge entlang des Äquators. Gelb, Rot und Blau bezeichnete er auch als das „simple Symbol des Dreyeinigkeit Gottes“, während Licht das Gute und die Finsternis das Böse symbolisieren. Grau - als Mischfarbe der Komplementärfarben wie von Scharz und Weiß - befindet sich in der Mitte der Kugel. Seine Theorie sah der Maler als rein künstlerische Überlegung an, die sich unabhängig von der Wissenschaft bewegen würde (→ Philipp Otto Runge).
Michel Eugène Chevreul (1786–1889) war Professor für organische Chemie und Direktor der königlichen Gobelinemanufaktur. Daher beschäftigte sich Chevreul mit dem Simultankontrast, d. h. die Veränderung des Aussehens einer Farbe durch die Umgebungsfarbe. Mit seinem Farbenkreis entwarf Chevreul eine Handreichung zur praktischen Verwendung der Farbkontrastgesetze. Sein Buch „De la loi du contraste simultané des coueurs [Über das Gesetz des Simultankontrastes der Farben]“ (1839) wurde zu einem Standardwerk für Maler von Eugéne Delacroix (→ Delacroix und die Malerei der Moderne) über Robert und Sonia Delaunay (→ Sonia Delaunay. Malerei, Design und Mode) zu Josef Albers. Chevreul beeinfusste mit seinen Beobachtungen die Malerei des Impressionismus, Postimpressionismus | Pointillismus | Divisionismus und Orphismus.
Charles Blanc (1813–1882) arbeitete an Chevreuls Beobachtungen des Simultankontrastesw weiter und legte 1881 „Grammaire des arts décoratifs“ vor, das von zahlreichen Künstlern gelesen wurde: Paul Gauguin, Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus und Vincent van Gogh. Vor allem Van Gogh begeisterte sich für die Komplementärfarben, die einander neutralisieren (oder verstärken). Mit den Pointillisten rund um Seurat und Paul Signac ging Mitte der 1880er Jahre der Impressionismus zu Ende und eine stärkere Orientierung der Maler an den Naturwisssenschaften ist zu beobachten.
Jacob Wamberg beobachtet in „Farbreflexionen. Die Kunst des 20. Jahrhunderts zwischen Tube und Theorie“, dass Farbe eine zentrale Kategorie der modernen Kunst sei, welche oft in ausgiebigen theoretischen Reflexionen die Verwendung von Farbe als „Medium und Inhalt“ begleiten (S. 40). Diese „beinahe zwanghafte Suche nach einer systematischen Theorie der Farbe“ wäre andererseits immer wieder gescheitert, da zwischen objektiver Physik und subjektivem Empfinden keine Brücken schlagenden Gesetze aufzustellen wären. Daher sei nach dem 2. Weltkrieg keine Synthese mehr angestrebt worden, sondern es hätte sich vielmehr Skepsis geregt (siehe Wittgensteins „Bemerkungen über Farben“). Die Farbenfreude der Moderne verbindet Wamberg mit den Hinweisen auf ihre „Antithese zu Intelligenz und Kultiviertheit“ sowie der akademischen Auffassung von der bedeutungstragenden Linie (Farbe als notwendiges Übel siehe z.B. Kant in „Kritik der Urteilskraft“ oder als Zeichen von Kindlichkeit und primitiver Kultur bei Adolf Loos in „Ornament und Verbrechen“, S. 41).
Der Farb-Experte John Gage konzentriert sich in „Colour free like light“ auf das schwierige Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft sowie der „Demokratie der Farbe“, die allen Farbtönen den gleichen Stellenwer einräumt. Er beschreibt die spannungsgeladene Beziehung zwischen dem Nobelpreisträger für Chemie und dilettierenden Maler Wilhelm Ostwald und einigen Lehrern am Bauhaus (Kandinsky, Itten, Klee, Gropius; S. 50).
Die Merzbacher-Sammlung gilt, so Stephanie Rachum in ihrem Aufsatz, als eine der „bedeutendsten der Welt“ (1998/99 erstmals im Israel Museum in Jerusalem, dann 2002 in der Londoner Royal Academy of Arts und 2006 im Kunsthaus Zürich ausgestellt). Werner Merzbacher war das Sammeln nicht in die Wiege gelegt worden, eigentlich hat er es „angeheiratet“. Der 1928 Geborene wurde als Zehnjähriger 1939 von seinen Eltern in die Schweiz geschickt, um dem Nationalsozialistischen Terror zu entkommen. 1949 wanderte Werner Merzbacher in die USA aus, lernte dort seine spätere Frau Gabrielle Mayer kennen und stieg in das New Yorker Pelzgeschäft seines Schwiegervaters ein. Als er sich elf Jahre später entschloss, wieder in die Schweiz zurückzukehren, traf er dort erstmals auf die bereits existierende kleine aber feine Kunstsammlung der Großeltern seiner Frau (Picasso, Vincent van Gogh, Henri Matisse). Diese Begegnung sollte für Werner Merzbacher und Gabrielle Merzbacher-Mayer der Beginn einer lebenslangen Sammeltätigkeit werden. In den 60er Jahren konnten sie sich die Werke von Kandinsky, Kirchner und Klee (→ Klee & Kandinsky), gefolgt von den Fauves und den russischen Konstruktivisten jedoch noch nicht leisten, so dass sie mit mexikanischen und italienischen Sozialen Realisten aber auch schon einigen Arbeiten der Impressionisten begannen. Das erste Bild, das der Merzbacher-Sammlung ihr späteres Gepräge geben sollte, war Karl Schmidt-Rottluffs „Blühende Bäume“. Der „reine Ausdruck, die rohe Emotion des Bildes“ hätte sie „auf einen neuen Kurs“ gebracht (S. 9). Das Ehepaar erwarb in den folgenden Jahrzehnten meist auf Auktionen eine stattliche Anzahl von farbenprächtigen, energiegeladenen Werken. Das verbindende Glied der Sammlung trotz „oftmals scharfer Unterschiede in Stil und Absicht“ ist die „satte Farbigkeit“ (S. 10). Nur so, und da mag man Stephanie Rachum zustimmen, lassen sich Gemälde der Fauves, Orphisten, Konstruktivisten, der figurativen wie abstrakten Expressionisten aber auch der Konstruktivisten (fanden seit Ende der 80er Jahre Eingang in die Sammlung) auf einen Punkt bringen.
Gemeinsam mit dem dänischen Louisiana – Museum of Modern Art entwickelte der DuMont Buchverlag jüngst einen Ausstellungskatalog, der mehr sein will als eine Aufzählung von Werken der Klassischen Moderne. Aus der Sammlung von Werner und Gabriele Merzbacher und dem Bestand des Louisiana wurden etwa 150 Werke von 72 Künstlern zu einem „Feuerwerk der Farben“ zusammengestellt, heißt es doch in der Auktionsszene: Ein typisches „Merzbacher-Bild“ steche durch seine starke Farbigkeit und Dynamik hervor. Vor allem die Gemälde der Fauvisten und Expressionisten haben es dem begeisterten Kunstsammlerpaar angetan. Die begleitende Publikation ist demnach folgerichtig den verschiedenen Aspekten der Farbe – von Farbtheorie über Beobachtungen der Neurologie, von der Bedeutung der Farbe in der Architektur, im Marketing, in der Literatur und der Musik – gewidmet. Die hochwertig reproduzierten Gemälde sind in Gruppen zwischen den Texten angeordnet. Ziel von Michael Juul Holm ist, eine allgemeine Einleitung zum Thema Farbe anzubieten.
Der Katalog führt erfreulich über das gängige Schema von Einleitungs- und Objekttexten hinaus. Die Kürze der Texte gibt die Möglichkeit, sich über die wichtigsten Farbthemen zu informieren, auch wenn viele Fragen offen bleiben müssen. Gleichzeitig machen die Artikel, die aufgrund ihrer Länge kaum über vereinfachende Darstellungen und Aufzählungen hinauskommen, Lust auf mehr.
In „Nachdenken über Farbe – Farbtheorien“ stellt sich Klaus Stromer der Aufgabe auf neun Seiten, die wichtigsten Farbtheorien und Farbsysteme zusammenzufassen (von Aristoteles bis Blanc). Er endet mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Genforschung, die vermuten lässt, dass „unsere Wahrnehmung umfänglicher sein könnte, als die Standardmodelle zu erklären imstande sind“.
Morten L. Kringelbach und Kristine Rømer Thomsen führen in „Farbenfreude des Gehirns“ aus, dass das Sehen vermutlich der Sinn ist, der den meisten Raum im menschlichen Gehirn einnimmt. Wie sich der Mensch allerdings dieser visuellen Eindrücke bewusst wird oder wie Freude an Farbe zustande kommt, ist bislang noch nicht geklärt. Kunstgenuss gehört – darüber sind sich Hirnforscher einig – zumindest eine Freude höherer Ordnung, unersetzlich und von hoher Bedeutung für die soziale Interaktion wie auch für unser Gemeinschaftsgefühl.
Die folgenden vier Artikel sind der Verwendung von Farbe in der Architektur, im Marketing, in der Literatur und der Musik gewidmet und beziehen sich folglich nur mehr allgemein auf die ausgestellten Werke. Überhaupt ist zu beobachten, dass die Kürze der Texte v.a. bei Jacob Wamberg zu einer weitgehenden (und meiner Ansicht nach gefährlichen) Vereinfachung der historischen Fakten führte. Dass Buntfarbigkeit durch die akademische Maler und das Publikum scheinbar immer als notwendiges Übel empfunden wurde, lässt sich in dieser Ausschließlichkeit einfach nicht behaupten.
Stephanie Rachum: Die Merzbachers und ihre Sammlung (S. 8-11)
Helle Crenzien, Michael Juul Holm: Einführung (S. 12-14)
Jacob Wamberg: Farbreflexionen. Die Kunst des 20. Jahrhunderts zwischen Tube und Theorie (S. 40-45)
John Gage: Colour free like light (S. 50-58)
Klaus Stromer: Nachdenken über die Farbe – Farbtheorien (S. 70-79)
Morten L. Kringelbach, Kristine Rømer Thomsen: Farbenfreude des Gehirns (S. 106-113)
Gertrud Olsson: Farbe und Architektur (S. 120-131)
Erich H. Buxbaum: Farbe und Marketing (S. 156-161)
Lars Handesten: Farbe und Literatur (S. 178-182)
Stehen Chr. Steensen: Farbe und Musik – Musik und Farben (S. 202-207)
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