Georg Baselitz (* 23. Januar 1938) ist dem Kunstmuseum Basel bereits seit 1970 eng verbunden und wird zum 80. Geburtstag mit einem repräsentativen Überblick über die Zeichnungen und farbigen Blätter aus dem Kupferstichkabinett geehrt. 152 Zeichnungen und Aquarelle nennt das Museum sein Eigen, 100 Arbeiten auf Papier machen die Stilentwicklung des Künstlers anschaulich.
Schweiz / Basel: Kunstmuseum Basel, Hauptbau
21.1. – 29.4.2018
Das älteste Aquarell der Ausstellung stammt aus dem Jahr 1955. Der damals 17-jährige Gymnasiast, der Maler werden wollte, zeigt in wässriger Manier ein Reh im Wald – oder besser, rezipiert jenen Typus des Waldeinblicks, der sich im 19. Jahrhundert höchster Beliebtheit bei naturalistischen Malern erfreute. Ein Jahr später bewarb sich Hans-Georg Kern, der sich erst ab 1961 Baselitz nannte, mit ähnlichen Arbeiten erfolglos an der Kunstakademie in Dresden. Nun Hans-Georg Kern sah in diesem Aquarell, bei dem es ihm nur am Rande um das Motiv ging, ein „modernes Bild“, hatte er sich doch an einer Reproduktion nach Paul Klee orientiert. Dieser lehrte ihn, „dass es auch anders geht als mit Naturnähe, besonders dass man es wie eine Vision gestalten kann, dass man es auch in Kindermanier zeichnen kann“1. Mit 17 Jahren hatte Georg Baselitz damit den Grundstein für sein späteres Werk geschaffen, das bis heute um Vor-Bilder aus der Kunstgeschichte und seiner eigenen Kunst, aus dem Familienalbum kreist und von eigenen Erinnerungen überlagert wird.
Baselitz wurde in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre an den Akademien von Ost- und West-Berlin zum Maler ausgebildet. Sein Bestehen auf einer äußerst expressiven und realistischen Figurenmalerei musste im Kontext der westdeutschen Nachkriegskunst, die ganz auf Abstraktion fokussiert war, als Provokation verstanden werden. Ab 1962/63 begann Baselitz‘ rasante Karriere mit skandalisierten Bildern und halluzinierenden „pandämonischen Manifesten“. Er setzte sich selbst als „Einzelgänger“ in Szene und ließ Neue „Helden“ auftreten.
Dieser Prozess gipfelte 1969 darin, dass er seine Bilder auf den Kopf stellte. Damit nahm er ihnen den konventionellen Inhalt. Durch den Einsatz von „banalen“, auf dem Kopf stehenden Motiven ist der Betrachter unmittelbar mit Farbe und Form konfrontiert, ohne durch erzählerische Bildinhalte abgelenkt zu werden. Gleichzeitig sieht er sich keinem abstrakten Werk gegenüber, und kann weiterhin auf figürliche Motive bauen. Diese Entwicklung lässt sich besonders eindrücklich anhand von Baselitz‘ Zeichnungen nachvollziehen: Intuitiv und ungehemmt entwickelte Georg Baselitz sein Konzept von „Helden“- und „Neuen Typen“ zu den „Faktur“-Bildern, in denen er die Integrität der Körper auflöste, oder gar zerstörte. Für Kuratorin Anita Haldemann ist das „Loslösung von der Verankerung im Boden“ zentrale Errungenschaft der Zeichnungen in dieser Phase, die schlussendlich in der Auflösung der Schwerkraft und dem Sturz der Bildmotive gipfelte.2
„Dieses Arbeiten mit der Zerstörung hat mir einen ungeheuren Eindruck gemacht. Denn ich merkte bald, dass ich selber nur dann eine gute Zeichnung machen konnte, wenn ich so viel wie möglich von dem Bekannten, schon irgendwo Vorhandenen zerstörte, wenn ich also die Form attackierte und auch den Inhalt. Die Kampfmotive haben immer noch damit zu tun, besonders der dritte Block [Kat. 51], wo diese Köpfe, die ja mehr oder weniger Artaud-Köpfe sind, ganz klein werden, wie Punkte. Und die Kringel, die nach außen grösser werden, die Köpfe also nach innen ziehen, schrumpfen und wegsausen lassen, die sind in einer möglichst schnellen Art des Zeichnens gemacht. Das ist wie attackiert. Das Papier ist attackiert, und das zeichnerische Attackieren betrifft auch die Köpfe selber.“3 (Georg Baselitz)
Der Dialog zwischen Arbeiten auf Papier und auf Leinwand mag auch den farbigen Bruch der 2000er Jahre mitausgelöst haben. Sind die Zeichnungen von Georg Baselitz seit den 1960ern deutlich linienbezogen, so wandte er doch immer Aquarellfarbe zur koloristischen Bereicherung und Ausdrucksverstärkung an. In den Blättern ab 2000 ist eine neue Leichtigkeit zu spüren, die Baselitz ab 2005 auch in der „Remix“-Serie zeigt.
Die neusten Werke – wie „Bis auf weiteres abwärts“ (2016) – zeugen von der Reflexion über Vergänglichkeit, aber auch vom Blick auf das eigene umfangreiche und vielseitige Werk. Dazu gehört auch die Wiederaufnahme von zentralen Bildthemen und ausschlaggebenden Referenzen wie etwa Marcel Duchamp.
Die neusten Werke zeugen von der Reflexion über Vergänglichkeit, aber auch vom Blick auf das eigene umfangreiche und vielseitige Werk. Dazu gehört auch die Wiederaufnahme von zentralen Bildthemen und ausschlaggebenden Referenzen wie etwa Marcel Duchamp.
Das Kunstmuseum Basel pflegt bereits seit 1970 eine lange Freundschaft mit dem Künstler. Damals kuratierte Dieter Koepplin als Leiter des Kupferstichkabinetts eine erste Schau mit Baselitz‘ Zeichnungen und befeuerte damit die Karriere des erst 32-Jährigen. Aus dieser Ausstellung gelangten 25 Blätter in die Sammlung. In den 1980er Jahren konnte der Bestand in der Folge der umfangreichen Ausstellung „Georg Baselitz. Zeichnungen 1958–1983“ erstrangig erweitert werden. Diese und spätere Ankäufe wurden durch großzügige Geschenke des Künstlers weitsichtig ergänzt.
Heute ist Georg Baselitz mit einem umfangreichen Konvolut von 152 Zeichnungen und Aquarellen im Kupferstichkabinett vertreten. Die Ausstellung präsentiert daraus ungefähr 100 Arbeiten auf Papier. Wenige neuere Werke aus dem Besitz des Künstlers runden die Präsentation ab.
Kuratiert von Anita Haldemann.