Deutschland - Österreich im Fußball ist ein Synonym für David gegen Goliath. Mit dem spritzinge Titel lockt die Albertina in ihr Haus am Karlsplatz, ohne das Länderverhältnis als sportliches Großereignis zu zelebrieren. Es gibt, so die Kurator:innen, „keine harten Fronten, keinen Wettkampf, keine Gewinner:innen und Verlierer:innen, kein Jung und Alt“. Angesichts der Kunstwerke in der Albertina modern gibt es aber definitiv einen Gewinner: die Größe der Bilder! Die Ausstellung könnte auch den Titel „Size matters“ tragen, so viele Großformate versammelt die Albertina modern. Nach ästhetisch- inhaltlichen Kriterien in Zweier- bis Vierer-Gruppen gehängt, treffen einander österreichische und deutsche Künstler:innen auf Augenhöhe.
Österreich | Wien: Albertina modern
1.9.2023 – 21.1.2024
Die große Herbstausstellung der Albertina modern ließt sich wie ein Who-is-Who der deutsch-österreichischen Kunstszene der letzten 50 Jahre: Franz West und Sigmar Polke, Siegfrid Anzinger und Gerhard Richter bzw. Arnulf Rainer, Brigitte Kowanz und Knoop, Immendorf und Frohner, Albert Oehlen und Martha Jungwirth, Neo Rauch und Xenia Hausner, Isolde Maria Joham, Katharina Grosse, Liliane Tomasko und Wolfgang Hollegha, Ben Willikens und Eduard Angeli, Georg Bretschneider und Gelitin, Georg Baselitz und Maria Lassnig,in einen überzeugenden Dialog treten.
Den Beginn in der Albertina modern macht Gerhard Richter mit einem abstrakten Gemälde und eine verwischten Fotomalerei. Damit machen die Kurator:innen der Schau die Spannbreite der Malerei seit den 1970er Jahren auf: Anfangs von einigen Kunsthistorikern für tot erklärt, wurde spätestens ab Ende des Jahrzehnts wild-expressiv gestaltete und gemalt. Auf die 1960er Jahre verweisen noch die Werke von Sigmar Polke, der die Rasterpunkte der Pop Art - allen voran von Roy Lichtenstein zu ikonischen Zeichen der Unterhaltungsindustrie eingesetzt - in humorvollen, hintergründigen Kompositionen nutzte. Gleichzeitig propagierte der Kölner Künstler den „Kapitalistischen Realismus“ als deutsche Antwort auf die US-amerikanische Konsumkultur, blickte er doch über den Eisenern Vorhang in Richtung DDR (gemeinsam mit Gerhard Richter und Konrad Lueg) und den dort „verordneten“ Sozialistischen Realismus. Die von Franz West konzipierten Passstücke, weiß bemalte Plastiken aus Pappmaché zum Herumtragen für das Publikum, aktivierten die Betrachtenden und hoben das Kunstwerk von seinem Sockel. Diese Generation arbeitete erfolgreich gegen die Auratisierung der Kunst, indem sie den sozialen, gesellschaftlichen Aspekt betonten und ihre künstlerischen Aussagen aus der Lebenswelt ihrer Mitbürger:innen gewannen.
Der erste große Raum ist den monumentalen Formaten von Daniel Richter und Siegfried Anzinger sowie Bronzeplastiken von Jonathan Meese gewidmet. Gilt Anzinger als ein Begründer „Neuen Wilden“ (→ Neue Wilde | Junge Wilde), so darf Daniel Richter als deren Nachfolger gewertet werden. Die gestische, wilde, expressive Malerei der 1980er Jahre spielte nach Jahren von Minimalismus und Konzept die Freude an der Farbe wieder voll aus. Richter führt diese Haltung weiter, indem er aktuelle politische Verwerfungen in seine Bildkonzepte einfließen lässt, ohne je direkt illustrativ zu werden. Die Subjektivität des Pinselstrichs, der Körper des Künstlers, seine Hand lässt auch die Plastiken Meeses zu zerfurchten Objekten voller Ironie und Witz werden.
Es entfaltet sich ein überraschender Pas de deux abseits des Nationalitätenprinzips, der das Tänzerische und Spielerische der Kunst in den Vordergrund rückt. Dabei kommen sowohl die deutschen wie die österreichischen Positionen in ihrer Individualität zur Geltung. Gemeinsam entwickeln sie eine transformative Kraft und siegen mit einer Ästhetik aus Harmonien, Spannungen und Brüchen.
Quelle: Albertina modern