Zwischen 1524 und 1534 schuf Michelangelo Buonarroti mit der Ausstattung der Medici-Kapelle in Florenz einen unübertroffenen Höhepunkt der Renaissance-Skulptur. Besonders seine monumentalen Personifikationen der Tageszeiten, die paarweise – Morgen und Abend sowie Tag und Nacht darstellend – auf den Sarkophagen von Giuliano und Lorenzo de‘ Medici lagern, waren wegen ihrer beinahe schockierenden Nacktheit und kühnen Posen von immenser Vorbildwirkung für Generationen von Künstlern, darunter der junge Giambologna (1529–1608), der 1561 zum Hofbildhauer der Großherzöge von Toskana berufen wurde.
Bereits Ende der 1550er Jahre könnte Giambologna, so die Annahme der Ausstellung, die vier Allegorien der Tageszeiten in der Dresdner Sammlung geschaffen haben. Innerhalb der zahlreichen Nachbildungen von Michelangelos Tageszeiten nehmen die vier kleinformatigen Statuetten eine herausragende Stellung ein. Den kurfürstlichen Kunstkammerinventaren von 1587 und 1640 zufolge schenkte bereits um 1560/70 der toskanischen Großherzog Cosimo I. de´ Medici diese Figuren an Kurfürst August von Sachsen.
Deutschland / Dresden: Zwinger
23.6.2018 – 7.10.2018
Die Dresdner Statuetten gehören zu den frühesten der bekannten Nachbildungen der Tageszeiten der Medici-Kapelle. Sie waren keine Modelle zu Studienzwecken, sondern sind autonome Kunstwerke, ja Kunstkammerstücke. Trotz des kleinen Formats besticht die große Qualität der Figuren, deren sinnliche Modellierung und monumentale Wirkung den berühmten Vorbildern mehr als gerecht werden. Die Komplettierung jener Partien, die von Michelangelo unfertig hinterlassen wurden, etwa der Kopf des Tages, sowie die Erfindung von Attributen, auf die der große Florentiner bewusst verzichtet hatte, zeugen überdies von einem ausgesprochen selbstbewussten Künstler, der mit seinen Versionen Michelangelos Skulpturen nicht nur „vollendete“, sondern auch „verbesserte“.
In der Annahme, dass die Statuetten Frühwerke Giambolognas sind, der als der wichtigste Bildhauer Europas zwischen Michelangelo und Gian Lorenzo Bernini betrachtet werden kann, begab sich die Kuratorin auf eine intensive Spurensuche nach der Autorenschaft, die bislang ungeklärt war. Dabei zeichnet die Ausstellung ein faszinierendes Bild vom kulturellen Austausch zwischen Florenz und Dresden um die Mitte des 16. Jahrhunderts.
Der aus Flandern stammende Jean de Boulogne, der später unter dem Namen Giambologna bekannt wurde, reiste um 1550, nach Beendigung seiner Ausbildung in der Heimat, nach Rom, um dort die Werke der Antike zu studieren. Seine Rückreise führte ihn nach Florenz, wo er für immer bleiben sollte und nach einiger Zeit künstlerische Triumphe am Hof der Medici feierte. Die Dresdner Tageszeiten schuf der junge Giambologna wahrscheinlich um 1555/58, also bevor seine Karriere in Florenz ab 1561 so richtig begann.
Neben der zeitlichen Einordnung ist das Material der Skulpturen ein wichtiges Indiz bei der Ermittlung des Schöpfers. Sie sind aus Alabaster geschnitten, einem Material, das in der Renaissance in Florenz, trotz reicher Vorkommen im nahen Volterra, nicht für Skulptur verwendet wurde. Die Steinbrüche in Carrara lieferten erstklassigen Marmor, sodass die Florentiner Bildhauer kein Interesse am weichen und überaus empfindlichen Alabaster hatten. Im Norden Europas hingegen erfreute sich Alabaster großer Beliebtheit, weshalb nur ein niederländischer Künstler als Schöpfer in Frage kommt.
In der Ausstellung wird die Auffassung vertreten, dass die „Dresdner Tageszeiten“ vom jungen Giambologna am Beginn seiner Florentiner Karriere geschaffen wurden. Tatsächlich ist es so, dass man das Werk des Flamen erst durch seine Auseinandersetzung mit Michelangelo begreifen kann, die in seinem späteren Œuvre allerdings so subtil vor sich geht, dass man ihr bisher kaum Aufmerksamkeit gewidmet hat. Im Unterschied zu seinen italienischen Kollegen, die sich kaum aus dem Schatten Michelangelos lösen konnten, gelang es Giambologna, das übermächtige Vorbild kreativ zu überwinden. Was es bedeutete, aus diesem übermächtigen Schatten zu treten, thematisiert die Ausstellung.
Die Ausstellung im Zwinger vereint rund 70 Exponate, darunter kostbare Leihgaben aus dem Prado in Madrid, dem Rijksmuseum in Amsterdam, der Fondation Custodia / Collection Frits Lugt in Paris und aus bedeutenden internationalen Privatsammlungen. Darüber hinaus bereichern Objekte aus der Galerie Neue Meister, der Gemäldegalerie Alte Meister, dem Grünen Gewölbe, der Kunstbibliothek, dem Kupferstich-Kabinett und dem Münzkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Präsentation.
Kuratiert von
Quelle: Pressetext
Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Hg.)
mit Beiträgen von Claudia Kryza-Gersch, Raphael Rosenberg, Aleksandra Lipińska, Frits Scholten, Marion Heisterberg
264 Seiten, ca. 180 Abbildungen in Farbe
ISBN: 978-3-7774-3146-8
Hirmer Verlag