Jan Vermeers Gemälde „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ (um 1657/59) gehört zu den Hauptwerken der Dresdener Gemäldegalerie und wird bis 2019 restauriert. Aktuell wird das Bild in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden in einem Zwischenzustand gezeigt. Neue Röntgen- und Infrarotreflektografieaufnahmen sowie Mikroskopuntersuchungen haben bewiesen, dass ursprünglich im Hintergrund der Darstellung das Bild eines nackten Cupido hing (→ Jan Vermeer: Biografie).
Zwischen 2002 und 2004 wurde bereits Vermeers Frühwerk „Bei der Kupplerin“ (1656), dem zweiten Dresdener Gemälde des Künstlers, gereinigt. Mit finanzieller Hilfe der Hata-Stiftung in Tokio kann nun die 2017 begonnene Arbeit fortgeführt werden.
Deutschland | Dresden: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister
8. 5.2017 - 16.6.2019
Ein Restaurierungsprojekt der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Vorbereitung der Wiedereröffnung der Gemäldegalerie im sanierten Semperbau 2019
Äpfel und Pfirsiche am Tisch sind Vorboten des Bösen. Als Furcht der Erkenntnis und als malum persicum [Pfirsich] gelten die Obstsorten in der Bildwelt der niederländischen Barockmalerei. Sie lassen die Vermutung zu, dass der Inhalt des Briefes die gut situierte Ehefrau auf Abwege bringt bzw. sie diese schon beschreitet. Dass die im strengen Profil wiedergegebene Leserin einen Liebesbrief in Händen hält, wollte Jan Vermeer (1632–1675) im Bild offenbar noch deutlicher herausarbeiten: Im Röntgenbild der „Briefleserin“ ist an der Wand ein monumentales Bild eines nackten Cupido erkennbar. Das allzu offensichtliche Symbol der amourösen Verstrickung übermalte ein Nachfolger von Vermeer jedoch und schuf dadurch eine spannungsgeladene, weil offenere Situation.
Das geöffnete Fenster, in dem sich die Briefleserin effektvoll spiegelt, lässt Licht in den sonst eher dunklen Raum. Es ist aber auch Sinnbild für die Außenwelt, die nun doppelt in das Heim eindringt. Der zurückgeschobene Vorhang ist ein häufig anzutreffendes Requisit in den Genrebildern von Jan Vermeer van Delft. Die Vorhangstange bildet den oberen, die Borte den unteren Abschluss der Komposition. Mit dem gelbgrünen Vorhang könnte Jan Vermeer sowohl einen außerbildlichen Vorhang meinen, mit dem im Barock Gemälde verhängt wurden, als auch einen innerbildlichen „Raumtrenner“. Michael Alpatow sprach davon, dass er dem Geschehen den „Charakter eines Schauspiels“ verleihen würde.1
Jan Vermeer brilliert in diesem Werk einmal mehr in der Darstellung von Stofflichkeit – wie zum Beispiel des am Tisch liegenden Perserteppichs, Materialien und Lichtreflexen. Räumliche Tiefe erzeugt er mittels überzeugender Schichtung von Staffage. Die virtuose Behandlung auch des roten Vorhangs, der hinter dem geöffneten Fenster in Falten fällt, oder der Spiegelung der jungen Frau in der Glasscheibe zeigen den Delfter Maler scheinen neben der moralischen Botschaft die wichtigsten Qualitäten des Barockkünstlers gewesen zu sein. Wie in seinem kaum 40 Gemälde umfassenden Werk typisch ist auch die Dresdner „Briefleserin“ kein erzählerisches Bild. Vermeer kommt mit einem Minimum an Handlung und keiner Bewegung aus.
Die weiche Modellierung unterscheidet auch den Meister aus Delft von seinem Bekannten Gerard ter Borch (1617/18–1681), mit dem er nachweislich 1653 - im Alter von 22 Jahren - in Kontakt stand. Wenn auch von Jan Vermeer immer wieder angenommen wurde, dass er sehr zurückgezogen lebte, so stand er doch in intensivem Austausch mit anderen Malern. So findet sich der Brief als Requisit häufig im Werk von Ter Borch. Wie die Dresdner „Briefleserin“ sind auch dessen Interpretationen häufig als Belege von mehr oder weniger heimlichen Liebschaften gedeutet worden.
Jan Vermeers Gemälde „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ ist in einem konservatorisch stabilen Zustand, wie die Gemäldegalerie Alter Meister bestätigt. Allerdings beeinträchtigt der stark nachgedunkelte Firnis des 19. Jahrhunderts und alte Retuschen seine ehemals frische Farbigkeit. Die bisher bereits durchgeführten Arbeiten zeigen bereits ein strahlenderes Bild. Diese sollen in der Abteilung Gemälderestaurierung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden durch den Restaurator Dr. Christoph Schölzel entfernt werden. Das Labor für Archäometrie der Hochschule für Bildende Künste Dresden unter Leitung von Prof. Christoph Herm kooperiert. Internationale Untersuchungen und Restaurierungen von Gemälden Vermeers der letzten Jahre – zu nennen sind die Sammlungen in Amsterdam, Kopenhagen, Wien und Dresden – bilden die Basis für diese Kampagne.
Der aktuell ausgestellte Zwischenzustand zeigt das Bild des nackten Cupido zum Teil freigelegt. Da die weitere Restaurierung wohl noch ein ganzes Jahr in Anspruch nehmen wird, stellt die Gemäldegalerie das Werk für knapp ein Monat der Öffentlichkeit vor.
Über den Fortgang der Restaurierungsarbeiten informiert die Gemäldegalerie Alte Meister regelmäßig auf ihrer Homepage: https://www.skd.museum/vermeer.