Magritte: Kuh-Periode

Was ist Magrittes „Kuh-Periode [période vache]“

René Magritte reagierte 1947/48 auf die Zurückweisung seiner jüngsten Werke der „Renoir-Periode“ (→ Magritte: Renoir-Periode) durch die ehemaligen Freunde der surrealistischen Bewegung (→ Surrealismus) mit einer Serie von „wilden“ Bildern, die in der Kunstgeschichte als „période vache“, als „Kuh-Periode“, eingegangen sind. Manchmal findet man auch die Bezeichnung „Fauve-Periode“, was auf die großen, leuchtenden Farbflächen und die geschlossenen Umrisslinien hindeutet.

Vorausgegangen war diesen Werken der Disput des Malers mit Éluard und Breton. Die dogmatischen Surrealisten akzeptierten Magrittes „Renoir-Periode“ nicht als Erneuerung des Surrealismus und hängten Magrittes Werke 1947 in einer Surrealismus-Ausstellung in Paris in ein retrospektives Kapitel. Daraufhin schuf René Magritte im Frühjahr 1948 expressive, farbig wie motivisch übersteigerte Gemälde, die er in Paris ausstellte. Die innerhalb von vier bis sechs Wochen erarbeiteten Bilder sprühen vor Komik, Ironie, karikaturhaften Figuren und offener Sexualität.

Der Befreiungsschlag führte René Magritte im Alter von etwa 55 Jahren wieder zurück zu seiner feinen, naturalistischen Malerei der 1920er und 1930er Jahre.

Vacherie: eine Gemeinheit und Magrittes „Kuh-Periode“

Die Surrealismus-Ausstellung des im Juli 1947, „Le surrealisme en 1947“, wurde von André Breton und Marcel Duchamp in der Pariser Galerie Maeght organisiert. Sie markiert die Rückkehr der Bewegung auf europäischem Boden. Die Werke René Magrittes hingen in einem Abschnitt, der den „surréalistes malgré eux [Surrealisten trotz ihnen]“ gewidmet war. Magrittes Werke wurde in den retrospektiven Teil der Ausstellung verbannt. Breton bezeichnete Magritte im Katalog als „ehemaligen“ Surrealisten, da ihm das aktuelle Kunstschaffen des Belgiers deutlich missfiel. Nach der Verweigerung der Anerkennung seines Manifestes zum „Surrealismus in voller Sonne“ irritiert dieser Halbausschluss Magritte zutiefst.

Als ihn die Galerie du Faubourg im Frühjahr 1948 einlud (der Kunsthändler Buydens), seine Werke auszustellen, sah Magritte die Gelegenheit, seine Rechnungen mit dem Pariser Surrealismus zu begleichen. In wenigen Tagen „fackelt er“ Anfang März 1948 eine Serie von empörenden und karnevalistischen Gemälden ab, von denen er viele ins Jahr 1947 vordatierte. Da er während des Malens Briefe an Scutenaires schrieb, kann jedoch die Entstehungszeit der Werke auf das Frühjahr 1948 festgesetzt werden. Zwischen Anfang März und Anfang bzw. Mitte April schuf Magritte insgesamt 39 Werke, 17 Ölgemälde und 22 Gouachen. Die rasche Ausführung der Werke war nur möglich, weil René Magritte schnell und nass-in-nass malte. Er wollte mit diesen Werken die Pariser schockieren (und nicht umgarnen) und sah einen großen Coup voraus.

Der Dichter Louis Soutenaire (1905–1987) schrieb das Vorwort für den Katalog und schloss sich an den wilden, „schlechten“ Stil Magrittes an. Auch die Titel der Bilder erdachte der Dichter, ja, er gab dem Maler sogar Anstöße zu Bildfindungen. Sie stilistischen Einfluss, die Magritte hier verarbeitete, reichten von Comiczeichnern zur hohen Kunst wie der Fauvismus (Farbflächen und zusammenfassende Umrisslinien) und Henri Matisse, er zitierte die Venus von Milo und japanischen Ukiyo-e Farbholzschnitten.

Die Befreiung der Malerei war für Scutenaire:

„ein Exzess im wahrsten Sinn des Wortes, wo sich Erotisches und Kalauer, Sanftes und Unergründliches, Flegelei und Schönheit, Tiefe und Lachen, Wut und Ungehörigkeit vermischen. Eines der besonderen Ziele, die die Malerei erreichte, ist der stolze Angriff auf die Bequemlichkeit des Herzens und des Geistes beziehungsweise auf den Stumpfsinn. Sujet und Farbe wurden ihrer Zügel entledigt und konnten sich nun frei vergnügen. Die Abstrakten wurden so ihrer grundlegenden Argumente beraubt.“1

Die Ausstellung im Mai 1948 war ein Misserfolg mit Anlauf. Éluard und Breton lehnten die Bilder rundweg ab. Ersterer schrieb ins Gästebuch: „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“ – und meinte dies nicht als Kompliment.2 Magrittes Freunde wie Scutenaire zählten zu den ersten, welche diese wenigen Bilder als „Vache“, „Kühe“, qualifizierten. Die „Kuh“-Werke schieben die farbige Intensität und die Groteske an die Grenzen des Erträglichen. Mit ihnen schloss der belgische Maler das Abenteuer seiner „Renoir-Periode“ ab und kehrte – wie angeblich seine Ehefrau von ihm verlangte – zur „Malerei von einst“ zurück.

Und dann ist da auch noch Picabia …

Auf seiner ersten Reise in das Paris der Nachkriegszeit besuchte René Magritte Francis Picabia (→ Francis Picabia: Unser Kopf ist rund). In seinem Atelier entdeckt er jene Gemälde, die der ehemalige Dadaist während der Zeit der Besatzung gemalt hatte. Magritte war von diesen Arbeiten so begeistert, dass er Picabia anbot, das Vorwort zu seiner nächsten Ausstellung zu schreiben. Sofort nahm er einen Stift und schrieb, dass sein Gemälde „einer ganzen eindringenden Vergangenheit mit Bewegung und hellen Lichtblitzen entgegenwirkt, die alles Leben in seiner grandiosen Isolation zeigen“. Magritte entdeckte, dass er nicht der einzige Künstler war, der sich dem Terror der Nazis widersetzt hatte, indem er Gemälde schuf, welche die Liebe und Frühlingsergüsse feiern und die „schöne Seite des Lebens“ darstellen.

In der Magritte-Literatur wird gerne auf die Gründung der CoBrA und die zeitgleichen Bilder von Jean Dubuffet hingewiesen. Letzteren verachtete Magritte allerdings nachweislich. Aktuell wird diese Art der Kunstproduktion unter dem Begriff „Bad Painting“ verhandelt. Bernard Blistène etwa sah in der „période vache“ eine „paradoxe Umkehrung […] gegen den Automatismus beim Malen […], der sich seiner bemächtigte, indem er zum Vollstrecker der Zerstörung seines eigenen Bildes wurde“3.

  1. Louis Scutenaire, Magritte, Antwerpen 1948.
  2. Bernard Blistène, Magrittes „Gaunersprache“, in: Bad Painting good art, hg v. Eva Badrua-Triska und Susanne Neuburger (Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 6.6.–12.10.2008), Köln 2008, S. 136–149, hier S. 137, Fn 1 (S. 147).
  3. Ebenda, S. 141.