Magritte: Renoir-Periode

Was ist Magrittes „Renoir-Periode”

René Magritte arbeitete zwischen 1942 und 1947/48 in der so genannten „Renoir-Periode“. Nachdem die 6. Armee bei Stalingrad besiegt worden war, ahnte er den Niedergang des Deutschen Reichs und der Besatzung Belgiens voraus. Die dadurch ausgelöste Euphorie drückte er in heiteren, erotisch-hintergründigen Kompositionen mit hellem Kolorit und impressionistischem Stil aus. Auch wenn der belgische Surrealist selbst lieber vom „Surrealismus in vollem Sonnenlicht“ sprach, so ist diese Phase seines Werks heute landläufig als „Renoir-Periode“ bekannt.

Abgelöst wurde sie im Frühjahr 1948 von der sog. „Vache-Periode“, der „Kuh-Periode“ (→ Magritte: Kuh-Periode), bevor er wieder zu den naturalistisch und fein gemalten Bilder seiner Anfangsjahre des Surrealismus zurückkehrte.

Auf dem Weg zur „solaren“ Periode

Diese neue Phase in Magrittes Werk kündigte sich bereits kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen 1939 in Form neuer stimmungsvoller Kompositionen an. Magritte selbst beschrieb die Veränderung als „neuen poetischen Ton“, als „eine ‚sentimentale‘ surrealistische Poesie“.1 Während des Kriegs fällt auf, dass Magritte eine Scheu vor Gewalt in seinen Bildern entwickelte. Stattdessen suchte er ein Gefühl der positiven Rückversicherung. Die surreale Kombination unzusammenhängender Gegenstände kulminiert in der Serie „Das Plagiat“, die 1939/40 erstmals die Form eines Blumenstraußes mit einem „Ausblick“ auf eine frühlingshafte Landschaft eröffnet. Zunehmend orientierte sich der Künstler an den „schönen Seiten des Lebens“, wie er Ende 1941 dem Dichter-Freund Eluard gestand.2 :

„Die gute Seite des Lebens wäre das Gebiet, das ich erforschen werde. Damit meine ich all die traditionellen Utensilien charmanter Dinge, Frauen, Blumen, Vögel, Bäume, die Atmosphäre der Glückseligkeit etc. ... es ist ein ziemlich mächtiger Zauber, der jetzt in meinen Gemälden die verstörende Poesie ersetzt, die ich einst erreichen wollte.“

René Magritte litt an den Entbehrungen des Kriegs, der Langeweile und den Gefahren der Besatzungszeit. Anstelle der für ihn so charakteristischen „unheimlichen Poesie“ setzte er bewusst den Zauber von Frauen, Blumen, Vögel, Bäumen.3 Damit änderte er während des Zweiten Weltkriegs entschieden die Ikonografie seiner Werke!

Flucht und Rückkehr

Wenige Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien am 10. Mai 1940 fühlte sich René Magritte aufgrund seines Aktivismus in intellektuellen Gruppen und Stellungsnahmen gegen den Faschismus gezwungen, ins Exil zu gehen. Am Morgen des 15. Mai brach er nach Frankreich auf; Georgette blieb in Brüssel zurück. Da keine Züge mehr nach Paris fuhren, musste der Maler – gemeinsam mit den Freunden Ubac und Scutenaire – mit Straßenbahn, Lastwagen und Taxi nach Lille fahren. Dort erst konnten sie einen Zug nach Paris besteigen. Um zu Geld zu kommen, verkaufte er „Die Stimme der Lüfte“ von 1929 an Peggy Guggenheim. Am 23. Mai erreichte der Maler Südfrankreich.

Magritte blieb die ersten Tage in Carcassonne im Haus des Dichters Joë Bousquet (1897–1950), der 1929 und 1930 zwei oder drei Magrittes gekauft hatte. Danach zog der Belgier in ein billiges Hotel. Eine Reihe von Schriftstellern und Künstlern hatte sich in der „freien Zone“ zusammengeschlossen. Die in Carcassonne gemalten Gemälde drücken seine Nostalgie aus und zeugen von seiner Einsamkeit. Während sich die Surrealisten in Marseille versammelten, um in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, dachte René Magritte nur daran, wieder nach Belgien zurückzukehren.

Im Dezember 1940 malte René Magritte „Le Retour [Die Rückkehr]“, das Bild eines Vogels in seinem Nest. Magrittes „Nest“ ist die belgische Hauptstadt, in die er gerade zurückgekommen war. Umso glücklicher war er, dort seine Frau Georgette wohlbehalten wiederzufindet. Magrittes Gemälde sprechen von seiner wiederentdeckten Leidenschaft und Lebensfreude („L’Embellie“, „Le Retour de Flame“). Er informierte Paul Éluard (1895–1952) im Dezember 1941 über die Entwicklung seiner Malerei:

„Ich musste wahrscheinlich einen Weg finden, um das zu erreichen, was mich störte: Gemälde, bei denen die helle Seite des Lebens die Domäne sein würde, in der ich mich befinde. Damit meine ich alle traditionellen Utensilien charmanter Dinge, Frauen, Blumen, Vögel, Bäume, die Atmosphäre des Glücks usw. Und ich habe es geschafft, die Luft meines Gemäldes zu erneuern, es ist ein ziemlich mächtiger Zauber, der jetzt in meinen Gemälden die verstörende Poesie ersetzt, die ich einst zu erreichen versucht hatte.“

Solare Bilder

Im Frühjahr 1943 genügten René Magritte die neuen Bildinhalte nicht mehr, um seinem erweckten Glücksgefühl Ausdruck zu verleihen. Es war überzeugt davon, dass die Niederlage der deutschen Truppen in Stalingrad am 2. Februar 1943 den endgültigen Untergang des nationalsozialistischen Deutschlands und das bevorstehende Ende des Weltkonflikts ankündigte. Magritte sah sich als Prophet des Glücks und des wiederentdeckten Friedens – und änderte nun auch seinen Stil!

Beim Durchblättern eines Bandes mit Farbreproduktionen impressionistischer Bilder stieß er auf das in einer feurigen Palette gemalte Werk „Die großen Badenden“ (um 1918/19) von Pierre-Auguste Renoir. Spontan wünschte sich der Künstler, diese Figuren in „Harlekinfarben“ und mit einer an Renoir geschulten Pinselführung zu malen. So schuf er vier Gemälde, deren die weiblichen Akte einen lila Torso, orange und grüne Arme sowie blaue und gelbe Beine haben; der Kopf ist rot. Neben „Le traité de la Lumière [Abhandlung über das Licht]“ (März oder April 1943) überrascht der belgische Surrealist mit „Les bons jours de Monsieur Ingres [Monsieur Ingres‘ gute Tage]“, für das er Ingres‘ „Die Quelle“ rezipierte. 1923 hatte ihm dieses Bild bei seinem ersten Besuch im Louvre am besten gefallen. Antinaturalistische Farbigkeit in Verbindung mit impressionistischer Maltechnik (→ Impressionismus) aber auch die heitere Stimmung des Bildes gaben Magritte den Schwung, seine Kunst weiter in diese Richtung zu verändern.

Als Reaktion auf die Weltpolitik entwickelte René Magritte seinen „solaren“ Stil, dem er bis 1947 treu blieb. Er schuf zwischen 1943 und 1947 mehr als 70 Gemälde in diesem Stil, ebenso viele Gouachen und eine beträchtliche Anzahl von Zeichnungen, darunter Illustrationen zu de Sade („Die Gesänge des Maldoror“), Georges Bataille, Éluard und Lautréamont. Diese Phase wird gemeinhin als „Renoir-Periode“ bezeichnet; er selbst bezeichnete sie als seine „Solarkunst“ oder sogar seinen „Surrealismus in der Sonne“. Diese Arbeiten zeigen eine Palette heller Farben und einen Malstil, der an den Impressionismus erinnert. Ihre Ikonografie feiert „die schöne Seite des Lebens“, darunter Blumen, Akte, ländliche Landschaften.

René Magritte selbst betrachtete seine „Renoir-Zeit“ nicht als „vorübergehend“, sondern maß ihr genügend Bedeutung bei, um sie zur Grundlage eines Projekts für die tiefgreifende Reform des Surrealismus zu machen. Zu diesem Zweck sandte er André Breton im Oktober 1946 sein „Manifeste pour un Surréalisme en plein soleil [Manifest für einen Surrealismus im Sonnenlicht]“. Als André Breton auf dieses Programm der Erneuerung des Surrealismus mit Unverständnis reagierte, führt das dazu, dass Magritte die „Renoir-Periode“ in einem provokanten und zynischen Feuerwerk „liquidierte“: 1948 explodierte seine Ernüchterung in der „Période Vache [Kuh-Periode]“.

Im Zeichen von Renoir

Ist Magrittes Interesse an Renoir mit seinem Surrealismus vereinbar? Magritte war sich bewusst, dass seine Entschuldigung für Hedonismus und Sinnlichkeit den Werten des Surrealismus der Vorkriegszeit widersprach. Surrealismus, wie ihn André Breton (1896–1966) definierte, war gekennzeichnet durch „Unordnung“ und „Panik“, durch eine „pessimistische Atmosphäre“. Seine Entschuldigung für die Sonne widerspricht den Lehren der Nacht, die der Surrealismus aus den Schriften der deutschen Romantiker, insbesondere des Dichters Novalis (1772–1801), gezogen hatte.

Zu diesen Provokationen kommt seine Lässigkeit in Bezug auf den Stil, diese letzte Zuflucht der Authentizität, der Subjektivität hinzu. Magritte eröffnet eine Fälscherwerkstatt, um eine Reihe von Veröffentlichung über ihn zu finanzieren: Er malte und zeichnete im Stil von Pablo Picasso, Georges Braque, Giorgio de Chirico, Max Ernst, aber auch Tizian oder dem niederländischen, barocken Landschaftsmaler Meindert Hobbema. Magrittes Schüler und Laufbursche, Marcel Mariën, veräußerte diese Kopien/Fälschungen über einen Auktionsraum des Palais des Beaux-Arts. Georgette bestritt zwar diese Aussage, doch gibt es sonst keine Erklärung, wie der Künstler, der kaum seinen Lebensunterhalt betreiten konnte, seine erste Monografie im Frühjahr 1943 sonst bezahlt haben hätte können.

Surrealismus in voller Sonne: ablehnende Reaktionen

Die ersten Ausstellungen der Werke aus der „Renoir-Periode“ Magrittes provozierten höchst unterschiedliche Reaktionen. Der Herausgeber P.G. van Heecke (1887–1967) klagte im April 1946:

„Hier stellt sich eine schwierige Frage: Wird Magritte, stur, bockig, gefesselt von wirklichen Irrtümern (und Scheußlichkeiten!) Wert darauf legen, in New York (wie wohl auch bei Dir in London) seine jüngsten Bilder auszustellen? Leider ähnelt sei Fall immer mehr dem von de Chirico mit seinen Serien von Pferden und Gladiatoren, obwohl allerdings die letzten Magrittes noch erheblich schlechter sind. Der Gipfel ist, dass er fuchsteufelswild wird, sobald man hierauf nur im leisesten anspielt. Der arme Irre ist der Ansicht, dass er just im Augenblick den Höhepunkt seiner Malerei erreicht hat. Welch ein Drama, verdammt nochmal!“

Um seine neuen Werke besser verstehen zu können, schrieb Magritte im Frühjahr 1946: „L’Imbécile [Der Dummkopf]“, „L’emmerdeur [Die Nervensäge]“ und „L’enculeur [Das Arschloch]“, drei rabelaisianische Traktate zum „Geschmack“ seiner jüngsten Gemälde. Sobald der Krieg vorbei war, eilte der Belgier zu André Breton nach Paris und bot an, seine Solarkunst zum Programm des erneuerten „Surrealismus in voller Sonne“ zu machen. Breton war empört. Magritte ignorierte dessen Vorbehalte und verfasste ein Manifest des „Surrealismus in der Sonne“, das er weit verbreitete. Während der Dichter Joë Bousquet und der Maler Francis Picabia (1879–1953 → Francis Picabia: Unser Kopf ist rund) ihn dabei unterstützen, verzichteten die meisten Surrealisten darauf, es zu abonnieren. Breton schickt Magritte ein lakonisches Telegramm mit den Worten: „Antidialektischer Text und außerdem mit weißem Faden genäht ...“. Magritte antwortet: „Der weiße Faden ist auf Ihrer Spule ...“ Das Schicksal des „Surrealismus in der Sonne“ war damit jedoch besiegelt.

Grafisches Werk

Der „Impressionismus“, den sich René Magritte während des Zweiten Weltkrieges einverleibte, kam in der Grafik ebenfalls zum Einsatz. Magritte schuf mehrere Zeichnungen, indem er den Strich häckchenförmig setzte. Diese Zeichnungen sind meist Illustrationen für Werke, deren Natur mit dem „Sensualismus“ der „Renoir-Zeit“ übereinstimmt. Auf Einladung des Buchhändlers Albert Van Loock fertigte Magritte sechs Tuschezeichnungen für eine Ausgabe von „Madame Edwarda“, erotische Geschichte von Georges Bataille (1897–1962). Im gleichen Sinne schuf Magritte mehrere Zeichnungen, die eine Biografie des Marquis de Sade von Gaston Puel (1924–2013) illustrieren sollten. Auf Anfrage von Marcel Baesber, Direktor der La Boétie-Editionen in Brüssel, illustrierte Magritte „Les Chants de Maldoror“ von Isidore Ducasse, alias Comte de Lautréamont (1846–1870). Das Buch erschien im Januar 1948 mit 77 Illustrationen. Für Paul Éluard entwarf Magritte auch eine Reihe von Zeichnungen, die „Les Nécessités de la vie et les conséquences des rêves précédés d’Exemples“ von 1946 illustrieren.

  1. René Magritte am 30. August 1939 an seinen Sammler Edward James, zit. n. David Sylvester, Magritte, Brüssel 2009, S. 316.
  2. René Magritte, Brief am 4. Dezember 1941 an Paul Éluard, zit. n. Ebenda, S. 319.
  3. Ebenda, S. 319.