Vincent van Goghs berühmtes Gemälde „Sonnenblumen“ (1889) ist der Star dieser Sommerausstellung, in der die Ergebnisse der jüngsten technischen Forschung zu diesem Werk präsentiert werden. Die Ausstellung stellt auch die Genese dieses Meisterwerks vor (→ Van Goghs Sonnenblumen), die eng mit Vincent van Goghs schwieriger Beziehung zu Paul Gauguin und seinem Nervenzusammenbruch 1888 zusammenhängt. 25 Werke aus der Museumssammlung zeigen, wie wichtig Sonnenblumen für Van Gogh sind. Warum widmete er sich diesem Thema und warum war es für ihn so bedeutsam?
Niederlande | Amsterdam: Van Gogh Museum
21.6. – 1.9.2019
Bereits im November 1887 organisierte Vincent van Gogh eine Gruppenausstellung in Paris, wo er u. a. „Zwei Sonnenblumen“ (Sommer 1887, Metropolitan Museum, New York) und „Zwei Sonnenblumen“ (Sommer 1887, Kunstmuseum Bern) präsentierte. Die New Yorker Version zeigt bereits den später so wichtig werdenden Kontrast zwischen den gelben Blütenständen und dem blauen Hintergrund. Die Komplementärfarben sollen auf die Jahreszeiten verweisen, wobei Blau-Orange für ihn Sommer bedeutete. Das zweite Sonnenblumen-Bild in Bern ist aus Gelb, Orange und Braun aufgebaut und zeigt die Sonnenblumenköpfe von vorne. Der aus der Bretagne zurückgekehrte Paul Gauguin sah Vincent van Goghs „Zwei Sonnenblumen“ und tauschte beide Studien gegen seine Studie „Am Ufer des Sees auf Martinique [Négresses]“ (Sommer 1887 → Paul Gauguin & Charles Laval in Martinique). Auf Vincents Empfehlung hin besuchte Theo im Dezember 1887 das Atelier von Paul Gauguin, woraus sich eine fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte.
Van Goghs berühmte Sonnenblumen-Bilder entstanden zwischen August 1888 und Januar 1889 in Arles (Südfrankreich): sieben Versionen malte er als Ausstattung für das „Gelbe Haus“ rund um seinen Nervenzusammenbruch.
Van Gogh mietete Anfang Mai 1888 ein Haus in Arles – das „Gelbe Haus“ – und lud Paul Gauguin ein, mit ihm gemeinsam eine Künstlerkolonie zu gründen (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Im „Atelier des Südens“ wollte Van Gogh eine Gemeinschaft Gleichgesinnter unter der Führung des weitgereisten Gauguin zusammenbringen. Hier wollte er das „Atelier des Südens“ einrichten, so wie er es am 28. September 1888 im Gemälde „Das Gelbe Haus“ mit grünen Fensterläden und blauem Himmel festhielt. Da er fürchtete, dass Arles die Erwartungen seines Freundes enttäuschen könnte, versuchte Vincent van Gogh das Haus und seine Räume möglichst einladend darzustellen und zu schildern. Die Wände schmückte er mit seinen Landschaftsgemälden. Eigens für Gauguin dachte er sich das Thema des „Gartens des Dichters“ (Mitte September 1888) aus. Beide Maler würden, so die Phantasie van Goghs, wie Petrarca und Bocaccio in einem paradiesischen Garten arbeiten. „Der Sämann“ (Mitte Juni 1888) und „Der Sämann“ (28. Oktober 1888) symbolisierten für ihn die Aussaat des Wortes Gottes (durch van Gogh in seiner Malerei). „Das Schlafzimmer“ (Mitte Oktober 1888) skizzierte Vincent van Gogh in einem Brief an Paul Gauguin und beschrieb, dass er mit dem schattenlosen, farbigen Raum die „absolute Ruhe“ ausdrücken wollte. Damit reagierte er auf jenen Brief, in dem Gauguin seine lang ersehnte Ankunft ankündigte.
Während sich der Freund jedoch bitten ließ und erst die Reise im Spätherbst antreten konnte, malte Vincent van Gogh eine Serie von Gemälden als Dekoration von Gauguins Schlafzimmer, in denen er Sonnenblumen in Vasen darstellte. Die Bilder waren als Zeichen seiner Freundschaft und Dankbarkeit an Gauguin gedacht, stellten aber auch einen Akt der Unterwürfigkeit an den „Anführer“ Paul Gauguin dar.
„Ich arbeite gerade hart an etwas, male mit Enthusiasmus an einer Marseillaise, die Suppe isst, was dich nicht überraschen wird, wenn du erfährst, dass, woran ich gerade bin, ein Gemälde mit einigen Sonnenblumen ist. Wenn ich diese Idee ausführe, wird es ein Duzend Bilder geben. Das ganze Ding wird eine Sinfonie in Blau und Gelb. Ich arbeite daran jeden Morgen von Sonnenaufgang an, da die Blumen so schnell verwelken. Ich bin nun am vierten Bild mit Sonnenblumen. Das vierte ist ein Strauß mit 14 Blumen… es macht einen einzigartigen Effekt.“ (Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo, August 1888)
Vincent van Gogh und Paul Gauguin arbeiteten im Herbst 1888 neun Wochen zusammen – oder besser nebeneinander, manchmal sogar am gleichen Motiv. Da sich Gauguin in den Jahren zuvor vom Impressionismus ab- und dem Symbolismus zugewandt hatte, ließ er sich von Menschen und Landschaft in Südfrankreich zu visionären Bildern inspirieren. Vincent van Gogh, der in impressionistischer Manier vor den Motiven arbeitete und nicht nach seiner Fantasie, verstand diese Wendung im Werk seines Freundes nicht und fühlte sich verraten. Im Dezember, als die Beziehung mit Gauguin auf der Kippe stand, wandte sich van Gogh erneut dem Thema der Sonnenblume zu. Vielleicht weil er davon ausging, dass Gauguin ein besonderes Faible für dieses Sujet hatte. Während des Winters standen dem Maler jedoch keine Sonnenblumen zur Verfügung. Daher kopierte er Anfang Dezember 1888 ein Sonnenblumenstillleben vom August (Philadelphia oder Tokyo). Um sich von Gauguin abzusetzen, nutzte van Gogh in diesen Sonnenblumen-Bildern pastose Farben, die er über die gesamte Bildfläche verteilte. Die Oberflächenbehandlung in diesem Sonnenblumen-Bild wirke rauer, direkter als bei seinen Vorgängern im August. Das ist durchaus eine Folge der Jute, auf die Gauguin und Van Gogh arbeiteten.
Zur gleichen Zeit malte Paul Gauguin ein „Porträt van Gogh, Sonnenblumen malend“ (ca. 1. Dezember 1888), in dem er den Maler mit einem Strauß Sonnenblumen vor der Staffelei als „Sonnenblumenmaler“ einfing. Das Bild ist eine gemalte Kritik an der Arbeitsweise des Holländers, dem er vorwarf, sich zu sehr nach der Natur zu richten. Aus der Perspektive von Gauguin beschäftigte sich Als Vincent van Gogh das fertige Bild sah, fühlte er sich verraten. Monate zuvor hatte Gauguin noch bewundernd ausgerufen: „Ça … c’est … la fleur! [Das … das ist … die Blume!]“
Am 23. Dezember 1888 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem verwirrten Vincent van Gogh und Paul Gauguin, nach der sich der Holländer ein Stück seines linken Ohrs abschnitt. Dann ging er in mit dem Ohrläppchen in ein Bordell und schenkte es mit den Worten „Du wirst dich meiner erinnern, das sag‘ ich dir.“ einem Mädchen namens Rachel. Die Polizei lieferte Vincent van Gogh in das örtliche Krankenhaus ein. Zwei Tage später reiste Paul Gauguin wortlos ab und informierte Theo van Gogh mit einem Telegramm. Als Theo am Weihnachtsmorgen in Arles ankam, erfuhr er, dass Vincent seit Tagen Symptome von Verrücktheit zeigte.
Der am 7. Jänner 1889 aus dem Krankenhaus in Arles entlassene Maler griff in den folgenden Monaten immer wieder Motive aus den vergangenen Monaten auf. Als nach seinem Zusammenbruch Gauguin in einem Brief anfragte, ob van Gogh ihm die „Sonnenblumen“ (The National Gallery, London) überlassen würde, weigerte sich dieser. Stattdessen malte van Gogh noch eine weitere Version der Sonnenblumen, um sie Gauguin zu schenken. Der Maler in Arles versuchte wohl dem Geschmack Gauguins zu entsprechen und führte diese Sonnenblumen (vermutlich Philadelphia und Amsterdam, vielleicht aber auch Tokyo) weniger realistisch aus. Vincent van Gogh verzichtete auf natürliches Licht und führte mit kaltem Blau, hellem Rot und Giftgrün künstliche Farbwerte im Zentrum der Blumen ein. Vielleicht wollte er damit seinem (ehemaligen) Freund noch einmal seine Referenz erweisen.
„Van Gogh und die Sonnenblumen“ untersuchen auch die Fragen, die Restauratoren 130 Jahre nach dem Malen gestellt haben. Haben sich die Farben im Laufe der Jahre verändert? Was ist mit dem Gemälde passiert, nachdem es Van Goghs Atelier verlassen hat, und wie können wir es für zukünftige Generationen am besten erhalten?