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William Kentridge: Biografie Lebenslauf und Werke des bedeutenden südafrikanischen Künstlers

William Kentridge (* 1955), Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung / Norbert Miguletz

William Kentridge (* 1955), Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung / Norbert Miguletz

William Kentridge (* 1955) zählt zu den populärsten Künstlern der Gegenwart, der als Zeichner, Schöpfer von Animationsfilmen, Bühnenbildner, Schauspieler, Regisseur sowie Autor für Film und Bühne arbeitet. In seinem Werk arbeitet er mit den unterschiedlichsten Medien wie Zeichnung, Skulptur, Grafik, Film und Theater. Vor allem mit Zeichnungen, die er in Stop-Motion-Technik, oder steinzeitliches Filmemachen, wie er es nennt, miteinander verhmelzen lässt, wurde er international berühmt. Inhaltlich setzt sich Kentridge mit den Folgen des Kolonialismus und des Apartheidregimes auseinander. Der Zeichner thematisiert das Entstehen und Vergehen seiner Werke auf Papier bis hin zu frühen Spezialeffekten in der Filmgeschichte.

Der Südafrikaner aus Johannesburg entstammt einer jüdischen Rechtsanwaltsfamilie und studierte Politik und Afrikanistik (1973–1976), bevor er sich zuerst der Druckgrafik, dann dem Theater und dem Film zuwandte. Dem Kunststudium an der Johannesburg Art Foundation (1976–1978) folgte der Besuch der Theaterschule École Jacques LeCoq in Paris (1981–1982).

Seit den frühen 1980er Jahren stellt William Kentridge im Kunstkontext aus. Seit den 1990ern ist er auf der internationalen Bühne nicht mehr wegzudenken. Mehrfache Teilnahmen an der Biennale von Venedig und der documenta in Kassel, der Johannesburg Biennale u.v.m. belegen die Bedeutung und die globale Wertschätzung seiner Kunst.

 

Theater und Oper

Seit 1976 arbeitet William Kentridge an vielen unterschiedlichen Bühnen- und Opernproduktionen, was auch einen Niederschlag in seinem Werk als bildender Künstler hatte. Bis 2018 hat er bei fünf Opern Regie geführt und das Bühnenbild gestaltet.

Il ritorno d’Ulisse in patria [Die Heimkehr des Odysseus] (1998)

Kentridge entwickelte seine erste Operninszenierung in Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company: Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria [Die Heimkehr des Odysseus]“ aus dem Jahr 1641 am Lunatheater in Brüssel. In dieser 90-minütigen Kurzversion von Monteverdis Dreistundenepos wird war anstelle des griechischen Ithaka Südafrika zur „Patria“. Das Bühnenbild besteht aus einem anatomischen Theater des 17. Jahrhunderts, in dem das Sezieren auch vor zahlendem Publikum stattfand, das in den aufsteigenden Reihen ringsherum Platz nimmt. Der hinter die Puppenspieler_innen projizierte Film wird zum zentralen Nervensystem von allem, was physisch auf der Bühne stattfindet, wie zum Beispiel eine moderne Krankenhausstation, ein Ultraschallbild, ein pumpender Blutkreislauf oder ein Verdauungssystem, das sich in Fluten, Flüsse und offene Meere ergießt.

Zauberflöte (2004/05)

Mit der Bearbeitung der „Zauberflöte“ (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart betrat William Kentridge die Welt der internationalen Opernszene. Als eine der weltweit populärsten Opern erzählt das Singspiel von Prinz Tamino, der sich aufmacht, die vom Hohepriester Sarastro entführte Pamina, Tochter der Königin der Nacht, zu retten.
Die in der Oper verwobenen Freimaurerelemente bieten Kentridge eine reichhaltige Bilderwelt für seine innovative Behandlung des Meisterstücks. Sowohl Mozart als auch der Librettist Emanuel Schikaneder waren Freimaurer und auch Logenbrüder. Über einem statischen, handgemalten Bühnenbild, wie im traditionellen Barocktheater üblich, setzen sich seine Zeichnungen dieser Elemente wirbelnd in Bewegung. Kentridge verbindet diese Animationen mit einem Filmdokument aus den 1930er Jahren, welches weiße Männer bei einer Safari zeigt. Eine Hommage an das Bühnenbild des klassizistischen Architekten Karl Friedrich Schinkel aus dem Jahr 1816 findet sich im sternenbesetzten Himmelsgewölbe hinter der Königin der Nacht ebenso wie in zahlreichen weiteren Bezügen.

Lulu (2010)

2010 produzierte er an der Metropolitan Opera in New York die unvollendete Oper „Lulu“ des österreichischen Komponisten Alban Berg (1885‒1935), die auf zwei Theaterstücken des deutschen Schriftstellers Frank Wedekind (1864‒1918) basiert. Sie erzählt die Geschichte einer femme fatale in Wien, die durch ihre Ausbeutung männlicher wie weiblicher Sehnsüchte zu Ruhm und Reichtum aufsteigt. Sie und ihrer Bewunderer sind skrupellose und dennoch dem Untergang geweihte Figuren, die ein brutales Ende nehmen. Das Bühnenbild inkludierte eine Reihe von schwarzen Tuschezeichnungen der Besetzung der Oper sowie insbesondere der Lulu selbst, welche großformatig auf die Bühne projiziert wurden. Die Zeichnungen erinnern an Werke des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, vor allem an Zeichnungen von Max Beckmann (1884‒1950), George Grosz (1893‒1959), Käthe Kollwitz (1867‒1945) oder Ernst Ludwig Kirchner (1880‒1938).

Die Nase (2010)

William Kentridge wandte sich der selten aufgeführten Oper „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch (1928) zu, die auf der gleichnamigen grotesken Erzählung von Nikolai Gogol (1836) basiert. Die Oper wurde für ein großes Orchester, achtzig Solistinnen sowie Soliten und viele kleinere, aber schwierige Rollen komponiert. Teilweise sind bis zu einhundert Darstellerinnen und Darsteller gleichzeitig auf der Bühne. Die Erzählung handelt von den Missgeschicken eines russischen Bürokraten, der eines Morgens beim Aufwachen feststellt, dass seine Nase fehlt. Später findet er heraus, dass sie ein Eigenleben entwickelt und ihm sogar seinen gesellschaftlichen Rang abgelaufen hat. Kentridge erklärt, dass ihn das Werk durch die Art und Weise ansprach, „wie es das Absurde ernst nimmt. […], dass die Struktur der Welt nicht auf Logik und kartesianischer Rationalität beruht, sondern vielmehr auf Brüchen in dieser Klarheit und eindeutigen Logik, was mir viel näher an dem zu liegen scheint, wie die Welt tatsächlich funktioniert.” Als formale Inspiration und Referenz dienten ihm Kunstschaffende und Intellektuelle der russischen Avantgarde (→ Chagall bis Malewitsch. Russische Avantgarden).

Right Into Her Arms (2016)

In dem von Kentridge geschaffenen computergesteuerten Puppentheater „Right Into Her Arms“, sind Szenen des ersten Aktes der Oper mit Musikstücken der 1930er Jahre kombiniert. Zu Beginn rezitiert Kentridge „Thick Time“ aus der „Ursonate“ (1932) des deutschen Dadaisten Kurt Schwitters. Er erprobt unterschiedliche zeitgenössische Ausdrücke in Tönen und Bildern in Zusammenhang mit einer Verdichtung des Opernthemas: dem Wesen der menschlichen Begierde.

„Wozzeck“ (2016/17)

Die Salzburger Festspiele luden William Kentridge 2016 ein, für die Saison 2017 die Oper „Wozzeck“ (1925) von Alban Berg zu inszenieren. Da er bereits 1992 an „Woyzeck in the Highveld [Woyzeck auf dem Highveld]“, einer Adaption des Theaterstücks von Georg Büchner, gearbeitet hatte, war er bereits mit dem Stoff vertraut. Ebenso wie Bergs Lulu ist auch Büchners Wozzeck durch den frühzeitigen Tod des Autors im dritten Akt unvollendet geblieben. Genau diese Anziehungskraft des Unvollständigen hatte Berg dazu bewogen, das Theaterstück in eine Oper zu übertragen. Sie erzählt die Geschichte eines Soldaten, der zum Opfer seiner Vorgesetzten und als Versuchsobjekt für medizinische Experimente missbraucht wird. Diese verursachen bei ihm Halluzinationen und eine allgemeine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Wozzeck entscheidet sich schließlich dazu, Marie, mit der er zusammenlebt und die ihn betrogen hat, zu ermorden.
Lulu und Wozzeck bilden die Antithese zur „schönen“ Oper, die Kentridge dazu benutzt, die in seinen Werken thematisierte „Demaskierung“ einer geschönten Geschichte und die Dramatisierung von Ungerechtigkeit, die in beiden Werken präsent ist, voranzutreiben. Seine Zeichnungen machen den Schrei, die unbeachteten Stimmen und den oft stillen Protest sichtbar. Kentridges Animationen vereinen alle möglichen Ausdrucksweisen von Zeit, die auch in den Kompositionen gegenwärtig, wenngleich nur fallweise mit der Musik synchronisiert sind: Lineare Zeit, Gleichzeitigkeit und Erinnerungsmotive, um nur einige zu nennen. Der Film ist niemals Illustration des Geschehens, sondern inkludiert auch bereits vorhandene Filmsequenzen, anhand derer er eine parallele Komposition entwickelt. Von den Hunderten Tuschezeichnungen, die in seinem Film verarbeitet sind, wird jede einzelne bei ihrer Projektion auf den Bühnenbereich zu einem explosiven Epizentrum.

Verheiratet mit Anne Stanwix. Das Paar hat drei Kinder.

 

Vorbilder

  • William Hogarth (1697-1764)
  • Dumile Feni (1939-1991)
  • David Goldblatt (1930-2018)

 

Weitere Beiträge zu William Kentridge

 

Biografie von William Kentridge (* 1955)

  • 28. April 1955

    William Kentridge wurde am 28. April 1955 in Johannesburg, ZA, geboren. Sowohl sein Vater, Sydney Kentridge, als auch seine Mutter, Felicia Kentridge, arbeiteten als Rechtsanwälte und verteidigten dunkelhäutige Südafrikaner in Apartheids-Prozessen. Felicia Kentridge war auch die Mitbegründerin des Legal Resources Centre. Sydney Kentridge verteidigte Nelson Mandela im Treason Trial.
  • 1973–1976

    Studium der Politik und Afrikanistik an der University Witwatersrand, Johannesburg, ZA, das er mit einem B.A. abschloss.
  • 1976

    Bereits während seines Studiums an der Universität von Witwatersrand begann William Kentridge mit dem Theater als Kunstform zu experimentieren und gründete gemeinsam mit anderen Studierenden die Junction Avenue Theatre Company in Johannesburg. Er schrieb Konzepte, war Ko-Autor, Schauspieler und führte Regie.
  • 20. September 1976

    Premiere von „The Fantastical History of a Useless Man [Die fantastische Geschichte eines nutzlosen Mannes]“ im Nunnery Theatre in Johannesburg – inmitten von Protesten gegen das Apartheidsystem als Reaktion auf das Massaker von Soweto. Durch eine lose Folge von Szenen, kommentiert von Songs, wie für das Brecht’sche Theater charakteristisch, stellt das Stück kühn die offiziellen und in einer „Schule für Weiße“ gelehrten Paradigmen afrikanischer Geschichte in Frage.
  • 1976–1978

    Kunststudium bei Bill Ainslie an der Johannesburg Art Foundation, ZA.
  • 1977

    „Randlords and Rotgut“ mit der Junction Avenue Theatre Company
  • 1979

    „Security“ mit der Junction Avenue Theatre Company
  • 1980

    „Ilanga liophumela abasebenzi“ mit der Junction Avenue Theatre Company
  • 1981–1982

    Besuch der Theaterschule École Jacques LeCoq, Paris, wo er Pantomime- und Schauspielunterricht nahm.
  • 1985

    William Kentridge wandte sich dem Zeichnen zu, wobei seine Beschäftigung mit dem und am Theater weiterhin großen Einfluss auf sein Schaffen hatte.
  • 1987/88

    Kentridge verfasste 1987 das Theaterstück „Sophiatown“, das 1988 zum großen Erfolg wurde. Das Stück spielt in den 1950er Jahren, im legendären Township Sophiatown. Dort war „Nicht-Weißen“ der Besitz von Eigentum gestattet und die Entstehung eines ethnisch gemischten kulturellen Zentrums wurde toleriert. Im Laufe der Zeit wurde es jedoch als Gefahrenherd für die Prinzipien und die Stabilität des Apartheidsystems ausgemacht. Im Februar 1955 ordnete die Regierung schließlich an, den Stadtteil niederzureißen und die Bevölkerung umzusiedeln.
  • 1989

    Kentridge beschloss, Grafik und Theater in dem Animationsfilm „Johannesburg, zweitgrößte Stadt nach Paris“ zusammenzuführen.
  • 1991

    „Sobriety, Obesity & Growing Old [Nüchternheit, Fettleibigkeit & Älterwerden]“
  • 1992

    Kentridge begann die Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company, einem Ensemble von Puppenspieler_innen, deren Arbeit mit hölzernen Puppen in dreiviertel Lebensgröße. Das Genre der Puppenspielerei eröffnete Kentridge neue Ausdrucksmöglichkeiten. Die Company produzierte Klassiker wie „Woyzeck on the Highveld [Woyzeck auf dem Highveld]“ nach Georg Büchner.
  • 1993

    Teilnahme an der 45. Biennale von Venedig – „Incroci Del Sud: Affinities – Contemporary South African Art“
  • 1995

    „Faustus in Africa! [Faust in Afrika!]“ nach Johann Wolfgang von Goethe; Teilnahme an der Africus, 1. Johannesburg Biennale, Johannesburg, ZA
  • 1997

    Teilnahme an der Documenta in Kassel.
  • 1998

    Kentridge entwickelte seine erste Operninszenierung in Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company: Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria [Die Heimkehr des Odysseus]“ aus dem Jahr 1641 am Lunatheater in Brüssel.
  • 1998

    Einzelausstellung „William Kentridge“ im Palais des Beaux-Arts, Brüssel; weitere Stationen der Schau waren der Kunstverein München, München, DE; die Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum, Graz, AT; das Museu d’Art Contemporani de Barcelona, MACBA, Barcelona, ES, die Serpentine Gallery, London, GB;, das Centre de la Vielle Charité, Marseille, FR. Nominierung für den Hugo Boss Prize.
  • 1999

    Teilnahme an der 48. Biennale von Venedig „d’APERTutto“.
  • 2002

    Teilnahme an der Documenta XI in Kassel.
  • 2003

    William Kentridge wurde der Goslarer Kaiserring verliehen. „Die Flöte erlernen“
  • 2004

    Kentridge erhielt den Ehrendoktor für Literatur der University of the Witwatersrand
  • 2004/05

    Mit der Bearbeitung der „Zauberflöte“ (1791) von Wolfgang Amadeus Mozart betrat William Kentridge die Welt der internationalen Opernszene. 2003 wurde er eingeladen, die Oper für La Monnaie in Brüssel zu bearbeiten. Daraus wurden ein Film, zwei Stücke für Miniaturtheater mit computergesteuertem Beleuchtungssystem, ein Anamorphosefilm und eine Reihe von Zeichnungen und Druckgrafiken.
  • 2005

    Bekleidete als erster Künstler die Max-Beckmann-Professur an der Städelschule in Frankfurt am Main. Teilnahme an der 51. Biennale von Venedig “The Experience of Art“
  • 2007

    Erhielt den Order of Ikhamanga in Silber
  • 2008

    William Kentridge erhielt den Oskar-Kokoschka-Preis
  • 2010

    William Kentridge wandte sich der selten aufgeführten Oper „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch (1928) zu, die auf der gleichnamigen grotesken Erzählung von Nikolai Gogol (1836) basiert.
  • 2012

    William Kentridge präsentierte die Charles Elior Norton Lectures an der Harvard-University. Er wurde zum Mitglied der American Philosophical Society an der American Academy of Arts & Sciences ernannt. Kentridge erhielt den Dan-David-Preis, Teilnahme an der documenta (13) in Kassel.
  • 2013

    William Kentridge erhielt das Ehrendoktorat für Schöne Künste der Yale University.
  • 2015

    „Lulu“ und Teilnahme an der 56. Biennale von Venedig „ALL THE WORLD’S FUTURES“
  • 2016

    „Right Into Her Arms [Direkt in ihre Arme]“. Die Salzburger Festspiele luden William Kentridge ein, für die Saison 2017 die Oper „Wozzeck“ (1925) von Alban Berg zu inszenieren. Da er bereits 1992 an Woyzeck in the Highveld (Woyzeck auf dem Highveld), einer Adaption des Theaterstücks von Georg Büchner, gearbeitet hatte, war er bereits mit dem Stoff vertraut (Premiere am 8. August 2017).
  • 2017

    William Kentridge erhielt den Prinzessin-von-Asturien-Preis. Einzelausstellungen: „William Kentridge. Thick Time. Installationen und Inszenierungen“ im Rupertinum, Salzburg und . William Kentridge. Smoke, Ashes Fables“ im Sint-Janshospital(Memlingmuseum in Brügge.
  • 2018

    „William Kentridge. O Sentimental Machine“ im Liebieghaus, Frankfurt am Main.
  • William Kentridge lebt und arbeitet in Johannesburg, ZA
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.