Immer wieder finden sich am gesamten Ausstellungsgelände der dOCUMENTA (13) Arbeiten, die an historischen Ereignissen andocken. So geht Sanja Iveković (* 1949) für ihre Installation „The Disobedient (The Revolutionaries)“ von einer gefundenen Fotografie aus der NS-Zeit aus. Darauf ist ein Esel hinter einem Stacheldrahtzaun zu erkennen, ein SS-Offizier und eine große Menschenmenge.
Deutschland / Kassel
9.6. - 16.9.2012
Die Aktion am Kasseler Opernplatz und das im April 1933 veröffentlichte Foto waren als Warnung gedacht, nicht bei Juden einzukaufen. Sonst würden die „widerspenstigen Staatsbürger“ in einem KZ – wie der Esel hinter Stacheldrahtzaun – landen. Die Künstlerin ergänzt die Fotografie in der Neuen Galerie durch eine Sammlung von Spielzeugeseln, denen sie Namen von Widerständigen des 20. und 21.Jahrhunderts – wie beispielsweise Rosa Luxemburg – beifügt.
Im Mittelpunkt von Sam Durants (* 1961) Arbeit „Scaffold“ in der Karlsaue steht seine Beschäftigung mit der Todesstrafe in den USA. Für den Park entwickelt er eine Zusammenstellung von historischen Galgen, die aufgebockt über dem Boden schweben. Direkt in der Sichtachse zwischen Orangerie und Schlossteich stehend, verstellt das Ungetüm deutlich den romantischen Blick auf einen in der Entfernung angelegten Tempelbau.
Jimmie Durham (* 1940) thematisiert die Geschichte Europas, indem er in einer Vitrine zwei Ausstellungsstücke einander gegenüberstellt. Objekt A ist ein prähistorisches Steinschneidewerkzeug, vor ca. 30.000 Jahren gefertigt, und Objekt B eine durch Batteriesäure unbrauchbar gewordene Patronenkugel des 2. Weltkriegs. Der erklärende Text erzählt aus der Perspektive eines anonymen, außereuropäischen Erzählers auf unterhaltsam-ironische Weise die Geschichte der Europäer, ihre Entwicklung und „Abenteuer“.
Eines der unterhaltsamsten, am leichtesten zugänglichen Werke, das sich einem allgemeinen ästhetischen Zuspruchs sicher sein darf, ist Geoffrey Farmers (* 1967) „Leaves of Grass“. Tausende Schattenspielfiguren wurden aus 50 Jahrgängen des „Life“-Magazins ausgeschnitten und auf Schilfgras aufgeklebt. Chronologisch in einer langen Reihe hinter- und übereinander gesteckt ergeben sie eine Geschichtsschreibung des öffentlichen Interesses. Von wunderschönen Frauen und mächtigen Männern erzählt die Inszenierung, von der Einführung der Farbreproduktionen wie der Entwicklung der Mode, aber auch an Technikgeschichte und Filmstars weiß das Objekt zu erinnern. Durch das Ausschneiden und Collagieren erreicht Farmer nicht nur eine Verdichtung von Zeit bei einer Expansion von Raum, sondern auch neue Nachbarschaften, die zu witzigen Assoziationen führen.
Teil 1: dOCUMENTA (13): Raumfragen
Teil 2: dOCUMENTA (13): Themenfelder
Teil 3: dOCUMENTA (13): Kunst und ihre politische Verantwortung
Teil 5: dOCUMENTA (13): Kassel und Afghanistan
Teil 6: dOCUMENTA (13): Kassel und Australien
Teil 7: dOCUMENTA (13): Historische Wurzeln aktueller Kunst
Teil 8: dOCUMENTA (13) Kunst und Naturwissenschaft
Teil 9: dOCUMENTA (13): Aktuelle Malerei – oder gegen jede Art von Medienspezifität
Teil 10: dOCUMENTA (13): Kunst und Ökologie
Teil 11: dOCUMENTA (13): Künstler und Schamanismus
Teil 12: dOCUMENTA (13): „Realität“ und ihre mediale Vermittlung