Canaletto (Giovanni Antonio Canal), der Begründer der venezianischen Vedute, wurde vor alle vom Kunsthändler, Sammler und späteren englischen Konsul Joseph Smith (um 1674–1770) gefördert. Die weltweit bedeutendste und auch weltgrößte Sammlung von Werken Canalettos befindet sich heute in London, denn 1762 erwarb König George II. Smith’s private Kunstsammlung. Die Ausstellung „Canaletto & the Art of Venice“ stellt die berühmten Venedig-Ansichten Canalettos aus der Royal Collection vor, vergisst dabei aber nicht auf Joseph Smith und die Zeitgenossen wie Sebastiano und Marco Ricci, Pellegrini, Zuccarelli, Visentini, Giambattista Tiepolo (Radierungen) sowie venezianischen Druckereien.
Großbritannien | London: Buckingham Palace, The Queen's Gallery
19.5. – 12.11.2017
Großbritannien | Edinburgh: Palace of Holyroodhouse, The Queen's Gallery
11.5. – 21.10.2018
Ab etwa 1700 lebte der geschäftstüchtige Kunsthändler Joseph Smith (um 1674–1770) in Venedig, wo er über mehrere Jahrzehnte hinweg eine außergewöhnliche Kunstsammlung aufbaute. Er besaß viele bedeutende Gemälde von Alten Meistern, darunter „Die Musikstunde (Eine Dame am Virginal und ein Herr)“ (um 1662-1664) von Jan Vermeer. Gleichzeitig beauftragte er aber auch zeitgenössische venezianische Maler, wie Marco Ricci, Rosalba Carriera, Giovanni Battista Piazzetta, Francesco Zuccarelli und vor allem Canaletto (1697–1768), um deren Werke nach England zu vermitteltn. Auffallend wenig Interesse zeigte er an den Arbeiten von Giovanni Battista Tiepolo, Giovanni Antonio Pellegrini und Francesco Guardi. Vor allem die vierzigjährige Förderung Canalettos ließ Konsul Smith in die Kunstgeschichte eingehen. Für den Vedutenmaler agierte Smith quasi als Agent. 1762 verkaufte Smith seinen kostbaren Besitz an König George III., der bis heute in großen Teilen in der Royal Collection verwahrt wird. Die englische Königin verfügt deshalb über die weltgrößte Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken Antonio Canalettos.
Joseph Smith und Canaletto trafen einander erstmals im Jahr 1723. Bei dieser Gelegenheit beauftragte der englische Händler den vom Bühnenbild kommenden Vedutenmaler mit einer Serie von sechs Ansichten rund um die Piazza San Marco als Ausstattung für seinen eigenen Palazzo Balbi [heute: Palazzo Mangilli-Valmarana] am Canal Grande. Die Beziehung zwischen Canaletto und Smith weitere sich rasch zu seiner erfolgreichen Partnerschaft, um venezianische Ansichten an englische Adelige auf der Grand Tour zu vermarkten. Smith trat als Händler zwischen dem Maler und seinen Kunden auf, er sorgte für zeitgerechte Fertigstellung der Bilder, deren Transport und Rahmung. Gleichzeitig arbeitete er mit dem Kupferstecher Antonio Visentini (1688–1782) zusammen und publizierte Canalettos Serie mit Ansichten des Canal Grande, dem „Prospectus Magni Canalis Venetiarum“ (1735, erweitert 1742), um zukünftige Käufer auf den Geschmack zu bringen.
Canaletto entstammte einer venezianischen Familie (cittadino originario) und schon sein Vater, Bernardo Canal, entwarf Bühnenbilder. Aus dem Jahr 1719 ist eine Reise des zwanzigjährigen Canaletto nach Rom dokumentiert, wo er gemeinsam mit seinem Vater zwei Opern von Alessandra Scarlatti (1660–1725) ausstattete. Durch seine Bühnenarbeit lernte der junge Canaletto die Perspektive so zu verändern, dass ein neuartiger Raumeindruck entstand (besonders revolutionäre Entwürfe sind von der bolognesischen Familie Galli-Bibiena bekannt). 1719/20 wandte sich Canaletto jedoch der Malerei zu und wurde 1720 in die venezianische Malergilde aufgenommen. Mit Ausnahme eines nahezu neunjährigen Aufenthalts in England (1746–1755) lebte der viel beschäftigte Maler in der Lagunenstadt. Mit seinen Bildern prägte er deren Image als pittoresk-verfallende Stadt im Wasser, dass ab der Jahrhundertmitte englische Reisende bereits mit seinen Werken im Kopf Venedig ansteuerten. Gleichzeitig zahlten die Adeligen auf der Grand Tour so hohe Summen für die Werke des Venezianers, dass er für andere Zeitgenossen kaum mehr erschwinglich war.
Die frühesten Werke in der Ausstellung datieren aus den Jahren 1723/24. Sie gehören zu einer Serie von sechs großformatigen Bildern (ca. 135 x 173 cm, zwei im Quer- und vier Hochformat), die Joseph Smith bei Canaletto bestellte. Dazu erwarb er auch die sechs dazugehörigen Zeichnungen, die vielleicht als Verhandlungsgrundlage zwischen Auftraggeber und Künstler dienten. Der Vergleich mit der Topografie macht bereits bei diesen frühen Werken deutlich, dass architektonische Formen der Komposition untergeordnet wurden. Canaletto nutzte in diesen Jahren auch noch eine dramatische Lichtführung mit scharfen Kontrasten, niedrigem Betrachterstandpunkt und gewagter Perspektive. Dadurch fluchten die Gebäude schnell in den Hintergrund und steigern so die Raumillusion. Der junge Maler entwickelte während der 1720er Jahre rasant seinen Stil und veränderte seine Malweise sogar innerhalb der Serie. Zu den fruchtbarsten Entdeckungen gehört hier die Arbeit mit Impasto, um finale Details und Staffagefiguren aufzusetzen.
Ab 1722 arbeitete Canaletto an einer Serie von zwölf Ansichten des Canal Grande für seinen Auftraggeber Joseph Smith. Die Ausführung zog sich bis 1730 hin, da Canaletto zunehmend mit anderen Aufträgen beschäftigt war. Die Serie fand 1733/34 einen Abschluss in zwei etwas größeren Festgemälden und wurde nach ihrer Fertigstellung in Smith’s Palazzo ausgestellt. Die gesamte Serie wurde von Antonio Visentini radiert und von Pasquali Press 1735 vertrieben. Palazzo Balbi, den Joseph Smith um 1709 gemietet und dann 1740 erworben hatte, ist in dem Gemälde „Canal Grande nach Nord-West vom Rialto aus“ (um 1726/27) als viertes Gebäude am rechten Ufer zu sehen. Da der Auftraggeber die gotische Fassade von Visentini im Palladianischen Stil umbauen ließ (Oktober 1751 enthüllt), ersuchte er seinen Malerfreund, das Bild anzupassen. Dies dürfte Canaletto während seines Heimaturlaubs 1753 getan haben. Das detailreiche Aufsetzen der Fassade in dickem Impasto hebt sich deutlich von der Malweise der früheren Malerei ab.
Die Bilder folgen nahezu den gesamten Verlauf des Canal Grande, einzig der Abschnitt zwischen der Chiesa degli Scalzi oder San Simeone Piccolo bis nach San Geremia fehlt. Dieses Teilstück dürfte den Maler wenig interessiert haben, er hielt es nur selten fest. Im Vergleich zu den früheren Bildern vom Markusplatz sind diese Ansichten nun weniger dramatisch, weniger theatralisch. Er verbreiterte die Perspektive, um beide Ufer des Canal Grande zeigen zu können, verband mehrere Blickpunkte in einer Ansicht, schloss wenig interessante Gebäude aus. Bis um 1730 hatte er seine Palette aufgehellt und deutlich ruhigere Kompositionen (Himmel) eingeführt. Die Radierungen von Visentini dokumentieren, dass wahrscheinlich in den 1740ern der Auftraggeber einige Veränderungen an den Werken vornehmen ließ. Um 1734/35 malte Canaletto noch zwei Festdarstellungen für die Serie: „Eine Regatta am Canal Grande“ und „Der Bacino von San Marco zu Mariae Himmelfahrt“. Mit diesen beiden Bildern bewegt sich Canaletto in der Tradition von Luca Carlevarijs, dessen Ansichten der Serenissima und ihren Zeremonien in ganz Europa berühmt waren.
Die Royal Collection besitzt fünf Ansichten des antiken Rom von Canaletto: drei Triumphbögen, das Forum und das Pantheon. Joseph Smith hatte sie für ein „römisches Zimmer“ ins einem Palast in Venedig in Auftrag gegeben. Als sie 1762 nach London kamen, hatten die Werke daher keine Rahmen. Dass die Werke Signatur und Datierungen tragen, ist im Werk des Venezianers neu.
Ob Canaletto für diesen Auftrag eigens nach Rom gereist ist oder nicht, wird in der Literatur diskutiert. Für Lucy Whitaker ist es plausibel, dass er auf frühere Skizzen und Zeichnungen zurückgriff. Wie eingangs erwähnt, war Canaletto 1719/20 mit seinem Vater nach Rom gereist, um an der Oper zu arbeiten. Neben Architekturtraktaten und Druckgrafiken von den antiken Stätten könnte Canaletto auch auf Zeichnungen seines Neffen Bernardo Bellotto zurückgegriffen haben. Dieser verbrachte 1742 einige Monate in Rom und war Ende Juli 1742 wieder nach Venedig zurückgekehrt.
Im Gegensatz zu anderen Darstellungen konzentrierte sich Canaletto auf jeweils ein Gebäude pro Gemälde. Perspektive und Blickpunkt dienen dazu, die Bedeutung der antiken Ruinen zu vermitteln. Diese wird von englischen Touristen auch in Augenschein genommen. Die bunt gekleideten Herren werden von Reiseführern begleitet, schauen und zeigen mit ihren Fingern oder Gehstöcken auf einzelne Werke. Die Darstellung des „Konstantinbogens“ (1742) wird durch einen Zeichner im Bildvordergrund eingeführt. Römerinnen und Römer sind nur spärlich vor den antiken Monumenten anzutreffen und gehen ihrer Arbeit nach.
Canalettos reifes Werk ist in der königlichen Sammlung mit zwei Darstellungen der Piazza von San Marco vertreten. 1743/44 schuf er eine Serie mit vier Ansichten, wobei zwei immer ein Paar bilden und gleichzeitig entstanden sind. Canaletto datierte die Werke ungewöhnlich präzise: „Die Piazzetta in Richtung des Torre dell’Orologio“ sowie „Die Mole mit dem Gefängnis und dem Palazzo Ducale“ tragen die Datierungen 24. Oktober 1743. Das Paar „Die Piazza und Piazzetta vom Torre dell’Orologio in Richtung San Giorgio“ sowie „Die Piazza und Piazzetta mit dem Campanile und der Südseite von San Marco“ wurden hingegen mit 1744 zeitlich fixiert. Die Entstehung der beiden letztgenannten Werke kann aufgrund der Händler und dem Markttreiben auf den frühen Sommer 1744 präzisiert werden. Antonio Visentini radierte die Gemälde und widmete die Publikation Joseph Smith. Da das Titelblatt dessen Ernennung zum Konsul noch nicht berücksichtigt, müssen die Drucke vor dem 6. Juni 1744 angefertigt worden sein.
Gleichzeitig wandte sich Canaletto dem Capriccio zu, das bereits von Marco Ricci gepflegt worden war. Dafür kombinierte er reale oder erfundene Architektur, meist in ruinösem Zustand, in erfundenen Landschaften zu pittoresken Idyllen. Das „Capriccio mit Ruinen vom Forum” (um 1725–1733) dürfte das früheste Beispiel dieser für Canaletto ab den 1740er Jahren so bedeutenden Gattung sein. Seine Reise nach Rom 1719/20 hatte ihn dazu inspiriert. Vielleicht war es wirklich der Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748), der das Verschiffen der Bilder schwierig und die Nachfrage nach Venedig Ansichten abrupt abreißen ließ. In den ab den frühen 1740er Jahren entstandenen Werken zeigt sich Canaletto als gelehriger Schüler von Marco Ricci.
In einigen Darstellungen ging es ihm und seinen Auftraggeber Joseph Smith jedoch weniger um eine Ruinenidylle als um das Gedächtnis an Andrea Palladio und dessen Architektur. Palladios Renaissance-Gebäude beeinflussten britische und italienische Auftraggeber (darunter Richard Boyle, 3rd Earl of Burlington, 1694–1753), die die Bewegung und das „Wuchern“ barocker Entwürfe ablehnten. Da auch Smith ein Anhänger des oberitalienischen Architekten und Theoretikers war, beauftragte er Canaletto mit dreizehn Supraporten, in denen dieser die Gebäude Palladios (in fünf Darstellungen) und den von ihm beeinflussten Neo-Palladianismus feierte.
Der Großteil der Zeichnungen in der königlichen Sammlung sind eigenständige Arbeiten und weniger Studien für Gemälde.1 Es darf auch geschlussfolgert werden, dass sie wohl in Canalettos Atelier angefertigt wurden – vielleicht auch als idealisierte Kompositionen. Als Grundlage verwendete der Maler wohl detaillierte Studien, die er vor Ort machte.
Canaletto begann mit einer Unterzeichnung in Bleistift, die sowohl freihändiges Zeichnen wie auch den Einsatz von Linealen erkennen lässt. Darüber führte er die Zeichnung mit Feder weiter. Löcher im Papier dokumentieren, wie Canaletto die Kompositionen vermaß und die Perspektiven konstruierte. Einige der Zeichnungen wurden ab den 1740ern auch mit Lavierung in Grau oder Braun vollendet. Wie auch in seiner Malerei gliederte Canaletto die Zeichnungen in Serien. Als solche wurden die 142 Zeichnungen von Konsul Smith in Alben geklebt und vor dem Licht geschützt verwahrt.
Die Zeichnungen Canalettos in der Royal Collection datieren von den 1720er bis in die 1760er Jahre. Die Ausstellung „Canaletto & the Art of Venice“ präsentiert noch Zeichnungen von Marco Ricci und Pastelle von Rosalba Carriera, welche im Vergleich zu Canalettos Arbeiten auf Papier, wiederum gänzlich andere stilistische Zugänge verraten.
Venedig im 18. Jahrhundert wird häufig als Stadt des Verfalls und des ewigen Karnevals beschrieben, das Ende des Jahrhunderts von Napoleon leicht erobert werden konnte. Der Blick auf die Kunstproduktion dieser Zeit lässt jedoch den Schluss zu, dass die politische Schwäche auf der künstlerischen Ebene keineswegs gespiegelt wurde. Im Gegenteil! Der Ausstellungskatalog führt gewichtig in die Kunst Canalettos ein, wobei die Objekttexte vor allem topografische Informationen zusammenführen (teils bereits aus der Publikation von 2005 bekannt). Daher fehlen die beiden berühmten Themse-Ansichten („London: The Thames from Somerset House Terrace towards the City, und “London: The Thames from Somerset House Terrace towards Westminster“, 1750/51 → Venedig. Stadt der Künstler) und einige bekannte Zeichnungen wie „London. Eine Ansicht durch einen Bogen der Westminster Bridge“ (um 1750). Das späteste Werk Canalettos in dieser Schau ist „Canaletto, Das Mittelschiff von San Marco nach Osten“ (um 1755/56), eines der seltenen Innenraumbilder des Venezianers. Canaletto dürfte es für Joseph Smith gemalt haben, der diese Ansichten besonders schätzte.
Dennoch wird an dieser Stelle deutlich, dass die englischen Könige Canaletto offensichtlich während dessen England-Aufenthalts nicht beauftragt haben. Erst mit dem Erwerb der Sammlung Smith 1762, also noch während der Lebzeiten des Künstlers († 1768), konnte König George III. diese Fehlstelle mit außergewöhnlichen Werken schließen.