Die Ausstellung „Fragonard: The Fantasy Figures“ widmet sich einer Gruppe von Bildnissen und einer Zeichnung des französischen Rokoko-Künstlers Jean Honoré Fragonard (1732–1806), deren rasche Ausführung, der leichte, duftige und offene Pinselstrich und die helle Farbpalette besonders charakteristisch sind. Diese porträthaften Figurendarstellungen werden in der Forschung als „Phantasiefiguren“ bezeichnet und sind nun gemeinsam mit einer Zeichnung präsentiert, die 2012 im Rahmen einer Auktion in Paris entdeckt wurde.
USA / Washington D.C.: National Gallery of Art
8.10. – 3.12.2017
Das Blatt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit 14 Gemälden Fragonards und wird erstmals in diesem Kontext vorgestellt. Anhand der Gemälde wurde Fragonards Entwicklung und seine Stellung als bedeutender Künstler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einer neuerlichen Prüfung unterzogen und die gewonnenen Erkenntnisse in einem umfangreichen Katalog publiziert.
Die Katalogbeiträge wurden von Spezialistinnen und Spezialisten für Fragonards Werke verfasst und bieten einen konzentrierten Einblick in das Thema seiner „Phantasiefiguren“: Yuriko Jackall, John K. Delaney, Michael Swicklik von der National Gallery of Art in Washington veröffentlichten die Ergebnisse der technischen Untersuchungen der Zeichnung und des Bildnisses der jungen Dame mit dem Buch; ergänzt wurde dies durch einen umfangreichen Appendix, der die Analysen vorstellt. Carole Blumenfeld vom Palais Fesch-Musée des Beaux-Arts d´Ajaccio ging der Frage nach der Wahl der Modelle nach, Kimberly Chrisman-Campbell widmete sich der „mode à l´espagnole“. Jean-Pierre Cuzin, ehemaliger Direktor des Musée du Louvre in Paris und Fragonard-Experte, kompilierte die bisherigen Forschungserkenntnisse zu dieser außergewöhnlichen Werkgruppe, Elodie Kong und Yuriko Jackall konzentrierten sich auf die Auftraggeberkreise von Fragonard in Aristokratie und Finanzwelt.
Jean Honoré Fragonard hat Zeit seines Lebens Porträts geschaffen. Die insgesamt 14 in Washington präsentierten sogenannten „Phantasiefiguren“ stellen Damen und Herren halbfigurig in verschiedenen – ruhigen wie bewegten – Posen dar, teils halten die Personen Gegenstände in Händen, teils blicken sie direkt zu dem Betrachter oder sie wenden sich Blickpunkten im Bildraum zu. Sie sind durchwegs aufwendig und kostbar gekleidet und folgen damit der im 18. Jahrhundert beliebten Moderichtung des spanischen Stiles, der „mode à l´espagnole“. Der Bildausschnitt wurde von Fragonard knapp gewählt, zumeist wurde das Motiv einer Brüstung als Trennung zwischen dem Dargestellten und dem Betrachter an dem unteren Bildrand verwendet. Die Leinwände sind, bis auf ein ovales Format – „Die Vestalin“ –, rechteckig, die Maße - bis auf minimale Abweichungen - gleich (ca. 81 x 65 cm). Eines der Werke unterscheidet sich von den übrigen durch Größe und Sujet: „Der Kavalier (Reiter) bei einem Brunnen“ wurde von Fragonard in ganzer Figur wiedergegeben.
Einige dieser Gemälde befinden sich im Musée du Louvre in Paris, die übrigen sind in privaten Sammlungen und amerikanischen, sowie europäischen Museen aufbewahrt. Eines der bedeutendsten Werke des Rokokokünstlers, „Das lesende Mädchen“, ist im Bestand des Metropolitan Museums in New York und wurde im Rahmen eines Aufsatzes 2015 im Hinblick auf seine Entstehung und die Änderungen der Komposition ausführlich besprochen; in diese grundlegende Analyse fanden auch die zwei Jahre andauernden technischen Untersuchungen des Gemäldes Eingang.1
Im Rahmen der aktuellen Ausstellung in Washington sind die Gemälde erstmals seit den umfangreichen Fragonard-Ausstellungen 1987, die in Paris und in New York stattfanden, wieder vereint zu studieren. Die vermutlich zwischen 1769 und 1772 entstandenen Gemälde stellen ein bedeutendes Thema in Fragonards Werk und daher auch der Forschung zu diesem Spätrokoko-Maler dar. In Ermangelung erläuternder Dokumente und Berichte aus der Entstehungszeit wurden zahlreiche Mutmaßungen über die Hintergründe, den Auftraggeber, den Aufstellungsort und die Konstellation der Werke angestellt. Auch die Frage nach den Identitäten der Dargestellten wurde behandelt und führte zu dem Ergebnis, dass vermutlich vier der Werke als zwei Paare zu sehen sind: Die Porträts von „Jean-Claude Richard, Abbé de Saint-Non“ gemeinsam mit seinem Bruder „Louis Richard de la Bréteche“ (1722–1804), wobei dieses Porträt mit der Jahreszahl 1769 und dem Namen Fragonards versehen ist; sowie „François-Henri, Duc d´Harcourt“ und sein Bruder „Anne- François d´Harcourt, Duc de Beuvron“.
Weiters wurden Überlegungen angestellt, dass das im Louvre verwahrte Bildnis eines Mannes den Philosophen Denis Diderot wiedergeben könnte und sein weibliches Pendant in der Darstellung einer jungen Dame besitzt, die den Gesang, „Le chant“, verkörpert.2
Gestaltete sich der Versuch der Identifizierung der „figures de fantaisie“ nicht einfach, so wurde 2012 mit der Entdeckung einer bislang unbekannten Zeichnung die Thematik durch neue Aspekte ergänzt. Die Ausstellung in der National Gallery of Art vermag es, den Blick auf Fragonards Bildnisse zu erhellen und neue Hypothesen zu präsentieren.
Das Blatt mit den Maßen 23 x 35 cm zeigt 18 Skizzen zu Bildnissen, die in drei Reihen angeordnet sind. In den oberen beiden Reihen sind je sieben, in der unteren Reihe finden sich vier nur kursorisch umrissene Darstellungen, die im Vergleich zu jenen der oberen Folgen größer sind. Zwei der Bildnisse führte Fragonard mit Graphitstift aus, die übrigen schuf er mit Feder und Tinte. Unter 17 der skizzenhaften Porträts wurden Namen angeführt, die wesentlich zur Erforschung der „Phantasiefiguren“ beitragen konnten. Den Experten gelang es erfolgreich, 14 der Skizzen mit ausgeführten Porträts zu identifizieren und einen Großteil der Namen der Dargestellten zu nennen. Sie sollen hier von links nach rechts, beginnend mit der ersten Zeile, angeführt werden:
Erste Reihe von links nach rechts: Die oberste linke Skizze kann mit dem in der National Gallery in Washington verwahrten Bildnis „Das lesende Mädchen“ identifiziert werden. An einen Polster gelehnt, ist die Dargestellte bei dem Lesen eines Buches porträtiert. Die erwähnten Untersuchungen des Gemäldes ergaben Änderungen in der Komposition, deren Umstände bislang nicht bestimmt werden konnten.
Die folgende Skizze einer Dame mit Hund trägt den Schriftzug „Me Courson“ und gab daher Anlass, in der Dargestellten Marie Émilie Coignet de Courson (1727–1806) zu sehen. Die wohlhabende Aristokratin aus einer burgundischen Familie war mit einer vermutlichen Auftraggeberin Fragonards, Marie Anne Éléonore de Grave (1730–1807) befreundet.
Die dritte Skizze von links könnte mit dem Porträt der Marie Anne Éléonore de Grave (1730–1807) identifiziert werden, da diese mit „Grave“ bezeichnet wurde. Das Gemälde befindet sich im Louvre und ist in der Ausstellung nicht zu sehen3
Die sog. „Vestalin“, das als einziges der Bildnisse ein ovales Format besitzt, stellt vermutlich Catherine Thérèse Aubry (1733–1800) dar, die Witwe des Präsidenten des Büros für Finanzen der Stadt Tours.
Der sog. „Schriftsteller“ zeigt den Herausgeber Louis François Prault (1734–1807), der mit einem Federkiel und Papier, sich über seine linke Schulter nach hinten wendend, wiedergegeben ist.
Die folgende Skizze konnte nicht eindeutig zugeordnet werden. Die nächste Skizze wurde mit den Worten „La breteche“ bzw. „labreteche“ bezeichnet und zeigt das bereits erwähnte Porträt von Louis Richard de La Bréteche (1722–1804). Dieses wurde in einer Inschrift auf der Rückseite als Werk von Fragonard aus dem Jahr 1769 ausgezeichnet und erwähnte zudem den Namen des Dargestellten.
Zweite Reihe von links nach rechts: Die erste Skizze der zweiten Reihe konnte nicht eindeutig zugeordnet werden. Die Skizze einer Dame mit Notenblättern stimmt vermutlich überein mit dem Porträt einer „Sängerin“, bei der es sich wahrscheinlich um Anne Pauline Le Breton (1749–1821) handelte. Diese bewegte sich in den Kreisen von Louis Richard de La Bréteche und seinem Bruder, Jean-Claude Richard, Abbé de Saint-Non.
Die dritte Skizze konnte nicht zugeordnet werden, doch die vierte zeigt den sog. „Schauspieler“, bei dem es sich vermutlich um Gabriel Auguste Godefroy (1728–1813), den Sohn eines wohlhabenden Pariser Bankiers, der mit Kunst und Juwelen handelte.
Das Porträt eines Mannes, das auf der Zeichnung mit der Bezeichnung „Meunier“ versehen wurde, galt bislang als Bildnis von dem Philosophen Denis Diderot (1713–1784) und wird nun mit dem Autor und Journalisten Ange Gabriel Meusnier de Querlon (1702–1780) in Zusammenhang gebracht.
Die Bezeichnung der nächsten Skizze könnte als Charles Paul Jérome Bréa gelesen werden, ein Bildnis ist dazu bislang nicht überliefert. Mit der Skizze mit dem Schriftzug „hale“ bzw. „hall“ könnte gemeint sein, dass es sich möglicherweise bei dem sog. „Krieger“ um Fragonards Freund, den Miniaturisten Peter Adolphe Hall handeln könnte, der die Zeichnungen des Künstlers sammelte, der Hall zudem porträtiert hatte.
In der letzten Reihe ist lediglich das dritte Werk zuordenbar: Die mit Graphit gezeichnete Skizze ist schlecht lesbar und stellt möglicherweise die Phantasiefigur „Kavalier (Reiter) an einem Brunnen“ dar, bei dem es sich um den Financier Geoffroy Cahlut de Vérin (1705–1787) handeln könnte.
Mit Hilfe der Zeichnung gelang es, einige der „Phantasiefiguren“ Fragonards als Zeitgenossen des Künstlers zu identifizieren. Rätselhaft bleibt weiterhin, welcher Anlass zur Entstehung des Blattes geführt hat. Die Fragen, ob die Hängung einer Porträtgalerie festgehalten oder eine Ausstellungspräsentation entworfen werden sollte, bleiben, wie weitere Überlegungen, zur Entstehungszeit ohne Antwort. Fest steht, dass es sich bei den Bildnissen um eine illustre Runde an Aristokraten, Künstlern und Mitgliedern der Gesellschaft handelte, die Fragonard persönlich kannte. Vermutlich ging das Verhältnis über die Beziehung eines Auftraggebers zu einem Künstler hinaus und kann als anerkennend bis freundschaftlich beschrieben werden. Die Zeichnung ermöglichte somit auch einen Blick in den Kreis um Fragonard und in die Form des Austausches, den der Maler pflegte. In den „figures de fantaisie“ ist die Vorliebe des Rokoko für eine Form des Porträts zu entdecken, die sich mit dem Klassizismus verändern sollte. In dieser Epoche wurde das antikisierende, klassische Porträt bevorzugt und die Damen und Herren nahmen die Rollen in getragenen Historien ein. Fragonard jedoch setzte durch die Bewegung und den duftig-schwungvollen Pinselstrich den Schwerpunkt auf eine unmittelbare und spontane Wiedergabe der Dargestellten. Er folgte dem Zeitgeschmack, indem er die damals beliebte spanische Mode, die auch bei Masken- und Kostümbällen zum Einsatz kam, als dekoratives Element einsetzte. Ihm taten es zuvor Antoine Watteau (1684–1721) und François Lemoyne (1688–1737) gleich, ebenso wie Fragonards Lehrer, Carle van Loo (1705–1765). Nicht zuletzt waren die Eindrücke der Gemälde von Peter Paul Rubens in Paris mit den allegorischen Szenen aus dem Leben der Maria de‘ Medici eine Quelle der Inspiration für üppige und bewegte Inszenierungen. Fragonard gelang es, Bewegung und Augenblick in seinen Porträts zusätzlich zu Farb- und Lichtinszenierungen zu herausragender und bei den Auftraggebern geschätzter Meisterschaft zu führen.
Yuriko Jackall (Hg.), Fragonard: The Fantasy Figures, Washington 2017.