Erst kürzlich entschloss sich die Wallace Collection in London, Werke zu entleihen. Der erste „Bildertausch“ findet 2020 anlässlich der großangelegten Sonderausstellung „Tizian: Poesie“ in der Londoner National Gallery statt. Da Tizians „Perseus und Andromeda“ zur hochkarätigen Schau zum späten Werk des Venezianers geschickt wird, erhält die Wallace Collection die „Landschaft mit Het Steen“ von Peter Paul Rubens als Gegenleihe.
Rubens‘ „Landschaft mit Het Steen“ in der Wallace Collection
Großbritannien | London: Wallace Collection
20.5.–13.9.2020
Der englische Maler John Constable bewunderte die Landschaften Peter Paul Rubens‘, die er für die wichtigsten Leistungen des flämischen Barock-Stars hielt. „Landschaft mit Het Steen“ von 1636, das sich heute in der National Gallery of Art | London befindet, zählte früh zu Constables Vorbildern. Er hatte es 1804 bei einem Besuch bei Benjamin West, einem Mitglied der Royal Academy, zum ersten Mal gesehen.
1635 kaufte Rubens das Schloss Het Steen in Elewijt zwischen Mecheln und Brüssel als Alterswohnsitz. Dort schuf er zwischen 1636 und 1640 einige Landschaften aus eigenem Antrieb. Philip Rubens, der Neffe des berühmten Malers, beobachtete, wie die wenigen Landschaften, die dort entstanden, die Beliebtheit der Figurenbilder sogar noch übertrumpften. Er hielt fest, dass Rubens gerne zurückgezogen auf Het Steen lebte, um dort schnell und „au naturel“ die Berge, Felder, Täler und Wiesen der Umgebung bei Sonnenauf- oder Sonnenuntergang zu malen.
Ein Jahr nach dem Kauf schuf Peter Paul Rubens mit der „Landschaft mit Het Steen“ (1636) ein Bild von sich und seine Familie links vor dem Besitz. Doch die Figuren sind bestenfalls Fußnoten angesichts des Blicks in die weite Landschaft und die Schilderung des ländlichen Lebens im Vordergrund. Dort platzierte der Antwerpener Bauern samt Wagen und einen Jäger, im Hintergrund rechts sind eine Kuhherde samt Hüterin positioniert. Sowohl das Fuhrwerk wie auch die Hirtenszene verbinden „Landschaft mit Het Steen“ mit einer zweiten Ansicht: „Landschaft mit einem Regenbogen“ in der Wallace Collection, London.
„Landschaft mit einem Regenboden“ zeigt Bauern und Milchmädchen, die vom Feld zurückkehren, die Kuhherde in den Stall treiben oder Heuernten. Obschon Rubens noch keine Pastorale zeigt, wie sie wenig später von den Malern des Barockklassizismus Poussin oder Claude Lorrain geprägt wurden, so ist auch seine Sicht auf die Landschaft stark idealisiert. Der Regenbogen gilt als Symbol für das Wohlwollen Gottes (nach der Sintflut), und die Ernte kann als Belohnung für die tägliche Arbeit verstanden werden.
Wenn beide Bilder nebeneinanderhängen, stellen sie zwei Aspekte des Landlebens im Sommer dar: Sport und bäuerliche Arbeit, aber auch früher Morgen und später Nachmittag mit einem Regenbogen. Lisa Vergara schlug vor, die beiden einander ergänzenden Landschaften mit Pieter Bruegels Jahreszeitenbildern zu sehen: Bruegels „Heuernte“ (Prag) und „Sommer“ (Metropolitan Museum of Art, New York) ergänzen einander zu einer früh- und einer spätsommerlichen Landschaft (→ Pieter Bruegel d. Ä.: Werk und Leben).
Rubens entwarf mit den beiden Landschaften – „Landschaft mit Het Steen“ sowie „Landschaft mit Regenbogen“ – eine einheitliche, panoramatische Vision von Natur. Der Barockmaler konstruierte Landschaften auf Basis des Gesehenen, indem er seinen Besitz durch die Brille des klassischen Humanismus betrachtete. Rubens antike Quellen sind Vergils „Georgica“ und „Eclogae“ (zehn Hirtengedichte), Horaz‘ lyrische Dichtkunst und Plinius‘ Beschreibungen. Ausgestattet mit dem römischen Ideal des Lebens in einer ländlichen Villa (villa suburbana), stellte er sich mit seiner zweiten Frau Hélèna Fourment als neuer Besitzer eines stattlichen Anwesens mit drei Türmen dar.
Rubens schuf beide Bilder um 1636 und behielt sie bis zu seinem Tod. Sie können bis 1802 in der Balbi Sammlung nachgewiesen werden, wo sie William Buchanan erwarb und nach London brachte. Im Januar 1803 kamen beide Landschaften in London an. Dort kaufte Lady Margaret Beaumont die „Landschaft mit Het Steen“ und schenkte sie ihrem Ehemann Sir George Beaumont. Dieser überließ das Gemälde später der National Gallery. 1856 kam die „Landschaft mit Regenbogen“ auf den Markt. Sir Charles Eastlake versuchte sie für die National Gallery zu erwerben, doch der 4th Marquess of Hertford überbot ihn mit 4.550 Guineas.
Im Jahr 1815 wurde die beiden Landschaften Rubens‘ zum letzten Mal in einer Ausstellung der British Institution gemeinsam gezeigt. Die beiden ohne Auftrag entstandenen Landschaften werden im Frühjahr zum ersten Mal seit 200 Jahren wieder nebeneinander hängen.