Was bedeutet es, etwas zu wissen, es aber nicht körperlich wahrnehmen zu können? Spielt das Wissen dann überhaupt eine Rolle? Eigentlich sind diese beiden Fragen im Begleitbuch darauf gemünzt, dass es den meisten Besucher_innen der dOCUMENTA (13) nicht möglich sein wird, die Ausstellungen in Kabul oder in Alexandria zu besuchen bzw. an der Klausur der Kuratorin mit einigen Künstlern in Baff teilzunehmen. Man könnte sie aber auch zwei Werken auf der dOCUMENTA als Motto mitgeben. Dementsprechend zwei Arbeiten zum Schluss, die zu den besten der diesjährigen dOCUMENTA gezählt werden können: William Kentridge`s neueste Filmarbeit und Janet Cardiffs & George Bures Millers Videowalk durch den Hauptbahnhof.
Deutschland / Kassel
9.6. - 16.9.2012
William Kentridge (* 1955) ist „Altmeister“ des Trickfilms, der poetischen Annäherung an die Welt aus südafrikanischer Perspektive. Als Sohn eines Anwalts in Johannesburg geboren, hat er schon früh die Apartheit kennengelernt. „The Refusal of Time“ ist eine bild- und stilgewaltige Symbiose von Ton und Bild. Zeit, symbolisiert durch verschieden schnell tickende Metronome, wird zugunsten von Musik und Tanz zurückgewiesen, Newtons Maßzeit und Einsteins Relativitätstheorie werden einander an zwei Wänden gegenübergestellt. Alles endet in Zerstörung und einem tanzenden Triumphzug der Schatten. Der Film wird auf alle Wände des Raumes projiziert, wobei dieser selbst wiederum eine Installation ist. Von allen Seiten treffen Schall und Bilder ein, nie kann man alles erfassen, immer nur einen Ausschnitt wahrnehmen.
Für „Alter Bahnhof Video Walk“ von Janet Cardiff & George Bures Miller (* 1957/* 1960) bekommt man einen iPod in die Hand gedrückt. Man solle sich auf die Bank vor der Verteilungsstelle setzen und den Anweisungen im Video folgen. Gemeinsam mit der Erzählerin bewegt man sich durch den aktuellen Bahnhof, sieht auf dem Monitor das, was sie gesehen hat und beschreibt, während man in Echtzeit – hoffentlich ohne auf aktuelle Benutzer_innen aufzulaufen – durch den Raum und im Gedanken durch die Zeit wandert. Die Geschichte führt auf mehreren Ebenen zurück in die NS-Zeit, als von diesem Bahnhof Menschen deportiert wurden. Die Intimität des Erlebens lässt den Atem stocken! Sie führt aber auch zu ungewöhnlichen Orten, deren Funktion mehr einem Durchgang ähneln, die sonst nicht zum Verweilen einladen würden. Ständig hin- und hergerissen zwischen der Wirklichkeit und der Erzählung lässt jedes Geräusch zusammenzucken. Was ist real und was „nur“ medial vermittelt? Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen der Realität, in der man sich bewegt und jener, die technische Hilfsmittel generieren? Realität - Was ist das, möchte man mit Zeilinger fragen? - wird durch die Arbeit von Cardiff & Bures Miller digital erweitert und als Fiktion, als neuer Raum, als Medium genutzt. Unter dem Begriff der Augmented Reality tun sich ungeahnte Möglichkeiten des Erzählens und Erlebens auf. Das Smartphone wird in Zukunft wohl auch die Funktion der weißen Leinwand fernab der bereits überbordenden Unterhaltungsformate übernehmen.
Teil 1: dOCUMENTA (13): Raumfragen
Teil 2: dOCUMENTA (13): Themenfelder
Teil 3: dOCUMENTA (13): Kunst und ihre politische Verantwortung
Teil 4: dOCUMENTA (13): Kunst und der Umgang mit Geschichte
Teil 5: dOCUMENTA (13): Kassel und Afghanistan
Teil 6: dOCUMENTA (13): Kassel und Australien
Teil 7: dOCUMENTA (13): Historische Wurzeln aktueller Kunst
Teil 8: dOCUMENTA (13) Kunst und Naturwissenschaft
Teil 9: dOCUMENTA (13): Aktuelle Malerei – oder gegen jede Art von Medienspezifität
Teil 10: dOCUMENTA (13): Kunst und Ökologie
Teil 11: dOCUMENTA (13): Künstler und Schamanismus