Auguste Herbin

Wer war Auguste Herbin?

Auguste Herbin (Quiévy 29.4.1882–31.1.1960 Paris) war ein französischer Maler der Klassischen Moderne und der Abstraktion (→ Klassische Moderne| Abstrakte Kunst). Er ist vor allem für seine kubistischen und abstrakten Gemälde bekannt, die aus bunten geometrischen Figuren bestehen. Herbin war Mitbegründer der Gruppen „Abstraction-Création“ und des Salon des Réalités Nouvelles, die die ungegenständliche Kunst förderten. Er ist ebenso Theoretiker wie Praktiker der Abstraktion:

„Die ganze Wirkung des Bildes [beruht] auf den Bezügen der Farben untereinander, der Form untereinander und auf den Rapporten zwischen Formen und Farben. […] Das Entscheidende aller dieser Bezüge ist, dass sie in jeder Hinsicht in ihren Vorzügen und Mängeln alle Vorzüge und Mängel des Künstlers in sich einschließen. Ein neues und weites Feld öffnet sich vor uns, in dem Phantasie, Kraft und Zartheit der Beziehungen zwischen Farben und Formen sich entfalten und der Mensch sich zum Geistigen hin entwickeln kann. Indem wir auf den Gegenstand verzichteten, fanden wir das Wort und das schöpferische Tun wieder.“1 (Auguste Herbin)

Kindheit

Auguste Herbin wurde am 29. April 1882 als Handwerkersohn aus dem kleinen Ort Quiévy bei Cambrai an der französisch-belgischen Grenze geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Cateau-Cambrésis.

Ausbildung

Herbin studierte von 1898/99 bis 1901 an der École des Beaux-Arts in Lille (Atelier des Pharao de Winter) und ließ sich im Jahr 1901 langfristig in Paris nieder. Ab 1901 hielt er sich wiederholt auch in Brügge auf und knüpfte dort künstlerische Kontakte.

Vom Postimpressionismus zum Kubismus

Im Salon des Indépendants des Jahres 1905 stellte Auguste Herbin erstmals seine Werke aus. Er malte zunächst im postimpressionistischen Stil, was an seinen 1906 an den Salon des Indépendants geschickten Gemälden sichtbar wird.

Zwei Jahre später beteiligte er sich gemeinsam mit den Künstlern des Fauvismus am Salon d’Automne, jedoch wandte er sich nach der Begegnung mit Juan Gris bereits im folgenden Jahr dem Kubismus zu und zog 1909 in das Bateau-Lavoir, wo neben Georges Braque, Juan Gris, Amedeo ModiglianiOtto Freundlich und Pablo Picasso ihre Ateliers hatten. Ermutigt wurde er auch durch seine Freundschaft mit dem deutschen Kunstkritiker und Sammler Wilhelm Uhde. Im Salon des Indépendants von 1910 stellte er im selben Raum wie Jean Metzinger, Albert Gleizes und Fernand Léger aus und nahm 1912 an der bedeutenden Ausstellung der Section d'Or teil.

Zwischen 1913 und 1923 folgte er seinen Freunden nach Céret, wo er mehrere kubistische Werke („Paysage à Céret“) signierte und den Begriff der Perspektive beseitigte. Während des Ersten Weltkriegs wurde Herbin beauftragt, eine Militärkapelle im Lager Mailly-le-Camp zu dekorieren und später zu tarnen. Im Jahre 1916 schloss er einen Vertrag mit der Galerie Léonce Rosenberg in Paris. Dort hatte er in den Jahren 1918, 1921 und 1924 jeweils Einzelausstellungen.

Vom Orphismus zum Konstruktivismus

Zwischen 1918 und 1920 entstanden abstrakte Arbeiten, danach wandte sich Auguste Herbin bis 1927 wieder der figurativen Malerei zu.

Herbin schuf 1917 seine ersten abstrakten Gemälde und Skulpturen, die anfangs vom Orphismus beeinflusst sind. Léonce Rosenberg wurde auf ihn aufmerksam, er kaufte ihm mehrere Gemälde und nahm ihn unter Vertrag in die Galerie de L'Effort moderne in Paris, wo er zwischen 1918 und 1921 mehrmals ausstellte. 1919 entscheidet sich Herbin den für ihn veralteten Kubismus aufzugeben; er schrieb an Albert Gleizes: „Kunst kann nur monumental sein.“ Er schuf in der Folge eine Serie von „monumentalen Objekten“. Seine geometrischen Holzreliefs stellen den Status der Staffeleimalerei in Frage. Sie wurden jedoch sehr schlecht aufgenommen, auch von Kritikern, die dem Kubismus positiv gegenüberstanden.

Auguste Herbin zog sich nach Cateau-Cambrésis zurück. 1922 heiratete er Louise Bailleux, die er dort kennengelernt hatte. Zwischen 1922 und 1925 kehrte Herbin, von Zweifeln geplagt und auf Rosenbergs Rat hin, zur figurativen Malerei zurück. Später desavouierte er die Landschaften, Stillleben und Genreszenen dieser Zeit, etwa Les Joueurs de boules (1923, Paris, Musée national d'art moderne), in denen er die Objekte in Form vereinfachter Volumen darstellte. 1929 war er Mitbegründer des Salon des surindépendants.

Herbin, Protagonist des Konstruktivismus

Ende der 1920er Jahre wandte sich Auguste Herbin dem Konstruktivismus zu. Er arbeitete mit einfachen geometrischen Formen, mit Rechteck, Dreieck, Kreis und Segment. Die starke formale Beschränkung geht auf Herbins Streben nach Klarheit und Strenge zurück.

1931 stellte er bei der Salon Association 1940 aus, aus der die Gruppe „Abstraction-Création“ hervorging. Im selben Jahr wurde er auch Mitherausgeber der Zeitschrift „abstraction, création, art non figuratif“. Bis 1936 war „Abstraction-Création“ das organisatorische und intellektuelle Zentrum der verschiedenen abstrakten Richtungen mit dem Schwerpunkt auf der konkreten, konstruktiven Malerei. In diesen Jahren widmete er sich einer geometrischen Malerei aus einfachen flachen Formen in reinen Farben, die sich mit wellenförmigen Formen abwechseln.

Der Maler war 1946 an der Gründung des Salon des Réalités Nouvelles beteiligt, ab 1955 fungierte er auch dessen Präsident. Seit 1946 wurde Herbin von der Galerie Denise René vertreten. Die zweite Generation abstrakter Künstler, darunter Jean Dewasne, Victor Vasarely, Olle Baertling, Richard Mortensen, Robert Jacobsen usw., betrachtete Auguste Herbin als Meister und diskutierte seine Theorien während der Vorlesungen des Abstract Art Workshop, einem von Jean Dewasne und Edgar Pillet geschaffenen Ort oder während des Salon des Réalités Nouvelles.

Plastisches Alphabet

In den Jahren 1940 bis 1950 entwickelte Auguste Herbin sein plastisches Alphabet zur Synästhesie: eine Kompositionsmethode, die von einem Repertoire von 26 Farben ausgeht, die jeweils einem Buchstaben und geometrischen Formen (Dreieck, Kreis, Halbkreis, Viereck) entsprechen als Ton. Zum Beispiel ist der Buchstabe „i“ mit einem Kreis und einem Dreieck, der Farbe Orange und der Musiknote d verbunden. Herbin-Gemälde basieren auf einem Wort, das dem Gemälde seinen Titel gibt, entsprechend den Korrespondenzen zwischen Buchstaben, Formen, Farben und musikalischen Klängen.

1946 perfektionierte Auguste Herbin sein „Plastisches Alphabet“, einen Versuch, Korrespondenzen zwischen Buchstaben, Farben und Formen zu kodifizieren. 1949 präsentierte er in der Galerie La Gentilhommière in Paris sein Buch „L'Art non figuratif, non object“, in dem er sein plastisches Alphabet ausstellte, ein Buch, das zu einer der wichtigsten Referenzen in der abstrakten Malerei dieser Zeit werden sollte.

Seine wichtigste Publikation war „L’Art figuratif – non objectif“ (1949), in der er die Gesetze seines „plastischen Alphabets“ aufstellte. Ausgehend von der Musik stellte Herbin eine Beziehung von Tönen und Buchstaben fest, die er um die Konkordanz der Farben erweiterte. In der Folge beschäftigte sich der Maler mit dem Verhältnis von Farben und Formen. Dabei lehnte er räumliche Tiefenillusion ab. Stattdessen betonte er, wie Farben und Formen durch ihre Eigenschaften einen optisch realen Raum entstehen lassen.

„Die Farbe als Mittel des Malers muss in eine zweidimensionale Form gefasst werden, um Einheitlichkeit im Ausdruck zu erreichen. Die Malerei hat die dritte Dimension nicht nötig, weder eine reale, noch eine durch einen Kunstgriff erreichte, denn die in zwei Dimensionen ausgedrückte Farbe besitzt in sich eine räumliche Wirkung. Gewisse Farben drücken den Tiefenraum aus (die Blaus), andere stehen weiter vorn (die Rots). Bestimmte Farben strahlen von innen nach außen (die Gelbs), andere von außen nach innen (die Blaus). Einige vermitteln Bewegung (rot, gelb, blau), andere scheinen unbeweglich (weiß, schwarz, grün) und wieder andere vereinigen in sich sogar, je nach ihren Rapporten, Beweglichkeit und Unbeweglichkeit (rosa, violett). Diese Eigenschaften können noch durch Beziehungen der Farben untereinander modifiziert werden.“ (Auguste Herbin)

Herbin, der ab 1953 an einer Lähmung der rechten Körperhälfte litt und seine Tätigkeiten und vor allem seine Malerei auf die linke Hand umstellen musste, starb überraschend am 31. Januar 1960 in Paris.

Auguste Herbin bildete seine Nichte, die Künstlerin Geneviève Claisse (1935–2018), zur Malerin aus.

Krankheit und Tod

1953 litt Auguste Herbin an Hemiplegie. Er war rechts gelähmt und lernte wieder mit der linken Hand zu malen. Seine Begegnung mit Guy de Lussigny 1956 wird für die Karriere des jungen Malers entscheidend sein. Im selben Jahr schenkte er der Stadt Cateau-Cambrésis 24 Werke und bildete damit eine zweite Sammlung für das 1952 von Henri Matisse geschaffene Museum.

Auguste Herbin starb am 31. Januar 1960 in Paris. Sein letztes unvollendetes Gemälde baute auf dem Motiv des Wortes „Fin“ auf.

Nachruhm

Seit den 1960er Jahren und bis heute ist Auguste Herbin in Paris durch die Galerie Lahumière und die Galerie Denise René vertreten, die regelmäßig seine Werke zeigen.

In den 2000er Jahren wurde von Didier Marien von der Galerie Boccara mit Zustimmung der Rechteinhaber eine Edition einer Serie von Teppichen realisiert, die mit Auguste Herbin signiert sind. Die in Frankreich, aber auch in Moskau, London und New York ausgestellten Teppiche spielten eine Schlüsselrolle bei der weltweiten Wiederentdeckung von Herbins künstlerischem Schaffen.

Die letzte Retrospektive von Auguste Herbins Schaffens fand 2013 im Matisse Museum in Le Cateau-Cambrésis statt

  1. Zitiert nach: Sonja Klee, Auguste Herbin, 75/65. Der Sammler, das Unternehmen und seine Kollektion (Ausst.-Kat. Museum Würth Künzelsau, 25.4.2010–9.1.2011), Künzelsau 2010, S. 62.