Abstraction-Création

Was war „Abstraction-Création“?

Der belgische Maler, Bildhauer und Architekt Georges Vantongerloo initiierte am 15. Februar 1931 die Gründung der kosmopolitischen Künstlervereinigung „Abstraction-Création“ in Paris, um der Abstrakten Kunst eine Plattform zu geben (→ Abstrakte Kunst). Weitere Gründungsmitglieder waren Sophie Taeuber-Arp, Hans Arp, Albert Gleizes, Frantisek Kupka, Theo van Doesburg, Antoine Pevsner, Naum Gabo, Auguste Herbin, Jean Hélion, Piet Mondrian, Robert Delaunay und William „Binks“ Einstein. Der Name „Abstraction-Création“ sollte die extremen Pole der Abstraktion und der Konkreten Kunst umschreiben, war das Ziel doch, die widerstrebenden Theorien und Kunstpraktiken auf einer Plattform zu vertreten. Die Gruppe wuchs schnell auf nahezu 400 Mitglieder an, viele davon gehörten zuvor der Gruppe „Cercle et Carré“ (1929/30) an, andere Theo van Doesburgs „Art Concret“ (1930). „Abstraction-Création“ bestand bis zum Jahr 1937.

Das Ziel von „Abstraction-Création“ war, ein Forum für die Abstrakte Kunst zu schaffen, da der Surrealismus und der „rappel à l’ordre“, die Rückkehr zur Ordnung im Rahmen der Neuen Sachlichkeit (→ Neue Sachlichkeit), den Trend zu neuer Gegenständlichkeit förderten. Dazu gehörten gemeinsame Ausstellungen, Lesungen und Diskussionsrunden sowie Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen. Die Gruppe wurde zum geistigen und organisatorischen Zentrum sowie Sammelpunkt für die Anliegen der Vertreter der konkreten, konstruktivistischen und geometrischen Kunstrichtungen. Die inhaltliche und öffentlichkeitswirksame Arbeit von „Abstraction-Création“ und ihre Ausstellungen trugen erheblich zur Steigerung der gesellschaftlichen Anerkennung der abstrakten Kunst bei. Als letzte große Künstlervereinigung vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden wichtige Impulse für die weitere Entwicklung in der Schweiz, in England und den USA gegeben. Strömungen der Konkreten Kunst, das Arbeiten im Seriellen und Minimal Art gehen im Kern auf Konzepte und Grundsätze zurück, welche in „Abstraction-Création“ entwickelt und durchdacht wurden.

Gründung

Seit Herbst/Winter 1930/31 war den Mitgliedern von „Cercle et Carré“ sowie „Art Concret“ klar, dass sie sich neu organisieren mussten. Theo van Doesburg, Gründer von „Art Concret“, wurde in die Pläne in seinem Atelier in Meudon intensiv eingebunden. Am 15. Februar 1931 wurde die Gruppe „Abstraction-Création“ ins Leben gerufen. Zwischen 1932 und 1936 gab die Künstlergruppe fünf Ausgaben der Zeitschrift „Abstraction-Création, Art Non-Figuratif“ heraus. Obschon van Doesburg bald nach der Gründung in der Schweiz verstarb, bildeten die Künstlerinnen und Künstler der geometrischen Abstraktion den Kern von „Abstraction-Création“.

Früh traten Künstler bei, die schon zuvor gemeinsam organisiert waren: Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, Willi Baumeister, Carl Buchheister, László Moholy-Nagy, Antoine Pevsner, Kurt Schwitters, aber auch die jüngst nach Paris gezogenen Wassily Kandinsky und Piet Modrian konnten zur Zusammenarbeit gewonnen werden. Auch die russischen Konstruktivisten El LissitzkyKasimir Malewitsch und Wladimir Tatlin wurden eingeladen, sie lehnten jedoch eine Teilhabe ab. In der ersten Ausgabe von „Abstraction-Création“ wurde zudem ausgeführt, dass Künstler, deren Werke wiedererkennbare Figuren enthalten würden, nicht zur Mitgliedschaft eingeladen worden sind – darunter Alberto Giacometti. Dieser war zwar bei einigen frühen Treffen anwesend gewesen, doch lehnte er es ab, die Arbeit direkt vor dem Modell zu beenden. Dem stand unter anderem Alexander Calder entgegen, der in einer Ausstellung von „Abstraction-Création“ 1931 eine seiner Zirkus-Aufführungen zum Besten gab.

Mitglieder von „Abstraction-Création“

Fünf Testfragen wurden den möglichen Mitgliedern der Vereinigung gestellt. Die drei wichtigsten waren:

  1. Warum malen Sie keine Akte?
  2. Welchen Einfluss haben Bäume auf ihre Arbeit?
  3. Ist die Lokomotive ein Kunstwerk?

Die Fragen waren bewusst offen gestaltet, um keine rationale Auslese der Kandidaten begünstigte. Daher vereinte „Abstraction-Création“ verschiedenste Richtungen der Abstraktion. Die jüngere Generation wie Jacques Villon, Kurt Seligmann, Barbara Hepworth oder Henry Moore haben vor allem Naturformen abstrahiert. Im Gegenzug dazu arbeiteten die Künstler von „De Stijl“ oder des Neo-Plastizismus rein geometrisch-abstrakt. Kandinsky entwickelte seine Kunst aus dem „Geistigen“, während Hélion unspirituell an die Abstraktion heranging. Auch über die Frage, wie das „nicht-Gegenständliche“ auszulegen wäre, konnte man sich gut streiten: Robert Delaunay und Kupka fanden in dsen 1930ern zurück zur strengen, elementaren Form, während Vantongerloo und Domela sich zu kurvigen Gestaltungen hingezogen fühlten (und damit ihren Kompositionen das Puristische nahmen). Jemand wie Alexander Calder wollte Kunst machen, die ihm Spaß machte. Deshalb wurde ein unangemeldeter Atelierbesuch bei Calder abgestattet, um zu prüfen, ob er würdig genug für den Kreis wäre.

Obschon die Künstlerinnen und Künstler durch ihre Entscheidung für die Abstraktion miteinander verbunden waren, teilten einige von ihnen auch privat enge Beziehungen. The van Doesburg, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp hatten 1926 die revolutionäre Innengestaltung des Café l’Aubette in Straßburg gemeinsam entworfen.

Die wichtigsten Mitglieder der Gruppe „Abstraction-Création“ in der alphabetischer Reihenfolge:

  • Josef Albers (1888–1976), deutscher Maler, Bauhaus-Meister
  • Hans Arp (1886–1966), elsässischer Maler und Bildhauer
  • Willi Baumeister (1889–1955), deutscher Maler und Bühnenbildner
  • István Beöthy (auch Etienne Béothy) (1897–1961), ungarischer Bildhauer und Architekt
  • Max Bill (1908–1994), schweizerischer Architekt, Künstler und Designer
  • Carl Buchheister (1890–1964), deutscher Maler
  • Alexander Calder (1898–1976), amerikanischer Bildhauer; Mobiles
  • Sonia Delaunay-Terk (1885–1979), französische Malerin und Modedesignerin
  • Robert Delaunay (1885–1941), französischer Maler
  • Theo van Doesburg (1883–1931), niederländischer Maler, Architekt und Kunsttheoretiker; Art concret
  • Lucio Fontana (1899–1968), italienischer Maler und Bildhauer
  • Otto Freundlich (1878–1943), deutscher Maler
  • Naum Gabo (1890–1977), russischer Bildhauer, Maler und Architekt
  • Laure Garcin (1896–1978)
  • Jean Hélion (1904–1987) französischer Maler; Art concret
  • Auguste Herbin (1882–1960), französischer Maler
  • Barbara Hepworth (1903–1975), englische Bildhauerin
  • Evie Hone (1894–1955)
  • Mainie Jellett (1897–1944)
  • Wassily Kandinsky (1866–1944), deutsch-russischer Maler
  • Théo Kerg (1909–1993), luxemburgischer Maler, Grafiker, Bildhauer und Glasgestalter
  • Katarzyna Kobro (1898–1951), russische und dann polnische Konstruktivistin, Bildhauerin und Malerin → Katarzyna Kobro und Władysław Strzemiński
  • Jeanne Kosnick-Kloss (1892–1966)
  • František Kupka (1871–1957), tschechischer Maler
  • El Lissitzky (1890–1941), russischer Maler, Fotograf und Architekt
  • László Moholy-Nagy (1895–1946), ungarischer Maler, Fotograf (Fotogramme) und Bauhaus-Lehrer
  • Piet Mondrian (1872–1944), niederländischer Maler und Kunsttheoretiker
  • Henry Moore (1898–1986), britischer Bildhauer
  • Marlow Moss (1889–1958), britische Malerin und Bildhauerin
  • Ben Nicholson (1894–1982), englischer Maler
  • Taro Okamoto (1911–1996)
  • Wolfgang Paalen (1905–1959) österreichisch-mexikanischer Maler und Surrealist → Belvedere: Wolfgang Paalen
  • Antoine Pevsner (1884–1962), russischer Maler und Bildhauer
  • Alexandra Povòrina (1885–1963), russisch-deutsche Malerin
  • Kurt Schwitters (1887–1948), Merz-Künstler aus Hannover
  • Kurt Seligmann (1900–1962) schweizerisch-US-amerikanischer Maler, Graphiker und Autor
  • Katherine Sophie Dreier (1877–1952), Malerin, Kunstmäzenin und Kunstsammlerin
  • Władysław Strzemiński (1893–1952), polnischer Konstruktivist
  • Sophie Taeuber-Arp (1889–1943), schweizerisch-französische Malerin, Gestalterin und Architektin
  • Leon Tutundijan (1905–1968), armenischer Künstler; Art Concret
  • Georges Vantongerloo (1886–1965), belgischer Maler, Bildhauer und Architekt
  • Paule Vézelay (1892–1984), britische Malerin
  • Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899–1962), deutscher Maler, Bildhauer und Schriftsteller
  • Theodor Werner (1886–1969), deutscher Maler

Die meisten der bedeutendsten Künstler der Gruppe „Abstraction-Création“ waren später, meist mehrfach, auf der documenta in Kassel vertreten, insbesondere 1955 bis 1964 auf der documenta 1, documenta II und documenta III, da deren Schwerpunkt auf der Präsentation abstrakter Kunst lag.

Abstraction-Création, Art Non Figuratif – Almanach der Abstraktion

In den Jahren von 1932 bis 1936 gab die Künstlervereinigung den Almanach „Abstraction-Création, Art non-figuratif“ heraus. Die hochgesteckten Ziele sahen vor, dass jährlich acht Hefte und eine lange Reihe von Monografien erscheinen sollten. Davon wurden im ersten Jahr wirklich acht Ausgaben und zwei Monografien gedruckt. Viele der beteiligten Kunstschaffenden hatten sich bereits in den 1920er Jahre an Publikationsprojekten beteiligt: Arp, Taeuber-Arp und Schwitters waren an Dada-Publikationen engagiert. Stazewski und Strzeminski waren mit dem polnischen Magazin „BLOK“ verbunden. Vantongerloo und Vordermberge-Gildewart wurden bereits in „De Stijl“ veröffentlicht. Die Bauhaus-Meister Albers, Kandinsky und Moholy-Nagy hatten schon seit den frühen 1910er Jahren an unterschiedlichen Publikationsorganen mitgearbeitet oder diese auch herausgegeben.

Eine der brennendsten Fragen in Verbindung mit der abstrakten Kunst war die nach ihrer sozialen Dimension. Einigen ging es um reine Kunst (Strzeminski) – andere hingegen fochten Kämpfe für die politisch-soziale Eignung der abstrakten und ungegenständlichen Kunst aus. So waren Otto Freundlich, Herbin, Hélion oder Domela überzeugte Sozialisten und mit vielen anderen der Meinung, dass Universalität und Vernunftbezogenheit ihrer malerischen Konzepte im Gleichklang mit der modernen Gesellschaft stünde. Masse, Gerechtigkeit und Harmonie waren die Schlagworte, die, Vantongerloo und Gorin zufolge, die nicht-gegenständliche Kunst mit dem „Volk“ verbinden würden. Bereits im ersten Heft „Abstraction-Création“ wurde diese Frage von Herbin intensiv diskutiert und verteidigt.

Die Vereinigung leistete sehr viel theoretische und methodische Vorarbeit für die ungegenständliche Kunst. Die Künstler beschäftigten sich mit Farbstudien, bei denen physikalisch-optische Phänomene erforscht wurden, die Auswirkungen auf das Sehvermögen des Betrachters haben. Dazu gehören zum Beispiel Flimmereffekte und raumplastisches Farbsehen.

Alexander Calder veröffentlichte in der ersten Ausgabe von „Abstraction-Création. Art Non Figuratif“ seine Überlegungen zu „Comment réaliser l’art?“ (1932), in der zweiten Ausgabe beschrieb er „Un Mobile“ (1933).

Literatur und Quellen zu Abstraction-Création

  • Anke Münster, Kunst ist Spiel und tiefer Ernst. Die Imaginistin Alexandra Povòrina (1885–1963). Leben und Werk (Diss.), Gießen 2004.
  • Arta Valstar-Verhoff, „Cercle et Carré“, „Art Concret”, “Abstraction-Création”. Die Gruppen der nicht-gegenständlichen Avantgarde in Paris zu Beginn der Dreißiger Jahre, in: Konstruktivistische Internationale Schöpferische Arbeitsgemeinschaft 1922–1927. Utopien für eine europäische Kultur, hg. v. Bernd Finkeldey, Kai-Uwe Hemken, Ulrich Krempel et alii (Ausst.-Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 30.5.–23.8.1992, Staatliche Galerie Moritzburg, Halle a.d. Saale, 13.9.–15.11.1992)Ostfildern-Ruit 1992, S. 259–264.
  • Christa Murken-Altrogge, Axel Hinrich Murken, Prozesse der Freiheit – Vom Expressionismus bis zur Soul and Body Art. Köln 1985.
  • Abstraction-Création (Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum), Münster 1978.