Der Mensch als „zoon politicon“, als politisches Wesen, kann nicht unpolitisch sein. CCB interessieren, so scheint es, außergewöhnlich offensichtlich politisch motivierte Kunstwerke. So findet sich unter den beiden letzten Eichenbäumen vor dem Fridericianum eine Occupy-Zeltstadt. Im Fridericianum hängt einer Serie von Zeichnungen, die einfach „nur“ Äpfel – meist zwei Stück – vor neutralem Hintergrund zeigen. Korbinian Aigner (1885-1966), Pfarrer im Widerstand, züchtete ausgerechnet im KZ vier neu Apfelsorten, von denen eine heute noch im Handel ist und ausnehmend gut schmeckt. In der Karlsaue pflanzte CCB gemeinsam mit Jimmie Durham (* 1940) folgerichtig auch einen Korbinianapfelbaum.
Deutschland / Kassel
9.6. – 16.9.2012
Die Zerstörung von Kunstwerken im Krieg vor allem aber auch im Krieg geschaffene Kunstwerke finden sich im gesamten Ausstellungsbereich: Bereits in „The Brain“ finden sich eine Auswahl von Kunstwerken des Nationalmuseums von Beirut, die aufgrund der Bombardierung während des Bürgerkriegs (1975-1990) miteinander verschmolzen sind.
Der Vietnam-Krieg ist durch Zeichnungen von Vu Giang Huong (1930-2011) präsent, die in Zeichnungen das Alltagsleben im Krieg dokumentierte. Einige ihrer Arbeiten werden auch in der Karlsaue im Pavillon von Dinh Q. Lê (* 1968) mit weiteren von Vietcong-Kriegskünstlern zur Installation „Light and Belief: Voices and Sketches of Life from the Vietnam War“ (2012).
Ein am 25. Jänner 2011 aufgenommenes Video von den Aufständen auf dem Tahrir-Platz erinnert an den ägyptischen Künstler Ahmed Biasony (1978-2011), der nur drei Tage später von Scharfschützen erschossen wurde, weil er sie filmte. Sein letzter Facebook-Aufruf lautete: „Bringt Kameras mit zur Demonstration – und seid nicht ängstlich oder schwach.“
Beeindruckend hat Kader Attia (* 1970) die Folgen des 1. Weltkriegs anhand von historischen Aufnahmen Kriegsversehrter anschaulich gemacht. In einer Diaprojektion stellt er Bilder von Patienten der Rekonstruktionschirurgie und Alltagsgegenstände wie auch Schönheitsideale aus Afrika einander gegenüber. Die Objekte wie auch die schwer gezeichneten Überlebenden sind sichtbar „repariert“. Während jedoch die Ergänzungen der Objekte als Sichtbarmachung deren Geschichte gewollt inszeniert und die Schmucknarben mancher afrikanischer Ethnien als Körperschmuck und Zeichen der Clan-Zugehörigkeit verstanden werden, verweisen die Versehrten auf ein gezeichnet sein.
Die Frage, wie Kunst in Kriegszeiten am Leben erhalten kann bzw. welchen Themen sich Künstler_innen in solch schwierigen Phasen stellen, wird von CCB auch auf den Vietnamkrieg ausgedehnt. Der heute in Ho-Chi-Minh-Stadt lebende Künstler Dinh Q. Lê (* 1969), der auf Druck der Roten Khmer mit 10 Jahren nach Kalifornien ziehen musste, inszenierte für seinen Pavillon in der Karlsaue eine Collage von Zeichnungen unter dem Titel „Light and Belief: Voices and Sketches of Life from the Vietnam War“. Die während des Vietnamkriegs von Vietcong gezeichneten Bilder dokumentieren den Alltag im Krieg fernab von dramatischen, lebensbedrohenden Situationen. Hier war ist mehr von einer Kriegsromantik zu sprechen, die im deutlichen Kontrast zu den allgegenwärtigen Kriegsreportagen und den Interpretationen durch das Hollywoodkino stehen.
Teil 1: dOCUMENTA (13): Raumfragen
Teil 2: dOCUMENTA (13): Themenfelder
Teil 4: dOCUMENTA (13): Kunst und der Umgang mit Geschichte
Teil 5: dOCUMENTA (13): Kassel und Afghanistan
Teil 6: dOCUMENTA (13): Kassel und Australien
Teil 7: dOCUMENTA (13): Historische Wurzeln aktueller Kunst
Teil 8: dOCUMENTA (13) Kunst und Naturwissenschaft
Teil 9: dOCUMENTA (13): Aktuelle Malerei – oder gegen jede Art von Medienspezifität
Teil 10: dOCUMENTA (13): Kunst und Ökologie
Teil 11: dOCUMENTA (13): Künstler und Schamanismus
Teil 12: dOCUMENTA (13): „Realität“ und ihre mediale Vermittlung