Bei der Frieze London setzte man auf etablierte Positionen und Gefälligkeit, mehr Experimentierfreude und auch Mut zu kritischen Inhalten wären jedoch kein Schaden gewesen.
Die 15. Ausgabe der Frieze London 2017 wartete mit 160 Ausstellern auf, allen voran Branchengrößen wie Gagosian, White Cube oder David Zwirner. Einige Galerien (darunter Hauser & Wirth) setzten dabei auch auf thematische Inszenierungen. Andere wiederum präsentierten Künstler, die derzeit in den großen Ausstellungshäusern in London zu sehen sind, wie etwa die Galerie Rüdiger Schöttle mit Thomas Ruff, dem noch bis Jänner 2018 eine Retrospektive in der Whitechapel Gallery gewidmet ist. Die neue, von der Amerikanerin Alison M. Gingeras kuratierte Sektion „Sex Work“ zollte neun Künstlerinnen Tribut, die in den 1970er und 1980er Jahren eine explizit sexuelle Ikonografie mit einer radikalen politischen Agenda verbanden, darunter auch die Österreicherinnen Renate Bertlmann und Birgit Jürgenssen.
Großbritannien | London: Regent’s Park
5 – 8.10.2017
Bei David Zwirner (New York) konnte man etwa eine Arbeit von Jeff Koons erwerben, für das dieser ein Faksimile des Judaskuss-Freskos von Giotto di Bondone mit einer spiegelnden blauen Kugel, kombinierte („Gazing Ball (Giotto The Kiss of Judas)“, 2015-2016) und die schließlich für 2,75 Mio. Pfund den Besitzer wechselte. White Cube (London) hatte unter anderem eines der farbintensiven, semiabstrakten Gemälde von Sarah Morris sowie ein Wandobjekt mit Schmetterlingen von Damien Hirst im Programm. Sadie Coles HQ (London) zeigte mit Sarah Lucas‘ aus einer Waschmaschine, ausgestopften Strumpfhosen und zwei auf einem Kleiderhacken angebrachten Spiegeleiern bestehenden Assemblage eine Arbeit, die ihre Wirkung zwar nicht verfehlt, aber nicht nur bei Besuchern der Biennale von Venedig 2015 ein Déjà-vu ausgelöst haben dürfte. Gleich nebenan, bei Gagosian (London) konzentrierte man sich auf Papierarbeiten von Künstlern der Galerie, so stieß man dort etwa auf einen Blumen-Siebdruck von Andy Warhol, eine Zeichnung von Pablo Picasso aus dem Jahr 1972 oder eine Collage von Franz West, die das Cover des Kataloges zur ersten Ausstellung des Künstlers 2001 in der Galerie zierte.
Wenngleich eine ältere Künstlergeneration die Messe dominierte, fanden sich etwas jüngere Positionen beispielsweise durch Loie Hollowell (geb. 1983) repräsentiert, deren zwischen Sexualität und Landschaft changierende und den Modernismus des frühen 20. Jahrhunderts evozierende Malereien am der Stand der Pace Gallery (London) zu sehen waren, oder durch den afroamerikanischen Künstler Nathaniel Mary Quinn (geb. 1977), von dem die Almine Rech Gallery (London) ein collagenartiges Mixed-Media-Porträt im Programm hatte. Und bei der Goodman Gallery (Johannesburg) hatte man eine Fotoarbeit des diesjährigen Frieze Artist Award-Preisträgers Kiluanji Kia Henda (geb. 1976) im Portfolio, die einen ebenso humorvollen wie kritischen Blick auf postkoloniale Vorstellungen von Afrika wirft. Überhaupt brach die Goodman Gallery mit der sonst vorherrschenden Gefälligkeit. So hatte man hier auch eine Arbeit der in Kapstadt lebenden Britin Sue Williamson (geb. 1941) im Gepäck, die sich mit der „Truth and Reconciliation Commission“ beschäftigt, einer Justizbehörde, die im Post-Apartheid Südafrika eingerichtet wurde, um den Opfern von Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit zu verschaffen.
Weniger unbequem präsentierte sich dagegen der Stand von Hauser & Wirth (London) mit der Themenausstellung „Bronze Age c. 3500 BC – AD 2017“. Erdacht als „vergessenes Museum“ mit Museumsshop in dem sogar Postkarten verkauft wurden, wurden hier Leihgaben aus britischen Museen und Sammlungen mit Bronzeskulpturen von Künstlern wie Louise Bourgeois, Paul McCarthy oder Henry Moore kombiniert. Obwohl irgendwie charmant, funktionierte das Ganze leider nicht wirklich, da die Werke der Künstler in dem Sammelsurium nicht mehr zur Geltung kamen. Victoria Miro (London) stellte ihren Themenstand in das Zeichen des „nächtlichen Glamours und des Magischen“. Besondere Aufmerksamkeit zog hier ein blaues Polyester-Tor des südkoreanischen Künstlers Do Ho Suh (geb. 1962) auf sich, eine Nachbildung des Haupteinganges eines öffentlichen Gebäudes.
Die Galerie Rüdiger Schöttle (München) präsentierte eine Soloschau mit neuen Arbeiten von Thomas Ruff (geb. 1958). Der neue Zyklus aus der Serie „Negatives“, mit „neg lapresmidi“ betitelt, besteht aus 24 Fotografien mit denen sich Ruff auf die Spuren der Tanzlegende Vaslav Nijinsky begibt. Freie Hand bei der Gestaltung ihres Standes ließ die Galerie Timothy Taylor (London) ihrem Künstler, dem 81-jährigen Mexikaner Eduardo Terrazas (geb. 1936). Dieser durchzog sowohl den Boden als auch die Wände mit einem geometrischen Rastersystem aus blauen Linien. Präsentiert wurden hier 23 Werke des Künstlers und Architekten, der als wichtiger Protagonist der Gegenwartskunst in seinem Heimatland gilt. Der Bogen spannte sich dabei von vier Vintage-Zeichnungen aus dem Jahr 1974, die um wohlfeile 10.000 Pfund angeboten wurden, bis hin zu 2017 entstandenen, wie auch alle anderen Arbeiten mit geometrischen Elementen experimentierenden Acrylgemälden (40.000 Pfund).
In der Sektion „Focus“, die Galerien versammelt, die seit maximal 12 Jahren bestehen, stach der Wiener Galerist Emanuel Layr heraus. Er zeigte eine Installation der französischen Künstlerin Lili Reynaud-Dewar, die ihren Ausgangspunkt in deren Oper „Small Tragic Opera of Images and Bodies in the Museum“ nimmt. Zu sehen sind von Schaufensterpuppen getragene Originalkostüme – Seidenkleider, auf deren Rückseite etwa „Activist Artist“, „Museum Staff“ oder „Curator“ zu lesen steht. Auf der Vorderseite sind ebenso wie auf in Glaspaneele gepresste Kleidern Textpassagen aus der Oper abgedruckt. Die Arbeit beschäftigt sich mit den Rollen von Künstlern, Publikum und Museen im Kunstbetrieb von heute.
In der Sektion „Sex Work“ war etwa Renate Bertlmann (Galerie Richard Saltoun, London) vertreten, bei deren Geschlechterstereotypen subvertierenden Arbeiten Objekte wie Dildos, Kondome oder auch Schnuller zum Einsatz kommen. Ihre Installation „Kaktus“ von 1999, auf Sockeln platzierte Plastikkakteen aus denen blütengleich pinkfarbene Dildos herauswachsen, ist eine der meistfotografierten Werke auf der Instagram-Seite der Messe. Noch stärker ist allerdings Bertlmanns Fotoarbeit „Zärtliche Berührungen“ von 1976, mit der sie in sehr taktiler Weise weibliche und männliche Sexualität aufeinanderprallen lässt. Lokal_30 (Warschau) zeigte mit Natalia LL eine Pionierin der polnischen Avantgarde der 1960er und 1970er Jahre, im Programm hatte man dabei auch deren performative Fotoserie „Intimate Photography“, die ein Paar im intimen Beisammensein zeigt, und die in ihrer Entstehungszeit zu einem Manifest einer neuen weiblichen Sexualität wurde. Von der Amerikanerin Marilyn Minter war unter anderem die kontroversiell diskutierte, sich an Pornografie und Werbeästhetik anlehnende Serie „Porn Grid“ (1989) zu sehen. Mit Birgit Jürgenssen (Galerie Hubert Winter, Wien) wurde in der Sektion auch eine zweite Österreicherin präsentiert. Gezeigt wurden von der Künstlerin, die in ihrem Werk den weiblichen Körper mittels teils surrealer Transformationen einer Erotisierung durch den männlichen Blick entzieht, neben Schlüsselwerken auch weniger bekannte Arbeiten.